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Die Bewegung: Zeitung d. dt. Studenten — 12.1944

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Nr. 3/4 (März/April 1944)
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ihrem verzweifelten Aufschauen zur He'Hgung und Umgestal-
tung des ganzen Menschenkerns. ,

Indem ich alle meine Eigenschaften und Bestrebungen vor
das Forum einer düsteren Selbstverachtung zog, war ich bit-
ter, ungerecht und zügellos in dem gegen mich selbst gerich-
teten Hall. Auch leibliche Peinigungen fehlten nicht. So zwang
ich mich 14 Tage bir.tereirander, immer erst um 2 Uhr Nachts
zu Bett zu gehen und es genau um 6 Uhr wieder zu verlassen.

In jene Zeit fällt die Gründung des philologischen Vereins.
Eines Abends waren mehrere ehemalige Bonner Studenten zu
Ritsehl eingeladen, darunter ich selbst. Nach Tische regte uns
unser Gastgeber lebhaft zu der Idee an, welche dem philo-
logischen Vereine zu Grunde lag. Die Frauen waren gerade im
Nebenzimmer, und so störte nichts den Erguß des lebhaften
Mannes, der aus der Erfahrung von der Wirksamkeit und dem
Einfluß-solcher Vereine zu erzählen hatte. Der Gedanke faßte
in uns Vieren Wurzel, d. h. in Wisser, Roscher, Arnold und
mir. Wir sahen uns im Kreise unserer Bekannten um und luden
dann für einen Abend die Auserwählten in die „Deutsche
Bierstube" zur Konstituirung eines Vereines zusammen. Acht
Tage später hielten wir unsere erste regelmäßige Versamm-
lung. Wir verlebten das erste halbe Jahr ohne Präsidenten
und machten immer am Beginn eines Vereinsabends einen von
uns zum Vorsitzenden. Was gab es da für aufgeregte, zügel-
lose Debatten! Wie schwer war es da, aus dem allgemeinen
Lärm nur etwas als Meinung des gesammten Vereins zu retten!

Selbst mit der Wissenschaft kämpfen

Es war am 18. Januar 1866, als ich meinen ersten Vortrag
hielt und damit gewissermaßen mein Debüt in der philolo-
gischen Welt: Ich hatte angekündigt, daß ich in der Restau-
ration von Löwe, Nikolaistraße, über die letzte Redaktion der
Theognidea sprechen werde. Hier im gewölbten Räume konnte
ich, nachdem ich die erste Schüchternheit überwunden hatte,
kräftig und mit Nachdruck mich ausgeben und hatte auch den
Erfolg, daß meine Freunde den größten Respekt vor dem Ge-
hörten äußerten.

Erstaunlich erquickt, kam ich tief in der Nacht nach Hause
und setzte mich an mein Pult, um in das Buch der Betrach-
tungen bittere Worte zu schrei-
ben und auf der Tafel meines
Bewußtseins dio genossene
Eitelkeit möglichst zu ver-
tuschen.

Dieser günstige Erfolg
machte mir Muth, meine Arbeit,
wie sie war, in Folio, durch
und durch mit Randglossen
versehen, eines Mittags zu
Ritsehl zu bringen, dem ich
sie in Gegenwart Wilhelm
Dindorfs schüchtern einhän-
digte. Später erfuhr ich, wie
unangenehm und lästig Ritsehl
derartige Zumuthungen sind.
Genug, er nahm die Arbeit an,
vielleicht beeinflußt durch die
Anwesenheit Dindorfs. Einige
Tage darauf wurde ich zu ihm
gerufen. Er sah mich bedenk-
lich an und hieß mich Platz
nehmen. Zu welchem Zwecke,
fragte er, haben Sie diese Ar-
beit bestimmt? Ich sagte das
Zunächstliegende, daß sie,
einem Vortrage unseres Ver-
eins zu Giunde gelegt, schon
ihren Zweck erfüllt habe. Jetzt
fragte er nach meinem Alter,
me;ner Studienzeit \hvf., und
als ich ihm Bescheid gegeben,
erklärte er, noch nie von
einem Studierenden des drit-
ten Semesters etwas Ähnliches
der strengen Methode nach,
der Sicherheit der Kombina-
tion nach gesehen zu haben.
Darauf forderte er mich leb-
haft auf, den Vortrag zu einem
kleinen Buche umzuarbeiten,
und verhieß mir seine Hülfe,
um einige Kollationen mir zu
beschaffen. Nach dieser Szene
gieng mein Selbstgefühl mit
mir in dieLüfte. Mittags mach-
ten wir Freunde zusammen

einen Spaziergang nach Gohlis, es war schönes, sonniges
Wetter, und mir schwebte mein Glück auf den Lippen. Endlich
im Gasthofe, als wir Kaffee und Pfannkuchen vor uns hatten,
hielt ich nicht mehr zurück und erzählte den neidlos staunen-
den Freunden, was mir widerfahren sei.

Einige Zeit gieng ich wie im Taumel umher; es Ist die Zeit,
wo ich zum Philologen geboren wurde, ich empfand den Sta-
chel des Lobes, das für mich auf dieser Laufbahn zu pflük-
ken sei.

Besonders einem meiner Umgebung mochte ich durch das
Erlebte imponiert haben. Das war der junge Gottfried Kinkel,
mit dem ich von Stund an in nähere Berührung kam. Von
diesem seltsamen Kauze muß ich einiges sagen. Ein kleines,
schwächliches Männchen mit altem, bartlosem Gesicht. Da-
bei eine Geschmeidigkeit der Bewegung, die an vielen Umgang
mit Frauen erinnerte. Eine englische Gleichgültigkeit und
Apathie gegen etwas, was er nicht bemerken wollte. Merkwür-
dig war aber vor allem, daß, obgleich er sich selbst in kleinen
Verhältnissen bewegte, auch als Philolog kaum andere als
halb mechanische Arbeiten trieb, er doch alles gleichsam mit
Vergrößerungsgläsern um sich erblickte, vor allem seine
Freunde. Wenn er einen von un6 zu beschreiben anfieng, so
sahen wir uns mit Gelächter in hyperbolische Wesen verwan-
delt. Genug, dies war seine Art, und er sonnte sich wahrschein-
lich selbst gemächlich im Glänze seiner selbstgeschaffenen
Sonnen. Wir luden uns öfter gegenseitig ein, musizirten mit-
einander und ergiengen uns in Gesprächen über Ziele der Philo-
logie. Plötzlich war er umgestimmt, erhob sich, erfaßte meine
Rechte und schwur, von jetzt ab nach meinen Grundsätzen zu
leben. Unser Umgang mit ihm war ein Komplex von Respekt,
Mitleid und Erstaunen. Seine kleinen wissenschaftlichen Arbei-
ten von entschiedenem Unwerthe pflegte er doch jedesmal
druckfertig zu machen, weil er sie als kleine Meisterstücke
ansah.

Daß er dabei auch dichtete, weiß ich, und er mochte oft den
Wunsch hegen, seine Geburten mir vorzulegen, wenn Ich nicht
mit größter Entschiedenheit mich gegen alle diese Jugend-
dichtereien erklärt hätte; ich pflegte die Zeit der Selbsterkennt-
niß von da an bei einem Jüngling zu datiren, wo er seine
Dichtungen in den Ofen steckt, und habe es selbst dieser mei-
ner Anschauung gemäß in Leipzig gemacht. Friede auch dieser
Aschel

Skizze der Freunde

Damals speiste ich mit meinen Freunden zusammen bei
Mahn am großen Blumenberg in nächster Nähe des Theaters.
Von dort giengen wir regelmäßig in das Cafe Kintschy, das für
mich besondere Vorzüge hatte. Es verkehrte dort nur ein aus-
Seite 4 / Die Bewegung / März/April 1944

f-rwählter Kreis von Stammgästen, darunter Professor Wen-
zel, den wir den „Kater" nannten, ein kleiner Mann mit leb-
hafter Verbissenheit und flatternden weißen Haaren, dann der
Redakteur der Leipziger Signale, die wir unschuldigerweise,
bevor wir den Herrn erkannten, zum Objekte unserer schal-
kischen Bemerkungen gemacht hatten. Viel Neigung brach-
ten wir dem liebenswürdigen Schweizer Kintschy zu, einem
wohlwollenden, aufgeklärten Manne, der sich gern seiner
früheren Gäste Stallbaum, Herloßsohn und Stolle erinnerte,
deren Bilder an den altertümlichen braunen Wänden hingen.
In diesen überwölbten Räumen durfte nicht geraucht werden;
mir geschah damit etwas sehr Angenehmes. — Abends und
besonders Sonnabends waren wir in der neugegründeten Wein-
stube von Simmer zu finden. Hierhin kam mein Freund Mus-
hacke, hierhin von Gersdorff, mit dem ich viel auszutauschen
hatte, nachdem er in Göttingen ähnliche Dinge erlebt und aus-
gestanden hatte wie ich in Bonn.

Jetzt waren diese beiden Freunde die ersten, auf die ich
den vollen Strom meiner Schopenhauerischen Batterie lenkte,
weil ich beurtheilen konnte, daß sie für solche Anschauungen
empfänglich seien. Wir drei fühlten uns fortan lebhaft im
Zauber des einen Namens verbunden.

Auch schauten wir uns lebhaft nach anderen Naturen um,
die wir in dasselbe Netz ziehen wollten. Von diesen ist einer
bemerkenswerth, namens Romundt aus Stade in Hannover. Mit
einem schreienden peinlichen Organ schreckte er zuerst die
Menschen von sich ab. Und so gieng es auch mir, bis ich mich
gewöhnte, über diesen äußeren Eindruck hinwegzuhören. Er
befand sich in unglücklichen Verhältnissen. Seine begabte
Natur wies ihm nach keiner Seite hin ein bestimmtes zu er-
strebendes Ziel an. Die Elemente eines Forschers, Dichters.
Philosophen waren trostlos gemischt, so daß er sich in ewigem
Ungenügen verzehrte. Daß auch seine Augen auf den Namen
Schopenhauer gebannt wurden, versteht sich von selbst, nach-
dem ich einiges über seine Natur gesagt habe. Bei andern miß-
langen mir meine Bekehrungsversuche völlig. Z. B. bei Wisser,
bei dem zunächst ein verwandter Fond zu bemerken war. Es
fehlte ihm aber überhaupt an Neigung zu philosophischer Ver-

AN DER FRANZÖSISCHEN KÜSTE BEI DEAUVILLE / stud. art. Raum

tiefung und an der dazu nöthigen Vorbildung. An ihnrfiel mir
vor allem ein rastlos wühlender Ehrgeiz auf, der, weil er keine
Befriedigung fand, seine ganze Natur, vornehmlich sein Ner-
vensystem, in Aufregung versetzte. Er sehnte sich darnach, in
seiner Wissenschaft etwas zu entdecken und war mitunter
glücklich über einen angeblich bedeutenden Fund, in dem wir
anderen bei genauerer Besichtigung nichts als Schlacken zu
entdecken vermochten. Dabei besaß er eine liebenswürdige
Neigung, mit Kindern und alten Bürgersleuten umzugehen, und
fühlte sich in einfachen ländlichen Verhältnissen, wo er etwas
gelten konnte, am wohlsten. Uns quälte er bald mit einer neuen
Zertheilung des Johannesprologs, bald mit Ausscheidungen des
Tibull aus Tibull und konnte recht böse werden, daß wir an
seinen Bestrebungen keinen Nutzen und Mangel an Methode
herausfühlten. Hoffentlich geht es diesem gutherzigen, schwär-
merischen Gemüthe besser.

Professor Ritsch]

Seit jenem Tage, wo Ritsehl meine Theognispapiere so gün-
stig abgeschätzt hatte, war ich zu ihm in ein näheres Verhält-
nis gekommen. Fast wöchentlich ein paar Mal gieng ich in der
Mittagsstunde zu ihm und fand ihn da jederzeit bereit, ein
ernstes oderMustiges Gespräch anzuknüpfen. Gewöhnlich saß
er in seinem Lehnstuhl und hatte die Kölnische Zeitung vor
sich, die er sammt der Bonner Zeitung aus alter Anhänglichkeit
noch las. Auf dem Tische stand gewöhnlich unter einer wüsten
Menge von Papieren ein Glas Rothwein. Wenn er arbeitete, so
bediente er sich eines Sessels, den er selbst gepolstert hatte,
indem er die Stickerei eines ihm geschenkten Ruhekissens ab-
trennte und auf einen dürftigen Holzschemel, der ohne Lehne
war, nagelte. In seinen Gesprächen war er frei von jeder Zu-
rückhaltung; sein Zorn gegen seine Feinde, Schäden der Uni-
versität, Marotten der Professoren, alles sprudelte aus ihm her-
aus, so daß er hierin wohl das Gegenstück eines diplomatischen
Naturells aufwies. Ebenso scherzte er über sich selbst, über
seine geringe Wirtschaftlichkeit z. B., mit der er früher die
eingenommenen Gelder in 10-, 20-, 50-, 100-Thaler-Scheinen in
Bücher versteckt habe, um sich über ihr Wiederfinden zu
freuen. Daß dabei mitunter durch das Verborgen von Büchern
seltsame Zustände hervortraten, daß mancher arme Student
sich durch eine Gabe überrascht fühlte, für die es kaum an-
ständig, war, Dank und Empfang auszusprechen, das pflegte
uhs seine Frau zu erzählen, und Vater Ritsehl mußte mit ver-
schämten Mienen seine Zustimmung geben. In der That war sein
Eifer, andern Leuten zu nützen, wahrhaft großartig; und daher
kommt es, daß so viele junge Philologen außer der Förderung,
die sie ihm in wissenschaftlichen Dingen schuldeten, sich ihm
anefh noch persönlich zur nächsten Anhänglichkeit verpflichtet
fühlten. Er besaß unbedingt eine Überschätzung seines Fachs

und hatte demgemäß eine Abneigung dagegen, daß Philologe*

sich näher mit der Philosophie eiiiüußen.

In dem zweiten Winter, den ich in Leipzig verlebte, habe ich
mich angelegentlich mit paläographischen Studien befaßt. Ich

hatte durch Ritsehl einen fast unbeschränkten Zutritt zu den
handschriftlichen Schätzen der Leipziger Rathsbibliothek erlangt
und befand mich hier bei der Zuvorkommenheit der Bibliothe-
kare äußerst wohl. In dem düsteren Zimmer des Gewandhauses
saß ich in den Nachmittagsstunden wohlgemut am langen grü-
nen Tische, vor mir eine lateinische Handschrift, sei es eine
des Terenz oder des Statius oder des Orosius. Nicht wenig
zogen mich auch die Rätsel des Aldhelmus an, für die ich
werthvolle und zahlreiche Varianten entdeckte. An .einen Oro-
sius cod. des 11. Jahrhunderts fand ich eine Art Wortregister
angeheftet, demselben Jahrhundert zugehörig, mit zerstreuten
deutschen Worten darin,

Hier ist auch der Ort, der ausgezeichneten Zuvorkommen-
heit zu gedenken, mit der mich die Beamten der Universitäts-
bibliothek jederzeit behandelt haben. Ihr Benehmen erinnerte
an die viel gerühmte sächsische Höflichkeit und Gefälligkeit,
ohne deren Schattenseiten zu haben. Meine Bücherwünsche
sind oft mit Aufopferung von Zeit und Mühe durch die vor-
trefflichen Herren besorgt worden; niemals haben sie mir ihren
Mißmut gezeigt, wenn ich allzu häufig und mit allzu viel An-
sprüchen erschien. Ich nenne mit besonderer Anerkennung den
Namen des Professors Puckert.

Meine wissenschaftlichen Fragen

In unserem philologischen Verein habe ich vier größere
Vorträge gehalten, und zwar diese:

1. Die letzte Redaktion der Theognidea.

2. Die biographischen Quellen des Suidas.

3. Die aristotelischen Schriften.

4. Der Sängerkrieg auf Euböa.

Diese Themata kennzeichnen ungefähr die Hauptrichtungen
meiner Studien. Dabei muß ich bemerken, daß zu dem

dritten Punkte ich als Hinter-
■mmW»hsi—-aas»« grund die Laertianische Quel-
lenkritik aufbaute. Zu dieser
Studie fühlte ich von Anfang
an Neigung; schon in meinem
ersten Leipziger Semester ist
manches hierauf Bezügliche zu-
' :>'! sammengestellt worden. Auch
fSft erzählte ich Ritsehl manches
hierüber. So geschah es denn,
daß er eines Tages geheimnis-
voll andeutend mich fragte,
ob ich eine Untersuchung über
. ■( die Quellen des Laertius auch
unternehmen würde, wenn ich
von einer andern Seite aus
\ eine bestimmte Anregung er-
hielte. Ich quälte mich lange
mit dem Sinne dieser Worte,
bis ich in einem Momente der
i Erleuchtung die Sicherheit ge-
wann, daß das nächste von
der Universität zu stellende
Preisthema jene Frage zum
Objekt haben werde. Am Mor-
gen, wo die Themata publi-
zirt werden, eile ich zu Kin-
tschy und ergreife aufgeregt
■ d<2 Leipzj»^: .Nacriricli'er..
richtig, da fällt mein Auge
auf die ersehnten Worte: „de
fontibus Diogenis Laertii".

Die folgende Zeit beschäf-
tigten mich die einschlägigen
Probleme fast Tag und Nacht;
Combination reihte sich an
Combination, bis endlich In
den Weihnachtsferien, die ich
zu einer Sichtung der bis-
herigen Resultate benutzte,
plötzlich jene Erkenntniß her-
aussprang, daß zwischen den
Suidas- und den Laertius-
fragen ein bestimmtes Band
zu bemerken sei. Ich bewun-
ich die Erkenntniß fand, den
erst über die Quellen des Sui-
das, dann über die des Laertius, wie durch einen sicheren
Instinct getrieben, geforscht hatte, und nun plötzlich die Zügel
für beide Fragen in der Hand hielt. — So schnell und behend
ich mit meiner Combination von Tag zu Tag vorrückte, um
so schwerer konnte ich mich nachher zur Ausarbeitung meiner
Resultate entschließen. Aber die Zeit drängte immer furcht-
barer; und trotzdem verstrich mir die schöne Zeit des Som-
mers im fröhlichen Genüsse und im Umgang mit Freund Rohde,
ja, neue wissenschaftliche Interessen fingen an, mich zu quä-
len und zum anhaltenden Nachdenken zu zwingen. Vornehm-
lich die Homerfrage, auf die mein letzter Vortrag im Verein
mit vollen Segeln lossteuerte. Endlich, als keine Stunde mehr
zu verlieren war, setzte ich mich wieder zur Laertiusarbeit und
schrieb so einfach und schlicht wie möglich meine Ergebnisse
zusammen. Der erschreckliche letzte Tag des Juli begann; ich
drückte die Sporen mit aller Energie ein und erreichte es, daß
ich Abends um 10 Uhr mit dem fertigen Manuskript zu Rohde
laufen konnte in dunkler regnerischer Nacht. Dort wartete
mein Freund bereits auf mich und hatte zu meiner Erquickung
Wein und Gläser bereit gesetzt.

Rohde hat in einem Briefe an mich selbst einmal das Bild
gebraucht, daß wir beiden im letzten Semester gewissermaßen
auf einem Isolirschemel gesessen haben. Dies ist völlig rich-
tig, ergab sich mir aber erst, als das Semester vorüber war.
Ganz ohne unsere Absicht, aber durch einen sicheren Instinkt
geleitet, verbrachten wir weitaus den größten Teil des Tages
miteinander. Viel gearbeitet in jenem banausischen Sinne
haben wir nicht, und trotzdem rechneten wir uns die einzelnen
verlebten Tage zum Gewinn. Ich habe es bis jetzt nur dies
eine Mal erlebt, daß eine sich bildende Freundschaft einen
ethisch-philosophischen Hintergrund hatte. Gewöhnlich sind es
die gleichen Studienwege, die die Menschen zusammenführen.
Wir beide haben aber unsere Gebiete in der Wissenschaft in
ziemlicher Entfernung voneinander und waren nur einig in der
Ironie und im Spott gegen philologische Manieren und Eitel-
keiten. Für gewöhnlich lagen wir uns in den Haaren, ja, es
gab eine ungewöhnliche Menge von Dingen, über die wir nicht
zusammenklangen.

Sobald aber das Gespräch sich in die Tiefe wandte, ver-
stummte die Dissonanz der Meinungen, und es ertönte ein
ruhiger und völliger Einklang. Ist es aber nicht bei den mei-
sten Freundschaften und Bekanntschaften umgekehrt?

Und hat nicht hier gerade der junge Mensch manch arge
Enttäuschung zu erleiden? Darum denke ich jetzt mit großem
Vergnügen an jene ganze Zeit und rufe mir oft das Bild jener
heiteren Schützenhausnächte oder jener stillen Ruhestunden
an einem lieblichen Winkel der Pl°is<;e zurück, die wir als
Künstler beide zusammen genossen haben."

derte an jenem Abend, wo
glücklichen Umstand, daß ich
 
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