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Das B u ch f ü r A l l e.

sträuße niedergelegt, von denen jeder einzelne als
Futter für eine Kuh genügt hätte, dazu Lebensmittel
und Wild; ja eines Margens fanden die Schwestern
sogar ein Fäßchen Brandy vor, das ihnen wahrschein-
lich als Stärkung bei der Krankenpflege diene;: sollte.
Unterdes bildete in den Kneipen von Portland
die Frage, ob die beiden jungen Damen wohl geneigt
wären, hier zu heiraten, das allgemeine Gespräch. Es
wurden selbstverständlich Wetten daraus abgeschlossen,
und es bildeten sich Parteien, von denen die an Zahl
geringste diejenige war, die behauptete, man solle die
jungen Damen jetzt, wo ihr Bruder im Sterben liege
oder unmittelbar nach seinem Tode, nicht etwa mit Hei-
ratsanträgen belästigen. Die stärkste Partei hatte eine
ganz andere Ansicht, sie war nahe daran, zu prokla-
mieren, daß eventuell die beiden jungen Damen ge-
zwungen werden sollten, zu heiraten, und zwar natür-
lich nur Männer aus Portland. Als aber im An-
schluß an die Idee, die Damen zu einer Heirat zu
veranlassen, die Frage diskutiert wurde, wer denn
eigentlich die Auserwählten der beiden jungen Damen
werden sollten, entstand ein derartiger Aufruhr, daß
Eingeweihte wohl schließen konnten, es seien mindestens
vierhundert Bewerber um die Hand von Fräulein Dora
und Fräulein Nelli vorhanden; vierhundert Bewerber,

von denen jeder glaubte, das gleiche Recht zu haben,
von denen jeder einzelne überzeugt war, daß nur er
der Auserwählte sein könne.
Es gab deshalb auch Verständige unter den Port-
ländern und besonders unter den älteren, die nicht
mehr für eine Ehe in Betracht kamen, welche meinten,
es sei viel notiger, die beiden jungen Mädchen, wenn
ihr Bruder gestorben sei, schleunigst aus der Stadt zu
schaffen, um ein Blutbad zu verhindern. Kapitän
Sarry war der Führer dieser Ordnungspartei, und er
Verfehlte nicht, im „Saloon zum goldenen Brett" die
fürchterlichsten Erzählungen über das Unglück, das
durch die Weiber und durch das Heiraten überhaupt
schon in der Welt entstanden sei, zum besten zu geben.
Seine Erzählungen gipfelten immer in einen: Beispiel,
das er aus seinem Leben erzählte, und das sich in
Texas abgespielt hatte. Dort hatte Kapitän Sarry
vor einer Reihe von Jahren gelebt und einen Scherz
mit in Seene gesetzt, den er für einen der besten er-
klärte, die überhaupt je gemacht wurden.
„Ich versichere euch, Gents, *) daß dieser Scherz
das beste Mittel ist, um Leute, welche heiratstoll ge-
worden sind, zu kurieren. Wir hatten unter uns einen

Z Abkürzung für Aentlomon (meine Herren).

Heft 4.
sonst ganz vernünftigen Burschen, den Pestow Dick,*)
der seinen Namen deshalb hatte, weil er durch Hinein-
fallen in ein Holzseuer eines Tages eine gelbe Visage
bekommen hatte. Dieser Pestow Dick war ein braver
Junge, aber für eine Frau eigentlich ein Scheusal.
Trotzdem war er am tollsten auf das Heiraten und
machte jedem Weibe, das sich sehen ließ, den Hof. Da
beschlossen wir endlich, ihn zu heilen und veranlaßten
ihn, auf irgend ein Heiratsinserat aus einer Zeitung
eine Offerte einzusenden. Pestow Dick konnte nicht
schreiben, aber wir schrieben für ihn den Brief. Und
siehe da — er hatte Glück! Eine reiche Lady, jung,
schön, unabhängig, gebildet und lebenslustig, suchte
einen Mann, und als Pestow Dick sich meldete, erhielt
er eine zusagende Antwort. Nach kurzer Korrespondenz
teilte ihm die junge Dame mit, daß sie an einem be-
stimmten Tage mit der Postkutsche ankommen würde,
und daß dann sofort die Hochzeit stattsinden könne.
Ich sage euch, unser Ort zählte zwar damals nur drei-
hundert Einwohner, aber wir waren alle auf den
Beinen, als die Postkutsche ankam, und dieser eine
junge Dame entstieg, welche allerdings nicht besonders
zart aussah, sondern eher recht krobkörnig und derb,

*) Gelber Richard.


Sitz der Negierung der Südasriliauischeir Ztepulitili aus der Station Wactzadodorp nach der Einnahme von Z-'reloria. (S. 108)

die aber doch ein ganz angenehmes Gesicht hatte und
in ihren mcdernen Kleidern und mit den langen,
blonden Locken auf Pellow Dick sogleich einen über-
wältigenden Eindruck machte. Vom Posthause aus
setzte sich sofort der Hochzeitszug zum Friedensrichter
in Bewegung. Hier wurde die Trauung vollzogen und
dann begab man sich zur Hochzeitsfeier, welche auf
einer großen Wiese stattfand. Daß an diesen: Tage in
der Stadt niemand arbeitete, ist selbstverständlich. Auf
der Wiese waren Zelte aufgeschlagen, Tische und Bänke
in die Erde gerammt, und ich sage euch, es war eine
großartige Hochzeit. Es siel ja aus, daß die Braut sehr
stark trank, sogar Whisky, aber das paßte ja am
Ende ganz zu unseren Gewohnheiten.
Ehe das große Hochzeitsmahl begann, hatte die
Braut schon einen ziemlich starken Schwips. Sie
wurde sehr lärmend, und als der Bräutigam sie an:
Weitertrinken verhindern wollte, bekam er eine Back-
pfeife, die nicht von schlechten Eltern war. Es gab
ein gewaltiges Hallo, und Pellow Dick schien es schon
zu bereuen, daß er sich mit dieser feinen Dame, die
aus Philadelphia stammte, verheiratet hatte. Es gab
nichtswürdige Leute unter den Freunden Dicks, die
ihn: rieten, der jungen Frau sofort zu zeigen, daß er
der Herr sei, denn was sollte aus ihn: werden, wenn
das so sortging. Es gab aber auch andere Leute unter
den Anwesenden, die behaupteten, die Frau sei ganz
und gar in: Recht, in Amerika sei die Frau frei und
nicht nne in: verfaulten Europa, eine Sklavin. Das

Schlußresultat war sehr überraschend. Es- entstand eine
Rauferei um der jungen Frau willen, und daran be-
teiligte sich die junge Frau selbst mit außerordentlich
starken Faustschlägen. Dann riß sie sich ihre blonden
Locken von: Kopf und warf sie in die Lust, riß sich
die Kleider von: Leib und stand plötzlich in Männer-
kleidung da, denn die Braut war ein Mann, und die
ganze Hochzeit war nichts als ein Scherz, den wir in
Seene gesetzt hatten. Pestow Dick wurde derartig ver-
spottet, daß er am nächsten Tage verschwand und nie
mehr gesehen wurde. So müßte man es nut allen
machen, die von der Heiratsmut befallen sind."
Nach achttägiger Anwesenheit der beiden jungen
Mädchen in Portland starb Frank. Die Schwestern
waren sehr betrübt, und die ganze Stadt achtete ihren
Schmerz. Das Begräbnis Franks war das großartigste,
das Portland bis dahin gesehen hatte. Sämtliche Ein-
wohner bis auf den letzten Mann nahmen daran teil,
um die beiden schönen Schwestern in Trauer zu sehen.
Als sie aber in Franks Rretterhaus zurückgekehrt waren,
um sich hier in der Einsamkeit ihren: Schinerz hinzu-
geben, wurden sie durch eins Deputation überrascht,
welche bei ihnen erschien, und an deren Spitze der
Mayor stand. Außer den: Mayor waren noch die vier
vornehmsten Bürger von Portland in der Deputation
vertreten, und diese sprach ihnen in: Namen der ge-
sinnten Bürgerschaft den Wunsch aus, daß sie nach
den: Tode des Bruders zu ihrer Erholung noch wenig-

stens eine Woche in der Stadt verweilen möchten,
damit die Bewohner einerseits ihnen ihr Beileid be-
zeigen, und andererseits ihnen die Huldigungen erweisen
könnten, die man solch schönen jungen Damen schuldig
sei, Huldigungen, die wegen der schweren Krankheit
des Bruders bisher nicht hätten stattfinden können.
Die beiden jungen Damen entschlossen sich nach
einigem Zögern dazu, die Zusage zu geben, noch acht
Tage in Portland zu verbleiben, und erzielten damit
einen großartigen Erfolg. Eine halbe Stunde später
gab es in allen Straßen von Portland ein derartiges
Hurragebrüll, daß sie glaubten, die Stadt sei von In-
dianern überfallen worden, während doch nur die
braven Lumbermen ihrer Freude darüber Ausdruck
gaben, daß die hübschen Heiratskandidatinnen noch
:n der Stadt blieben. Jetzt sollte nämlich das Be-
werben losgehen; nur zu diesen: Zwecke hatten die
Einwohner es durchgesetzt, daß die Deputation zu den
beiden Fräulein Dewars gegangen war.
Es erhob sich nun in den nächsten Tagen ein
wildes Courmachen, und merkwürdigerweise beteiligten
sich an den: Wettrennen um die Gunst der beiden jungen
Damen nicht nur die Jungen, sondern auch die Alten.
Es gab wenige unter ihnen, den hartgesottenen Sün-
der Kapitän Sarrp ausgenommen, welche das Kirch-
turmrennen nach dem Ehestand nicht mitmachten, aber
die Befürchtung, daß es um der edlen Weiblichkeit
willen zu Mord und Totschlag kommen würde, be-
stätigte sich nicht. Dies lag wohl daran, daß auch der
 
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