Hkst 4. _
schlichten amerikanischen Miß Cookson gehabt hatte,
und noch lange nachher machte er sich die bittersten
Vorwürfe, daß auch er sich von der unscheinbaren
Außenseite dieser Dame hatte täuschen lassen und seine
Chancen ihr gegenüber damals nicht besser wahrge-
nommen hatte. Sträflich vernachlässigt hatte er sie, statt
ihr gebührend den Hof zu machen. Wer weiß, wie dann
die Sache abgelaufen wäre! Unfehlbar Hütte sich Miß
Cookson statt in diesen Freiherrn in ihn selbst ver-
liebt. Dann wäre sie jetzt seine Frau und von i h m
— das stand sür Richard Westheim absolut fest —
hätte sie sich nicht scheiden lassen.
Aber war er ihr nicht vorgestellt? Er sah es des-
halb als sein gutes Recht an, nachdem er nun einmal
in New Jork war, Miß Cookson in Newport seins Vi-
site zu machen. Natürlich erkannte sie ihn zuerst nicht,
dann aber doch, und er war von der guten Laune,
mit der sie ihn aufnahm, geradezu entzückt. In Wahr-
heit, er amüsierte sich in diesem Lande großartig, und
unter den Damen in Newport machte er direkt, wie
das jedermann bezeugen konnte, Furore. Wenn Miß
Cookson, jetzige Freifrau v. Schöneck, erst geschieden
war, dann konnte er seine Chancen wieder aufnehmen,
dann trat er in die Arena. An das Gerücht, daß
ihr Vetter, Mr. Bennet, bessere Aussichten habe, daran
glaubte er schlechterdings nicht. Denn warum? Es
war in ganz Newport offenkundiges Geheimnis oder
genauer gesagt, Geheimnis war es überhaupt nicht,
denn man sprach ohne jede Verlegenheit davon, daß
Bennet seit ein paar Tagen verreist war in Gesell-
schaft einer Dame, einer unverheirateten jungen Dame,
in Gesellschaft von Fräulein Bessie Wellingford. Daß
nämlich ein junger Mann mit einem jungen Mädchen,
beide aus bester Klasse, tagelang einsame Landpartien
machte, auch das war in diesem amüsanten Lande ganz
unbefangene Sitte. Offenbar also stand Bennet mit
Fräulein Wellingford in nahen Beziehungen, woraus
hervorging, daß ihm, Richard Westheim, dieser junge
Mann in Bezug auf die Frau Baronin ganz unge-
fährlich war.
In der That, was hatte diese Reise von Fred
Bennet und Bessie Wellingford zu bedeuten? Wer in
Newport seine Liebe zu seiner Cousine kannte, wun-
derte sich darüber. Bessie Wellingford war allerdings
ein sehr hübsches Mädchen. Sie war jetzt einund-
zwanzig Jahre alt und lebte, gänzlich von ihrer Fa-
milie getrennt, in Bells Hause seit dem Beginn des
Sommers als Gast. Sie gehörte zu den amerikanischen
Mädchen, die nicht sentimental und die aus diesem
Grunde auch sür kein Familienleben eingenommen sind,
auch nicht für das im elterlichen Hause. Ihre Eltern
dachten allerdings ganz ebenso. So kam es, daß Bessie,
selbst wenn sie zum Beginn des Winters nach New
Pork zurückkehrte, ihre Mutter, die durch allerhand ge-
sellschaftliche Pflichten aufs äußerste in Anspruch ge-
nommen wurde, nur alle paar Wochen einmal sah,
dagegen ihren Vater, der Winter und Sommer von
früh bis abends in Wallstreet in seinem Comptoir saß,
um das nötige Geld zu verdienen, überhaupt niemals.
Dem entsprachen auch ihre Vorstellungen von ihrer
eigenen künftigen Ehe. Wozu mußte denn geheiratet
sein? Sah man nicht an dem Beispiel Bells, daß
dergleichen ganz unzweckmäßig ist? In Europa allen-
falls mochte die Ehe sür ein Mädchen noch ein er-
strebenswertes Ziel sein, denn in Europa, so hieß es,
genießt ein junges Mädchen keine gesellschaftliche Frei-
heit, keine Selbständigkeit, die erlangt es erst als ver-
heiratete Frau. Aber hier im lieben Vaterlande? Wenn
Bessie, die übrigens schon einigemal verlobt gewesen
war, in früheren Jahren an ihren künftigen Mann
dachte, der natürlich sehr reich sein mußte, so geschah
dies mit dein liebenswürdigen Wunsche, daß er so gut
sein möge, sie gleich nach der Trauung zu seiner Witwe
zu machen.
Um so mehr interessierte sich hingegen Fräulein Bessie
sür andere Dinge, zum Beispiel für Politik oder die
unter der New Porker Damenwelt so zahlreich auf-
tretenden Modeliebhabercien. Im übrigen war mit
Bessie seit den letzten Wochen eine große Veränderung
vorgegangen. Zum erstenmal in ihrem Leben war sie
verliebt. Und in wen? Eben in Fred Bennet. Sie
hatte es Bell anvertraut, und die Folge davon war,
daß Bell ihren Vetter veranlaßt hatte, diese Reise mit
ihr zu unternehmen.
Was Bell sür Gründe dazu hatte? Allerdings,
das wußten nur die ganz Eingeweihten. Sie erwiderte
nämlich die Liebe ihres Vetters jetzt so wenig wie
früher und wünschte, daß er sein Herz endlich einer-
anderen schenken möchte. Dazu war eine derartige
mehrtägige Landpartie die beste Gelegenheit.
Was Bell ihm befahl, das that Fred. Die Reise
war nach irgend einem Badeort gegangen. Seit heute,
seit einer halben Stunde waren sie nun wieder zurück.
Bessie hatte alle Ursache, mit dem Resultat ihrer Reise
sehr unzufrieden zu sein. Fred war natürlich sehr-
musterhaft, sehr zuvorkommend, sehr artig gewesen,
aber mehr auch nicht. Hart und kalt wie Stein war
er geblieben.
Das Buch für Alle.
Bell war, als man ankam, nicht zu Hause. Auch
auf ihrer Jacht war sie heute nicht. Robinson, der
schwarze Diener, sagte, daß sie ausgeritten sei.
Bessie hatte sich sofort, um Toilette zu machen,
auf ihr Zimmer verfügt, und Fred sich in feine Woh-
nung begeben, um dort gleichfalls seinen Anzug zu
wechseln. Als er eine halbe Stunde später in Bells
Haus eintrat, und ihm Robinson die Thür zum
Gartensalon öffnete, fand er dort, in den Anblick
eines Gemäldes von Meissonnier versunken, Mister
Hitchock.
Hitchock war Bells Rechtsanwalt. Es war schon
ein ziemlich alter Herr, seinem Wesen nach äußerst
schweigsam, dabei auch etwas knurrig und kurz ange-
bunden, was daher kam, daß er dank seiner erprobten
Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit eine sehr große Anzahl
Klienten besaß, die seine ganze Zeit in Anspruch nahmen.
Hitchock war gleichfalls erst soeben eingetrosfen. Er
kam von New Park und erwartete Bell.
Fred begrüßte ihn.
„Nun, wie steht die Sache?" fragte er dann un-
geduldig, womit er den Verlauf von Bells Scheidungs-
prozeß meinte. „Wie lange wird Bell noch zu warten
haben? Bringen Sie ihr eine gute Nachricht?"
Hitchock antwortete nicht, sondern vertiefte sich wie-
der in das Studium des Gemäldes.
Fred stampfte mit dem Fuße auf.
„Warum diese Verzögerung? Nach den Gesetzen
unseres Landes wäre Bell schon zehnmal frei. Was
haben wir uns hier um dieses Deutschland zu beküm-
mern?"
Seit Bells Heirat gehörte Fred zu der Klasse junger
Männer seines Landes, die England ihre Freundschaft
und Deutschland ihren Haß zukommen ließen. Nicht
nur der ganze Stolz, sondern auch der ganze Hochmut
des amerikanischen Bürgers steckte in ihm. Außerdem
war er Mitglied eines Klubs, in dein die chauvinistischen
Tendenzen ganz besonders stark kultiviert wurden. Es
war gerade um die Zeit, als die ersten Anzeichen des
Konflikts mit Spanien wegen Cuba am Horizont auf-
stiegen, und Fred trat in den Versammlungen als einer
der entschiedensten, aber auch besten Redner auf.
Hitchock brummte etwas vor sich hin, was ungefähr
so klang, daß sich jeder um seine eigenen Angelegen-
heiten bekümmern möge, und daß fremde ihn nichts
angingen, und Fred gab den Versuch, aus diesem
Manne etwas herauszubekommen, ärgerlich auf. Es
war die Stunde, um welche Bell sonst von der Jacht
zurückkam und Besuche empfing, und deshalb waren
Fred und Hitchock bald nicht mehr allein. Sarah
Ward, Bob Till, Dobby Wilson kamen — alle drei
vom Poloplatz, und Bob, der nur im Vorübergehen
vorsprechen wollte, sogar noch in seinem Sportanzug,
die bauschigen Kniehosen in gelben Stiefelschästen,
das Hemd und die Mütze in den Farben seiner Partei.
Auch Bessie trat jetzt ein, und endlich war auch West-
heim zu sehen. Man plauderte, man sprach mit Eifer
von den neuesten Ereignissen, von der Geschichte des
alten Vanderbilt in Baden-Baden, wo man ihn mit
einer Varistssängerin am Arm gesehen hatte, von seiner
Tochter, jetzigen Herzogin von Marlborough, von
einem irischen Borer, der jetzt in New Jork bewundert
wurde, von dein Stand gewisser Börsenpapiere, von
den jetzt nufgekommenen Theebädern, die der Schön-
heit so förderlich sein sollten, von den: letzten Washing-
tonfest bei Astors, wo alle Wände voll mit einer neuen
Sorte Rosen besteckt waren, das Stück zu einem
Dollar, man plauderte von Cuba und von den: High
Kickingklub, zu dem sich einige Damen in Newport
zusamnwngethan hatten, darunter natürlich auch Bessie.
„High Kicking" — das war das Neueste. Es war
eine Kunst für Damen, die darin bestand, daß inan,
ohne das Knie zu beugen, das Bein hoch warf, so
hoch wie möglich. Bessie hatte darin gesiegt. West-
heim, der den Damen wieder viel Stoff zur Heiterkeit
gab, hätte Miß Bessie gern einmal in dieser Kunst
bewundert, aber das ging natürlich nicht, denn Bessie
hatte das betreffende Kostüm dazu nicht an.
Westheim hatte in der Gesellschaft einen Feind,
denn er war Deutscher und darum haßte ihn Fred.
Außerdem bewarb sich dieser Westheim ganz offen-
kundig um Bells Gunst. Das war also für Fred
noch ein zweiter, besonderer Grnnd.
Eine plötzliche Wendung nahm die Unterhaltung,
als man jetzt Hitchock entdeckte. Er hatte sich in ein
kleines Seitenkabinett zurückgezogen, wo es ein paar-
reich mit Goldbronze montierte und von Boucot be-
malte Vasen aus Sevres zu bewundern gab. Zwar
ließ sich Hitchock nicht stören, das Thema aber, dem
sich jetzt eben das Gespräch zukehrte, war damit ge-
geben — Bells Scheidung. War denn die Sache noch
immer nicht erledigt? Da sah man die Langsamkeit
Europas.
„Ist es denn wahr, meine Damen," fragte West-
heim, „daß in Chicago auf dein Bahnhof die Schaffner-
ausrufen: Für Herrschaften, die sich scheiden lassen
wollen, zwanzig Minuten Aufenthalt! — Und wer sich
beeilt, der kann sich, bis der Zug abfährt, auch gleich
107
wieder frisch verheiraten? So hat man mir wenigstens
erzählt."
Alles lachte.
„Schade," setzte Westheim hinzu, „daß die Frau
Baronin von unseren Gerichten einen schlechten Begriff
bekommen wird."
„Meine Cousine ist keine Baronin," rief Fred von
dem kleinen Spieltisch aus, an dem er stand, „meine
Cousine ist Amerikanerin. Wir in Amerika, wir sind
Plebejer. Wir sind Kinder des Volkes. Das ist
unsere Stärke, darin liegt unsere Zukunft, und ein
Kind unseres Volkes soll meine Cousine bleiben."
Bessre seufzte für sich. Sie dachte an die verlorene
Liebesmühe, die sie an den Undankbaren verschwendet
hatte, und rief nun laut: „Jetzt wird er eifersüchtig
— auf die Deutschen!"
Fred warf ihr einen kalten Blick zu und fuhr, zu
Westheim gewendet, fort: „Unser Adel, das sind
unsere Mädchen, unsere Frauen!"
Ein Beifalljubel belohnte ihn, aber mit finsterer
Miene ließ er seine Stimme darüber schallen: „Ich
meine nicht die vielen Närrinnen, die es in unserem
Lande giebt. Ich meine die, welche die Kraft unserer
Rasse haben, ihre Reinheit, ihre Treue, deren Leib so
schön und so gesund ist, wie ihre Seele. Die nur
meine ich!"
Närrinnen? Von den Änwesenden konnte er damit
natürlich niemand gemeint haben. Nur in Bessie er-
hob sich ein schnöder Verdacht, aber sie hütete sich, ihn
auszusprechen. Und neuer Jubel folgte seinen Worten.
„Fred will weiter reden!" rief eine Stimme.
„Was aber geschieht?" sprach er mit einer unver-
kennbaren Bezugnahme auf gewisse Menschen und Vor-
gänge weiter, „Fremde, Ausländer kommen und stehlen
sie uns!"
Freds Augen funkelten vor Haß, die Damen
schrieen lustig auf, die Herren suchten ihn zu besänftigen
und Westheim erwiderte: „Herr Bennet, dieses Thema
und die Art seiner Behandlung scheint mir nicht recht
passend."
In diesem Augenblick — Hitchock zog eben seine
Uhr, er war ungeduldig geworden, er hatte keine Zeit
und wollte nicht länger warten — geschah glücklicher-
weise etwas, was diesem Austritt, der noch zu wer-
weiß welchen Folgen führen konnte, ein Ende machte.
Aus dem Garten dröhnte ein Schuß. Einige der
Damen stießen einen Schrei des Schreckens aus. Aber-
gleich darauf erschien in der offenen Thür, noch in ihr
Neitkleid gehüllt, in der Rechten den Revolver — Bell.
Sie hatte die Laune gehabt, an diesem Nachmit-
tags einmal auf die Vogeljagd zu gehen, weit draußen
am Strande an einer einsamen, entlegenen Stelle, wo
um die Felsen die Möwen, Seeschwalben und Regen-
pfeifer schwirrten. Zu ihren Passionen gehörte jetzt
auch der Pistolensport, und im Garten hatte sie sich
einen eigenen Schießstand einrichten lassen. Nur ihr
Reitknecht hatte sie auf dem Ausflug begleitet. Draußen
im Garten auf einer immergrünen Korkeiche hatte hoch
oben ein ahnungsloses Eichkätzchen gesessen. Das hatte
sie heruntergeschossen.
Bell lachte.
„Ist jemand erschrocken, meine Herrschaften?" rief
sie aus. „Guten Tag!"
Die Heiterkeit, die sie, indem sie die Gesellschaft
begrüßte, zur Schau trug, hatte etwas Dämonisches.
In ihren Augen leuchtete ein eiskalter Glanz, etwas
von der Grausamkeit, mit der sie soeben die unschul-
digen Tiere niedergeschossen hatte. Noch immer hielt
sie den Revolver in der Hand, als hätte sie erbarmungs-
los an Beute noch nicht genug. So stand sie da, um-
ringt wie von einem Hofstaat, der ihr zust'beltc, i.. der
ganzen Kraft ihrer Nasse, von der Fred gesprochen hatte.
Auch Bessie und Fred bemerkte sie jetzt.
„Nun, seid ihr wieder da?" sagte sie. „Wie habt
ihr euch unterhalten?"
„Es ist nichts mit ihm anzufangen," klagte ihr
Bessie ins Ohr.
Fred machte sein finsterstes Gesicht, aber sie konnte
sich jetzt nicht um ihn bekümmern, und selbst Westheim
schien heute darauf verzichten zu müssen, ihr seine
Huldigungen zu Füßen zu legen, denn plötzlich rief
sie: „Mister Hitchock!"
Sie hatte ihn bemerkt und eilte auf ihn zu. Es
war, als existiere in diesem Augenblick kein anderes
Wesen mehr in diesem Saal für sie.
„Sie bringen mir Nachricht?" raunte sie ihm zu.
„Ja," erwiderte er.
Die Diener reichten jetzt Champagner und Limo-
nade herum.
„Kommen Sie!" sagte sie und ging ihm voran.
Man trat in ein kleines, in japanischem Geschmack aus-
gestattetes Gemach. Unter einem weißblühenden Mal-
venbuschs, der am Fenster in einer riesigen Vase stand,
ließ sie sich nieder.
„Nun?" begann sie, „Sie bringen mir meins
Freiheit! Endlich!"
Hitchock hatte auf einem Stuhl ihr gegenüber Platz
genommen. Sein schmales, langes, glattrasiertes, von
schlichten amerikanischen Miß Cookson gehabt hatte,
und noch lange nachher machte er sich die bittersten
Vorwürfe, daß auch er sich von der unscheinbaren
Außenseite dieser Dame hatte täuschen lassen und seine
Chancen ihr gegenüber damals nicht besser wahrge-
nommen hatte. Sträflich vernachlässigt hatte er sie, statt
ihr gebührend den Hof zu machen. Wer weiß, wie dann
die Sache abgelaufen wäre! Unfehlbar Hütte sich Miß
Cookson statt in diesen Freiherrn in ihn selbst ver-
liebt. Dann wäre sie jetzt seine Frau und von i h m
— das stand sür Richard Westheim absolut fest —
hätte sie sich nicht scheiden lassen.
Aber war er ihr nicht vorgestellt? Er sah es des-
halb als sein gutes Recht an, nachdem er nun einmal
in New Jork war, Miß Cookson in Newport seins Vi-
site zu machen. Natürlich erkannte sie ihn zuerst nicht,
dann aber doch, und er war von der guten Laune,
mit der sie ihn aufnahm, geradezu entzückt. In Wahr-
heit, er amüsierte sich in diesem Lande großartig, und
unter den Damen in Newport machte er direkt, wie
das jedermann bezeugen konnte, Furore. Wenn Miß
Cookson, jetzige Freifrau v. Schöneck, erst geschieden
war, dann konnte er seine Chancen wieder aufnehmen,
dann trat er in die Arena. An das Gerücht, daß
ihr Vetter, Mr. Bennet, bessere Aussichten habe, daran
glaubte er schlechterdings nicht. Denn warum? Es
war in ganz Newport offenkundiges Geheimnis oder
genauer gesagt, Geheimnis war es überhaupt nicht,
denn man sprach ohne jede Verlegenheit davon, daß
Bennet seit ein paar Tagen verreist war in Gesell-
schaft einer Dame, einer unverheirateten jungen Dame,
in Gesellschaft von Fräulein Bessie Wellingford. Daß
nämlich ein junger Mann mit einem jungen Mädchen,
beide aus bester Klasse, tagelang einsame Landpartien
machte, auch das war in diesem amüsanten Lande ganz
unbefangene Sitte. Offenbar also stand Bennet mit
Fräulein Wellingford in nahen Beziehungen, woraus
hervorging, daß ihm, Richard Westheim, dieser junge
Mann in Bezug auf die Frau Baronin ganz unge-
fährlich war.
In der That, was hatte diese Reise von Fred
Bennet und Bessie Wellingford zu bedeuten? Wer in
Newport seine Liebe zu seiner Cousine kannte, wun-
derte sich darüber. Bessie Wellingford war allerdings
ein sehr hübsches Mädchen. Sie war jetzt einund-
zwanzig Jahre alt und lebte, gänzlich von ihrer Fa-
milie getrennt, in Bells Hause seit dem Beginn des
Sommers als Gast. Sie gehörte zu den amerikanischen
Mädchen, die nicht sentimental und die aus diesem
Grunde auch sür kein Familienleben eingenommen sind,
auch nicht für das im elterlichen Hause. Ihre Eltern
dachten allerdings ganz ebenso. So kam es, daß Bessie,
selbst wenn sie zum Beginn des Winters nach New
Pork zurückkehrte, ihre Mutter, die durch allerhand ge-
sellschaftliche Pflichten aufs äußerste in Anspruch ge-
nommen wurde, nur alle paar Wochen einmal sah,
dagegen ihren Vater, der Winter und Sommer von
früh bis abends in Wallstreet in seinem Comptoir saß,
um das nötige Geld zu verdienen, überhaupt niemals.
Dem entsprachen auch ihre Vorstellungen von ihrer
eigenen künftigen Ehe. Wozu mußte denn geheiratet
sein? Sah man nicht an dem Beispiel Bells, daß
dergleichen ganz unzweckmäßig ist? In Europa allen-
falls mochte die Ehe sür ein Mädchen noch ein er-
strebenswertes Ziel sein, denn in Europa, so hieß es,
genießt ein junges Mädchen keine gesellschaftliche Frei-
heit, keine Selbständigkeit, die erlangt es erst als ver-
heiratete Frau. Aber hier im lieben Vaterlande? Wenn
Bessie, die übrigens schon einigemal verlobt gewesen
war, in früheren Jahren an ihren künftigen Mann
dachte, der natürlich sehr reich sein mußte, so geschah
dies mit dein liebenswürdigen Wunsche, daß er so gut
sein möge, sie gleich nach der Trauung zu seiner Witwe
zu machen.
Um so mehr interessierte sich hingegen Fräulein Bessie
sür andere Dinge, zum Beispiel für Politik oder die
unter der New Porker Damenwelt so zahlreich auf-
tretenden Modeliebhabercien. Im übrigen war mit
Bessie seit den letzten Wochen eine große Veränderung
vorgegangen. Zum erstenmal in ihrem Leben war sie
verliebt. Und in wen? Eben in Fred Bennet. Sie
hatte es Bell anvertraut, und die Folge davon war,
daß Bell ihren Vetter veranlaßt hatte, diese Reise mit
ihr zu unternehmen.
Was Bell sür Gründe dazu hatte? Allerdings,
das wußten nur die ganz Eingeweihten. Sie erwiderte
nämlich die Liebe ihres Vetters jetzt so wenig wie
früher und wünschte, daß er sein Herz endlich einer-
anderen schenken möchte. Dazu war eine derartige
mehrtägige Landpartie die beste Gelegenheit.
Was Bell ihm befahl, das that Fred. Die Reise
war nach irgend einem Badeort gegangen. Seit heute,
seit einer halben Stunde waren sie nun wieder zurück.
Bessie hatte alle Ursache, mit dem Resultat ihrer Reise
sehr unzufrieden zu sein. Fred war natürlich sehr-
musterhaft, sehr zuvorkommend, sehr artig gewesen,
aber mehr auch nicht. Hart und kalt wie Stein war
er geblieben.
Das Buch für Alle.
Bell war, als man ankam, nicht zu Hause. Auch
auf ihrer Jacht war sie heute nicht. Robinson, der
schwarze Diener, sagte, daß sie ausgeritten sei.
Bessie hatte sich sofort, um Toilette zu machen,
auf ihr Zimmer verfügt, und Fred sich in feine Woh-
nung begeben, um dort gleichfalls seinen Anzug zu
wechseln. Als er eine halbe Stunde später in Bells
Haus eintrat, und ihm Robinson die Thür zum
Gartensalon öffnete, fand er dort, in den Anblick
eines Gemäldes von Meissonnier versunken, Mister
Hitchock.
Hitchock war Bells Rechtsanwalt. Es war schon
ein ziemlich alter Herr, seinem Wesen nach äußerst
schweigsam, dabei auch etwas knurrig und kurz ange-
bunden, was daher kam, daß er dank seiner erprobten
Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit eine sehr große Anzahl
Klienten besaß, die seine ganze Zeit in Anspruch nahmen.
Hitchock war gleichfalls erst soeben eingetrosfen. Er
kam von New Park und erwartete Bell.
Fred begrüßte ihn.
„Nun, wie steht die Sache?" fragte er dann un-
geduldig, womit er den Verlauf von Bells Scheidungs-
prozeß meinte. „Wie lange wird Bell noch zu warten
haben? Bringen Sie ihr eine gute Nachricht?"
Hitchock antwortete nicht, sondern vertiefte sich wie-
der in das Studium des Gemäldes.
Fred stampfte mit dem Fuße auf.
„Warum diese Verzögerung? Nach den Gesetzen
unseres Landes wäre Bell schon zehnmal frei. Was
haben wir uns hier um dieses Deutschland zu beküm-
mern?"
Seit Bells Heirat gehörte Fred zu der Klasse junger
Männer seines Landes, die England ihre Freundschaft
und Deutschland ihren Haß zukommen ließen. Nicht
nur der ganze Stolz, sondern auch der ganze Hochmut
des amerikanischen Bürgers steckte in ihm. Außerdem
war er Mitglied eines Klubs, in dein die chauvinistischen
Tendenzen ganz besonders stark kultiviert wurden. Es
war gerade um die Zeit, als die ersten Anzeichen des
Konflikts mit Spanien wegen Cuba am Horizont auf-
stiegen, und Fred trat in den Versammlungen als einer
der entschiedensten, aber auch besten Redner auf.
Hitchock brummte etwas vor sich hin, was ungefähr
so klang, daß sich jeder um seine eigenen Angelegen-
heiten bekümmern möge, und daß fremde ihn nichts
angingen, und Fred gab den Versuch, aus diesem
Manne etwas herauszubekommen, ärgerlich auf. Es
war die Stunde, um welche Bell sonst von der Jacht
zurückkam und Besuche empfing, und deshalb waren
Fred und Hitchock bald nicht mehr allein. Sarah
Ward, Bob Till, Dobby Wilson kamen — alle drei
vom Poloplatz, und Bob, der nur im Vorübergehen
vorsprechen wollte, sogar noch in seinem Sportanzug,
die bauschigen Kniehosen in gelben Stiefelschästen,
das Hemd und die Mütze in den Farben seiner Partei.
Auch Bessie trat jetzt ein, und endlich war auch West-
heim zu sehen. Man plauderte, man sprach mit Eifer
von den neuesten Ereignissen, von der Geschichte des
alten Vanderbilt in Baden-Baden, wo man ihn mit
einer Varistssängerin am Arm gesehen hatte, von seiner
Tochter, jetzigen Herzogin von Marlborough, von
einem irischen Borer, der jetzt in New Jork bewundert
wurde, von dein Stand gewisser Börsenpapiere, von
den jetzt nufgekommenen Theebädern, die der Schön-
heit so förderlich sein sollten, von den: letzten Washing-
tonfest bei Astors, wo alle Wände voll mit einer neuen
Sorte Rosen besteckt waren, das Stück zu einem
Dollar, man plauderte von Cuba und von den: High
Kickingklub, zu dem sich einige Damen in Newport
zusamnwngethan hatten, darunter natürlich auch Bessie.
„High Kicking" — das war das Neueste. Es war
eine Kunst für Damen, die darin bestand, daß inan,
ohne das Knie zu beugen, das Bein hoch warf, so
hoch wie möglich. Bessie hatte darin gesiegt. West-
heim, der den Damen wieder viel Stoff zur Heiterkeit
gab, hätte Miß Bessie gern einmal in dieser Kunst
bewundert, aber das ging natürlich nicht, denn Bessie
hatte das betreffende Kostüm dazu nicht an.
Westheim hatte in der Gesellschaft einen Feind,
denn er war Deutscher und darum haßte ihn Fred.
Außerdem bewarb sich dieser Westheim ganz offen-
kundig um Bells Gunst. Das war also für Fred
noch ein zweiter, besonderer Grnnd.
Eine plötzliche Wendung nahm die Unterhaltung,
als man jetzt Hitchock entdeckte. Er hatte sich in ein
kleines Seitenkabinett zurückgezogen, wo es ein paar-
reich mit Goldbronze montierte und von Boucot be-
malte Vasen aus Sevres zu bewundern gab. Zwar
ließ sich Hitchock nicht stören, das Thema aber, dem
sich jetzt eben das Gespräch zukehrte, war damit ge-
geben — Bells Scheidung. War denn die Sache noch
immer nicht erledigt? Da sah man die Langsamkeit
Europas.
„Ist es denn wahr, meine Damen," fragte West-
heim, „daß in Chicago auf dein Bahnhof die Schaffner-
ausrufen: Für Herrschaften, die sich scheiden lassen
wollen, zwanzig Minuten Aufenthalt! — Und wer sich
beeilt, der kann sich, bis der Zug abfährt, auch gleich
107
wieder frisch verheiraten? So hat man mir wenigstens
erzählt."
Alles lachte.
„Schade," setzte Westheim hinzu, „daß die Frau
Baronin von unseren Gerichten einen schlechten Begriff
bekommen wird."
„Meine Cousine ist keine Baronin," rief Fred von
dem kleinen Spieltisch aus, an dem er stand, „meine
Cousine ist Amerikanerin. Wir in Amerika, wir sind
Plebejer. Wir sind Kinder des Volkes. Das ist
unsere Stärke, darin liegt unsere Zukunft, und ein
Kind unseres Volkes soll meine Cousine bleiben."
Bessre seufzte für sich. Sie dachte an die verlorene
Liebesmühe, die sie an den Undankbaren verschwendet
hatte, und rief nun laut: „Jetzt wird er eifersüchtig
— auf die Deutschen!"
Fred warf ihr einen kalten Blick zu und fuhr, zu
Westheim gewendet, fort: „Unser Adel, das sind
unsere Mädchen, unsere Frauen!"
Ein Beifalljubel belohnte ihn, aber mit finsterer
Miene ließ er seine Stimme darüber schallen: „Ich
meine nicht die vielen Närrinnen, die es in unserem
Lande giebt. Ich meine die, welche die Kraft unserer
Rasse haben, ihre Reinheit, ihre Treue, deren Leib so
schön und so gesund ist, wie ihre Seele. Die nur
meine ich!"
Närrinnen? Von den Änwesenden konnte er damit
natürlich niemand gemeint haben. Nur in Bessie er-
hob sich ein schnöder Verdacht, aber sie hütete sich, ihn
auszusprechen. Und neuer Jubel folgte seinen Worten.
„Fred will weiter reden!" rief eine Stimme.
„Was aber geschieht?" sprach er mit einer unver-
kennbaren Bezugnahme auf gewisse Menschen und Vor-
gänge weiter, „Fremde, Ausländer kommen und stehlen
sie uns!"
Freds Augen funkelten vor Haß, die Damen
schrieen lustig auf, die Herren suchten ihn zu besänftigen
und Westheim erwiderte: „Herr Bennet, dieses Thema
und die Art seiner Behandlung scheint mir nicht recht
passend."
In diesem Augenblick — Hitchock zog eben seine
Uhr, er war ungeduldig geworden, er hatte keine Zeit
und wollte nicht länger warten — geschah glücklicher-
weise etwas, was diesem Austritt, der noch zu wer-
weiß welchen Folgen führen konnte, ein Ende machte.
Aus dem Garten dröhnte ein Schuß. Einige der
Damen stießen einen Schrei des Schreckens aus. Aber-
gleich darauf erschien in der offenen Thür, noch in ihr
Neitkleid gehüllt, in der Rechten den Revolver — Bell.
Sie hatte die Laune gehabt, an diesem Nachmit-
tags einmal auf die Vogeljagd zu gehen, weit draußen
am Strande an einer einsamen, entlegenen Stelle, wo
um die Felsen die Möwen, Seeschwalben und Regen-
pfeifer schwirrten. Zu ihren Passionen gehörte jetzt
auch der Pistolensport, und im Garten hatte sie sich
einen eigenen Schießstand einrichten lassen. Nur ihr
Reitknecht hatte sie auf dem Ausflug begleitet. Draußen
im Garten auf einer immergrünen Korkeiche hatte hoch
oben ein ahnungsloses Eichkätzchen gesessen. Das hatte
sie heruntergeschossen.
Bell lachte.
„Ist jemand erschrocken, meine Herrschaften?" rief
sie aus. „Guten Tag!"
Die Heiterkeit, die sie, indem sie die Gesellschaft
begrüßte, zur Schau trug, hatte etwas Dämonisches.
In ihren Augen leuchtete ein eiskalter Glanz, etwas
von der Grausamkeit, mit der sie soeben die unschul-
digen Tiere niedergeschossen hatte. Noch immer hielt
sie den Revolver in der Hand, als hätte sie erbarmungs-
los an Beute noch nicht genug. So stand sie da, um-
ringt wie von einem Hofstaat, der ihr zust'beltc, i.. der
ganzen Kraft ihrer Nasse, von der Fred gesprochen hatte.
Auch Bessie und Fred bemerkte sie jetzt.
„Nun, seid ihr wieder da?" sagte sie. „Wie habt
ihr euch unterhalten?"
„Es ist nichts mit ihm anzufangen," klagte ihr
Bessie ins Ohr.
Fred machte sein finsterstes Gesicht, aber sie konnte
sich jetzt nicht um ihn bekümmern, und selbst Westheim
schien heute darauf verzichten zu müssen, ihr seine
Huldigungen zu Füßen zu legen, denn plötzlich rief
sie: „Mister Hitchock!"
Sie hatte ihn bemerkt und eilte auf ihn zu. Es
war, als existiere in diesem Augenblick kein anderes
Wesen mehr in diesem Saal für sie.
„Sie bringen mir Nachricht?" raunte sie ihm zu.
„Ja," erwiderte er.
Die Diener reichten jetzt Champagner und Limo-
nade herum.
„Kommen Sie!" sagte sie und ging ihm voran.
Man trat in ein kleines, in japanischem Geschmack aus-
gestattetes Gemach. Unter einem weißblühenden Mal-
venbuschs, der am Fenster in einer riesigen Vase stand,
ließ sie sich nieder.
„Nun?" begann sie, „Sie bringen mir meins
Freiheit! Endlich!"
Hitchock hatte auf einem Stuhl ihr gegenüber Platz
genommen. Sein schmales, langes, glattrasiertes, von