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Die Bewegung: Zeitung d. dt. Studenten — 12.1944

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Nr. 1 (Ende Januar 1944)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6620#0003
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Student Novalis an seinen Vater

Ein Brief aus der Studentenzeit des großen Dichters

TREPPENHAUS IM SCHLOSS MIRA BELL |A«: Foto Marburg)

Student sein galt den Besten der deutschen Jugend schon immer als persönliche
Auszeichnung und Verpflichtung. Erst recht im Kriege!

Seit dem ersten Tag des Krieges steht die Mehrzahl der deutschen Studenten
an der Front. Ihr Heldentum strahlt hell und groß über unsere Zeit.

Wo wir stehen, steht die Treue! Wo wir marschieren, marschiert der Glaube
an den Sieg!

DR. G. A. SCHEEL

Unvergängliche Werte höchster Dichtkunst hat Novalis der
deutschen Nation geschenkt. Nur eine kurze Schaffenszeit war
diesem genialen Kopf beschieden. Besonders seine Verse, aber
auch seine Aphorismen sind und bleiben unsterblicher Besitz
unserer Kultur.

Da Novalis seinen Genius nur wenige Jahre entfalten konnte,
bilden die künstlerischen Leistungen seiner Studentenzeit einen
wesentlichen Teil seines dichterischen Gesamtwerkes. Sie sind
im einzelnen uns allen so bekannt, daß wir sie an dieser Stelle
nicht nochmals aulzurufen und aufzuzählen brauchen. Als un-
verlierbare Edelsteine begleiten sie nun weit über ein Jahr-
huudert das deutsche Volk auf sein'em Weg.

Für uns Studenten im fünften Kriegsjahr des Entscheidungs-
kampfes um die deutsche Zukunft ist ein Dokument aus der
Feder von Novalis von besonderer Bedeutung, das bisher
weniger bekannt war: Es handelt sich um einen Brief, den
Novalis in seiner Studentenzeit an seinen Vater sandte um ihm
zu begründen, daß er Soldat werden wolle, weil er damit seine
Berufung zu erfüllen glaubt.

Am 9. Februar 1793 schrieb der Student Novalis von Leipzig
seinem Vater:

,,VolI Zutrauen nahe ich mich Deinem Herzen. Solange ich
denken kann hast Du versprochen, mir mehr Freund als stren-
ger Vater zu sein Ich hatte nie mehr Bedürtnis, ein erfahrenes
Herz zu finden, das mich zutraulich aufnähme, als jetzt. Vor-
würfe, lieber Vater, und gerechter Tadel sind überflüssig, denn
ich habe mir hundertmal alles lebendig vorgestellt, was Du
und die strenge Stimme meines eignen Bewußtseins mir sagen
können.

Du weißt schon, was ich wünsche, wonach ich heißes Ver-
langen trage: Soldat zu werden, ist jetzt die äußerste Grenze
des Horizonts meiner Wünsche. Die Erfüllung dieser Hoflnung
wird die fieberhafte Unruhe stillen, die jetzt meine ganze Seele
bewegt.

Du, bester Vater, bist die größeste und fast einzige Schwie-
rigkeit, die ich zu überwinden habe. Habe, ich den Weg zu
Deinem Herzen gefunden, und löscht dieser schnelle jugend-
liche Entschluß nicht alle Funken einer zärtlichen Liebe zu mir
darin aus, die schon 20 Jahre alt ist, und mehr aus dem inneren
Fond Deines Charakters als aus der Natur entstanden ist, so
glaub ich auch, diese überwunden zu haben, so glaub ich, daß
nichts mehr der Ausführung meines Vorhabens entgegensteht.
Ehe ich meinen Entschluß fest faßte, habe ich freiiich inner-
lich sehr mit der Vorstellung gekämpft, daß ich im höchsten
Grade undankbar gegen Euch hebe Eltern, erscheine, daß icil
Euch liebe Hoffnungen zerstöre und Euer Herz an dei ver-
wundbarsten Stelle angreife; aber als ich nachher bedachte,
daß nicht der gegenwältige Augenblick sondern gerade die
Aussicht des ganzen Lebens mich bestimmen müsse daß das
Glück und die Ruhe von meinem Leben und ein großer Teil
des Eurigen an diesem Entschlüsse hinge, indem ich mir von
ihm den vorteilhaftesten Einfluß auf die Bildung und Konsi-
stenz meines Charakters verspreche, daß denn doch bald Zeiten
kommen würden wo Euch das alles klar und kräftig ein-
leuchten würde und Ihr mif der Wendung meines Schicksals
gewiß würdet zufrieden sein; als ich dies alles bedachte, so
war auch mein Entschluß da, mit der freudigen Hoffnung, daß
Ihr mir zutrauensvoll die Hand bieten und mein ohnedem ver-
wirrtes Herz durch eine Härte und Kälte, durch einen Mangel
an freiem Zutrauen und herzlicher Teilnahme, der Euch sonst
so fremd war nicht noch mehr niederdrücken würdet.

Vor allen Dingen muß ich Dir ein Mißtrauen benehmen, als
ob ich schon lange mit diesem Vorsatz umgegangen sei. Ich
kann Dir aufs heiligste versichern, daß er erst seit Weihnach-
ten mich ergriffen hat. Vorher habe ich nie daran gedacht.

Die Entstehungsgründe sind kurz folgende, Bis Weihnachten
war ich fleißig gewesen, das kann ich freiherzig gestehen. Als
ich nach Weihnachten zurückkam, so war ich ein paar Tage
krank, mißmutig und unzufrieden mit mir. Ich war zwanzig
Jahre alt und hatte noch nichts in der Welt getan. Mein bis-
heriger Fleiß erschien mir selbst in einein verächtlichen Lichte
und ich fing an, mich nach Ressourcen umzusehen.

Da schoß mir zuerst wie ein fliegender Gedanke der Wunsch
durch den Kopf, Soldat zu werden. Es blieb aber jetzt noch
alles im tiefsten Hintergrund stehen. Dann hatte mein Bruder
wieder einen Ante", von Hypochondrie. Ich redete ihm zu, er
s; 'seh vom Soldaten. leb redete ihm diese Sache so ziemlich
a/s, aber mir noch tiefer ein.

Dieser Wunsch trat immer heller, und lebendiger hervor und
fing an, mich zu beunruhigen. Jetzt war's, daß ich mich, ver-
zeihe meine Juvenilität, in ein Mädchen verliebte Die erste
Zeit ging noch alles recht gut; aber diese Leidenschaft wuchs
so schnell empor, daß sie in kurzer Zeit sich meiner ganz be-
mächtigt hatte.*Mich verließ die Kiaft, zu widerstehen. Ich
gab mich ganz hin. überdies war's die erste Leidenschaft
meines Lebens. Vielleicht ist Dir das nicht so fremd und ana-
loger als ich glaube, da Du doch ein äußerst empfindliches und
heftiges Temperament hast; aber Du bist schon von früh an
vertrauter mit der Idee der Pflicht gewesen, und meine Phan-
tasie ist vielleicht ungebändigter, als es Deine war. Hin und
wieder gab es doch eine kühlere Minute, wo mir das Gefühl
von Pflicht, von meiner Bestimmung, die Erinnerung an Euch
einfiel und meine innere Pein um die Hälfte vermehrte, weil
ich zu gut sah, daß ich nicht so sein sollte und doen Mangel
an Kraft fühlte, mich herauszureißen, weil ich zu unzertrenn-
lich mit der Empfindung der Liebe verbunden war, weil ich
gern beides verknüpft hätte' und doch keine Möglichkeit sah.

Meine Leidenschaft ist jetzt ganz erloschen. Sie hob sich
selber auf, als sie auf einen Grad gestiegen war, von dem Du
Dir keine Vorstellungen machen kannst.

Daß ich in dieser Zeit nichts tat, kannst Du Dir leicht vor-
stellen, und Du wirst darüber nicht ärgerlicher sein als über
die ganze Geschichte.

Mein Entschluß soll mich nun ganz allein beschäftigen. Die
Entstehung desselben hast Du nun gesehen, und aus ihr er-
geben sich leicht die meisten Motive.

Als Soldat bin ich gezwungen, durch strenge Disziplin meine
Pflichten gewissenhaft zu tun; überdem sind es größtenteils
mechanische Pflichten, die meinem Kopfe und Herzen alle
möglichen Freiheiten gestatten; als Zivilist, Gott im Himmell
wie würde das mit meinen Geschäften aussehen, wenn solche
Pausen von gänzlicher Kopfabwesenheit kämen. Ich würde
Eucn, mich selbst und meine Pflichten täuschen, obendrein
unglücklich sein und keinen Trost haben. Ich muß noch er-
zogen werden, vielleicht muß ich mich bis an mein Ende
erziehen.

Männlichkeit ist das Ziel meines Bestrebens. Nur sie macht
edel und vortrefflich, und wo könnte ich sie eher für mich
finden, als in einem Stande, wo strenge Ordnung, pedantische
Unbedeutsamkeit und ein Geist zu einem großen Ziele führt,
wo das Leben immer nur als Medium erscheint und das Prinzip
der Ehre das Selbstgefühl schärft, die Empfindung veredelt,
den Wetteifer erhöht Und den Eigennutz aufhebt, wo man fast
immer mit seiner letzten Minute umgeht. Wenn man da nicht
geweckt wird zum Ernst, zur Männlichkeit, zu klugem Ge-

brauch seiner Kräfte und seiner Zeit, wenn da nicht der
Charakter Konsistenz und Bildung und Größe erhält, so müßte
man auf der untersten Stufe der menschlichen Würde, der
menschlichen Natur stehen.

Ich hoffe, daß Du jetzt schon einsehen wirst, daß nicht eine
kindische Vorstellung vom Soldaten mein Hauptbeweggrund
gewesen ist. Ich weiß zu gut, was ich aufopfere und was ich
erhalte, wozu ich mich entschließe und was ich verlasse. Ich
weiß, daß der Soldatenstand kein Rosengarten ist, aber was
gerade andere scheuen, das zieht mich an und läßt mich den
heilsamsten Einfluß für meine Bildung davon hoffen.

Das tätige Leben, in das ich nun trete, wird meinem brau-
senden Kopfe und meinem unruhigen Herzen höchst will-
kommen sein. Meine Grundsätze und Ideen werden geprüfter,
schärfer gedacht, tiefei empfunden werden.

Die wilde, leidenschaftliche Hitze wird sich legen und nur
eine sanfte, gemäßigte Wärme zurückbleiben. Der üppige
Gedankenstrom wird sich verlieren, aber er wird desto reicher
werden. Die Erfahrung wird ihre Hand an meine Bildung
legen, und in ihrem hellen Lichte wird manche romantische
Jugendidee verschwinden und nur der zarten, stillen Wahrheit,
dem einleuchtenden Sinne des sittlich Guten, Schönen und
Bleibenden den Platz überlassen. Mein Sinn wird Charakter,
meine Erkenntnisse werden Grundsätze, meine Phantasie wird
Empfindung, meine Leidenschaftlichkeit wohltätige Wärme,
meine Ahnungen werden Wahrheit, meine Einfalt Einfachheit,
meine Anlage wird Verstand, meine Ideen werden Vernunft.
Siehe, lieber Vater, das ist der Zweck, den ich habe; miß-
billigen kannst Du ihn unmöglich, und das gewählte Mittel
scheint mir das zweckmäßigste zu sein.

Ich glaube mit diesem schon alle jene Einwürfe entkräftet
zu haben, die Du mir etwa in Rücksicht der Verhältnisse
meines Charakters zum Soldatenstand machen könntest.

Mir wird die Subordination, die Ordnung, die Einförmigkeit,
die Geistlosigkeit des Militärs sehr dienlich sein. Hier wird
meine Phantasie das Kindliche, Jugendliche verlieren, was ihr

anhängt, und gezwungen sein, sich nach festen Segeln eines
Systems zu richten. Der romantische Schwung wird in dem
Alltäglichen, sehr unromantischen Gange meines Lebens viel
von seinem schädlichen Einfluß auf meine Handlung verlieren,
und nichts wird mir übrigbleiben als ein dauerhafter schlichter
Sinn, der für unsere modernen Zeiten den angemessensten,
natürlichsten Gesichtspunkt darbietet.

Was die Strapazen betrifft so weiß ich, daß ich sie aus-
dauern werde, wenn ich sie ausdauern soll, und so fürchte ich
mich nicht davon. Was die Todesfurcht betrifft, so müßte in
mir kein Tropfen Deines Blutes fließen, wenn sie mich zurück-
halten sollte. Bei mir kommt auch noch aus gewissen indi-
viduellen Hinsichten, die Du auf keinen Fall mit mir teilen
'cannst, eine Gleichgültigkeit gegen das Leben mit hinzu, die
Dir paradox vorkommen wird weil Du mich nicht ganz kennst.
Ich bin fest überzeugt, daß man in der Welt mehr verlieren
kann als das Leben, und daß das Leben nur von uns seinen
Reiz erhält, daß es immer nur Mittel und fast nie Zweck sein
darf, und daß man oft wenig verliert, wenn man von diesem
Jtern abtritt.

Komm' ich nicht wieder, so bin ich doch meinem Schick-
sal gefolgt, das mir kein längeres Leben gönnte, und
auch dann wirst Du der Vorsicht Plan Stil! verehren. Sehe
ich Euch wieder, so hoffe ich, Du sollst mir noch einmal Dein
ganzes Zutrauen schenken, und wir wollen gewiß noch ein-
mal manchen fröhlichen Tag miteinander verleben.

Ich hoffe, Du lassest mir diejenige Gerechtigkeit wieder-
fahren, die mir zukommt, und erkennst zwar in mir den leiden-
schaftlichen jungen Menschen, aber auch das freie, offene
Herz, das es nicht gern mit anderen, aber auch nicht gern
mit sich selbst, verdürbe und so gern weiser, besser und glück-
licher sein und machen möchte. Ich habe das uneingeschränkte
Zutrauen in die Güte Deines Herzens und in Deine Zärtlichkeit
für mich. Laß mich in Dir ganz den Vater und Freund finden
und verbanne jeden aufsteigenden Unwillen gegen mich so-
gleich aus Deiner Brust." \

Ende Januar 1944 / Die Bewegung / Seite 3
 
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