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86

Heft 4.

Saccone und trat nun, den Hut lüftcud, au den Wagen
heran.
„Meine Hochachtung, Madame — grüß' Sie der
Himmel, Marquis," sagte er in seiner gewöhnlichen
affcktirten Sprachweise. „Die Luft der Hcimath sagt
Ihnen zu, Frau Clelia - bei den ewigen Göttern,
Sic beschämen die Flora durch Ihre ewig blühende
Jugendfrische."
Ein leichter Schatten verdunkelte bei dieser albern
gesuchten Anrede die Stirn der schönen Frau, und doch
entgegnete sie, während der alte Marquis nervös an
seinen gelben Handschuhen zupfte, mit lächelnden Lippen-
„Ich danke Ihnen für das Kompliment, Graf, aber cs
träfe eher zu, wenn Sie cs jcncr rothlvckigcn Donna,
dercn Wagen dort drüben über die Piazzetta Ne Um-
berto rollt, gesagt hätten. -- Apropos, ist Ihnen die
Dame bekannt?"
Der Graf klemmte sich, eine Grimasse schneidend,
das Glas in's rechte Auge und blickte der angegebenen
Richtung nach, lieber sein Gesicht zuckte cs seltsam.
„Ah," meinte er, „Königin Goldhaar — und cheute
allein! — Ei gewiß kenne ich jene Schöne, meine
Gnädigste, und gerade sie sollte die Veranlassung des
Besuches sein, den ich Ihnen für heute Abend zugedacht
hatte! .Königin Goldhaar', wie inan sie hier nennt,
führt nämlich in Wirklichkeit einen Namen, den wir
in den letzten Tagen häufiger ausgesprochen haben —
sic ist die Gattin eines deutschen Edelmanns, der seit
einigen Wochen in Neapel lebt und das Castello Piccolo
am Pvsilipp bewohnt, eines — Herrn v. Jllburg."
Die junge Witlwe zuckte zusammen, so daß ihre
niederfallcnde Hand, die den durchbrochenen Schildpatt-
facher hielt, die Rechte des neben ihr vor sich hin
träumenden Alten berührte.
„Und was ist sie für eine Geborene?" fragte sie
rasch und mit leiserer Stimme.
Saccone zog die Schultern hoch.
„Ahnungslos- — doch auch das werde ich erfahren.
Vorläufig weiß ich nur, daß sie eine Polin ist."
Madame Clelia schlug geräuschvoll den Fächer auf.
„Besten Dank, Graf, und auf Wiedersehen heute
Abend! Vorwärts, Paolo!"
Die Peitschcnschnur wirbelte über dein Rücken der
Pferde, die zu schlankem Trabe auslegten. Clelia
fächelte sich Luft zu, ihr war plötzlich sehr heiß ge-
worden.
„Wundersame Fügung!" sprach sie flüsternd vor
sich hin. „Wer hätte gedacht, daß ich noch einmal
Laczarowski's Schwester Wiedersehen würde, und als
Gattin eines — Jllburg!"
Achtes Aaxitel.
Hin Abenteuer.
Jllburg war am Abend nach dem internationalen
Club gefahren, wo er mit seinem alten Bekannten, dem
Geheimrath Schöler, ein Zusammentreffen verabredet
hatte. Egon hatte als junger Student manche Vor-
lesung des Professors Schöler angehört, Ivar später-
näher mit ihm bekannt und ihm schließlich befreundet
geworden. Schöler war Archäologe, und gerade für
dieses Studium hatte Jllburg, dessen Geist sich gern
auf allen Gebieten der Wissenschaft tummelte, stets ein
hervorragendes Interesse gezeigt. Das gab die ersten
Anknüpfungspunkte zwischen den Beiden; Schöler hatte
das frische Wesen des Studenten gern und lud ihn,
der damals über wenig Mittel verfügte, öfters in sein
Haus, um mit ihm eine Erholungsstundc zu verplau-
dern. Seit Jllburg sein Berufsstudium aufgegeben
und nach ltebernahme des frei gewordenen Familien-
Majorats ein reicher Mann geworden war, beschränkte
sich der Verkehr zwischen ihm und Schöler nur noch
auf eine allerdings ziemlich rege Korrespondenz. Der
Geheimrath — sein letztes Werk über die pergamenischen
Skulpturen hatte ihm diesen Titel eingebracht — war
zudem gänzlich nach Italien übergcsiedelt und verlebte
hier die Wintermonate gewöhnlich in Rom und Neapel,
den Sommer in den Bergen oder auf einer der Inseln
im Golf. Jllburg's erster Besuch in Neapel hatte
natürlich dem alten Freunde gegolten, von dessen Ge-
sellschaft er sich genußreiche Stunden versprach, und
nicht minder wie er hatte sich der Professor gefreut,
feinen ehemaligen Schuler wiederzusehen.
Egon fand den alten Herrn im Lesezimmer des
Clubs. Er saß unter einer grünbeschirmten Hänge-
lampe und hatte den mächtigen Charäkterkopf, den eis-
graue Locken umwallten, tief herab auf die vor ihm
liegende Zeitung gebeugt. Als Jllburg eintrat, erhob
sich feine große, breitschulterige Gestalt zu voller Höhe,
und ein freudiges Lächeln flog über fein frischfarbiges,
aber von tiefen Furchen durchzogenes Gesicht.
„Mein lieber Egon," sagte er und streckte Jllburg
beide Hände entgegen, „sieht man Sie endlich einmal!
Ich fürchtete schon, Sie wären treulos geworden —
ist das denn eine Art, vier Wochen in Neapel und
nichts als einen steifen Besuch bei Ihrem alten Lehrer?"
„Sie haben Recht, Herr Geheimrath, ich bin ein
schlimmer Geselle und könnte mir eigentlich jedes Wort

Das Buch für Alle.
der Entschuldigung schenken. Aber selbst der ärgste
Verbrecher hat seinen Verthcidiger, und meine Ver-
theidigung für die böse Nachlässigkeit, die ich mir
Jhnen gegenüber zu Schulden kommen ließ, liegt in
der Mühe und Zeit, die mich die Einrichtung meines
neuen Heims kostete."
„Also materielle Interessen," grollte der Professor
lachend, „wo sind die Ideale geblieben, Egon, von denen
Sie mir einst schwärmten! Ei ja, es ist nicht gut,
daß der Mensch lleberfluß hat au schnödem Mam-
mon — aber immerhin besser, als daß er Mangel
leidet. Nun, ich verzeihe Ihnen, denn ich weiß, daß
Sie über des Lebens materiellen Gütern die geistigen
nicht vernachlässigen werden. Wissen Sie denn, daß
Sie bereits Stadtgespräch sind?"
Egon hatte sich niedergelassen; die Beiden waren
allein in dem kleinen Kabinct und konnten ungestört
plaudern.
„Ich habe Berlin und Jllburg verlassen, nm dem
Klatsch zn entgehen, aber auch in Neapel scheint man
die Medisance zu pflegen. Aber Grund zn einem
,Stadtgespräche' bin ich mir nicht bewußt, gegeben zu
haben, die Neapolitaner müssen wenig zu thnn haben,
wenn sie sich mit jedem Fremden so eingehend wie mit
mir beschäftigen."
„Die Neapolitaner sind das faulste Volk der Erde,"
meinte der Professor, „und die Faulheit ist die Mutter
der Klatscherei. Hätte ich gewußt, daß Sie den Winter
hier in aller Stille verleben wollen, wie Sie Vorhaben,
dann hätte ich mich gern erboten, für Sie Ouartier
zu machen. Die Einrichtung Ihrer Villa hat Auf-
sehen erregt, man vermuthet einen zweiten Monte-
Christo in Ihnen und wird sicher versuchen, Sie in
die Gesellschaft zu ziehen. Allgemein aber imponirt
die Schönheit Ihrer Frau — man hat mir Wunder-
dinge von diesem blonden Engel erzählt, so daß ich
ordentlich begierig bin, sic kennen zu lernen."
Egon hüstelte verlegen.
„Wanda ist zweifellos eine sehr hübsche Fran,"
entgegnete er, „wenn ich selbst das schon zugestehe, muß
es Wohl wahr sein. Aufsehen erregend kann indessen
ihre Schönheit nur hier unter den dunkellockigen Töch-
tern Italiens sein — ihr Hauptschmuck ist nämlich ihr
rothblondes Haar. Wanda ist eine Polin, und das
rothe Haar ist den weiblichen Mitgliedern der Lacza-
rowski'schen Familie seit vielen Generationen erb- und
eigenthümlich."
Der Geheimrath lachte. „Wie die Unterlippe dcr
Habsburger und das Kinn der Bourbonen," scherzte
er. „Wie haben Sie Ihre Gattin denn eigentlich
kennen gelernt?"
Jllburg wandte sich an den hinter ihn getretenen
Kellner, um sich eine Flasche Wein zu bestellen, und
beantwortete dann die Frage Schöler's-
„Während des Manövers, Herr Geheimrath. Vor
vier Jahren hatte ich eine Reserveübung abznmachcn,
die in die Herbstmanöver fiel. Wir lagen dicht an der
rnssischcn Grenze und wurden häufiger auf den Be-
sitzungen polnischer Aristokraten einquartiert, die zwar
als preußische Unterthanen gelten, deren politisches Idol
aber nach wie vor nicht der schwarze, sondern der Weiße
Adler ist. Bei einem dieser Herren, in einer sehr in-
teressanten Gesellschaft auf denn Schlosse des Grafen
Posowski, lernte ich Wanda kennen. Ich gestehe, daß
der Reiz ihrer Erscheinung, ihre Anmuth und Grazie
mich gleich im ersten Augenblick bezauberten. Ich war
Fencr und Flamme, ritt am nächsten freien Tage über
die Grenze, nm der Mutter meiner Angebeteten meinen
Besuch zu machen, wurde aber merklich abgekühlt durch
den lauen Empfang, den man mir bereitete. Man
ließ mich fühlen, daß ein freundliches Einvernehmen
zwischen Polen nnd Preußen kaum möglich ist. Erst
ein Jahr später — es handelte sich damals um die
letzten geschäftlichen Abwickelungen in Bezug auf die
Uebernähme des Majorats — sah ich Wanda wieder.
Sie kam mit ihrer Mutter von Petersburg, wo Beide
eine verwandte oder bekannte Familie besucht hatten,
und hielt sich einige Tage in Berlin auf. Auf dem
Subscriptionsball trafen wir zusammen, nnd mehr als
je berauschte mich die Jngendschüne Wanda's — die
alte Leidenschaft loderte von Neuem empor. Was mir
auf polnischer Erde nicht geglückt war, glückte mir auf
heimischem Boden, nnd so bin ich denn heute glück-
licher Ehemann!"
Der Gehcimrath erhob sein Glas nnd trank auf
das Wohl Wanda's.
„Ich freue mich von Herzen darauf, sie kennen zn
lernen," sagte er; „übrigens wird sie in der deutschen
Kolonie Neapels angenehme Bekanntschaften finden,
wenn sie sich nach Umgang sehnt nnd auf die immer-
stark mit allerhand zweifelhaften Elementen gemischte
italienische Gesellschaft verzichten möchte. Sie sagten
mir neulich schon, daß Ihnen viel daran liegt, den
Winter in stiller Zurückgezogenheit ganz Ihren wissen-
schaftlichen Neigungen zu leben — ich verstehe und be-
greife das, aber wird Ihr junges Frauchen sich in diese
freiwillige Klausur fügen wollen? Schweren Herzens
nur — ah ja, auch ich kenne die Weiber, wenn mich

Hymen auch Junggeselle bleiben ließ! Aber wie gesagt,
unter der deutschen Kaufmannswelt am hiesigen Platze
finden Sie charmante Familien, die sich freuen würden,
Ihre Gattin bei sich zu scheu, uud soweit ich Sic kenne,
lieber Egon, ziehen Sie gut bürgerliche Gesellschaft
jedenfalls immer gewissen Adelskrcisen vor, die sich in
den letten Jahren hier eingenistet haben, als lebten wir
noch zu König Mnrat's oder des ,Re Vomba' Zeiten."
Jllburg nickte stumm. Um wie viel lieber wäre
cs ihm gewesen, seine Frau in Kreise cinführen zu
können, für deren Wohlanständigkeit ihm Bürgschaft
geleistet wurde, als in die Gesellschaft dieser Marcheses
und Ducas, deren Abstammung so dunkel war wie ihre
Existenz! Aber er kannte Wanda und wußte, wie
oberflächlich sie die Welt beurtheilte.
Schöler füllte die Gläser.
„Und nun, mein lieber junger Freund," fuhr der
alte Herr fort, „erzählen Sie mir, was aus Ihrem
armeu Bruder geworden ist. Sie können sich denken,
welch' lebhaftes Interesse ich an diesen traurigen Fa-
milienverhältnissen genommen habe, wie nahe sie mir
gegangcn sind! Manches in Ihren Briefen blieb mir
nnverständlich, und doch wagte ich damals nicht, weiter
zn forschen, ich wollte Ihr krankes Gemüth nicht noch
mehr in schmerzliche Erregung versetzen. Hat man nie
wieder etwas von Erich gehört?"
„Nie wieder."
Jllburg sagte dies voll tiefsten Ernstes nnd mit
bewegter Stimme. Er schaute eine Minute lang stumm
in sein Glas, dann griff er plötzlich nach dem Arm
des Gehcimraths nnd umspannte ihn krampfhaft mit
den zuckenden Fingern.
„O Schöler, alter treuer Frcuud," rief er dabei,
während sein dunkelbraunes Auge in feuchtem Schim-
iner erglänzte, „hätte ich ahnen können, daß es so — so
kommen würde, bei Gott, ich Ware nut tausend Freuden
in mein kleines Stübchen im Studcntcnviertel Berlins
zurückgckehrt und hätte nie meinen Fuß auf eine Erd-
scholle von Jllburg gesetzt! Konnte ich den Ausgang
dieser Tragödie ahnen? Ich habe Erich nie anders
als einen kalt berechnenden, leidenschaftslosen Menschen
kennen gelernt und ich Hütte Jeden verlacht, der mir
gesagt hätte, mein Bruder trage nur eine Maske. Daß
er aber bis zu dem entscheidenden Augenblick wirklich
nur Komödie gespielt, daß er aller Welt gegenüber
mit fabelhafter Selbstbeherrschung seine tiefiuuerste
Natur und sein ureigenstes Ich zu verbergen verstanden
hat, bewies mir sein späteres Verhalten. Sie kannten
ja das cigenthümliche Vcrhältniß, in dem ich zu Erich
stand, lieber Schöler; ich habe mich oft mit Ihnen über
die Ungleichheit unserer Charaktere, über die Verschie-
denheit unserer Ansichten und Neigungen ausgesprochen,
die von Kindheit an zn manchem harten Strauße
Veranlassung gegeben haben. So lange unser guter
Vater lebte, vertrugen wir Brüder uns leidlich, wenig-
stens kam cs nie zu offenem Streit zwischen uns. An-
ders wurde es nach dem unerwartet plötzlichen Tode
Papa's."
„Der alte Herr hatte sich auf der Jagd verwundet,
wenn ich nicht irre?" warf der Gehcimrath halb fra-
gend ein.
„Doch nicht. Er war bis zum letzten Tage gesund
und rüstig gewesen, ging am Abend vor seinem Ab-
leben -- die Weidmaunslust war immer seine hervor-
ragendste Passion - in Begleitung seines alten Ober-
jägers noch auf deu Ausland, kehrte aber nicht mehr
nach dem Schlosse zurück. Mitten auf dem Felde traf
ihn ein Herzschlag, er brach Plötzlich, ohne einen Laut
auszustoßcu, au der Seite seines Jägers todt zusammen."
Professor Schöler neigte wehmüthig den ergrauten
Kopf.
„Nicht Jedem ist ein so schneller uud schöner Tod
beschiedcn," meinte er, „ich wünschte ihn mir auch.
Wie alt war Ihr Herr Vater?"
„Fünfundsechzig Jahre, doch wie gesagt bis zum letz-
ten Tage ein ganzer Mgnn. Die Beschwerden des
Alters hatten ihn noch nicht gebeugt, er dachte auch
kaum an einen so raschen Tod, und wohl aus diesem
Grunde hatte er es versäumt, seine letztwilligen Ver-
fügungen zu treffen. Die Erbtheilung" — der Spre-
chende gab diesem letzten Worte eine eigenartig bittere
Betonung — „war auch einfach genug. Jllburg, das
Majorat, kam mit seinen kolossalen Einkünften an
Erich als den älteren Bruder, an Baarvermögen hatte
Papa nur eine geringe Summe hinterlassen, über deren
Verwendung keine Dispositionen getroffen worden waren.
Da Erich als Majoratsherr mit einein Schlage ein
reicher Mann geworden war, auch sofort feinen Ab-
schied aus dem Offiziersdienste nahm, um sich gänzlich
der Verwaltung von Jllburg zu widmen, so hielt ich
es für selbstverständlich, daß er mir das Hinterbliebene
Baarvermögcn abzugslos überlassen würde, damit ich
meine Studien fortsctzen könnte. Erich bestritt aber
die Rechtlichkeit dieser Forderung und gestand mir nur
die Hälfte der an sich schon unbedeutenden, für ihn und
seine glänzenden Verhältnisse geradezu winzigen Summe
zu. In der tiefen Empörung, die mich beseelte, beging
ich die Thorheit, der Erbschaft gänzlich zu entsagen;
 
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