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462

Das Bug für Alte






Klugheit,“ ſprach ſie und ſchritt ſchnell aus dem
Zimmer.


dert nach, dann warf er ſich in ein Fauteuil, zündete
ſich eine Cigarre an, ſchauͤkelte zufrieden mit dem
rechten Fuße und kam zu dem Gedaͤnken, ſeine Couſine
habe oft eine niederträchtig ſcharfe Zunge, die werde
er ihr jedoch abgewöhnen, wenn ſie erſt ſeine Frau
ei. —

7. Anfechtungen.

In dem kleinen Hauſe, in welchem Barbara
wohnte, war neues Leben eingekehrt. Die Noth war
beendet, denn die junge Frau war wieder geneſen und
bot nun Alles auf, um das durch ihre Krankheit Vers
ſäumte nachzuholen. Vom frühem Morgen bis zum
Abende war ſie thätig und Werneck's Mutter trug
daſür Sorge, daß es ihr nicht an Arbeit fehlte. Es
gewährte ihr Freude, arbeiten zu können. Wohl
konnten ſie von dem Lohne, welchen Konrad erhielt,
ohne Entbehrung leben. Barbara legte deshalb ihren
Verdienſt zurück, um einen Sparpfennig zu beſitzen,
wenn Konrad einmal weniger verdienen ſollte.

Werneck kehrte noch immer dann und wann in
dem kleinen Hauſe vor, nicht weil Barbara ſeiner
Hilfe noch bedurfte, ſondern weil er an ihrem Ge—
ſchicke einen aufrichtigen Antheil nahm. In tiefſter
Noth hatte er die Familie kennen gelernt und er
durfte ſich dreiſt ſagen, daß ſie durch ſeine Hilfe aus
derſelben befreit war. Er hatte ſchon manchen Ar—
men ſeine Unterſtützung angedeihen laſſen, ſelten hatte
diejelbe einen wohlthätigen Eindruck Hinterlafjen, Hier
war fie auf einen fruchtbaren Boden gefallen. Aus
Barbara's Augen leuchtete ihm die aufrichtigſte Dank—
barkeit entgegen und ſe war wirklich bemüht, ſich der
erhaltenen Hilfe würdig zu zeigen, ebenſo wie Konrad,
der nun um ſo fleißiger geworden war und mit er—
höhter Luſt arbeitete.

Und wie ſauber es jetzt in dem kleinen Zimnier
ausſah, in dem Barbarais Hand wieder ordnend und
reinigend waltete.

Konrad ſchien ein anderer geworden zu ſein, ſeit—
dem er mit Carlſen Freundſchaft geſchloſſen hatte und
viel mit ihm verkehrte. Es war als ob das wilde,
ſchäumende, trotzige Blut, welches in ſeinen Adern
floß, ſich mehr und mehr kläre, als ob der feſte und
entſchloſſene Charakter, zu dem er die Anlagen in ſich
trug, ſich täglich ſichtbarer entfalte. Er war jetzt auch
heiterer geworden, weil ſeine Schweſter wieder ge—
neſen und die Noth aus dem kleinen Hauſe ent—
fernt war.

Wenn Carlſen des Abends zu ihnen kam, dann
plauderten ſie heiter und blickten voll Vertrauen in
die Zu unft. Enger und enger ſchloß ſich der Freund—
ſchaftsbund zwiſchen ihnen, denn ſie hatten ein gleiches
Streben und ſuchten auf redlichem Wege ſich empor—
zuringen. Zuſammen gingen ſie des Morgens zur
Arbeit, zuſammen kehrten ſie Abends zurück.

Heß war ihnen nicht wieder entgegengetreten. Er
war zu klug, um nicht ſofort wahrzunehmen, daß ſich
die Stimmung der Arbeiter Renno's gegen ihn ge—
wendet hatte. Was Renno nämlich beabſichtigt, hatte
er erreicht. Die Arbeiter, welche Renno ſchonungs-—
los antreiben ließ, um das dürch den Durchbrüch
des Dammes Verwüſtete wieder herzuſtellen, wa—
ren hierüber erbittert und ihr Groll richtete ſich gegen
den, durch deſſen Schuld ihnen dieſe Mühe bereitet
wurde. Daß Heß die That begangen Hatte, darüber
war feiner von ihnen im Zweifel und fie befhuldigten
ihn derfelben offen.

„Könnt ihr kLeweijen, daß ih e8 gethan Habe?“
rief er lachend. „Was Himmert mich der Damm, denn
ich hab: dort oben ja nicht3 mehr zu ſuchen. Zeigt
mich doch dem Gerichte an, wenn ihr glaubt, daß
ich es gethan habe, e& wird mir lieb fein, den kennen
zu I:rnen, der mich zu beſchuldigen wagt. Nur feht
euch vor, daß es euch nicht an Beweijen fehlt!“

Sr führte ein wildes und ausfchweifendes Leben
und war in der Bergichenfe an jedem Tage zu finden.
Un Geld fehlte e8 ihm nicht, woher er daffelbe Hatte,
wußte jedoch Niemand, denn er arbeitete nur wenig;
man fogte ihm nach, daß er durch Wildern das Geld
verdiene und er war in der That früher ein gefürch-
teter Wilddieb gewefen. Die alte Leiden|chalt war
nie in ihm erloſchen, er Hatte fie nur eine Zeit lang
unterdrückt, weil die Förſter ihm nachſtellten.

Bei Barbara war er feit langer Zeit nicht ge-
we’en und fie hoffte ſchon, daß der rohe Mann fie
vergefjen habe, da trat er eine Tages, al8 fie allein
mit ihren Rindern fiH im Hauje befand, unerwartet
zu ihr in's Zimmer. €3 dämmerte bereits, fo daß
fie ihn auf den erften Blik nicht erkannte, Erſchreckt
fuhr fie zufjammen, al8 fie ihn erblickte.

Er war angetrunfen und trat halb ſchwankend vor
fie bin.

„Du Haft mich wohl nicht erwartet,“ ſprach er.



„Ich bin freilich lange nicht hier gewefjen, wenn ich
auch oft an Dich gedacht habe,“

Barbara vermochte kaum zu antworten, Angft über-
fiel fie in der Nähe Ddiefes Mannes, Sie wollte fich
erheben, um Licht anzuzünden.

Gcß trat ihr in den Weg,

„Wohin wiljt Du?“ fragte er.

„Ich will Licht anzünden,“ gab fie zur Antwort,

„Bleib ſitzen, es iſt noch hell genug zu dem, was
ich Dir zu Jagen habe,“ fuhr Heß fort. „Sieh, id bin
abjichtlich nicht gefommen, um Dir Zeit zu lafjen, Dir
zu überlegen, daß e8& nicht gut ijft, wenn Du allein
Daftehft. Dein Bruder arbeitet freilich für Dich, wenn
er indejjen die Arbeit verliert oder fortgeht, dann bift
Du wieder in Noth.“

„Ich bin

„Nein,“ gab Barbara zur Antwort.
jetzt geſund und kann wieder arbeiten.“
„Haha! Du biſt eine Thörin, da Du ein beſſeres
Leben führen könnteſt!“ rief Heß lachend. „Sieh,
ſieh, man kann auch Geld verdienen ohne Arbeit!“

Er zeigte ihr eine Hand voll harter Thaler.

„Die Arbeit bleibt der beſte Weg, um Geld zu
verdienen,“ entgegnete Barbara.

„Glaubſt Du, ich habe dies nicht auf ehrliche Weiſe
erworben? Haha! Es werden bald ganz andere
Zeiten kommen, wo wir nicht mehr gezwungen ſind,
uns für wenige Groſchen zu mühen. Wir werden
uns unſere Arbeit bezahlen laſſen, ſo hoch als es uns
beliebt. Höre mich an. Ich war geſtern in der Stadt.
Dort geht es luſtig her, denn die meiſten Arbeiter,
die Zimmer- und Maurergeſellen, die Arbeiter in der
großen Eiſenfabrik haben die Arbeit eingeſtellt, und
es geht dort anders her als hier, wo ich ein Gleiches
im Sinne hatte. Dort iſt Alles organiſirt, es ſtehen
entſchloſſene Männer an der Spitze und an Geld fehlt
es ihnen nicht. Sieh, dies Geld haben ſie mir ge—
geben, damit ich hier auf dem Lande in ihrem Sinne
wirke. Die Bewegung ſoll gleichzeitig durch das ganze
Land gehen, jede Arbeit ſoll eingeſtellt werden. Wenn
kein Fabrikherr mehr einen Arbeiter findet, wenn der
Bauer ſelbſt hinter dem Pfluge gehen muß und ſeine
Ernte auf dem Felde verkommt und verdirbt, weil es
ihm an Armen fehlt, um ſie heim zu bringen, wenn ſich
Niemand mehr für die Reichen müht und quält, wenn
ſie Niemand haben, den ſie drücken und ausnutzen
können, dann ſind wir die Herren. Wir haben dann
die Macht, und wenn wir nicht wollen, ſo rühren
wir nicht eher wieder die Hand, als bis ſie uns die
Hälfte ihres Vermögens geben. Sie müſſen es, denn
ohne uns würden ſie trotz ihres Geldes verhungern!“

Barbara antwortete auf dieſe tollen Ideen nicht.

„Ich werde viel Geld erwerben,“ fuhr Heß fort,
„und Du ſollſt es mit genießen, aber Du muͤßt mein
werden, Barbara, mein! Du weißt ja, daß ih Dich
ſchon jeit Jahren liebe und all’ das Geld macht mir
feine Freude, wenn ich e8 nicht mit Dir theilen kann!“

Er erfaßte ihre Hand und wollte fie an fih ziehen,

Haſtig entzog Barbara ihm dieſelbe.

„Laßt mich, laßt mich!“ rief ſie ängſtlich.

„Nein, ich will Dich nicht laſſen!“ rief Heß, in⸗
dem er dichter an fie herantrat und ſie zu umfaſſen
ſuchte. „Ich habe mich lange genug nach Dir geſehnt,
endlich will ich Dich beſitzen!“

„Ich werde nie die Eure!“ rief die junge Frau
geäng tigt und verfuchte vergebens au3Z dem Zimmer
zır entfliehen.

„Ha! Du mußt e& dennoch werden!“ fuhr der
Berau Hte fort und umfaßte fie, „Du follit e8 ja
gut bei mir Haben! Wie die reichſte Bäurin ſollſt
Du gelleidet gehen!“

„Laßt mich los!“ rief Barbara.

„Nein! Sag erſt, weshalb Du nicht die Meinige
werden willſt!“

Gewaltſam riß Barbara ſich aus ſeinen Armen los.

„Gut, dann will ich es Euch ſagen!“ rief ſie, von
Angſt und Verzweiflung getrieben. „Weil Ihr meinen
Mann ermordet habt! Weil Ihr ihn im Walde von
dem Felſen hinabgeſtoßen!“

Erſchreckt war Heß einen Schritt zurückgetreten, er
ie die Faſſung zu verlieren, ſchnell ſammelte er ſich
wieder.

„Schweig! Du lügſt!“ rief er, er vermochte die
Worte kaum hervorzubringen.

„Ihr habt es gethan! Und wenn Ihr mich nicht
in Ruhe laßt, ſo werde ich es laut ausrufen und hin⸗—
gehen zum Gerichte, um es anzuzeigen!“

„Und Du lügſt dennoch!“ rief Heß, ſich nicht mehr
kennend. „Wage nur ein Wort darüber auszuſprechen
und Du — Du, ſamt Deinen Kindern — ihr Alle
ſollt ſterben!“

Er hatte ſie erfaßt und krampfhaft feſt ſchloſſen
ſeine Hände ſich um ihren Arm.

Barbara rief laut um Hilfe, die Kinder ſchrieen.

„Ruhig! Ruhig!“ ſprach Heß mit gedämpfter
Stimme.

Da wurde die Thüre geöffnet und Werneck trat ein.





Erſchreckt fuhr Heß zurück und ſprang mit einer
wilden Drohung aus dem Zimmer. Halb ohnmächtig
ſank Barbara auf einen Stuhl. Werneck trat zu ihr.

„Barbara, was iſt geſchehen?“ fragte er. „Sie
riefen um Hilfe, was hat der rohe Menſch hier
gewollt?“

Die junge Frau war noch zu heftig erſchreckt, um
antworten zu können. Sie bedeckte das Geſicht mit
beiden Händen. Der Gedanke, daß Heß ihren Mann
ermordet habe, war durch ſein Benehmen für ſie zur
vollen Gewißheit geworden. Sie wollte dem Doktor
Alles geſtehen, konnte ſie Heßens Schuld indeſſen be—
weiſen? Setzte ſie ſich dadurch nicht der Rache des
rohen Mannes aus? Die Drohung, welche er gegen
ſie und ihre Kinder ausgeſtoßen, hallte in ihr wieder.

Auf Werneck's wiederholte.Fragen erzählte fie end-
lich, daß Heß fie mit feiner Liebe verfolge und fie
Habe zwingen wollen, die Seinige zu werden.

„Dleiben Sie fejt, Barbara, und Iaffen Sie fich
nicht durch ihn überreden,“ ſprach Werneck. „Glauben
Sie all’ den Verſprechungen dieſes Mannes nicht, denn
an ſeiner Seite würden Sie wenig glückliche Tage
verleben.“

Barbara verſicherte, daß ſie ſich lieber den Tod geben
werde, ehe ſie Heßens Frau werde.

Werneck's Gegenwart gab ihr ein Gefühl der Sicher⸗
heit, ſie überwand die Aufregung des Schreckens bald
und zündete Licht an.

Werneck ließ ſich nieder und rief die Kinder zu ſich
heran, denen er ſtets ein kleines Geſchenk mitzubringen
pflegte. Die offene, laute Freude der Kleinen that
ihm wohl. Wie leicht war doch ein Kindesherz zu
befriedigen und zu beglücken! Nicht mehr als eine
Handvoll Süßigkeit gehörte dazu, um all' ſeine Wünſche
zu erfüllen.

Den Kopf auf die Hand geftüßt, in Gedanken ver-
ſunken, ruhte fein Auge auf den Kindern, Wenn auch
jeine Wünijche fo leicht zu befriedigen wären! Welche
Hinderniſſe ſtellten ſich denſelben entgegen! Es fehlte
ihm nicht an Muth, das höchſte Ziel zů erringen, ünd
doch ſagte er ſich oft, daß er es nie erreichen werde.
Er hatte bisher faſt nur der Wiſſenſchaft und Anderen
gelebt, war nicht auch er berechtigt, vom Glücke eine
Gabe zu verlangen? Sollte ſein eigenes Leben ein
freudenleeres bleiben?

Er ſtrich mit der Hand über die Stirne hin und
blickte durch das kleine Zimmer. In dieſem engen,
ärmlichen Raume lebten glückliche Menſchen. Sie
waren glücklich, weil ſie ihre Wünſche zu beſchränken
verſtanden, weil ihre Hoffnungen nicht hinauseilten
über die Verhältniſſe, in denen ſie lebten. Konnte
er nicht von ihnen lernen? Der Kopf lernt wohl,
allein das Herz ſetzt ſich über alle Lehren der Klugheit
und Weisheit hinweg.

„Wird Heß wieder hieher lommen?“ wandte er
ſich endlich an Barbara.

„Ich hoffe es nicht und ich glaube es auch nicht,“
gab die junge Frau zur Antwort. „Ich werde künftig
die Thüre ver’chließen, wenn ih allein im Haufe bin.“

„hun Sie das,“ fuhr Werneck fort. „Barbara,
wenn Sie Ihre Hand wieder verfchenken, dann geben
Sie diejelbe nur einem Manne, den Sie wirflich lie—
ben, dem Sie gern jedes Opfer bringen würden. Sie
mülfen den Charakter defjelben doppelt aufmertfam
prüfen, denn e& handelt fihH nicht allein um hr Glück,
jondern. auch um das Ihrer Kinder. Laffen Sie Sich
nicht durch die Sorge um die Zukunft einfchüchtern,
denn Sie wifjen, daß ih Ihnen gerne jeder Zeit bez
ftehen werde!”

Cr reichte der jungen Frau die Hand und ent:
fernte ſich. —

Heß war, als er das Haus verlaſſen hatte, an
dem Bergabhange hingeeilt, auf einem Wege, der zu
beiden Seiten von Weiden eingefaßt war.

Seine Stirne glühte, die Worte Barbara's, daß
er der Mörder ihes Mannes ſei, hallten in ihm wie—
der. Wenn ſie dieſe Worte auch gegen den Doktor
wiederholte? — Eine namenloſe Angſt erfüllte ihn.
Woher wußte Barbara, daß er die dunkle That be—
gangen hatte? Es war ja Nacht geweſen, kein Auge
hatte ſie geſehen, Niemand konnte als Zeuge gegen
ihn auftreten und doch erfaßte ihn Bangen. Es war
die Stimme ſeines Gewiſſens, die er bis dahin ge—
waltſam zurückzudrängen verſucht hatte. Konnte Bar-
bara ihn ſo offen beſchuldigen, wenn ſie nur einen Ver—
dacht gegen ihn hegte?

Er ſtand ſtill und lehnte ſich gegen eine der Wei:
den. Um Barbara zu erringen, hatte er das Ver—
brechen begangen. Im Walde hinter einem Felſen
verſteckt hatte er auf ihren Mann gelauert. Arglos
war derſelbe auf dem ſchmalen Pfade niedergeſtiegen,
da hatte er ihm einen Stoß verſetzt, der ihn in den
Abgrund hinabſchleuderte. Der Unglückliche ſelbſt konnte
ihn nicht geſehen haben und wenn er ihn auch geſehen
hätte, jein Mund war für immer geichloffen, Sorg-
fältig hatte Heß dieſe That vorher überlegt und vor-


 
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