Namen, Leuten von der Kunst und der Litterntur und
dergleichen, mit denen man auf Reisen zusammentrifft,
wurde er schnell bekannt. War er wieder in Berlin,
so stellte er seine derartigen Bekanntschaften nicht unter
den Scheffel. Er war wegen seiner imponierenden Be-
kanntschaften in seinen Kreisen geradezu berühmt.
Westheim war kurz zuvor nach Hause gekommen.
„Schlechtes Wetter heute, Herr Geheimrat," hatte er
ihm durch die Thür zugerufen, dann trat er herein,
nur um dem Herrn Geheimrat eine merkwürdige Mu-
schel zu zeigen, die er heute gefunden hatte, und so
war er dageblieben.
„Guten Morgen, Herr Baron! Morgen, gnädige
Frau!" Westheim verneigte sich tief. Dann aber er-
klärte er, nun Toilette machen zu müssen, und em-
pfahl sich.
lächelnd, als Ottilie auf sie zueilte und dann zweifelnd
vor ihr stehen blieb.
„Jetzt erkenne ich dich," rief Ottilie herzlich erfreut.
Sie umarmten sich beide und küßten sich.
Miß Cookson war eine Dame von ebenmäßiger,
schlanker Gestalt. Ihr Gesicht war weder hübsch noch
häßlich zu nennen. Es war ein Gesicht, das man
übersah oder doch, wenn man es bemerkte, in der
nächsten Viertelstunde wieder vergessen hatte. Dabei
hatte es einen abweisenden Zug von Nüchternheit, den
Ausdruck einer Gouvernante, einer Diakonissin. Nur
ein Paar unbestreitbar hübsche braune Augen, und
zwei Reihen kräftiger, schöner, weißer Zähne gaben
ihm etwas Wohlgefälliges. Unter dein schlichten, fast
zu schlichten Hütchen quoll das dichte, kastanienbraune
Haar hervor. So schlicht und unscheinbar wie das
Hütchen war auch ihre übrige Toilette. In der einen
Hand hielt sie eine kleine Reisetasche. Man hätte sie
in der That für eine reisende Gouvernante oder Lehrerin
halten können.
- „Ein aufdringlicher Mensch!" sagte Herwarth, „das
beste wäre, in einem Hause ganz allein zu wohnen!"
Aber der Geheimrat nahm Westheim in Schutz.
Westheim wollte mit ihm, wenn er allein war, Pikett
spielen. Ein so guter Mensch fand sich nicht bald
wieder.
Das Wetter wurde am Nachmittag nicht besser.
Herwarth und Ottilie gingen wieder an den Strand.
In der sechsten Stunde sah man fern nm Horizont
von Nordwest her einen dunklen Fleck.
„Die ,CobraU" ging es durch die ganze Trampel-
bahn, wie der Brettersteg am Strande scherzweise hieß.
Immer deutlicher war das Schiff zu sehen, endlich
unterschied man auch den feinen Rauch. Es schlingerte
und rollte fürchterlich. Vorder- und Hinterteil waren
zuweilen vom Wasser ganz verdeckt. ° Nach zwanzig
Mjug dcr Goten noch der Schlacht am Vesuv.
(Siche daS Bild auf Seile 16 und 17.)
/<üiner der packendsten Akte aus dem gewaltigen Völker-
ivanderungsdrama ist die Errichtung und der Sturz des
Ostgotenreiches, voll der spannendsten Wechselfalle und Ver-
wickelungen und einem Schluß von erschütternder Tragik.
Im Jahre 488 überschritten die Ostgoten unter ihrem Könige
Theodorich die julischen Alpen, 493 hatten sie ganz Italien
erobert, und Theodorich wurde vom oströmischen Kaiser als Herr-
scher Italiens anerkannt. Bald schlossen sich dem auch im Innern
vortrefflich verwalteten Reiche andere germanische Völker an;
die Vandalen traten Sizilien ab, im Nordosten bis zur Donau
stellten sich die Heruler, in den Alpen die Alemannen unter
seinen Schutz. 507 vereinigte Theodorich die Provence mit
seinem Reiche. Aber nach dem 526 erfolgten Tode des weisen
und kräftigen Theodorich ging das Ostgotenreich infolge des
Neligionshasses zwischen den katholischen Römern und den
arianischen (Koten so schnell zu Grunde, wie es entstanden
war. Der oströmische Kaiser Justinian machte sich die inneren
Zwistigkeiten zu nutze, und sein Feldherr Belisar zog sieg-
reich durch ganz Italien, von den Römern als Befreier be-
grüßt. Aber noch einmal rafften sich die Goten unter ihrem
Könige Totilas zusammen, der 546 Rom wiedereroberte, 549
auch Sizilien, Sardinien und Korsika wieder in seine Gewalt
LM I.
Minuten war es wieder aus dem Gesichtskreise ver-
schwunden.
„In einer Stunde kommt der Zug," sagte Ottilie,
„nun bin ich neugierig, ob sie mitgekommen sein wird
oder nicht,"
Der Bahnhof war, als der Schiffszug eintraf,
ganz leer. Niemand hatte diesmal jemand zu erwarten.
Nur die Hoteldiener und Gepäckträger standen gewohn-
heitsmäßig hernm. Auch der Zug schien ganz leer.
An den Fenstern zeigte sich nicht ein einziges Ge-
sicht.
„Sie ist nicht gekommen," sagte Ottilie.
Da sah man aus dem letzten Wagen eine Gestalt
heraussteigen, eine einzelne Dame. Sie war in dem
ganzen Zuge der einzige Passagier.
„Ottilie, ich bin es — Bell," sagte die Dame
brachte. Nun rüstete Justiuiau ein neues Heer auS, das
unter dem Oberbefehl des Nnrses von Dalmatien aus in
Oberitalien einbrnch. Totilas fiel in der Schlacht bei Tagiua,
in der die Goten geschlagen wurden. Während Narses Nom
eroberte, erhoben die Goten in Pavia den Tejas auf den
Königsschild. Die kurze Laufbahn dieses Germanenfürsten,
sein Verzweiflungskampf nm Vesuv und sein Tod mutet uns
an wie ein Heldengedicht. Mit erstaunlicher Kühnheit drang
er mit einem kleinen Heere von Norden durch ganz Italien
nach Campanien vor, um seinen Bruder Aligeru, der nn
alten Eumä von Narses belagert wurde, zu entsetzen, und
schlug am Fuße des Vesuvs, am Ufer des Sarnus sein Lager
aus. .Eier kämpften die Goten, von einer großen Uebermacht
bedrängt, aber von der See her mit Nahrungsmitteln ver-
sehen, sechzig Tage lang gegen dao Heer des Narses. Erst
als es diesem gelang, den Führer der Transportschiffe durch
Bestechung zum Verrat zu veranlassen, nahte die Stunde der
Entscheidung. Vergeblich war, daß es Tejas gelang, die
Höhen des dein Vesuv gegenüberliegenden MUchberges zu
gewinnen. Rings eingeschlossen, ohne Zufuhr von Lebens-
mitteln und Wasser, mußte er sich zur Ergebung oder znm
Verzweiflungskampfe entschließen. Er wählte dao letztere.
An der Spitze seines Schlachtkeils drang er auf die über-
mächtigen Feinde ein, an Tapferkeit und Todesmut allen
seinen Mannen voranleuchtcnd. Zahllose Wurfgeschosse wurden
Eine dramatische Ausführung auf Aava. (S. 9)
dergleichen, mit denen man auf Reisen zusammentrifft,
wurde er schnell bekannt. War er wieder in Berlin,
so stellte er seine derartigen Bekanntschaften nicht unter
den Scheffel. Er war wegen seiner imponierenden Be-
kanntschaften in seinen Kreisen geradezu berühmt.
Westheim war kurz zuvor nach Hause gekommen.
„Schlechtes Wetter heute, Herr Geheimrat," hatte er
ihm durch die Thür zugerufen, dann trat er herein,
nur um dem Herrn Geheimrat eine merkwürdige Mu-
schel zu zeigen, die er heute gefunden hatte, und so
war er dageblieben.
„Guten Morgen, Herr Baron! Morgen, gnädige
Frau!" Westheim verneigte sich tief. Dann aber er-
klärte er, nun Toilette machen zu müssen, und em-
pfahl sich.
lächelnd, als Ottilie auf sie zueilte und dann zweifelnd
vor ihr stehen blieb.
„Jetzt erkenne ich dich," rief Ottilie herzlich erfreut.
Sie umarmten sich beide und küßten sich.
Miß Cookson war eine Dame von ebenmäßiger,
schlanker Gestalt. Ihr Gesicht war weder hübsch noch
häßlich zu nennen. Es war ein Gesicht, das man
übersah oder doch, wenn man es bemerkte, in der
nächsten Viertelstunde wieder vergessen hatte. Dabei
hatte es einen abweisenden Zug von Nüchternheit, den
Ausdruck einer Gouvernante, einer Diakonissin. Nur
ein Paar unbestreitbar hübsche braune Augen, und
zwei Reihen kräftiger, schöner, weißer Zähne gaben
ihm etwas Wohlgefälliges. Unter dein schlichten, fast
zu schlichten Hütchen quoll das dichte, kastanienbraune
Haar hervor. So schlicht und unscheinbar wie das
Hütchen war auch ihre übrige Toilette. In der einen
Hand hielt sie eine kleine Reisetasche. Man hätte sie
in der That für eine reisende Gouvernante oder Lehrerin
halten können.
- „Ein aufdringlicher Mensch!" sagte Herwarth, „das
beste wäre, in einem Hause ganz allein zu wohnen!"
Aber der Geheimrat nahm Westheim in Schutz.
Westheim wollte mit ihm, wenn er allein war, Pikett
spielen. Ein so guter Mensch fand sich nicht bald
wieder.
Das Wetter wurde am Nachmittag nicht besser.
Herwarth und Ottilie gingen wieder an den Strand.
In der sechsten Stunde sah man fern nm Horizont
von Nordwest her einen dunklen Fleck.
„Die ,CobraU" ging es durch die ganze Trampel-
bahn, wie der Brettersteg am Strande scherzweise hieß.
Immer deutlicher war das Schiff zu sehen, endlich
unterschied man auch den feinen Rauch. Es schlingerte
und rollte fürchterlich. Vorder- und Hinterteil waren
zuweilen vom Wasser ganz verdeckt. ° Nach zwanzig
Mjug dcr Goten noch der Schlacht am Vesuv.
(Siche daS Bild auf Seile 16 und 17.)
/<üiner der packendsten Akte aus dem gewaltigen Völker-
ivanderungsdrama ist die Errichtung und der Sturz des
Ostgotenreiches, voll der spannendsten Wechselfalle und Ver-
wickelungen und einem Schluß von erschütternder Tragik.
Im Jahre 488 überschritten die Ostgoten unter ihrem Könige
Theodorich die julischen Alpen, 493 hatten sie ganz Italien
erobert, und Theodorich wurde vom oströmischen Kaiser als Herr-
scher Italiens anerkannt. Bald schlossen sich dem auch im Innern
vortrefflich verwalteten Reiche andere germanische Völker an;
die Vandalen traten Sizilien ab, im Nordosten bis zur Donau
stellten sich die Heruler, in den Alpen die Alemannen unter
seinen Schutz. 507 vereinigte Theodorich die Provence mit
seinem Reiche. Aber nach dem 526 erfolgten Tode des weisen
und kräftigen Theodorich ging das Ostgotenreich infolge des
Neligionshasses zwischen den katholischen Römern und den
arianischen (Koten so schnell zu Grunde, wie es entstanden
war. Der oströmische Kaiser Justinian machte sich die inneren
Zwistigkeiten zu nutze, und sein Feldherr Belisar zog sieg-
reich durch ganz Italien, von den Römern als Befreier be-
grüßt. Aber noch einmal rafften sich die Goten unter ihrem
Könige Totilas zusammen, der 546 Rom wiedereroberte, 549
auch Sizilien, Sardinien und Korsika wieder in seine Gewalt
LM I.
Minuten war es wieder aus dem Gesichtskreise ver-
schwunden.
„In einer Stunde kommt der Zug," sagte Ottilie,
„nun bin ich neugierig, ob sie mitgekommen sein wird
oder nicht,"
Der Bahnhof war, als der Schiffszug eintraf,
ganz leer. Niemand hatte diesmal jemand zu erwarten.
Nur die Hoteldiener und Gepäckträger standen gewohn-
heitsmäßig hernm. Auch der Zug schien ganz leer.
An den Fenstern zeigte sich nicht ein einziges Ge-
sicht.
„Sie ist nicht gekommen," sagte Ottilie.
Da sah man aus dem letzten Wagen eine Gestalt
heraussteigen, eine einzelne Dame. Sie war in dem
ganzen Zuge der einzige Passagier.
„Ottilie, ich bin es — Bell," sagte die Dame
brachte. Nun rüstete Justiuiau ein neues Heer auS, das
unter dem Oberbefehl des Nnrses von Dalmatien aus in
Oberitalien einbrnch. Totilas fiel in der Schlacht bei Tagiua,
in der die Goten geschlagen wurden. Während Narses Nom
eroberte, erhoben die Goten in Pavia den Tejas auf den
Königsschild. Die kurze Laufbahn dieses Germanenfürsten,
sein Verzweiflungskampf nm Vesuv und sein Tod mutet uns
an wie ein Heldengedicht. Mit erstaunlicher Kühnheit drang
er mit einem kleinen Heere von Norden durch ganz Italien
nach Campanien vor, um seinen Bruder Aligeru, der nn
alten Eumä von Narses belagert wurde, zu entsetzen, und
schlug am Fuße des Vesuvs, am Ufer des Sarnus sein Lager
aus. .Eier kämpften die Goten, von einer großen Uebermacht
bedrängt, aber von der See her mit Nahrungsmitteln ver-
sehen, sechzig Tage lang gegen dao Heer des Narses. Erst
als es diesem gelang, den Führer der Transportschiffe durch
Bestechung zum Verrat zu veranlassen, nahte die Stunde der
Entscheidung. Vergeblich war, daß es Tejas gelang, die
Höhen des dein Vesuv gegenüberliegenden MUchberges zu
gewinnen. Rings eingeschlossen, ohne Zufuhr von Lebens-
mitteln und Wasser, mußte er sich zur Ergebung oder znm
Verzweiflungskampfe entschließen. Er wählte dao letztere.
An der Spitze seines Schlachtkeils drang er auf die über-
mächtigen Feinde ein, an Tapferkeit und Todesmut allen
seinen Mannen voranleuchtcnd. Zahllose Wurfgeschosse wurden
Eine dramatische Ausführung auf Aava. (S. 9)