M 2.
3.
Die Familie des Oberstabsarztes hatte in dem
neuen Heim in Friedrichshafen Einzug gehalten und
alle Hände voll zu thun, um vor der einbrechenden
Nächstwenigstens mit der Aufstellung der Möbel fertig
zu werden. Die Arbeit dauerte bis in den späten
Abend hinein. Stella war eben auf dem Gange draußen
damit beschäftigt, die Kisten mit den Küchengeräten
auszupacken, damit das Frühstück morgen bereitet wer-
den könne, als plötzlich ein seltsamer Ton an ihr Ohr-
drang. Ein halberstickter Klagelaut, ein schwaches Auf-
wimmern in Qual und Schmerz.
Sie horchte auf, hob das Licht empor und spähte
in die Dunkelheit hinein.
Nach einer Weile hörte sie es wieder — ein geister-
haftes Wimmern, wie aus dem Boden dringend.
Entschlossen ging sie dem merkwürdigen Schalle nach
und stand nach einigen Schritten im Hintergrund des
Korridors vor einer großen deckellosen Kiste, die mit
Läufern und Teppichen, alten Zeitungen und Klein-
Das Buch für Alle.
kram angefüllt war. Und ja, ganz sicher: da heraus
war es gekommen!
Stella begann die Kiste auszupacken. Fast auf dem
Boden unten, zwischen Teppichen und Decken förmlich
eingegraben, lag eine große schwarze Katze.
Wie kam das Tier nur da herein? Und wie es
aussah! Apathisch lag es da, dem Anschein nach von
Schmerzen gepeinigt, die ihm keine Bewegung erlaubten.
Was war ihm nur geschehen?
Ein paar Sekunden lang verharrte Stella unschlüssig.
Dann siegte das Mitleid in ihr. Sie legte ihre warme
weiche Hand vorsichtig auf den breiten Kopf der Katze
und streichelte sie.
Das Tier duldete es und nun nahm Stella es
heraus und auf den Arm. Dabei gewahrte sie, daß
die Katze ein schmales, seingliedriges Silberkettchen
mit kleinem rundem Anhängsel um den Hals hatte.
Auf letzterem war das Datum 8. 4. 88, sowie der
Name Gabriele Graselli eingraviert.
Jedenfalls war das die Besitzerin des Tieres.
Dann untersuchte sie den vierfüßigen Findling, der
53
ihr auf so rätselhafte Weise ins Haus hereingeschneit
war. Die Ursache seiner Schmerzen war bald gefun-
den: sie sah eine blutende Wunde, einen tiefen Riß
im Fleisch, und die eine Vorderpfote war gebrochen.
Der richtige Zusammenhang dämmerte Stella auf.
Wahrscheinlich war die Katze bei einem Sprung,
vielleicht auch einem Wurf aus der Höhe zu Schaden
gekommen. Und just auf den vorüberfahrenden, dem
Möbelwagen angehängten offenen Karren war sie hin-
gefallen. Aus einer der Kisten mußte ein Nagel her-
vorgeragt haben, daran hatte sie sich gerissen, und bei
dem harten Anprall an die scharfen Kanten hatte gleich-
zeitig der Fußknochen den Bruch erlitten. Dann war
das arme Tier in die offene Teppichkiste gekrochen, um
sich zu verbergen.
Mit beschwichtigenden Worten streichelte Stella noch-
mals liebkosend das herrliche Fell der Katze, legte sie
dann auf ein Kifsen, und ging damit zur Mutter in
die Küche.
„Schau nur, Mama, was ich da bringe. Einen
Patienten."
ZZkick auf Peking vom tzhien-Wen-Hhore. (S. 54)
Frau Hochstätter war ein wenig überrascht, suchte
dann aber schnell Verbandzeug hervor und legte der
stütze um das gebrochene Bein einen festen Verband an.
Für das Tier ging es dabei nicht ohne neue heftige
Schmerzen ab, uno iMgflch ll'U' st'-r Wimmern; es
ließ aber — instinktmäßig erfassens Mß man es mit
ihm gut meinte - alles mit sich geschehen.
Stella zeigte der Mutter den seltsamen Halsschmuck.
„Es muß aus guten Händen kommen," sagte sie dabei.
„Nicht wahr, Mama, wir behalten es, bis die Be-
sitzerin sich meldet?"
„Gewiß, mein Kind," entgegnete die Mutter in
einem Tone, der bekundete, daß auch sie das selbstver-
ständlich sand.
Der Oberstabsarzt zeigte sich über den vierfüßigen
Zuwachs nicht sonderlich entzückt. Doch ließ er sich
schließlich zu dem Zugeständnis herbei, einige Tage zu
warten, ob die Eigentümerin ihren schwarzen Liebling
zurückfordern würde; wenn nicht, dann wollte er selbst
m den Blättern anzeigen, daß bei ihnen ein schwarzer
Ka-er abzubolen sei. Bliebe wider Erwarten auch das
' Erfolg, dann — na ja, dann möge der schwarze
Kerl in "Kuckucks Namen dableiben! — —
. Vier Tage später — in: neuen Heim herrschte be-
icits volle Ordnunö. und die Katze, deren wundes
Bem in guter Heist a begriffen war, hatte sich in-
zwischen so sehr a ,u Wohlthäterin gewöhnt,
daß sie derselben immer unter kräftigem Schnurren aus
de;n Schoße liegen wollte — vierxTage später standen
in den hauptstädtischen Tagesblättern Aufrufe zu lesen,
die dein Wiederbringer eines entlaufenen schwarzen
Katers mit silberner Halskette, worauf der Name der
jüngsthin unter eigenartigen Umständen verstorbenen
st Besitzerin des Tieres stehe, eine Belohnung von fünfzig
Musts ''«sagten, zahlbar durch die Behörde, von w-lcher
dieser Aufruf erlassen war.
Und Tags dnkstus - der -st - ^>xzr hatte sich
persönlich zu Gericht öcfstebe,^ selbstverständ-
licher Verzichtleistung auf oie ausgeschriebene Belohnung
zu melden, daß der gesuchte Kater sich bei ihm be-
finde — wurde ihm dort ernsthaft die Frage gestellt,
ob er und seine Angehörigen geneigt seien, diese ihnen
unter so sonderbaren Umständen ins Haus geratene Katze
dauernd zu behalten und sorgsam zu pflegen. Hoch-
stätter bejahte mit dem Hinweis auf die barmherzige
Handlungsweise seiner Tochter dem schwerverletzten
Tier gegenüber.
Und nun wurde ihm eine Mitteilung gemacht,
die wie ein Märchen klang.
Laut Testament hatte die verstorbene Besitzerin
des Katers Luzifer ihren ganzen Besitzstand im Bar-
betrage von fllnfundachtzigtausend Mark ungeschmälert
jener Person vermacht, die nach ihrem Tode besagten
' Kater zu sich nehmen und ihn mit wirklicher Zuneigung
pflegen wolle bis an das hoffentlich noch lange Jahre
ausstehende Ende dieses Tieres. Es müsse aber die
betreffende Person sich ohne vorherige Kenntnis dieser
letztwilligen Verfügung zur Aufnahme der Katze bereit
erklärt und auch om Beweis erbracht haben, daß Lu-
zifer sich ' ' ' nde wie bei seiner ersten
Herrin. st' eT sich den Beweis
-stuvn umst^ngungsträftig erbnst^fl M lassen. — —
Eine Srunöe später kam der Ober^bM in einer
seltsamen Aufregung heim. Frau und To^rest^^"^»
ihn teils staunend, teils erschrocken an.
„Ja, was ist denn nur, Papa?"
„Kind," rief er und zog sein schönes Töchterlein
voll Innigkeit an die Brust, und alles, was in ihm
gärte und stürmte, rang sich ihm unbewußt in den
bekannten Dichterworten aus seinem Inneren los:
„Aus den Wolken muß es fallen,
Aus der Götter Schoß das Glück!"
verstehst du's, Kind? Die Zeit der Wunder ist noch
nicht vorbei, und du kannst nun doch deinen Georg
haben!"
Sechs Wochen später — zu einer Zeit, da Luzifer,
dank Stellas sorgfältiger Pflege, von seinem Beinbruch
glücklich geheilt war — wurde ihr nach Erledigung
aller vorgeschriebenen Formalitäten vom Gericht die
3.
Die Familie des Oberstabsarztes hatte in dem
neuen Heim in Friedrichshafen Einzug gehalten und
alle Hände voll zu thun, um vor der einbrechenden
Nächstwenigstens mit der Aufstellung der Möbel fertig
zu werden. Die Arbeit dauerte bis in den späten
Abend hinein. Stella war eben auf dem Gange draußen
damit beschäftigt, die Kisten mit den Küchengeräten
auszupacken, damit das Frühstück morgen bereitet wer-
den könne, als plötzlich ein seltsamer Ton an ihr Ohr-
drang. Ein halberstickter Klagelaut, ein schwaches Auf-
wimmern in Qual und Schmerz.
Sie horchte auf, hob das Licht empor und spähte
in die Dunkelheit hinein.
Nach einer Weile hörte sie es wieder — ein geister-
haftes Wimmern, wie aus dem Boden dringend.
Entschlossen ging sie dem merkwürdigen Schalle nach
und stand nach einigen Schritten im Hintergrund des
Korridors vor einer großen deckellosen Kiste, die mit
Läufern und Teppichen, alten Zeitungen und Klein-
Das Buch für Alle.
kram angefüllt war. Und ja, ganz sicher: da heraus
war es gekommen!
Stella begann die Kiste auszupacken. Fast auf dem
Boden unten, zwischen Teppichen und Decken förmlich
eingegraben, lag eine große schwarze Katze.
Wie kam das Tier nur da herein? Und wie es
aussah! Apathisch lag es da, dem Anschein nach von
Schmerzen gepeinigt, die ihm keine Bewegung erlaubten.
Was war ihm nur geschehen?
Ein paar Sekunden lang verharrte Stella unschlüssig.
Dann siegte das Mitleid in ihr. Sie legte ihre warme
weiche Hand vorsichtig auf den breiten Kopf der Katze
und streichelte sie.
Das Tier duldete es und nun nahm Stella es
heraus und auf den Arm. Dabei gewahrte sie, daß
die Katze ein schmales, seingliedriges Silberkettchen
mit kleinem rundem Anhängsel um den Hals hatte.
Auf letzterem war das Datum 8. 4. 88, sowie der
Name Gabriele Graselli eingraviert.
Jedenfalls war das die Besitzerin des Tieres.
Dann untersuchte sie den vierfüßigen Findling, der
53
ihr auf so rätselhafte Weise ins Haus hereingeschneit
war. Die Ursache seiner Schmerzen war bald gefun-
den: sie sah eine blutende Wunde, einen tiefen Riß
im Fleisch, und die eine Vorderpfote war gebrochen.
Der richtige Zusammenhang dämmerte Stella auf.
Wahrscheinlich war die Katze bei einem Sprung,
vielleicht auch einem Wurf aus der Höhe zu Schaden
gekommen. Und just auf den vorüberfahrenden, dem
Möbelwagen angehängten offenen Karren war sie hin-
gefallen. Aus einer der Kisten mußte ein Nagel her-
vorgeragt haben, daran hatte sie sich gerissen, und bei
dem harten Anprall an die scharfen Kanten hatte gleich-
zeitig der Fußknochen den Bruch erlitten. Dann war
das arme Tier in die offene Teppichkiste gekrochen, um
sich zu verbergen.
Mit beschwichtigenden Worten streichelte Stella noch-
mals liebkosend das herrliche Fell der Katze, legte sie
dann auf ein Kifsen, und ging damit zur Mutter in
die Küche.
„Schau nur, Mama, was ich da bringe. Einen
Patienten."
ZZkick auf Peking vom tzhien-Wen-Hhore. (S. 54)
Frau Hochstätter war ein wenig überrascht, suchte
dann aber schnell Verbandzeug hervor und legte der
stütze um das gebrochene Bein einen festen Verband an.
Für das Tier ging es dabei nicht ohne neue heftige
Schmerzen ab, uno iMgflch ll'U' st'-r Wimmern; es
ließ aber — instinktmäßig erfassens Mß man es mit
ihm gut meinte - alles mit sich geschehen.
Stella zeigte der Mutter den seltsamen Halsschmuck.
„Es muß aus guten Händen kommen," sagte sie dabei.
„Nicht wahr, Mama, wir behalten es, bis die Be-
sitzerin sich meldet?"
„Gewiß, mein Kind," entgegnete die Mutter in
einem Tone, der bekundete, daß auch sie das selbstver-
ständlich sand.
Der Oberstabsarzt zeigte sich über den vierfüßigen
Zuwachs nicht sonderlich entzückt. Doch ließ er sich
schließlich zu dem Zugeständnis herbei, einige Tage zu
warten, ob die Eigentümerin ihren schwarzen Liebling
zurückfordern würde; wenn nicht, dann wollte er selbst
m den Blättern anzeigen, daß bei ihnen ein schwarzer
Ka-er abzubolen sei. Bliebe wider Erwarten auch das
' Erfolg, dann — na ja, dann möge der schwarze
Kerl in "Kuckucks Namen dableiben! — —
. Vier Tage später — in: neuen Heim herrschte be-
icits volle Ordnunö. und die Katze, deren wundes
Bem in guter Heist a begriffen war, hatte sich in-
zwischen so sehr a ,u Wohlthäterin gewöhnt,
daß sie derselben immer unter kräftigem Schnurren aus
de;n Schoße liegen wollte — vierxTage später standen
in den hauptstädtischen Tagesblättern Aufrufe zu lesen,
die dein Wiederbringer eines entlaufenen schwarzen
Katers mit silberner Halskette, worauf der Name der
jüngsthin unter eigenartigen Umständen verstorbenen
st Besitzerin des Tieres stehe, eine Belohnung von fünfzig
Musts ''«sagten, zahlbar durch die Behörde, von w-lcher
dieser Aufruf erlassen war.
Und Tags dnkstus - der -st - ^>xzr hatte sich
persönlich zu Gericht öcfstebe,^ selbstverständ-
licher Verzichtleistung auf oie ausgeschriebene Belohnung
zu melden, daß der gesuchte Kater sich bei ihm be-
finde — wurde ihm dort ernsthaft die Frage gestellt,
ob er und seine Angehörigen geneigt seien, diese ihnen
unter so sonderbaren Umständen ins Haus geratene Katze
dauernd zu behalten und sorgsam zu pflegen. Hoch-
stätter bejahte mit dem Hinweis auf die barmherzige
Handlungsweise seiner Tochter dem schwerverletzten
Tier gegenüber.
Und nun wurde ihm eine Mitteilung gemacht,
die wie ein Märchen klang.
Laut Testament hatte die verstorbene Besitzerin
des Katers Luzifer ihren ganzen Besitzstand im Bar-
betrage von fllnfundachtzigtausend Mark ungeschmälert
jener Person vermacht, die nach ihrem Tode besagten
' Kater zu sich nehmen und ihn mit wirklicher Zuneigung
pflegen wolle bis an das hoffentlich noch lange Jahre
ausstehende Ende dieses Tieres. Es müsse aber die
betreffende Person sich ohne vorherige Kenntnis dieser
letztwilligen Verfügung zur Aufnahme der Katze bereit
erklärt und auch om Beweis erbracht haben, daß Lu-
zifer sich ' ' ' nde wie bei seiner ersten
Herrin. st' eT sich den Beweis
-stuvn umst^ngungsträftig erbnst^fl M lassen. — —
Eine Srunöe später kam der Ober^bM in einer
seltsamen Aufregung heim. Frau und To^rest^^"^»
ihn teils staunend, teils erschrocken an.
„Ja, was ist denn nur, Papa?"
„Kind," rief er und zog sein schönes Töchterlein
voll Innigkeit an die Brust, und alles, was in ihm
gärte und stürmte, rang sich ihm unbewußt in den
bekannten Dichterworten aus seinem Inneren los:
„Aus den Wolken muß es fallen,
Aus der Götter Schoß das Glück!"
verstehst du's, Kind? Die Zeit der Wunder ist noch
nicht vorbei, und du kannst nun doch deinen Georg
haben!"
Sechs Wochen später — zu einer Zeit, da Luzifer,
dank Stellas sorgfältiger Pflege, von seinem Beinbruch
glücklich geheilt war — wurde ihr nach Erledigung
aller vorgeschriebenen Formalitäten vom Gericht die