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noch zu bleiben, ſlbſt wenn Sie ein Opfer bringen.
Wie ijt die junge Frau gegen Sie?“
„Sehr freundlich, dennoch macht diefe Freundlich»
feit den Eindruck auf mich, als ob fie erzwungen fe.“
„Nürden Sie e8 für möglich halten, daß der junge
Herr nicht Steinberg’8 Sohn jet, fondern Jemand,
der fich für denfelben ausgibt, um das Vermögen Etein-
berg's zu erben?“
Alma blickte den Kommiſſär erſtaunt an, dieſe
Frage ſchien fie fo ſehr zu ükerraſchen, daß ihr die
An Wort fehlte. Es war aber zugleich auch, als ob
Gedanken in ihr erregt würden, welche ihr bis dahin
noch nicht zum Bewußtſein gekommen waren.
„Wie wäre dies möglich?“ warf ſie ein.
„Weshalb nicht? Denken Sie den Fall, irgend Je—
mand Hätte mit Steinberg’S Sohn eine große Yehn-
lichfeit, ev hätte denjelben in Amerika genau kennen
gelernt, hätte ihn über Jeine Familienverhältniffe aus
geforfcht und benüßte nun dieſe Aehnlichkeit und die
erworbene Bekanntſchaft mit den Familienverhältniſſen,
um ſich für den Sohn auszugeben. Steinberg's ſchwa—
ches Auge kam ihm zu Hilfe. Das kühn Gewagte ge—
lang. Wäre dies nicht möglich?“
Alma ſchwieg, ſie ſchien nachzuſinnen.
„Mir iſi allerdings wohl aufgefallen, daß er ſich
a: Manches nicht mehr erinnerte, waz er früher hier
ı othwendig Fennen gelernt hatte,“ entgegnete Ze. „Er
ijt freilich mehrere Jahre lang geiſteskrank geweſen.“
„Und wenn dieſe Geiſteskrankheit nun auch nur
eine ſchlau erſonnene Erfindung wäre?“ warf Wall—
roth ein.
„Steinberg würde die Täufchung fofort entdeckt
Haben.“
„Ich glaube kaum, fein Auge befaß keine Schärfe
wehr, er ſelbſt war durch die Freude, den Sohn end-
lich wieder erlanal zu haben, befangen.“
„(Er hat mir das Tagebuch gezeigt, weldhes fein Sohn
ſchon hier begonnen hatte, welches er mit nach Amerika
genommen und wieder mit zurücgebracht Hat.“
„Dies Tagebuch würde wenig beweifen. Steinberg's
Sotn fann geftorben fein, ein Anderer hat fih in den
Bejig des Buche3 gefept und heutet c3 nun aus. Bitte,
fafjen. Sie al’ tie Runfte, weiche dagegen zu fprechen
jcheinen, vorläufig underückfichtigt und fagen Sie mir
nur, ob Ihnen nie der Gedanke gefommen ift, der
Heimgelehrte ſei Steinberg's Sohnsnicht.“
„Nein, daran habe ich nicht gedacht, wohl iſt mir
indeß der Gedanke gekommen, wie ein Sohn ſich ſo
eigenkhümlich benehmen könne.“
„Wenn Sie all' dieſe Eigenthümlichkeiten nun ge—
nau überlegen und zuſammenfaſſen, würden Sie es
noch für eine Unmöglichkeit halten, daß Ihr jetziger
Herr Steinberg's Sohn nicht ſei?“
„Ich möchte es nach einigen Zeichen faſt glauben,
und doch kann ich es wieder nicht für möglich halten.“
„Weil dieſer Gedanke jetzt zum erjten Male an
Sie herantritt,“ fuhr Wallroth fort. „Vielleicht er—
ſcheint er Ihnen weit möglicher, wenn Sie ſich mehr
“mit ihm vertraut gemacht haben, Da ich auf Ihre Ver—
ſchwiegenheit das feſteſte Vertrauen ſetze, will ich Ihnen
mittheilen, daß ich allerdiugs den Verdacht hege, hier
Lege ein hau durchgeführter Betrug vor. Id bitte
Sie nun, den jungen Herrn und feine Frau forgfältig
zu beobachten. Ihr Blick wird geſchärſt fein, weil
Sie wiſſen, worum es ſich handelt; Manches, was
Ihnen auffiel und wofür Sie keine Erklärung fanden,
wird Ihnen nun vielleicht in einem ganz anderen
Lichte erſcheinen.“ *
Alma ankwortele nicht, ihre Gedanken waren noch
volljtändig mit den Worten, welche fie gehö t, beſchäf
tigt. Es war ihr faſt, als oO fie für Vieles, was
ic aufgefallen «var, nun eine Aufklärung gefunden
habe,
Wallroth bemerkte es.
„Wollen Sie meine B'tte erfüllen?“ fragte er.
„Ich werde es thun.“
Ich muß Sie jedoch auf Eines aufmerkſam ma—
chen,“ fuhr Wallroth fort. „Bemühen Sie ſich, Ihr
eigenes Benehmen nicht im Geringſten zu ändern, ſon—
dern ebenſo unbejangen wie bisher zu erfcheinen.
Täufcht mich meine VYermuthung nicht, fo haben Sie
e3 mit zwei fehr ſchlauen Menſchen zu thun, denen die
geringſte Veränderung in Ihrem Weſen nicht entgehen
würde, Haben Sie nicht aus irgend einer Neußerung be-
merft, ob der junge Herr nach Amerika zurüczutehren
beabſichtigt?“
„Nein, aber die junge Frau klagt ſeit einigen Tc-
gen, daß ſie an Heimweh leide und ſich nach Amerika
ſurück ſehne.“
Der Kommiſſär lächelte.
„Sch vermulhete Aehnliches. Es iſt ſchlau erſon—
nen, um für die Rückkehr eine Brücke zu bilden. Es
kann natürlich wenig auffallend erſcheinen, wenn nun
der junge Herr, ber ja jeßt der Erbe und ver freie
Herr über daz Vermögen feines Vaters ijt, nach einiger
Jeit nach Auerika zurüctfehrt, weil feine Kran an
Das Bug für Alle
— Heſt 10.
Heimweh leidet. Er wird natürlich die Fabrik und
das Gut verkaufen. Nun noch Eins. Ich bin über—
zeugt, daß Steinberg oder ſeine Frau Sie über die
Fragen, we che ich an Sie gerichtet habe, ausforſchen
werden, ſagen Sie ihuen, Sie hätten mir noch einmal
die Ermordung des alten Herrn ausführlich erzählen
nvifen und ich habe Sie namentlich über den Diener
Jeſchke ſorgſältig ausgeſorſcht.“
Alma verſprach es.
Der Kommiſſär beendele das Geſpräch. Er ge—
leitete Alma zum Hauſe zurück und nahm von Hex—
bert, der aus Demfelben trat, in freundlicher Weile
Abſchied. Herbert war in feinem Benehmen fjehr zu-
rückhaltend und gemeſſen.
„Ich werde mir angelegen ſein laſſen, ſofort mor—
gen Ihre Bitte zu erfüllen,“ ſprach Wallroth.
„Und ich werde Ihnen für die Freundlichfeit dan!-
bar fein,“ entgegnete Herbert. „Daß .idh mich auf
Ihre Verſchwiegenheit verlaſſen kann, weiß ich!“
Wallroth entfernte ſich.
10.
Trübe waren die Tage in dem Förſterhauſe ge—
weſen. Gertrud hatte ſich nur ſehr laugſam erholt,
ſie ging wieder im Walde ſpazieren, völlige Geneſung
hoffte ſie jedoch ſelbſt nicht mehr, ſie wünſchte ſie auch
nicht, denn was konnte das Leben ihr noch bieten?
Ihre Wangen waren bleich und abgehärmt und wenn
ein Lächeln über ihr Geſicht hinglitt, ſo lag mehr
Trauer als Freude darin, ſie gliech einer Blume,
welche durch den Sturm geknickt iſt, die noch kümmer—
lich ihr Leben friſtet, bis der nächſte ſtarke Windſtoß
ſie völlig vernichtet.
Bu all ihrem Leiden kam noch die Beſorgniß um
ihren Vater, deſſen innere Qual ihr nicht entging,
ohne daß ſie die Urſache ahnte.
Tetzlaff litt unſagbar, nirgends fand er Ruhe mehr,
all ſeine Kraft reichte nicht aus, um zu verbergen,
was in ihm vorging. War er daheim, ſo trieb es
ihn hinaus in den Wald, weil er die fragenden Blicke
ſeiner Frau und Gertrud's nicht ertragen konnte, und
doch durfte er nicht geftehen, was ihn peinigte, und
war er im Walde, fo 309 eS ihn wieder zu den Seinigen
zurück, denn eine Stimme rief ihm zu: „Wie Lanze
wirjt Du fie noch fehen, benüße jede Stunde, jede
Minute!“
Mehr al8 einmal Hatte er in dem Schmerze der
Verzweiflung ſchon die Büchſe geſpannt, um feinem
war ſein Arm jedoch niedergeſunken. Kam die unglück—
liche Stunde für die Seinigen nicht immer noch zu
fruͤh? Durfte er ihnen vor der Zeit den Schmerz be—
reiten? — Noch war ſeine Friſt nicht abgelaufen.
Ein zum Tode Verurtheilter konnte nicht die Qual
erdulden, wie er. Jenem blieb bis zum letzten Augen—
blicke die Hoffnunz auf Begnadigung — er hatte keine
Hoffnung, denn ſein Ehrenwort band ihn. Er Hatte,
als er das Duell angenommen, ſich nicht ſchwach zeigen
wollen, in der Erregung war er nicht im Stande ge—
weſen, die Folgen ruhig zu ermeſſen, er hatte das
ſeinem Kinde angethane Leid rächen wollen. und ein
noch viel größeres Leid mußte er ihm nun bereiten.
Schon zweimal war im Kampfe mit Wilddieben
der Tod nahe an ihn Herangetreten, einmal Hatte die
Kugel. fogar‘ feine Wange berührt und er Hatte nicht
gezittert, weil er den Tod nicht fäürchtete, weshalb
hatte ihn die Augel nicht getroffen, ihın würde viel
erjpart geblieben fein. Er durchſtreifte Nachts den
Wald, um Wilddiebe aufzuſuchen, er ſehnte ſich nach
einem Kampfe mit ihnen, weil er hoffle, daß ihn dann
cine Kugel ſichere treffen werde. Dies war ja nicht
gegen fein gegebenes Wort, er ftarb dann den Lod
in feinem Berufe und der Schmerz flüür die Seinigen
war nicht fo groß, al8 wenn er ſich ſelbſt den Tod
gab, wenn der Name: „Selbſtmörder“ für immer
an ſeiner Erinnerung haften blieb, ohne daß je ent—
deckt wurde, was ihn zu den Schritte getrieben Hatte,
Was er wünfchte, blieb unerfült; der jhwere Schritt
ſchien ihm nicht er part werden zu jollen.
Vergebens hatte Gertrud ihn oft gefragt, was ihn
drücke, er war ihrer Frage ſtets ausgewichen. Durch
all ihr Nachſinnen fand ſie keine andere Löſung, als
daß ihr Leiden ihm ſo tief in's Herz ſchneide wußte
ſie doch, wie innig er ſie liebte.
Sie ſuchte ſich ſo viel ſie vermochte zu beherrſchen,
Herbert's Name kam ihm gegenüber nicht mehr über
ihre Lippen, obſchon fie den Geliebten immer. noch
Sie hatte gehofit, daß er ein:
mal wenigſtens zu ihr fommen werde, ein einziges
verföhnendes und entjchuldigendes Wort von ihm würde
ſie beruhigt haben, ihr Hoflen blieb unerfüllt. Er
trug fein Verlaugen, die Stätte wiederzuſehen, wohin
er einſt ſo gern geeilt war, wo er ſich ſo glücklich
gefühlt hatte.
Der Schredfen über Steinberg’S Ermordung mar
unter dieſen Merhälteniffen in den A -rderhanfe ſchnell
verhallt, denn durch eigene Leiden war Ieder be:
ſchäftigt und gebeugt, ſo jehr fie den alten Mann auch
bedauerten. Tetzlaff erinnerte ſich des Geſpräches zwiſchen
Sejchte und den AWgenten, erft jcht verjtand er den
Sinn deffelben, er würde unter anderen Verhältnifien
nicht gezögert Haben, dem Staatsanwalte davon Un-
zeige zu machen, jebßt dachte er faum daran; ohnehin
wurden beide Männer bald verhaftet. Ec beneidete
fogar Steinberg um den Tod. Die’ legten Tage feines
Lebens waren noch durch die vollen Strahlen des
SGfüces erwärmt, glücklich, ohne Ahnung des nahen
Todes, hatte er fidh zur Ruhe begeben — um nicht
wieder zu erwachen.
Se mehr fich Gertrud ihrem Vater gegenüber be-
zwang, um ihm zu verbergen, um fo mehr fühlte fie
fich gedrunzen, gegem ihre Mutter ihr volles Herz
auszujchütien. Schon wiederholt hatte fie gegen ihre
Multer den Wunſch ausgefprochen, Herbert wieder. zu
jehen, und e8 war der Frau ;Hıver geworden, Den
Wunſch in ihr zurüczudrängen.
Da erzähle ihnen eines Tages als Tetzlaff im
Walde ſich befand und ſie allein im Garten ſaßen,
ein Waldarbeiter, der zu ihnen trat, daß Herbert mit
ſeiner Frau ihm ſoeben im Walde begegnet ſeien, in
der Nähe des Förſterhauſes ſeien ſie durchgefahren.
„Sie müſſen denſelben Weg wieder zurückkommen,
denn der Weg wird zuletzt darch einen Steinbruch
xerrt „das ſcheinen ſie nicht zu wiſſen,“ fügte er
hinzu.
Dunkle Röthe hatte ſich über Gertrud's Wangen
Et als fie den Namen des Geliebten nennen
örte. —
„Mutter, ich muß ihn ſehen!“ ief ſie erregt, als
der Arbeiter ſich entfernt hatte.
„Kind, wozu willſt Du Dich ſo ſehr aufregen,“
ſuchle die Frau ſie zu beruhigen. „Vergiß ihn, weil
Du ihn doch vergeſſen mußt.“
„Nur € nmal will ich ihn fehen, ich will ja nicht
mit ihm ſprechen, er ſoll mich nicht bemerfen,” fuhr
Gertrud bittend fort. „Ih will nur fehen, wie er
feinem Auge will ich e8 lejen, ob er mich vergeffen hat.“
„Du biſt noch zu ſchwach, um ſolche Aufregung
zu eriragen,“ warf die Mutter ein, „Du wirft, wenn
Du Dich ihm nahe fühlſt, Dich nicht beherrſchen können,
Dein Schmerz wird hervorbrechen und Du darfſt ihm
nicht zeigen, daß Du um ihn weinſt.“
„Ich fühle mich ſtark genug,“ entgegnete Gertrud,
„Du wirſt ſehen, daß ich mich beherrſche, und wenn
er ſo nahe an mir vorüber fährt, daß er mein Kleid
berührt, fo will ich fe’nen Laut von mir geben. Glaube
mir, es wird mich beruhigen. Siehe, jeßt ſchwebt
mir noch immer fein Bild vor wie er war, als er
einft mid) verließ, nur dies Bild will ich von mir
bannen und ich hoffe, daß e8 mir gelingen wird, wenn
ich fehe, daß er ein Anderer geworden iſt. Du kennſt
den Felfen, welcher dicht am Wege liegt, Hinter ihm
wollen wir ung verbergen, dort fönnen wir ihn vor-
überfahren fehen, ohne daß er im Stande ift, ung zu
bemerken.“
Noch einmal verſuchte die Mutter, ſie zurückzu
halten, obſchon ſie den Wunſch ihres Kindes begriff.
„Der Vater würde es nimmermehr zugeben,“
ſprach ſie.
eilte aus dem Garten, die beſorgte Muller folgte ihr,
denn ſie konnte Gertrud nicht allein gehen laſſen, ſie
ahnte, daß ſie ihren Beiſtand nöthig haben werde.
In kurzer Zeit hatten ſie den von Gertrud ge—
nannten Felſen erreicht, derſelbe bot ein ſicheres Ver
ſteck dar, denn deutlich ließ ſich von ihm der nahe Weg
üverbliden, ohne daß Gertrud und ihre Mutter von
dem Wege aus gefehen werden fonnten.
Gertrud war durch das raſche Gehen erſchöpft,
ihre Bruſt holte ſchnell Athem, mehr noch ſchien die
Aufregung ſie anzugreifen. Ihr Herz ſchlug faſt hör—
bar laut, es lag in ihren Zügen eine ſolche Angſt,
daß ſie nicht im Stande war, dieſelbe zu unterdrücken,
und doch würde fie um feinen Pr.is ihr Vorhaben
aufgegeben baben. Wie oft hatte fie fih nach dieſem
En geſehnt, jetzt, da er erſchienen war, zit—
terte ſie.
„Sei ruhig, faſſe Dich,“ bat ihre Mutter. „Du
haſt mir verſprochen, Dich nicht aufzuregen.“
Gertrud hörte dieſe Bitte kaum.
„An dieſer ſelben Stelle habe ich ihn früher mehr
als einmal erwartet, wenn ich wußte, daß er kam,“
ſprach ſie, in Gedanken ſich in die Vergangenheit zu—
rück verſetzend. „Ich verſteckte mich hier zum Scherze
und rief ſeinen Namen, wenn er vorüber gehen wollte.
Und dann eilte ich ihm entgegen und er umfing mich.“
„Gertrud, Gertrud!“ rief die Mutter mahnend.
„Kind, vergiß endlich die Vergangenheit, Du haſt Dich
ſchon ſo viel mit ihr gequält.“
„Ich kann ſie nicht vergeſſen,“ fuhr Gertrud fort,
und ihre Thränen ſtürzten gewaltſam hervor. „Glaube
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