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Die Bewegung: Zeitung d. dt. Studenten — 12.1944

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Nr. 9 (September 1944)
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GEIST DER MATHEMATIK

Probleme des gesamten Weltbildes / Von Max Steck, Universität München

D ie letzte Erkenntnis aber ist immer das Verstehen der Instinktursachen, das heißt: der, Mensch
darf niemals in den Irrsinn verfallen, zu glauben, daß er wirklich zum Herrn und Meister der
Natur aufgerückt sei — wie der Dünkel einer Halbbildung dies so leicht vermittelt — sondern
er muß die fundamentale Notwendigkeit des Waltens der Natur verstehen, und begreifen, wie
sehr auch sein Dasein diesen Gesetzen des ewigen Kampfes und Ringens nach Oben unter-
worfen ist. Er wird dann fühlen, daß in einer Welt, in der Planeten und Sonnen kreisen, Monde
um Planeten ziehen, in der immer nur die Kraft Herrin der Schwäche ist und sie zum gehorsamen
Diener zwingt oder zerbricht, für den Menschen nicht Sondergesetze gelten können. Auch für
ihn walten die ewigen Grundsätze dieser letzten Weisheit.

ADOLF HITLER

Die mathematische und die künstlerische Idee verlangen un-
mittelbar nach ihrem Aufblitzen im Menschen als dem Funken,
der uns mit dem Göttlichen verbindet, nach Gestaltung, nach
„Verwirklichung" überhaupt. Sie rufen beide nach einem Tun
des Menschen. Die Idee, der Urgrund jeder echten mathemati-
schen wie auch Jeder echten künstlerischen Formung, ist ein-
fach da und wirkt in ihrer urgewaltig elementaren Wucht —
ohne unser Zutun — bestimmend auf ganze Zeitläufte, auf ihre
Anschauungs- und Verständnisformen sowohl, wie auch auf alle
Ihre tiefinnerlichen Ergreifungsweisen des Seienden schlechthin.
Sie bestimmt das geistige Gesicht einer Zeit wie die Kraft ihrer
seelischen Haltungen. Was die Zeit opfern kann, das kann sie
nur für eine Idee opfern. Die Idee bestimmt die die Zeit bewegen-
den Kräfte und Mächte in ihrer ganzen kulturprägenden Struktur
und In Ihrer fortwirkenden Mächtigkeit auf spätere Ge-
schlechter.

Sie prägt Stile und Stilordnungen in einzigartiger, sinnent-
sprechender Reinheit und Reife aus. Gedanken- und Bedeutungs-
stil ist es in der Mathematik. Formstil und höhere Formordnung
zum Gesetz ist es in der Kunst. Gestaltstil und Gestaltordnung
ist es überhaupt. Die Idee überwindet gleichsam,
den gegebenen Stoff bis zu seiner Nebensäch-
lichkeit und bis zu seiner fast vollständigen
Auflösung in reine Form und Gestalt, in ele-
mentaren, gefühlsgeladenen Ausdruck, in sy m-
metrische Ordnungskoordinierung der B e •
g r. i.f feundAnschauungen zu einem sinnerfüll-
ten, harmonischen Ganzen. Schönheit nennen
wir es beim Kuristwerk, Wahrheit beim mathe-
matischen Sinngebilde und bei der mathema-
tischen Einsicht.

Urkräfte des Schöpferischen

Denn der Geist kann erst dann rational ergreifen, wenn er
vorher irrational empfangen hat. Das Rationale selbst geht erst
über Irrationales in ihn ein. Dieses Geheimnis der geistigen
Empfängnis ist der Urgrund des Mathematischen und des Künst-
lerischen, weil es der Urgrund des Schöpferischen selbst ist. Denn
alles Schöpferische ist und bleibt in seinem ganzen Tun immer
wesenhaft mit der Schöpfung verbunden. Es mag dies noch so
sehr bestritten werden.

Und es ist dies gerade in der neueren Zeit aus empiristischen,
mechanistischen und positivistischen vorgefaßten Grundmeinun-
gen immer wieder bestritten worden. Doch ist über diese Doxo-
logie der Sturm der neuen Zeit hinweggegangen und hat gründ-
lich aufgeräumt. Wer es noch nicht verstanden hat, der zeigt
nur, daß er noch immer der Fortschrittgleubigkeit des t9. Jahr-
hunderls anhängt, die in allen ihren Formen schon erstarrt war,
ehe sie überhaupt in Erscheinung trat.

Die schöpferischen Bezüge von Mathematik und Kunst Im be-
sonderen liegen vor jeder rationalen These und Antithese und
entziehen sich eigenwillig dieser gleichmacherischen Funk-'
tionalität. An sie reicht das Rationale allein überhaupt nicht
heran. Erst die Verbindung von Rationalem und überrationalem,
Absolutem, die wir Metaphysik nennen können, ist allenfalls
befähigt, auch für die inneren Gemeinsamkeiten beider noch
Aussagen zu machen, die allgemeine Geltung und grundsätz-
liche, sachhaltige Wahrheit ■— die fruchtbar Ist, weil sie wahr
ist —, für sich In Anspruch nehmen können.

Der Streit ist also müßig, solange er als Streitpunkte, nicht
auch die Irrationalitäten und Uberrationalitäten, die Absoluthei-
ten, die in Mathematik und Kunst eingehen, in das Verfahren ein-
gehen, in das Verfahren einstellt. Die in die Mathematik
undindieKünsteeingehendenschöpferischen
Elemente, die das Wesen und die Größe beider
a ü s'm achen, entziehen sich jeder nur -begriff-
lichen Fassung. Wir können sie unserem Be-
wußtsein nur mehr im Gleichnis und im über-
greifenden Symbol anzunähern versuchen. Dies
ist Gestaltanalyse und das Ergebnis dieser die Morphologie des
Mathematischen und des Künstlerischen. Aus ihnen allein und
Ihren Gegenständen, der schöpferischen Leistung in Mathematik
und Kunst, sind die Wege zur sinnvollen Synthese und Erneue-
rung zu finden. Was es dabei zu entdecken gibt, um die Zusam-
menhSnglichkeiten und die inneren Gemeinsamkeiten von Ma-
thematik und Kunst zu belegen und unserem geistigen Sein wie-
der einzupflanzen, sind zumeist irrationale und anschauliche Ele-
mente. Um Ihre Anerkennung geht es und um ihre Existenz wird
niemand herumkommen.

Denn gerade aus Ihnen brechen die schöpferischen Inhalte
beider hervor und Jene zündenden Funken, die der Mathematik
das Gepräge künstlerischer Leistung, der Kunst die Form der
mathematischen Denk- und Anschauungswelse geben. Sie sind
die eigentlichen übergreifenden Träger dessen, was sowohl in
der Mathematik als auch in der Kunst dann universelle und ge-
nerelle Bedeutung erlangt und eigentliche, wesenhafte Gestalt
und sinnvolle Bezogenheit auf ein Seierides gewinnt, mit dem
es lieh In höherer Ubereinstimmung befindet. Die Kunst nennt
diese Ubereinstimmung Schönheit und Harmonie; die Mathe-
matik verankert In Ihr ihre gründige, über den Zeiten stehende
nnd unantastbare Wahrheit.

Die Geistform und Geistgestalten des abendländischen Geistes
und seine inneren Strukturen sind so mannigfaltig, daß ihnen
nur von höchsten Gattungen aus beizukommen ist. Jede Geist-
forrn in den Wissenschaften und in den Künsten, jede Schau-
gestalt in beiden, sind nur Arten einer Gattung, die in ihren
einzelnen Ausprägungen sogar kennzeichnend für die Geistig-
keit der europäischen Räume überhaupt sind. Und sie er-
fahren ihre bisher höchsten Ausprägungen in
der Mathematik und in der Kunst als Lebens-
äußerungen eines Volkes, das sein Dasein
durcheieerhöhtundlhmseelischeuhd geistige

Inhalte gibt, die mit seine geistige Substanz
in erster Hinsicht a u s m a c h e n. Hat: man sich schon
einmal überlegt, weshalb Leonardo da Vinci und
Albrecht Dürer neben ihrer hohen Künstlerschaft auch
gleichzeitig hervorragende Mathematiker waren? Weiß man
wirklich darum, warum etwa Kopernikus seinen Weltbau-
plan fand, und aus welchen geistigen Untergründen ihm die
Idee seines neuen Gedankens, der die Welt aus den Angeln
hob, aufblitzte? Hat man sich bei Nikolaus von Kues
schon jemals der Tragweite seiner Prinzipien als symmetri-
schen Ordnungsträgern des Geistes überlegt und erkannt, daß
dahinter im wesentlichen seine ontologisch-kosmologische Deu-
tung steht, die Mensch, Werk, Natur, Volk, Heimat miteinan-
der innerlich verbindet, die in den symmetrischen Funktionen
des Geistes, die wir Zählen, Messen und Wägen nennen, als
Naturwissenschaft und Naturforschung der Entdeckung eines
cöheren Bauplans gilt?

Und wer hat je Kepler am Werke gesehen, In seiner
,,Astronomica Nova" und besonders in der Krone seiner
Werke, in seiner „Harmonice mundi", w£e er den göttlichen

Schöpfungsplan nach-denkt und nach-schaut und dabei die
Verbindung innerer Art von Mathematik und Kunst in einer
Weise wirksam werden läßt, wie es kein schöpferischer Geist
mehr nach ihm gekonnt hat? Die Kulmination einer mathe-
matischen Denk- und Anschauungswelse, die alle Bezüge eines
auch ästhetisch befriedigenden Weltenplanes als Bauplan der
Schöpfung formt und prägt, muß Kepler zugeschrieben werden
und hat sich in seinen Werken erfüllt. Kepler hat den Ord-
nungssinn dessen entdeckt, was wir Naturgesetz heißen, nicht
Galilei, wie es Uberall, zu lesen steht. In Kepler und seinem
Lebenswerke schwingen die Gemeinsamkeiten von Mathe-
matik und Kunst in einer Weise als dominante Akkorde in
der Fuge seines kosmischen Bauplanes mit wie bei keinem
anderen Deutschen, außer vielleicht bei Dürer und Goethe.

Auch Dürer war Mathematiker und hat uns eine eigene
mathematische Schrift geschenkt, die sein Schöpfertum auch
in diesem Sinne beweist. Die Mathematik stand auch bei ihm
im Dienste seiner hohen Kunst. Man komme nicht damit, daß
die die Technik und nur das Handwerk des Malers beträfe! Der
hat Dürer so wenig verstanden, der dies sagt, wie er Kepler
September 1944 / Die Bewegung / Seite 3
 
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