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Heft 4.

Das Buch für Alle.

Anspruch nehmen muß, so frei sein, Sie zu benach-
richtigen. Hoffen nur, baß das nicht der Fall sein
mird."
Damit verbeugten sich die Herren gegenseitig höf-
lich, gaben sich freundlich wie alte Bekannte die Hand,
worauf der Arzt fortging, um seine Zeugengebühren
in Empfang zu nehmen.
Nachdem er fort war, setzte sich der Staatsanwalt
zunächst an seinen Arbeitstisch, um, ehe er die übrigen
Vernehinungen machte, sich aus den Akten die Punkte
zusammenzustellen, auf die es bei seiner Untersuchung
besonders ankam. Allein kaum hatte er sich nieder-
gesetzt, als die Thür ziemlich hastig aufgerissen wurde
und mit allen Zeichen höchster Aufregung der Marchese
de Nossi hereinstürmte.
„Mein Gott, Herr Staatsanwalt," rief er erregt,
„sagen Sie mir, um was es sich handelt. Ich —"
Erstaunt sah ihn der Proeuratore an. „Wer sind
Sie?" fragte er, ihn unterbrechend.
„Ich bin der Marchese Nodolso de Nossi," ant-
wortete Nodolfo noch immer in fliegender Aufregung,
„Sie haben mich aus dein Bett holen lassen, und der
Bote, der mir sagte, daß ich mich Ihnen sofort zur
Verfügung stellen müßte, erzählte, daß es sich um eine
Befragung in einer Mordsache handelte. Stellen Sie


Hnzeadinrrak HUüoüri HllariorlowUsll) Slrrydldiv I,

sich meinen Schreck vor! Wie komme ich zu einein
Mord? Was habe ich damit zu schaffen? Ich habe
in meinem Leben noch keiner Fliege etwas zuleide ge-
than. Also sagen Sie mir, bitte, um was es sich
handelt."
„Gut, gut. Bitte, nehmen Sie Platz, Herr Mar-
chese."
„Aber -—"
„Ja doch, da Sie einmal hier sind, so wollen wir
die Sache gleich erledigen. Bitte, setzen Cie sich. Sie
wissen also, wie es scheint, noch nicht, daß man heute
nacht den Eommendatore NigheUi in seiner Wohnung
tot aufgefunden hat?"
Sofort sprang der Marchesino mit allen Zeichen
des Schreckens wieder von seinem Sitz auf und wollte
etwas sagen. Aber die Sprache versagte ihm in der
ersten Erregung. Erst nach einem kurzen, hastigen
Schlucken und Würgen preßte er mühsam hervor:
„Tot aufgefunden! Den Eommendatore Righetti—- —
so sagten Sie? Sagten Sie nicht so, Herr Staats-
anwalt?"
„Ja, sa, es ist, wie ich Ihnen sage, Herr Marchese.
Eommendatore Righetti ist tot."
„Ach, er war keinem ein so lieber und liebevoller
Freund als nur!" schrie der Marchese im Uebermaß
des Schmerzes und schlug die Hand vor die Augen,
um seine Thränen zu verbergen.
Der Staatsanwalt ließ ihm einige Augenblicke
Zeit, um seiner Erregung Herr werden zu können.
Dann fuhr er fort: „Leider ist es zu unser aller
Schmerz so, wie ich Ihnen sage. Der Eommendatore
ist heute nacht kurz vor ein Uhr von seiner Tochter
Giovanna, die aus dem Theater kam, mit einein Schuß
durchs linke Ohr tot aufgefunden worden."
„Gräßlich, gräßlich," stöhnte der Marchesino ent-
setzt dazwischen, „arme Giovanna. Und ich war dir
in so schwerer Stunde fern!"
„Es bleibt uns nichts anderes übrig, als die näheren
Umstände dieses Todesfalles klar zu legen," vollendete
der Staatsanwalt seinen Satz.
„Mit einem Schuß im Ohr? Aber wer kann "
„Eben um das handelt es sich. Sie waren einer

der wenigen, die noch kurz vor seinem Ende mit den:
Eommendatore gesprochen haben. Erzählen Sie mir
davon, Herr Marchese. Wie fanden Sie ihn? Es
besteht die Vermutung, daß sich Righetti in einem An-


Mzeadmirak Edouard D'oltier,

fall von Schwermut selbst ein Leid angethan haben
könnte. Sagen Sie mir also, ob Sie das nach den
letzten Eindrücken, die Sie von ihm erhalten haben,
für möglich halten."
Der Marchesino seufzte herzbrechend auf, fuhr
einigemal mit dem Taschentuch über die Augen und
antwortete endlich mit schmerzlich zuckenden Lippen:
„Mein armer, armer Freund! Ja, er war wirklich
manchmal recht lebensmüde und besonders am gestrigen
Abend wollte es mir scheinen, als ob eine tiefe Me-
lancholie sein Gemüt verdüstere."
„So, so," unterbrach ihn der Staatsanwalt hastig.
„Sie meinen also, es wäre wohl möglich, Righetti
habe in einen, Anfall von Schwermut den verhängnis-
vollen Schuß selbst abgegeben?"
„Ach! Hätte er es nicht gethan. Aber nach der
schrecklichen Nachricht bleibt ja fast gar keine andere
Annahme übrig."
„Gut, gut! Sie fanden also Righetti gestern abend
ungewöhnlich schwermütig —"
„Ungemein melancholisch. Ich weiß nicht, ob Sie
missen, Herr Staatsanwalt, daß ich mit Giovanna
schon seit einiger Zeit heimlich verlobt bin. Es war
natürlich unser beider dringender Wunsch, dieses Ver-
löbnis bekannt zu geben, und ich sprach davon gestern
abend mit dem Eommendatore. Da antwortete er —
ich entsinne mich noch genau der Worte und des
Tones, als ob ich sie jetzt noch hörte — mit einer so
weichen, wehmütigen Stimme: „Aber, lieber Freund,
warten Sie doch noch ein paar Tage. Wer weiß, wie
bald Giovanna machen kann, was sie null!" So,
Herr Staatsanwalt, mit diesen Worten antwortete er
mir. Sie klingen noch in meinem Ohr. Hätte ich
ahnen tonnen, welche Bedeutung sie erhalten sollten!"
„Gut, gut, nur wollen das gleich zu Protokoll
nehmen! -— Nun sagen Sie mir, Herr Marchese,
wann Sie Righetti verlassen haben."
„Je nun, das mag etwa um neun Uhr gewesen
sein oder eine halbe Stunde früher oder später, das
weiß ich nicht mehr genau."
„Es scheint, als wenn gestern abend niemand im
Palazzo Righetti gewußt hat, welche Zeit es ist.
Können Sie denn wirklich nicht einigermaßen genau
angeben, wannSie den Eommendatoreverlassen haben?"
„Herr Staatsanwalt, Sie werden begreifen, daß
man bei solchen Unterredungen nicht besonders auf die
Zeit acht giebt. Ich weiß nur, daß ich vom Palazzo
Righetti direkt nach dein Teatro Costanzi gegangen bin.
Ich glaube, ich bin noch vor zehn Uhr dort gewesen,
wiewohl ich auch das nicht bestimmt behaupten kann."
„So? Sie sind, als Sie von Righetti kamen, in
das Theater gegangen?"
„Natürlich. Ich wußte, daß ich Giovanna dort
traf. Sie werden begreifen, daß es mich drängte, ihr
das Ergebnis meiner Unterredung mit ihrem Vater
mitzuteilen."
„Ah so, richtig. Ja natürlich, das ist ja erklärlich.
Und was dann weiter im Palazzo Righetti geschehen
ist, darüber wissen Sie nichts?"
„Natürlich nicht. Ich wußte ja noch nichts von der
schrecklichen Thatsache, als ich bei Ihnen eintrat."
„Ja. Nun noch eins, Herr Marchese. Es handelt
sich um die Waffe, aus der der Schuß abgegeben wor-

den ist, und die am Thatort gefunden wurde. Hier
ist sie, bitte, sehen Sie sich dieselbe an - - kennen Sie
die Waffe?"
Mit einer lästigen Bewegung nahm der Staats-
anwalt bei diesen Worten aus einer Schublade den
kleinen Revolver und hielt ihn dem Marchesino vors
Gesicht. Es war, als ob dieser etwas erschrecke.
Stechend scharf richteten sich seine Augen prüfend auf
den Staatsanwalt, wahrend sich die schmalen Lippen
fest aufeinander preßten.
„Nein!" sagte er dann rasch.
„Das ist doch zum Verzweifeln!" meinte Benti-
voglio unwirsch. „Kein Mensch weiß von dem Ding.
Besinnen Sie sich doch einmal, Herr Marchese. Sie
haben doch schon längeren Verkehr im Hause des Com-
mendatore. Haben Sie nie irgend etwas Verdächtiges
bei ihm gesehen?"
„Sie meinen früher?" fragte der Marchesino nach-
denklich.
„Zu irgend einer Zeit."
„Warten Sie. Ich besinne mich in der That auf
einen Abend während des vorigen Sommers, an dein
ich ziemlich rasch und unvermutet, ich weiß nicht mehr
welcher Ursache halber, in das Zimmer des Commen-
datore trat."


Kouteradmirak ZUidotf Graf Wontecuccoti drgli G-rrr-
Marchese di I^oUgnago,
dcr Obcrküttwmndant dcZ ösierrcichisch-unganichcu Gcjch'.vadcrZ in Oslasicn.
(S. 102)
„Nun?"
„Dabei erschien er nur so sonderbar verlegen und
suchte rasch einen kleinen, glitzernden Gegenstand zu
verstecken. Ich kann nicht behaupten, daß es dieser Re-
volver gewesen ist, denn der Gegenstand wurde rasch
in einen Schrank geworfen, wo ich ihn noch hart auf-
fallen hörte, und den der Eommendatore sofort ver-
schloß. Aber möglich, ich möchte fast sagen: wahr-
scheinlich ist es immerhin, daß es eine Waffe — diese
Waffe war, denn wozu hätte er sonst nötig gehabt,
den Gegenstand so verlegen zu verbergen?"
„Möglich, wahrscheinlich, aber doch keine bestimmte
Angabe. Ich muß eine bestimmte Angabe bezüglich
der Herkunft dieser Waffe haben."
„Wie wollen Sie diese erreichen? Zeigt Ihnen je-
mand, der sich hängen will, seinen Strick etwa vor-
her? Es liegt auf der Hand, daß der Eommendatore
diese Waffe 'ängstlich vor aller Welt verborgen hat.
Gerade das scheint mir für seinen Entschluß, sich da-
mit ein Leid anzuthun, zu sprechen."
Der Staatsanwalt sah einen Augenblick nachdenklich
vor sich hin.
„Null!" sagte er dann, „jedenfalls scheint Ihre
Aussage in dieser Hinsicht wichtig genug.. Was die
genaue Zeitangabe anlangt, so wird mir vielleicht
Morosi vollgültige und genaue Angaben machen können."
„Morosi?" fragte der Marchese rasch. „Unter-
suchungsrichter Morosi?"
„Ja, der nach Ihnen noch mit Righetti in einer-
amtlichen Sache gesprochen hat."
„Nach mir?" fragte der Marchesino nochmals.
Kaum war ihm die Frage entfahren, so hätte er sie
vielleicht lieber unterdrückt, aber sein Staunen und
seine Verwunderung darüber, daß Morosi nach ihm
noch mit Righetti verhandelt, war so groß, daß ihm
jene Worte unwillkürlich auf die Lippen traten.
Der Staaatsanwalt, der eben schrieb, hielt inne
und sah den Marchesino an. „Ja, nach Ihnen," sagte
er. „Was fällt Ihnen dabei auf?"
„O nichts, gewiß nichts, Herr Staatsanwalt. Nur
hm — das muß doch schon sehr spät gewesen sein."
„Na, das werden wir ja wohl von Morosi hören.
 
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