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M 25.
troffen. Uns aber trennt diese Prüfung auf immer.
Du bist viel zu gut und rein, als daß Du die Tochter
des Verbrechers in Dein Herz nehmen dürftest. Ich
habe meinen Trost allein auf ihn gestellt, der die
Welten lenkt!"
25.
Landrichter Leßmann, der Untersuchungsrichter des
Hamburger Landgerichtes, war ein angehender Sech-
ziger, Junggeselle, von mehr kleiner, als Mittelstatur,
wohlbeleibt und kräftig, von überaus rascher Auf-
fassungskraft, Hellen: Verstand und nut durchweg tüch-
tige:: juristischen Kenntnissen ausgestattet. Er hatte
das Amt des Untersuchungsrichters beim Landgericht
schon seit dem Termine inne, an welchen: die Reor-
ganisation der Justizbehörden auf Grund der reichs-
gesetzlichen Bestimmungen erfolgt war. Er waltete
seines Amtes mit den besten Erfolgen, wenn gleich die
Methode, die er zur Uebcrführung der Schuldigen in
den von ihn: geführten Untersuchungen anwandte, viel-
leicht nicht von allen Seiten die Zustimmung seiner
Kollegen fand. Er liebte cs nämlich, leugnende Ver-
brecher durch die unzweideutigsten Beweise des Gegen-
teils ihrer Behauptungen zu überraschen, und nahm
sich zu diese,:: Zwecke Zeit und Mühe, um sich in
den Besitz aller überführenden Beweise zu setzen, be-
vor er daran ging, eine Untersuchung ihren: Ende zu-
zuführen.
Ganz diesen: seinen: altgewohnten Gebrauche gemäß
verfuhr er auch bei der Untersuchung gegen den Ka-
pitän Allings; es kostete ihm hier ziemliche Mühe, sich
in den Besitz des überführenden Beweismatcrials zu
setzen, aber es gelang schließlich doch. In einem
Punkte war es freilich unmöglich geblieben, Beweise
der Schuld zu entdecken, und dieser Punkt betraf gerade
die erste Schuldfrage, die gegen Allings erhoben wor-
den war, den Mord in Singapore, dessen Wilhelm
Arend den Kapitän vor dem Polizeilichster in Hazlcton
beschuldigt hatte. Allein dieser Fall ließ den Unter-
suchungsrichter kalt. Mochten die englischen Behörden
zusehen, wie sie hier Aufklärung schafften, für ihn lag
das außerhalb seiner Dienstobliegenheiten; für ihn hatte
das von der Hazletoner Polizeibehörde über die Aus-
sage des Wilhelm Arend aufgcnommene Protokoll
nur insofern ein Interesse, als es ihn: einen Aus-
gangspunkt für alle späteren Thaten des Schuldi-
gen bot.
An dem Tage, an welchem Landrichter Leßmann
mit allen Erörterungen über den Fall Allings zu Ende
gekommen war, ordnete er die Vorladung der erforder-
lichen Zeugen an und ließ sich, sobald der ganze koiu-
Plizirte Apparat seiner Vorbereitungen allen seinen
Erwartungen entsprach, den Gefangenen vorführen.
Allings sah, als er erschien, angegriffener aus, als
man von diesen: sonst so kräftigen Manne hätte er-
warten sollen. Die Gefängnißluft hatte seine Wange
gebleicht, die Augen lagen tief und waren mit dunk-
len Rändern umgeben, durch sein Haar, das bis dahin
noch niemals die geringste Spur des heranrückenden
Alters gezeigt hatte, zogen sich einzelne Silberfäden.
Aber in seinem Auftreten hatte sich nichts geändert, er
war ganz der Alte. So begann die Verhandlung mit
einer Beschwerde von seiner Seite.
„Es war mir von Ihnen zugesichert worden,
Herr Landrichter," hob er an, „daß meine Angelegen-
heit mit der gesetzlich vorgeschriebenen Beschleunigung
ihrer Erledigung zugeführt werden solle. Seit den:
Tage, wo ich freiwillig vor Ihnen erschien, sind bis
hente nahezu vier Wochen unter keinerlei anderen For-
malitäten verflossen, als einigen nichtssagenden Ver-
hören über jenen vollkommen klar liegenden Fall. Ich
fühle mich durch ein derartiges Verfahren beschwert
und ersuche Sic, diese meine Beschwerde zu den Akten
zu uehineu."
„Ich werde ihren: Wunsche entsprechen, Kapitän,"
crwicderte der Untersuchungsrichter, „wenn Sie an:
Schlüsse unserer Verhandlungen noch auf demselben
bestehen sollten. Vielleicht aber werden Sie dann zu
der Ueberzeugung gelangt sein, daß diese Verzögerun-
gen sich als unbedingt nothwendig erwiesen haben.
Ich habe Ihnen mehr vorzuhalten, als Sie zur Zeit
vcrmuthen. Beginnen wir also unsere Verhandlung."
Der Schreiber tauchte seine Feder ein, Allings
wurde um einen Schein blässer und heftete sein Auge
starr auf den Untersuchungsrichter, der nach einer kur-
zen Panse fortfuhr:
„Die erste Aufmerksamkeit der Behörde wurde auf
Ihre Person gerichtet durch ein von den: amerika-
nischen Ccntralgerichtshofe in New-Port an uns ab-
gegebenes Protokoll, das Sie eines schweren Verbrechens
zeiht. Es ist ohne Interesse für Sie, auf welche
Weise jenes Protokoll entstanden ist; ich übergehe des-
halb den Eingang desselben, den ich später Ihnen
eröffnen werde, nnd komme zu der Sache selbst, in-
dem ich sie nach ihren: Wortlaute in jener Verhand-
lung vorlese:
Als wir in: Monat Juli 1875 von Palembaug
auf Sumatra nach Siuaapore mit der .Otter' über-

Das Buch für Alle.
zufahrcn gedachten, um eine Ladung Betel dort ein- >
zunehincn, brachte der Kapitän einen Mann mit an
Bord, der sich Walther Fulton nannte. Er hatte
ein scheues und finsteres Wesen und hielt sich nur zu
den: Führer des Schiffes, den: er offenbar ein gro-
ßes Vertrauen schenkte. Ich erfuhr bei der Ueberfahrt
durch den Letzteren, daß Fulton einen großen Betrag in
Edelsteinen aller Art bei sich trage, den er an einen Ma-
laien auf jener Insel absetzen wolle, nnd daß allen: Vcr-
mnthen nach jene Edelsteine nicht auf rechtlichen: Wege
erworben wären. Gleichzeitig flüsterte mir der Kapitän
zu, daß wir Beide gemachte Leute sein würden, wenn
es uns gelänge, uns selbst in den Besitz der Edelsteine
zu setzen, freilich nur um den Preis eines Mordes.
Ich befand mich damals in einer sehr bedrängten Lage
nnd so willigte ich ein. Es ging Alles so glatt vor
sich,- als wir nur wünschen konnten. Fulton, der die
große Stadt zu vermeiden wünschte, hatte den Kapitän
gebeten, ihn an einer bestimmten Stelle der Insel an's
Land zu setzen. Der Kapitän, der die Insel kannte
wie seine Tasche, hatte ihn: versprochen, seine Bitte zu
erfüllen. Wir Beide setzten in der Morgendämmerung
Fulton an's Land und kehrten anscheinend zu unseren:
Schiffe zurück. Aber sobald wir Jenen ans den Augen
verloren hatten, kehrten wir mit den: Boote an's Ufer
zurück und verbargen es im Ufergebllsch. Der Kapitän
führte mich auf einem näheren Richtwege zu der Straße,
die Fulton passircn mußte. Eine kleine Strecke Ur-
wald durchzog an ihr entlang noch die Insel, die sonst
einen: blühenden Knltnrgarten gleicht. Hier warteten
wir rechts und links der Straße, hinter den dicken
Bäumen verborgen, auf den Mann, der sterben sollte.
Wir trugen Beide Todtschläger bei uns; die Kugel
mache zu viel Geräusch, sagte der Kapitän. Es war
noch in aller Morgenfrühe, die Sonne war noch nicht
aufgegangcn, und die Straße war menschenleer. Fulton
kann Der Kapitän sprang mit einen: einzigen Satze
hinter seinen: Baun: hervor und schlug den Mann zu
Boden, ehe er einen Schrei ausstoßen konnte. Er war
so todt wie eine Ratte. Wir schleppten ihn in einem
Bache, der an: Orte der That die Straße kreuzt, in
das dichte Gestrüpp, plünderten ihn aus und scharrten
ihn am linken Bachufer ein. Wir thcilten die Beute
und kehrten eine Stunde später an Bord der , Otter'
zurück. Der Kapitän des Schiffes hieß: Arno Allings."
Ein unheimliches Stillschweigen folgte.
Allings sah erdfahl aus, sein Athen: flog.
„Was sagen Sie zu dieser Anklage, Kapitän?"
fragte der Untersuchungsrichter ernst.
„Daß cs die gemeine Lüge eines niederträchtigen
Schuftes ist, der sie zu meinen: Verderben ersann,"
stieß Allings keuchend hervor.
„Ich bin Ihr Richter nicht in dieser Sache," sagte
der alte Beamte feierlich. „An: Orte der That wird
man Sie zur Verantwortung ziehen, und wohl Ihnen,
wenn Sie dort zu beweisen vermögen, was Sie soeben
behauptet haben."
Eine zweite Pause folgte. Allings unterbrach sie.
Die letzten Worte des Untersuchungsrichters hatten ihn
offenbar beruhigt.
„Fahren Sie in Ihren Anklagen fort," sagte er.
„Ich bin nach dieser Einleitung in der That auf die
Fortsetzung begierig."
„Die zweite Anklage gegen Sie, von mir erhoben,
Kapitän," sagte der Untersuchungsrichter kalt und ernst,
„lautet gleichfalls auf Mord, Mord an Ihren: Steuer-
mann Ton: Kingtou."
„Er starb von meiner Hand, weil ich mein eigenes
Leben Vertheidigen mußte!"
Der Untersuchungsrichter zog ein Tuch weg, das vor
ihn: auf den: Tische ausgebreitet war. Unter ihn: lagen
vier Revolver.
„Erkennen Sie in diesen Waffen diejenigen, in deren
alleinigen Besitz Sie sich zur Zeit der That befände::?"
fragte er.
„Es sind die mir gehörigen Waffen," entgegnete
der Angeklagte.
„Zeigen Sie mir diejenige von ihnen, mit der Sie
den Neger erschossen!"
Ohne einen einzigen Augenblick zu zögern, deutete
der Kapitän auf den kleinen, nut Silber am Kolben
beschlagenen Revolver, den seine Gattin bereits als
denjenigen bezeichnet hatte, welchen er in der Hand
gehabt haben sollte, als sie nach der That mit ihn: zu-
sammentraf.
„Ich ermahne Sie allen Ernstes, geben Sic der
Wahrheit die Ehre," sagte der Untersuchungsrichter,
ihn strengen Auges betrachtend. „Wenn Sie Ihre
Handbewcgnng nut einen: Worte der Erläuterung
unterstützen, so sprechen Sie eine grobe Unwahrheit
ans!"
„Es ist so, wie ich andeutete," entgegnete Allings'
auf diese Ermahnung, und man konnte deutlich erken-
nen, wie er sich zwang, ruhig zu bleiben, „ich schoß
den Schwarzen mit diesen: Revolver nut den: silber-
beschlagenen Kolben nieder, den ich für gewöhnlich bei
nur führe, nachdem er nur aus jenen: anderen, den er
ohne meine Vermuthen aus meinem Zimmer mit-

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genommen hatte, eine Kugel cntgcgengeschickt hatte, die
glücklicher Weise nicht traf."
„Sie sprachen bewußt soeben eine Lüge aus," er-
wiederte der Untersuchungsrichter nut Külte. „Treten
Sie näher an diesen Tisch und betrachten Sie diesen
silberbeschlagenen Revolver. Er ist vollständig ge-
laden, keine Patrone fehlt. Wäre er an jenen: Tage
gebraucht und darnach von Ihnen wieder geladen wor-
den, so müßten sich doch irgend welche Rückstände von
den: Schüsse entdecken lassen, denn kein Mensch ist so
thöricht, zu glauben, daß Sie nach jener That die be-
nutzte Waffe wieder gereinigt hätten. Wie aber sieht der
Revolver aus, der sich neben dem Schwarzen vorfand ?
Seiner Ladung fehlen zwei Schüsse. Und ich sage
Ihnen, Kapitän, diese beiden Schüsse wurden von Ihrer
Hand abgefeuert!"
„Das ist ein Jrrthum," keuchte Allings, der todtcn-
bleich geworden war.
„Hier ist der Beweis! Diese Kugel fand der Ge-
richtsarzt in der Hinteren Schüdelhöhle der Leiche. Es
ist ein Geschoß nut einen: Durchmesser von neun Milli-
meter, genau das Kaliber, welches von allen hier lie-
genden Waffen nur der Revolver hat, der sich neben
der Leiche fand. Niemand würde in: Stande sein, ein
gleiches Geschoß aus einen: der übrigen Revolver zu
schießen, denn diese haben sanunt und sonders ein Ka-
liber von nur sieben Millimeter. Sie sind etwas un-
vorsichtig gewesen, Kapitän!"
Der Kapitän antwortete auf diese schwere Anklage
nicht. Aber seine Fäuste hatten sich geballt, und seine
Brust Hob und senkte sich rasch; er hielt den stieren
Blick so fest auf den Mund des Richters geheftet, als
sei er dorthin gebannt.
„Wenn meine Worte noch nicht den erforderlichen
Eindruck auf Sie gemacht haben, um Sie zu ciuen:
Gcstüudniß zu bewegen, so will ich Ihnen noch nut
den Motiven dienen, die Sie zu solcher ungeheuren
That getrieben haben," fuhr der Untersuchungsrichter
fort. „Jener Neger mußte sterben, weil er der einzige
Mitwisser einer schwarzen That war, die Sie geplant
hatten, nnd die er ausführen half. In Ihren: Kopfe
entstand der Gedanke, Ihr ausgeleertes Schiff zu ver-
brennen und sich dadurch in den Besitz der Versiche-
rungsgelder für die Ladung zu setzen, die Sie heim-
licher Weise entfernt hatten, so daß Sie in: Falle
des Gelingens den Werth der Waare zweimal em-
pfingen."
Es schien, als ob dieser Vorwurf des genuine:: Be-
trugs einen tief beschämenden Eindruck auf dcu Kapitän
hervorbringe, er ward wiederholt glühendroth und
leichenblaß, und ein gewaltiges Schlingen würgte in
seinen: Halse, als ob er versuche, die ihn: fehlenden
Worte mit Gewalt hervorzuholen, aber es kam keine
Silbe über seine Lippen.
„Aber ich sage Ihnen, daß auch dieses Verbrechen
durch die Hand der Gerechtigkeit aufgedeckt ist," fuhr
der Beamte mit erhöhter Stimme fort. „Die Polizei
hat die Ladung des .Fallen' entdeckt, die von Ihnen
auf einem uns noch unbekannten Wege hierher nach
Hainburg gebracht worden ist, während die Welt
glauben sollte, sie sei bei Kap Skagen verbrannt. Man
wird Sie vor diese Schiffsfracht führen, die Sie in:
Hinterhause des Schankwirths Josua Sittig, des Heh-
lers, geborgen haben! — Allings, Allings, diese That
forderte abermals ein Menschenleben, das wissen Sie
ebenso gut, als Sie es von mir hören. Dreifache
Blutschuld liegt auf Ihren: Haupte, die Seelen dreier
durch Ihre Schuld Dahingefahreneu werde:: an den:
Richterstuhle des Allmächtigen als Kläger stehen, wenn
Sie erscheinen, um Ihr Urtheil zu empfangen. Denken
Sie an diese Stunde und beugen Sie Ihren starren
Sinn in den Staub, indem Sie reumüthigen Herzens
Ihre Verbrechen gestehen! Noch andere schwere Schuld
liegt auf Ihrer Seele, machen Sie sich das Herz frei,
indem Sie, demüthig das Walten der ewigen Ge-
rechtigkeit erkennend, Ihre weitere Verschuldung ein-
gestehen."
Aber diese gutgemeinte Ermahnung war durchaus
nicht von dem Erfolge begleitet, den sich der Unter-
suchungsrichter von ihr versprochen haben mochte.
Allings hob das Haupt und streckte seine Gestalt,
die Farbe des Zornes erschien auf seinen Wangen, er
trat einen Schritt vor und sagte nut lauter, volltönen-
der Stimme: „Ein Gebäude voll Lug und Trug ist
vor mir aufgebaut wordcu, ich werfe es zurück iu
sein Nichts. Ich hebe meine Hand ans, sie ist rein.
Was nur auch hier vorgchalten wordcu ist, ich weiß
mich frei von Schuld."
Da drückte der Untersuchungsrichter auf den Knopf
der elektrischen Klingel.
Vier Frauen traten durch die Thür, die sich iu:
Riickeu des Kapitäns befand.
„Blicken Sie hinter sich," sagte der Untersuchuugs-
richter.
Allings wandte den Kopf. Seine Augen traten
aus ihren Höhlen, seine Haare sträubten sich, er drückte
beide Hände auf's Herz, ein einziger mächtiger Blut-
stron: drang von diesem nach dem Gehirn, der Kapitän
 
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