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Heft 24 Illustrierte Famitien-Deitung. Iahrg mi.


Itl letzter Stitude.
Komair von Henriette v. Meerheintb.
(evrlsLhmig.-
!
_ <Nild-ckv-l>! )
aby warf sich erst ruhelos lange hin
und her, und als es
endlich im Hotel we-
nigstens stiller wurde,
ließen ihre erregten
Gedanken sie nicht
schlafen. Sie kam seit ihrer Hochzeit
zu keiner Minute ruhigen Nachdenkens
mehr. Das so gänzlich veränderte
Leben verwirrte und betäubte sie fast.
Sie, die nur ländliche Stille kannte,
vermochte all die neuen Eindrücke
kaum zu bewältigen. Es wirrte sich
alles zusammen. Die Bilder ihrer
Hochzeitsreise zogen an ihr vorüber,
ein Kaleidoskop von eleganten Re-
staurants, Austernkellern, von Schau-
fenstern, Theaterstücken, mit ihr oft
gänzlich unverständlichen Witzen und
Anspielungen. Horst schien dies alles
auch kaum zu amüsieren. Kein Wun-
der, er kannte ja so viel Schöneres,
Interessanteres . . . Sie seufzte ein
bißchen, als sie sich eingestand, daß
sie ihm in den letzten Tagen öfters
abgespannte Langeweile deutlich ansah.
Auf der Hochzeitsreise sich langwei-
len! War das denkbar? Ilse und
Helene schwärmten noch immer von
der ihren als van der schönsten Zeit
ihres Lebens. Freilich, sie gingen
ins Gebirge; die jungen Männer
kannten die herrlichen Gegenden auch
noch nicht, sie genossen daher alles
zusammen frisch und ursprünglich zum
erstenmal.
Wie undankbar sie aber war;
alle ihre heißesten Wünsche hatten sich
erfüllt, und sie war doch nicht so
unaussprechlich selig, wie sie es er-
träumt hatte. Etwas Dunkles, Un-
greifbares stieg in ihrer Seele auf;
ein Schatten, ein Phantom. Wenn
sie es festhalten wollte, entwich es und
beunruhigte sie trotzdem.
Alles Hirngespinste! Morgen
früh wird sie darüber lachen! Sie
hat seine Liebe, was will sie mehr?
Da ist er wieder, der nebel-
hafte Schatten, der seltsame Zweifel;
das Wort „Liebe" rief ihn hervor
vom Grunde ihres ängstlich klopfen-
den Herzens.
Horst ist so ungleich, so wechselnd.

! Einmal stürmisch leidenschaftlich, daß sie fast unter
seinen Küssen erstickt, bald darauf kalt, beinahe ver-
drossen. Schon in diesen wenigen Tagen ist ihr der
rasche Umschwung seiner Stimmung sehr genau bekannt
geworden. Sie sieht schon ängstlich in sein Gesicht,
ob der ironische oder ermüdete Ausdruck nicht erscheint;
sie fürchtet die Falte, die sich so leicht auf seiner Stirn
zusammenzieht, den ungeduldigen Ton seiner Stimme,
mit dem er irgend eine ihm lästige Frage beant-
wortet.

Es ist gewiß alles ganz natürlich! Sie sind sich
doch noch fremd; sie wird es mit der Zeit besser-
lernen, ihn zu verstehen. Er wird dann auch gewiß
ihre Bitte erfüllen und keine Nennen reiten.
Wenn sie nur Mutti fragen könnte, wie sie es
machen soll, das zu hindern? Aber darf sie die Mutter
um Rat fragen in einer Sache, die Horst allein an-
geht? So viel kennt sie ihn schon, daß er das nicht
gerne sehen würde.
Wie soll sie aber leben ohne Muttis Rat in allen
Dingen?
Baby drückte plötzlich ihr Gesicht
tief in die Kissen und brach in heiße
Thränen aus.
Mutti war sehr weit, und sie so
ganz allein augenblicklich. Es war
gewiß recht kindisch und thöricht; man
ist aber eben noch nicht sehr weise
mit neunzehn Jahren, selbst wenn
man schon sechs ganze Tage ver-
heiratet ist! — —
Königseck hielt Wort. Er kam in der
That sehr früh gegen Morgen zurück.
Baby schlief trotz ihres Kummers
fest. Das war um so besser, als
der junge Gatte äußerst verstimmt
heimkehrte. Der Abend war zwar sehr-
lustig, aber sür ihn recht teuer ge-
wesen. Wer heißt auch jemand auf
der Hochzeitsreise zu spielen!
„Glück in der Liebe — Unglück
im Spiel", sagt ein bewährtes Sprich-
wort.
Die Summe, in: Vergleich gegen
frühere, bei ähnlichen Gelegenheiten
verlorene, eine Kleinigkeit, fiel den-
noch, wenn man von Schwiegereltern
abhängt, die das Geld für die Hoch-
zeitsreise nur sparsam bemessen,
immerhin ins Gewicht.
Seine üble Laune hielt noch an,
als er ziemlich spät am anderen
Morgen nut seiner jungen Frau
unten in: Speisesaal an einem aparten
Tischchen Kaffee trank. Baby merkte
seine Reizbarkeit sehr wohl. Er gab
sich auch nicht gerade viel Mühe, sie
zu verbergen. Es ärgerte ihn alles;
die laut sprechenden Menschen im
Nebenzimmer, ein lesender Englän-
der, der in der Fensternische mit der
Zeitung knitterte; vor allem ein
junger Herr am Tische gegenüber, der
sich in den Zähnen stocherte und unab-
lässig zu ihnen herüber starrte.
„Es ist unerträglich !" sagte Königs-
eck, seine Tasse zurückschiebend. „Das
Leben in großen Hotels — einfach
odiös. Schon am frühen Morgen
muß man sich über all die unaus-
stehlichen Menschen, die widerwärtigen
Kellnervifagen ärgern! Wie wäre es,
wenn wir noch heute abreisten?"


Auf dem Heimwege. Nach einem Gemälde von N. Falkenberg.
 
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