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Die Bewegung: Zeitung d. dt. Studenten — 12.1944

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Nr. 2 (Ende Februar 1944)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6620#0024
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Aus unseren Berufen

Zur Neugestaltung der medizinischen Studien- und Prüfungsordnung

Von Dr. med. Erich Otto

In diesen Tagen ist die neue Studienplan-,
änderung in Kraft getreten. Ich möchte die
Gelegenheit wahrnehmen, um von seiten der
Reichsstudentenführung kurz dazu Stellung zu
nehmen.

In dem Bestreben, trotz aller Erschwernisse
des Krieges dem deutschen Soldaten und Ar-
beiter einen gediegen ausgebildeten und wahr-,
haft innerlich erzogenen Arzt laufend zu er-
ziehen und auszubilden, hat die Führung seit
langem die Vorbereitungen getroffen, die Un-
zulänglichkeiten des Studienplanes von 1939,
die. sich besonders im Kriege zeigten, zu be-,
seitigen, und das, was sich bewährt hat, zu
verstärken und auszubauen.

Es. war ein langer und harter Kampf, bis
auch diese Studienplanänderung das Licht der
Welt erblickte, wie immer in der Geschichte
unserer medizinischen Studien- und Prüfungs-
ordnung.

Es ist selbstverständlich, daß an den ent-
scheidenden Neuerungen von 1939 nicht ge-
rüttelt wird. Sie haben sich bewährt und wer-
den 6ich aller Voraussicht nach in Zukunft
noch mehr bewähren. Der gesamte be-
rufspraktischeAusbildungsdienst-
bleabt im neuen Studien- und Prü-
fun.gsplan erhalten. Kranken-
pfleg e d i e n s.t , Land- und Fabrik-
dienst (Einsatz in gesundheits-
nahen Betrieben) und Famulatur
bleiben in ihrer bisherigen Form»
bestehen. Auf ihre gründliche und
gediegene Durchführung wird
nicht zuletzt aus Kriegserforder-
nissen besonderer Wert gelegt.

Dem zum Studium zurückkehrenden Front-
soldaten fällt es besonders schwer, sich mit
der Vielzahl der vorklinischen Fächer konzen-
triert zu befassen, besonders wenn er ihre
Notwendigkeit, wie bei den naturwissenschaft-
lichen Fächern, noch gar nicht einsehen kann.

Deshalb wurde das Vorphysikum wieder
eingeführt. Es hat sich in seiner elastischen
Form bereits seit dem vergangenen Jahr be-
währt. Diese Form wird deshalb im neuen
Erlaß beibehalten werden. Es wird hier aber
ausdrücklich darauf hingewiesen, daß das Vor-
physikum ursprünglich im wesentlichen für
studierende Soldaten gedacht war, während
die Studentinnen zunächst die alte Form
beibehalten sollten.

Die naturwissenschaftlichen
Fächer werden teilweise eine Verkürzung
erfahren, bzw. wird besonders starker Wert
auf eine besondere Vorlesung für Mediziner
gelegt, so daß sie das für sie notwendige
Wissen vermittelt bekommen und darüber
hinaus der peinlichen Lage enthoben werden,
als Schmalspurhörer der naturwissenschaft-
lichen Vorlesungen angesehen und bewertet"
zu werden.

Botanik wird von drei auf zwei, Zoologie
von vier auf drei Stunden verkürzt. Wo an
den Universitäten die Möglichkeit besteht, 6oll
an Stelle von Botanik und Zoologie eine
vierstündige Vorlesung als „All-
gemeine Biologie für Mediziner"
gelesen werden.

Die Begründung hierzu ist klar. Es muß
unter den gegenwärtigen Verhältnissen alles
ausgeschaltet werden, was die Konzentration
.auf das für die unmittelbare Ausbildung
Wesentliche stört oder belastet.

Auch wir sind der Meinung, daß die natur-
wissenschaftliche Ausbildung im Stddienplan
die Aufgabe hat, zum biologischen Denken zu
erziehen. Dies wird aber keineswegs erreicht
durch die Teilnahme an der Hauptvorlesung
für Chemiker. Wenn die Naturwissenschaften
für den Mediziner wirklich fruchtbare Grund-
lagenwissenschaften darstellen sollen, dann
müssen sie in irgendeiner — engeren oder
weiteren — Beziehung zur Heilkunde gelehrt
werden.

Es ist oft behauptet worden von Studenten
und Professoren, daß der Studienplan zeitlich
den Studenten zu stark belaste und ihm keinen.
Raum lasse für seine persönliche Entwicklung.
Schauen wir uns von diesem Standpunkt aus
den jetzt vorliegenden Studienplan an, so sehen
wir, daß

im 1. Semester 23 Stunden,

im 2. Semester 28 Stunden,

im 3. Semester 23 Stunden und

im 4. Semester 25 Stunden
alt Pflichtvorlesungen und Übungen gehalten
werden. Dies ist wahrhaftig keine übermäßige
Belastung, und wir stehen auf dem Standpunkt,
daß wer diese Belastung nicht aushält, ohne.
an seiner persönlichen Entwicklung Schaden zu
nehmen, am besten gar nicht Medizin studieren
sollte! -v

Wenn man allerdings vom ersten Semester
an die gleiche Stundenzahl für den Einpauker
benötigt, dann kommt man schon ins Ge-
dränge. Aber da liegt die Schuld nicht am
Studienplan, sondern an der eigenen, geistigen
Armseligkeit und Unselbständigkeit der Stu-
denten. Doch darüber in anderem Zusammen-,
hang!- Die praktischen Übungen werden teil-
weise eine Verstärkung erfahren.

Einern besonderen Bedürfnis des Studenten
wird durch Einführung einer Vorlesung „Ein-'
füh'rung in die Medizin" Rechnung
getragen. Der berufenste Vertreter der Fakultät
wird hier von hoher Warte höchsten ärztlichen
Könnens und Erfahrung, der klaren Sicht
nationalsozialistischer Welt- und Lebensan-
schauung und als Forscher die Pforten zur
schönsten und edelsten aller Künste, zu unserer
Heilkunst, öffnen. —

Auch im klinischen Abschnitt sind
eine Reihe einschneidender Änderungen vor-
genommen worden.

Seite 6 / Die Bewegung / Ende Februar 1944

werden
gelehrt

Zunächst die wichtigsten. Im Zuge der Kon-
zentration des Unterrichts aus Kriegserforder-
hissen: die Verringerung der Prü-
fungsfächer von 19 auf 15.

Dabei fallen weg beziehungsweise
im Rahmen der großen Kliniken mit
und geprüft:

1. Pathologische Physiologie,

2. Topographische Anatomie,

3. Begutachtung in der Sozialversicherung
und Unfallheilkunde,

4. Berufskrankheiten.

Die gesamte Stundenzahl wird dadurch und
durch die Verkürzung einiger Spezialfächer in
jedem Semester gesenkt.

Durch die Verlegung verschiedener Vor-
lesungen (Hygiene, Geschichte der Medizin
usw.) wird das organische Gefüge des Studien-
planes weiter verstärkt

Weiter wurde festgelegt, daß die Mindest-
frist, nach deren Ablauf ein nicht bestandenes
Fach der ärztlichen Vorprüfung und der ärzt-
lichen Prüfung wiederholt werden darf, einen
Monat beträgt. Bis auf weiteres nicht anzu-
wenden ist die Bestimmung, nach welcher die
in einem nichtbestandenen Abschnitt abzu-
legende Prüfung erst dann wiederholt werden
darf, wenn 6ich der Kandidat der Prüfung in
allen Abschnitten unterzogen hat.

Damit ist ein rascheres Ablegen der Prüfung
gewährleistet, was ja im Interesse einer raschen

Gestaltung von ärztlichem Nachwuchs von
großem Werte ist.

Der Krieg hat uns auf unserem Fachgebiet
zwei Tatsachen besonders eindringlich vor
Augen geführt und gezeigt, welche außer-
ordentliche Rolle sie spielen.

Das erste ist die Notwendigkeit, mit natür-
lichen und einfachen Mitteln zu
heilen und darüber hinaus zum
einfachen und natürlichen Leben
zuerziehen.

Zum anderen haben wir die Richtigkeit un-
serer rassenbiologischen Lehre im
weitesten Sinne an allen Fronten, auf
allen Kriegsschauplätzen und nicht zuletzt in
der Heimat durch den fremdvölkischen Ar-
beiter erlebt und. die Notwendigkeit einer ge-
diegenen, wissenschaftlichen und politisch-
weltanschaulichen Untermauerung unserer Er-
kenntnisse noch mehr als bisher eingesehen.

Es ist deshalb , eine Selbstverständ-
lichkeit, daß die Vorlesungen und Prü-
fungen der naturgemäßen Heilweise
und der Rassenbiologie (Menschliche
Erb- und Rassenlehre, Bevölkerungspolitikj
Rassenhygiene) bestehen bleiben. Es sind
Grundfächer und keine Neben-
fächer.

Auch diese Studienplanänderung kann keine
endgültige sein. Auch sie hat ihre Mängel.
Wir sind aber überzeugt, daß sie ein wei-
terer Schritt zu der Lösung ist, die wir er-
streben. Was auch die neue Studien- und Prü-
fungsordnung von jedem Studenten und jeder
'Studentin verlangt, ist Anspannung aller Ar-
beitskräfte bis zum äußersten.

Die ärztliche Versorgung des deutschen Vol-
kes ist mit eine der Grundlagen unserer Wider-
standskraft in diesem Kriege, die rasche und
gediegene ärztliche Ausbildung und Erziehung
ist daher eine Angelegenheit von kriegswich-
tiger Bedeutung. Keiner darf auch nur eine
»Stunde seines Studiums vergeuden, die nicht
diesem selbst oder zur Stärkung der Arbeits-
kraft dient.

Darüber hinaus ist es geradezu eine sittliche
Verpflichtung, sich den kriegsbedingten Ein-
sätzen, wie sie die Studentenführung in Erfül-
lung ihres Erziehungsauftrages vom Studenten
fordert, zur Verfügung zu stellen.

Erst wer die politische Aufgabenstellung er-
kannt hat und durch ihre Erfüllung erzogen
wurde, wird in der Lage sein, als wahrhafter
und echter Student in voller Eigenverantwort-
lichkeit zu studieren.

Das Studium der Medizin in seiner jetzigen
Form gewährt dafür genügend Raum.

iiiiiiiimii'iiiiiiiiiiiiiiiiitimiiiiniiiiiiiiiuiiiiiitiiiuiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii

Drei Dinge muß der Philologe verstehen: das
Altertum, die Gegenwart, sich selbst; seine
Schuld liegt darin, daß er entweder das Alter-
tum nicht oder die Gegenwart nicht oder sich
selbst nicht versteht.

*

Der Wert davon, daß man zeitweilig eine
strenge Wissenschalt streng betrieben hat, be-
ruht nicht gerade in deren Ergebnissen: denn
diese werden, im Verhältnis zum Meere des
Wissenswerten, ein verschwindend kleiner
Troplen sein. Aber es ergibt einen Zuwachs an
Energie, an Schlußvermögen, an Zähigkeit der
Ausdauer, man hat gelernt, einen Zweck zweck-
mäßig zu erreichen. Insofern ist es sehr schätz-
bar, in Hinsicht auf alles, was man später
treibt, einmal ein wissenschaitlicher Mensch

gewesen zu sein.

Friedrich Nietzsche

IIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIUIII

Das wissenschaftliche Lehrbuch im Kriege

Als im Jahre 1943 der totale Krieg prokla-
miert wurde, da dachte sich mancher, nun sei
auch die Stunde der deutschen Universitäten
gekommen. Bekanntlich hat sich aber die Füh-
rung des Reiches entschlossen, den Hochschul-
betrieb in ungeschmälerter Form weiterzu-
führen, Studenten und Studentinnen vom
Arbeitseinsatz im Rahmen der totalen Mobili-
sierung freizustellen usw. Es wurden lediglich
einige Maßnahmen getroffen, die in allen Fakul-
täten einen straffen, angespannten Studien-
betrieb gewährleisten.

Die deutsche Hochschularbeit läuft also trotz
aller naturgemäß vorhandenen Schwierigkeiten,
die durch vier Kriegsjahre entstanden sind, in
beinahe friedensmäßigem Stile weiter. Diese
Tatsache wird für einen in Deutschland Leben-
den vielleicht nicht so verwunderlich erschei-
nen; gegenüber dem neutralen Ausland er-
scheint es aber angesichts der vielfach dort
herrschenden Auffassungen über die Zustände
im Deutschland des fünften Kriegsjahres an
der Zeit, einmal auf die Tatsache hinzuweisen.

Ein Blick auf die Besucherzahlen der deut-
schen Hochschulen bestätigt dies. Im Sommer-
semester 1939 waren an den deutschen Hoch-
schulen etwa 67 000 Studenten und Studen-
tinnen eingeschrieben. Die folgenden Semester
brachten zunächst etwas schwankende Be-
sucherzahlen. Seit Sommer 1942 sind die Zif-
fern aber wieder im stetigen Ansteigen.

In der Verteilung der Studierenden auf die
verschiedenen Fakultäten sind wesentliche Ver-
änderungen nicht eingetreten.

Der Anstieg der Nachfrage

Das unverändert intensive Hochschulleben
hat sich nun im Verein mit anderen Erschei-
nungen auch auf den wissenschaftlichen Bü-
chermarkt ausgewirkt, so daß kürzlich im Aus-
land gelegentlich der Besprechung wissen-
schaftlicher Bücher zu lesen war, daß mit der
Ausfuhr derartiger Literatur aus dem Reich
vorläufig „doch nicht mehr zu rechnen" sei.
Nimmt man noch die Klagen aus dem Inland
dazu, die auf das Fehlen zahlreicher wichtiger
Lehrbücher zurückzuführen sind, so könnte man
fast den Eindruck des Versagens der deutschen
Buchproduktion auf diesem wichtigen Sektor
gewinnen.

Zunächst kann dazu gesagt werden, daß die
deutsche Gesamtbucherzeugung ebenso wie die
Erzeugung auf dem wissenschaftlichen Sektor
nach Ausweis der Statistik nicht nur ihren
Friedensstand gehalten, sondern ihn darüber
hinaus sogar noch während des Krieges zu
steigern vermocht hat. Demgegenüber steht
aber ein Anwachsen der Nachfrage, die sämt-
liche Erwartungen sehr weit übertroffen hat.

Dies rührt, einmal daher, daß die Zahl der
Studierenden gegenüber dem Friedensstand
weiter gestiegen ist. Dainfolge der bekannten Um-
stände heute viel überschüssige Kaufkraft vor-
handen ist. andererseits Bücher zu den wenigen
Waren gehören, die noch nicht rationiert sind,
so hat sich 1 die Bücherkauflust des einzelnen
erhöht; und so sind darüber hinaus auch der
schweren wissenschaftlichen Lektüre eine Reihe
ganz, neuer Käufer entstanden. Eine teilweise
ganz neue Käuferschicht namentlich für natur-
wissenschaftlich-technische Werke sind zahl-
reiche Soldaten, die das Bedürfnis oder die
Verpflichtung haben, sich an Hand wissenschaft-
licher Literatur in die physikalischen Grund-
lagen der Wirkung ihrer Waffen einzuarbeiten.
Manche lange Wartestunde dürfte auch dem
Soldaten Gelegenheit, zu diesen und auch ande-
ren Studien an Hand der Originalliteratur
geben. * Besonders ins Gewicht fällt der Buch-
bedarf all der vielen im Laufe des Krieges
geschaffenen • Dienststellen • und Einrichtungen
■mit wissenschaftlichen Aufgaben oder Interes-
sen, der Lazarette, Fofschungsstellen und Labo-
ratorien der Wehrmacht, des Staates und der
zahlreichen alten und ' neuen Rüstungs- und
sonstigen Industriebetriebe. Dazu kommt noch
der Bedarf des Auslandes, der durch den deut-

schen Buchexport bisher immer befriedigt
wurde.

So ist nicht nur die Zahl der Käufer, son-
dern auch die Nachfrage des einzelnen Käu-
fers größer geworden. Es ist klar, daß unter
diesen Umständen selbst eine von Jahr zu
Jahr in üblichem friedensmäßigem Ausmaß ge-
steigerte Buchauslieferung diesen stark er-
höhten Anforderungen nicht unmittelbar ge-
recht werden konnte. Von einem Nachlassen
der wissenschaftlichen Buchproduktion kann
also aufs ganze gesehen schon gar nicht die
Rede sein.

Die Produktion

Eine Durchsicht des literarischen Zentrai-
blattes, das bekanntlich laufend eine voll-
ständige Bibliographie des deutschen wissen-
schaftlichen Schriiitums bringt, ergibt, daß
allein in der Abteilung „Naturwissenschaft",
ohne Medizin, Rassen- und Vererbuncj&wissen-
schaft und Technik, im ersten Halbjahr 1943
allein über -70 Lehrbücher und andere Dar-
stellungen einführenden Charakters erschienen
sind. Ein kurzer Uberblick zeigt bereits die
große Vielfalt des Gebotenen. Ob man sich
nun den einfachen Darstellungen zuwendet,
die, um wahllos einige herauszugreifen, z. B.
vertreten sind durch die bekannten mathe-
matischen Einführungen von Bieberbach und
Rothe, die hervorragende Einführung in die
Physik von Pohl, die bewährte „Qualitative
Analyse unorganischer Substanzen" von Biltz
und all die. zahlreichen einführenden Dar-
stellungen in die physikalische,'anorganische,
organische, physiologische und Elektrochemie,
oder ob man die Gruppe der schwereren,
teilweise schon Handbuchcharakter aufweisen-
den Darstellungen herausgreift, von denen wir
erwähnen möchten z. B. den ersten Band der
neuen „Praktischen Fünktionslehre" von Tölke,
die weltbekannte „Praktische Physik" von
Kohlrausch, deren 18. Auflage, von Henning
bearbeitet, nunmehr in zwei Bänden vorliegt,
die „Theoretische Einführung in die Gasdyna-
mik" von R. Sauer, die eine der ersten Dar-
stellungen über den modernsten Zweig der
Strömungsphysik ist, oder auf dem Gebiet der
Chemie etwa die „Theoretischen Grundlagen

der organischen Chemie" von Hückel, die „Or-
ganische Elektrochemie" von Fichter, während
die Biologie unter anderem durch die „Theo-
retische Biologie" von Bertalanffy vertreten ist.
Die Behandlungen grundlegender Fragen der
Physik z. B. wird ebenfalls nicht vernach-
lässigt, wie die neuaufgelegten Werke von
Weizsäcker und Jordan beweisen.

Die Behauptung, daß es in Deutschland keine
wissenschaftlichen Lehrbücher mehr gebe, ist
also sehr wesentlich abzuändern, und zwar da-
hin, daß die gegenüber dem letzten Friedens-
jahr ohnehin schon im normalen Maß weiter-
gesteigerte Buchproduktion mit dem gewaltig
gesteigerten Bedarf in den vergangenen Mona-
ten nicht Schritt halten konnte. Von zuständi-
ger Seite sind inzwischen bereits Maßnahmen
zur Beseitigung dieser Mängel ergriffen wor-
den. Zusammen mit beratenden wissenschaft-
lichen Ausschüssen, die sich aus anerkannten
Fachvertretern, .der Naturwissenschaft, Tech-
nik', ivlediziri, Geisteswissenschaft, Rechtswis-
senschaft, Wirtschafts- und Landwirtschafts-
wissenschaft zusammensetzen, wurden diejeni-
gen Werke ausgewählt, die als besonders gut
wichtig und für den Lehrbetrieb sowie für die
Nachwuchsausbildung als notwendig anzuspre-
chen sind. Für Neuauflagen dieser Titel sowie
für wesentliche und grundsätzliche Neuerschei-
nungen ist ein großes Papierkontingent — und
zwar allein im Rahmen dieser Sonderaktion für
die medizinischen Lehrbücher rund 533 000 kg,
für die übrigen naturwissenschaftlichen Lehr-
bücher einschließlich der Forst- und Landwirt-
schaftswissenschaft 520 000 kg, für technische
Lehrbücher etwa 366 000 kg, insgesamt fast
1 500 000 kg — zur Verfügung gestellt. Dabei han-
delt es sich, wie nochmals betont werden muß,
nur um die Papiermengen, die in der Lehr-
büchaktion nur für die genannten Fächer be-
reitgestellt würden, unabhängig von der lau-
fenden wissenschaftlichen Verlagsproduktion.

Naturgemäß wird es bei den bekannten heu-
tigen Zeitumständen noch etwas dauern, bis die
vorgesehenen Werke gedruckt sind und den
zur Zeit größten Engpaß, die Buchbinderei,
durchlaufen haben und dann endlich zur Aus-
lieferung vorliegen, um damit die gegenwär-
tige Mangelerscheinung abzustellen.

Lorenz und die Wissenschaft

Der Unteroffizier Lorenz sieht in den grauen
Morgen, der über die Ssinjawinohöhe kriecht.
Die Nacht war ruhig, endlich einmal. Alle die
anderen Tage und Nächte trommelte der Feind
auf die Stellungen, Wie lange das so ging, ist
nicht genau zu sagen. Man verliert das Gefühl
für Zeit. Wer wollte wohl glauben, daß fünf
Jahre vergangen sind seit jenen Semestern in
Freiburg? Man muß sich das wieder einmal
zurückrufen: „Lorenz, stud. phil. im vierten
Semester, 25 Jahre, ledig." Unwichtig, denn
man liegt auf der Ssinjawinohöhe, ist Flak-
artillerist an einem Vierlingsgeschütz.

Der Leutnant kommt durch den Graben. „Was
wollen Sie eigentlich nach dem Kriege machen,
Lorenz? Sie studieren doch." „Würde jetzt ins
Staatsexamen steigen, Altphilologe", sagt " der
Unteroffizier. „Würde", lächelt der Leutnant.
„Kommen Sie nachher mal in meinen Bunker,
habe was für Sie!"

Als Lorenz vom Leutnant zurückkommt, ist
er etwas durcheinander. „Sie fahren zu einem
Hochschulkursus auf die Universität Dorpat,
sind schon lange vorgesehen."

Dorpat wird das Einfallstor deutschen Gei-
stes am Rande zweier Welten genannt. Am
Fuße des Domberges steht inmitten der Bürger-
bauten die Universität: sie erhebt die Stadt .
zum geistigen Mittelpunkt des Landes. „Wir
Deutschen wollen nicht vergessen", sagt der
Professor aus Königsberg, „daß die Wieder-
gründung der Universität nach dem Weltkrieg
deutsches Werk ist. Der deutsche Geist hat

von hier auch immer nach dem Osten gewirkt,
und so ist es kein Zufall, wenn wir als Front-
kämpfer, die wir für eine Woche die Gräben
verließen, den Geist desjenigen anrufen, dessen
geistige Welt durch das Tor Dorpat in den
nordöstlichen Raum fand: Goethe."

Der Unteroffizier Lorenz hört zuerst den
Vortrag eines Beauftragten des Reichsstuden-
tenführers und des Reichsstudienwerkes.

Vormittags hört Lorenz die Vorlesungen
eines Königsberger Professors .Faustproblem
und Menschheitsidee" und eines Wiener Dozen-
ten über „Philosophie und Politik", nachmittags:
Arbeitsgemeinschaft, anschließend Aussprache,
abends: „Don Pasquale" in der Dorpater Oper.
Wenn er, der gestern noch die Trichterland-
schaft vor Ajigen, heute den Kopf voller Ein-
drücke, sich die Frage nach einem vorläufigen
Ergebnis stellt oder zu der bald präziseren For-
mulierung kommt: hat das Sinn für mein wei-
teres Studium und die geistigen Aufgaben, die
mir gestellt sind?, so findet er sehr schnell die
bejahende Antwort.

"Der Professor aus Königsberg sagt: „Was
wir tun wollen, ist: mit diesen acht Tagen
einen Kontakt zu schaffen zwischen Hochschule
und Front! Einmal werden Sie den grauen Rock
ablegen, dann sollen Sie nicht als .Fremder und
dem wissenschaftlichen Leben feindlich Gegen-
überstehender wieder in die Hörsäle gehen.
Wenn nur der Wille rein geblieben ist — der
Geist trägt den Sieg über die Materie davon."

H. M.
 
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