Heft 4.
Das Vu ch f ü r Alle.
115
land, und bald nachher verbreitete sich in Paris dis Nachricht,
er sei eines plötzlichen Todes gestorben. Alle Zeitungen
brachten lange ehrenvolle Nekrologe, und in der Akademie
wurde ohne Verzug beschlossen, dem großen Toten eine solenne
Gedächtnisfeier zu veranstalten. Laplace, dazu aufgefordert,
erklärte sich sogleich bereit, dem Hingeschiedenen Kollegen die
Gedächtnisrede zu halten. Der geräumige Versammlungssaal
wurde mit Traueremblemen geschmackvoll dekoriert und in
deren Mitte die Marmorbüste Lalandes hingestellt. Zur be-
stimmten Zeit kamen die Mitglieder an, alle in ernster Stim-
mung und in schwarzem Trauerkostüm, wie es für eine solche
Feier sich geziemte. Laplace, nunmehr nach seiner Ueber-
zeugung die einzig herrschende Sonne der astronomischen Wissen-
schaft in Frankreich, bestieg die Rednertribüne.
In diesem Augenblick erschien draußen ein kleiner, hagerer,
ältlicher Herr, tief vermummt in einen Reisemantel und be-
gehrte als Mitglied Einlaß. Man wollte ihm dienstfertig den
Mantel abnehmen, dessen über den Kopf gezogene Kapuze
sein Antlitz fast gänzlich verhüllte. Er aber verweigerte das
nnd flüsterte dem Portier einige erklärende Worte zu, indem
er zugleich die Kapuze für einen Moment verschob, und ge-
bot ihm Schweigen. Einen leisen Ruf des höchsten Erstaunens
stieß der Portier aus; dann verneigte er sich ehrerbietig zum
Zeichen des Gehorsams. Der kleine alte Herr schlüpfte schnell
in den Saal und blieb bei der Thüre stehen, die sich hinter
ihm schloß.
Laplace begann eben seine schön ausgedachte und wohl-
gefeilte Rede zu halten, die ungefähr eine Stunde dauerte
und in welcher er, was er ja nun wohl konnte, begeistert die
hohen wissenschaftlichen Verdienste Lalandes pries, seine viel-
fachen Tugenden lobte, die er als Gelehrter, als Mensch, als
Bürger, als Vaterlandsfreund bewiesen, sein jähes Hinscheiden
beklagte und ein nationales Unglück nannte. So überschweng-
lich war des Redners Begeisterung und seine Anerkennung
und Bewunderung der wissenschaftlichen Leistungen des Toten,
daß er dadurch eine allgemeine Rührung hervorbrachte und
ein schmeichelhaftes Gemurmel des Beifalls ihn belohnte, nach-
dem er seine Rede geendet.
Da sagte plötzlich eine etwas spöttische Stimme nahe bei
der Thüre: „Danke, mein lieber Kollege!"
„Was ist das!" rief Laplace bestürzt. „Diese Stimme —"
„Ist keine Geisterstimme aus dem besseren Jenseits, lieber
Kollege. Ich bin's, Lalande selbst, in Person."
Allgemeines Erstaunen ringsum bei den Anwesenden und
lebhafteste Freude über das unvermutete Erscheinen des Tot-
geglaubten, den man mit Glückwünschen überhäufte.
Lalande erklärte lächelnd : „Man hat mich irrtümlicherweise,
ich weiß nicht, aus welchem Grunde, in Paris tot gesagt, was
ich erst vor einigen Tagen in Mainz erfuhr, zugleich auch,
daß für mich eine Gedächtnisfeier veranstaltet werden solle,
bei welcher mein Kollege Laplace die Rede halten würde. Da
nahm ich sogleich Extrapost, um möglichst noch rechtzeitig zu
dieser schönen Feier anzulangen, weil es mich höchlichst inter-
essierte, mit meinen eigenen Ohren zu hören, was mein ge-
ehrter Kollege über mich, den vermeintlich Toten, sagen würde.
Es gelang mir, und ich bin nun entzückt und tief gerührt
für die hohe Ehre, die man mir hier erwiesen, besonders dank-
bar aber meinem lieben Kollegen für all das Gute, Schöne,
Rühmliche und Schmeichelhafte, das er in seiner trefflichen
Rede von mir gesagt hat. Ich verspreche ihm, dem Jüngeren,
falls er etwa, was ich jedoch selbstverständlich nicht hoffen will,
vor mir sterben sollte, daß ich dann auch ihm eine ähnliche
feierliche Gedächtnisrede halten und ihm ebenso viel Gutes,
Schönes und Rühmliches nachsagen will."
Merkwürdigerweise konnten sich jedoch die beiden berühmten
Astronomen künftig noch weniger ausstehen, als zuvor. F. L.
Wrut und Lebensweise der Rebhühner. — Wie alle
Hühnervögel, so legen auch die Rebhühner ihr Brutnest auf
der Erde an, wobei sie mit Vorliebe Kleeäcker und Winter-
saatfelder aufsuchen, zumal diese Kulturpflanzen bei üppiger
Vegetation den Brutvögeln einen geeigneten und sicheren
Schutz gewähren. Indessen legen die Rebhühner bei der
Wahl des Nestplatzes eine sehr große Sorglosigkeit und Gleich-
gültigkeit an den Tag. Denn während die Singvögel mehrere
Tage in großer Emsigkeit und Vielbeschäftigung umherfliegen,
um den besten Platz für das Brutnest auszukundschaften, macht
dieses den Rebhühnern absolut keine Sorge. Ihr kunstloses
und sehr einfach gebautes Nest wird nicht selten in der zurück-
gebliebenen Hufspur eines Pferdes, in einer Erdvertiefung oder
einer Wagenspur angelegt. Findet die Henne einen ihr gut
dünkenden Platz, so scharrt sie ein wenig mit den Füßen,
worauf der Hahn mit großer Schnelligkeit vertrocknete Halme,
Stroh- oder Mistteile herbeischleppt, mit welchen die Henne
ihr zukünftiges „Wochenbett" flüchtig auspolftert, womit der
Nestbau beendet und das Brutnest fertig ist.
Nun legt die Henne ein über den anderen Tag ein Ei,
deren Zahl je nach dem Alter 8 bis 16 Stück und darüber
betragen kann. Nach dem Ablegen des letzten Eies bleibt die
Henne auf dem Neste fest brütend sitzen und verläßt dieses
nur, um Nahrung aufzunehmen. Während dieser Zeit bleibt
der Hahn in unmittelbarer Nähe des Genistes als Wächter
zurück, wie dieser überhaupt während der ganzen Brutdauer
in der Nähe des Nestes bleibt, um treubesorgt über sein „Ehe-
lieb" zu wachen und es vor auftauchenden Gefahren zu
warnen.
Nach einer dreiwöchentlichen Brutzeit tritt das Sprengen
der Eischale ein, worauf die Rebhuhnkücken ausschlüpfen und
von der Henne gewärmt werden. Schon nach kurzer Zeit
tritt jedoch unter der Rebhuhnmutter eine große Unruhe ein,
worauf die kleinen Dinger wie Mäuse aus dem Neste huschen
und mit den beiden Alten sofort auf die Futtersuche ziehen.
Die kleinen Nestflüchter, die niemals mehr in das Nest zurück-
kommen, werden dabei von den Alten forgfältig gehütet. Un-
ermüdlich find die Alten bemüht, den Kleinen das zarteste
und kleinste Gewürm als Nahrung zuzuweisen, wobei sie ihnen
gleichzeitig Anleitungen geben, wo die Nahrung zu suchen und
zu finden ist.
Jede Kette wird stets und immer vom alten Hahn ge-
leitet und geführt, der mit seinen klugen und scharfen Augen
allseitig Umschau hält und über die Seinigsn mit Argus-
augen wacht. Ist die Luft rein, so nickt der Hahn befriedigt
und eilt zu den hinter ihm zurückgebliebenen Kücken zurück,
worauf das Volk pfeilschnell in einem Kleeacker oder Saaten-
feld verschwindet.
Droht indessen der Kette eine Gefahr, sei es, daß ein
Tier oder Mensch zu nahe kommt, so läßt der Hahn ein kurzes
„Rig-rig-rig-rig-rick". als Warnungsruf ertönen. Ertönt dieser
Warnungsruf, so fallen die Kleinen wie vom Blitz getroffen
zu Boden oder verkriechen sich unter dichtstehenden Pflanzen,
wo sie laut- und regungslos liegen bleiben und die weiteren
Maßregeln abwarten. Währenddem stellt sich der Hahn ent-
weder dem Nahenden kampfbereit entgegen, oder er sucht den
stärkeren Feind, wie Katze, Wiesel, Hund u. s. w. durch An-
wendung von List auf sich zu lenken, um ihn so auf falsche
Fährte zu bringen. Unter lebhaftem „Türt-türt-türt-türt"
läuft der Hahn dem Feinde eine kurze Strecke entgegen, wor-
auf er „aufsteht", eine kurze Strecke fliegt, wieder niederfällt,
abermals aufsteigt und diesen Vorgang so oft wiederholt, bis
der nachfolgende Feind, von den Jungen weit abgebracht,
auf falscher Fährte ist.
Ist dieser Art die Gefahr beseitigt, so fliegt der besorgte
Hahn unter „Girrhäk-girrhäk" in weitem Bogen zu seinen
Lieben zurück, worauf alsbald die Henne den mütterlichen
Lockruf „Girik-girik" ertönen läßt.
Ist ein Volk durch einen Feind zersprengt worden, so ent-
falten die beiden Alten die allergrößte Sorgsamkeit, um die
junge Schar zusammenzubringen, besonders wenn der Abend
bevorsteht. Unter weit hörbarem und ängstlichem „Girk-girk"
lockt die besorgte Mutter und zieht mit den vorhandenen
Kleinen einer geschützten Stelle zu, während der Hahn wie
toll auf- und niederläuft, um die Zerstreuten aufzuspüren und
der Mutter nachzubringen. „Girrhäk-girrhäk" ertönt des Hahnes
Lockruf, worauf die Jungen unter „Schirk-schirk" antworten.
Sind die „Häupter der Lieben" zusammengebracht, so werden
sie vom Vater unter zärtlichem Locken im Laufschritt zur Mutter
gebracht, worauf ein Helles „Girr-häk-kurr" die allgemeine
Freude und Zufriedenheit ausdrückt.
Ist die Familie beisammen, so wird das Nachtlager be-
zogen, das wiederum gewisse Vorsichtsmaßregeln erfordert,
zumal gerade des Nachts viel Raubzeug auf Fang ausgeht
und den Rebhühnern gefährlich wird. Unter Kurr- und Girk-
lauten steht die Kette auf und streicht einer hoch gelegenen
trockenen Anhöhe zu, die von der Morgensonne getroffen
wird. Bevor sich jedoch das Volk am Nachtlagerplatz nieder-
läßt, steigt es zwei- bis dreimal auf, um eben so oft nieder-
zufallen, worauf es die letzte Strecke dicht geschloffen im Fluge
nimmt. Das vielmalige Aufsteigen und Niederfallen bezweckt
ein Verwischen der Spur, die beim Laufen zurückbleibt und
vom scharfnafigen Raubzeug ausgenommen wird.
Hat das Volk den ersehnten Lagerplatz erreicht, so wühlt
sich die Schar dicht gedrängt in den weichen Sand ein, um
so die Nacht zu verbringen. Während die Jungen kreisförmig
gelagert der Ruhs pflegen, sondert sich der alte Hahn eine
Strecke weit ab, um unter dem Winde den Posten zu beziehen
und über die Seinigen treue Wacht zu halten.
Bis zur erlangten Flugfähigkeit der Jungen verbleibt das
Volk in Kleeschlägen und Getreidefeldern, die es erst verläßt,
wenn die Ernte vor sich geht. Sind die jungen Hühner
groß und stark geworden und in den Besitz der vollen Flug-
kraft gelangt, so müssen die jungen Hähne den Vater im
schwierigen Amte des „nächtlichen Postenstehens" ablösen und
nun selbst auf „Wachs ziehen". Karl Schütte.
Hin Worddichter. — Der Verleger Perino in Rom, der
in Italien zuerst die bluttriefendsten Romane in einzelnen
Heften ausgab, hatte mit dem italienischen Romanschriftsteller
Barbieri eine Abmachung getroffen, nach welcher ihm für
jede Person, die in seinen Romanen durch Mord oder durch
ein Unglück ums Leben kam, fünfzig Lire extra bezahlt
werden sollten. Man kann sich denken, daß es in Barbieris
Geschichten deshalb gar grausam zuging. Männlein und Weib-
lein hantierten eifrig mit Dolch und Revolver. In jedem
Kapitel ließ Barbieri ohne Erbarmen aus den nichtigsten
Gründen etliche Personen morden oder verunglücken, und auf
der letzten Seite des Buches lagen meist zwanzig und mehr
in ihrem Blute. Perino beschloß endlich, dem Dichter Zügel
anzulegen, indem er den Preis für den Toten auf fünf Lire
herabsetzte. „Warte nur," dachte Barbieri, „dich will ich
schon einseifen!" Er schrieb einen Roman, in dessen erstem
Kapitel wir der Abfahrt von 1500 Auswanderern von Genua
nach Buenos Ayres beiwohnen. Im Anfangs teilt der Dichter
nur etwa ein Dutzend Dolchstöße aus und hängt zwei Schurken
am Mastbaume auf. Am Schluffe des ersten Bandes aber
entfesselt sich ein fürchterlicher Sturm, und das Schiff wird
schließlich in dis Tiefe gerissen. Mann und Maus bis auf
zwei Gerettete gehen zu Grunde, und der sparsame Verleger
mußte tief in seine Tasche greifen. E. K.
Langsame Rost- — Im Jahre 1706 richtete der Leip-
ziger Oberpostmeister Johann Jakob Kees zwischen Leipzig
und Dresden eine „langsame Post" ein, damit „vornehm-
lich solche Personen, welche das geschwinde Fahren nicht ver-
tragen könnten, zum Beispiel alte Leute, Kinder und Weibs-
personen, ferner die von Hainburg kommenden, für die Hof-
tafel bestimmte Austern und sonstige Raritäten, welche die
geschwinde fahrende Post zu sehr belasteten, fortgebracht werden
könnten". Bei dieser „langsamen Post", der sogenannten
„Küchenkutsche", war Fahrgeld und Postporto billiger als bei
der „geschwinden Post", die Person zahlte 1 Thlr. 21 Gr.
Dafür dauerte aber auch die Reise von Leipzig nach Dresden
Ifls Tage. In Wurzen und Meißen wurde ein paar Stunden
lang gefüttert und in Oschatz nach drei bis vier Stunden
Ruhe umgespannt. Derartige „Küchenkutschen" fanden Bei-
fall; es wurden solche Fahrten auch von Leipzig nach Braun-
schweig, von Dresden nach Berlin u. s. w. eingerichtet. D.
Zu gewissenhaft. — Der Kommandant des Spielberges
bei Brünn, bekanntlich bis in späte Zeiten ein berüchtigtes
Gefängnis für politische Sträflinge, hielt sich mit eiserner
Härte an die Buchstaben seiner Vorschriften.
Ein Gefangener, dein die Kette den Fuß brandig ge-
rieben, bat um die Amputation desselben, da er sonst werde
sterben müssen. Der Kommandant berichtete darüber nach
Wien, trotz Einsprache des Arztes, der aus sofortige Ampu-
tation drang, und begründete seine Meldung damit, daß ihm
der Gefangene mit zwei Füßen übergeben worden sei, er da-
her für dessen „Komplettheit" zu bürgen habe. Ehe die Entschei-
dung von Wien kam, war der Gefangene gestorben. A. D. B.
Hutes Iiezept. — Infolge seiner überhandnehmenden
Korpulenz war im Jahre 1759 der Stettiner Kanzleirat
Heinzenberger amtsmüde geworden, so daß er an Friedrich
den Großen ein Gesuch um Pensionierung einreichts mit der
Motivierung, seine Leibesfülle lasse ein Weiterdienen nicht
länger zu. Friedrich der Große, der nicht gern vor der Zeit
Pensionen an seine Beamten zahlte, antwortete auf dis Ein-
gabe: „Mache Er keine Flausen! Ein Kollege von Ihm in
der Kanzlei zu Magdeburg will nichts mehr thun, weil er
täglich magerer wird, und Er will sich auf die Bärenhaut
legen, weil Er zu dick wird. Dem Magdeburger habe ich
geraten, ordentlich Mehlsuppe zu essen, und Er mag sich
meinethalben täglich sein Brennholz selber spalten, oder Er
mag's auch mit Seiltanzen versuchen. Gefaulenzt wird noch
nicht!" I. W.
Sorben ist erschienen nnd durch dir meisten Buchhandlungen zu beziehen:
Gartenlaube-'lkalender 19O1.
Wit einem farbigen Kunstblatt von A. von Leigen unä Zahlreichen swustrationen in Zchwar?- unä Zuntäruck.
Keckzeknter Jahrgang.
In elegantem 6anzlein enban <4 Vreis < Mark.
Der „Hartenlaube-Lakeuder^ für das Jahr 1901 enthält u. a. die neueste Erzählung von
M. Heimburg: „Maiblumen" mit Wmtrationen von sr. Kerzen,
ansprechende und humorvolle Novellen von Llise Bofmann und M. Berger, unterhaltende und belehrende Beiträge von Karl Brandt, Or. Kurt
tampert, (L. Falkenhorst, Ludwig Dreier u. a., einen umfassenden, reich illustrierten Rückblick auf dis Tagesgeschichte von Or. Berniann Diez,
fernes zahlreiche Illustrationen von hervorragenden Künstlern, Humoristisches in Wort und Bild und viele praktische und wertvolle Kalender-Notizen
und Tabellen zum Nachschlagen bei Fragen des täglichen Lebens.
Bestellungen auf den Hartenkauöe-Kakender für das 2alsr 1901 nimmt die Buchhandlung entgegen, welche die Gartenlaube liefert.
Post-Abonnenten können den Kalender sowohl durch die Buchhandlungen als auch gegen Einsendung von 1 Mark nnd 20 Pfennig (für Porto) in Brief-
marken oder mittels 10 Pf.-Postanweisung direkt franko von der unterzeichneten Verlagshandlung beziehen. — Von den früheren Jahrgängen des
„Hartenkaulie-Aakenders^ find die Jahrgänge 1899 und 1900 in rote Leinwand gebunden noch zum Preise von 1 Mark zu haben, während die
Jahrgänge 1887, 1889—92, 1894 und 1896 auf 50 Pfennig herabgesetzt sind. Die übrigen Jahrgänge sind vergriffen.
Srnst AeiKs Dacbkolger 6. ni. b. I). in Leipzig.
Das Vu ch f ü r Alle.
115
land, und bald nachher verbreitete sich in Paris dis Nachricht,
er sei eines plötzlichen Todes gestorben. Alle Zeitungen
brachten lange ehrenvolle Nekrologe, und in der Akademie
wurde ohne Verzug beschlossen, dem großen Toten eine solenne
Gedächtnisfeier zu veranstalten. Laplace, dazu aufgefordert,
erklärte sich sogleich bereit, dem Hingeschiedenen Kollegen die
Gedächtnisrede zu halten. Der geräumige Versammlungssaal
wurde mit Traueremblemen geschmackvoll dekoriert und in
deren Mitte die Marmorbüste Lalandes hingestellt. Zur be-
stimmten Zeit kamen die Mitglieder an, alle in ernster Stim-
mung und in schwarzem Trauerkostüm, wie es für eine solche
Feier sich geziemte. Laplace, nunmehr nach seiner Ueber-
zeugung die einzig herrschende Sonne der astronomischen Wissen-
schaft in Frankreich, bestieg die Rednertribüne.
In diesem Augenblick erschien draußen ein kleiner, hagerer,
ältlicher Herr, tief vermummt in einen Reisemantel und be-
gehrte als Mitglied Einlaß. Man wollte ihm dienstfertig den
Mantel abnehmen, dessen über den Kopf gezogene Kapuze
sein Antlitz fast gänzlich verhüllte. Er aber verweigerte das
nnd flüsterte dem Portier einige erklärende Worte zu, indem
er zugleich die Kapuze für einen Moment verschob, und ge-
bot ihm Schweigen. Einen leisen Ruf des höchsten Erstaunens
stieß der Portier aus; dann verneigte er sich ehrerbietig zum
Zeichen des Gehorsams. Der kleine alte Herr schlüpfte schnell
in den Saal und blieb bei der Thüre stehen, die sich hinter
ihm schloß.
Laplace begann eben seine schön ausgedachte und wohl-
gefeilte Rede zu halten, die ungefähr eine Stunde dauerte
und in welcher er, was er ja nun wohl konnte, begeistert die
hohen wissenschaftlichen Verdienste Lalandes pries, seine viel-
fachen Tugenden lobte, die er als Gelehrter, als Mensch, als
Bürger, als Vaterlandsfreund bewiesen, sein jähes Hinscheiden
beklagte und ein nationales Unglück nannte. So überschweng-
lich war des Redners Begeisterung und seine Anerkennung
und Bewunderung der wissenschaftlichen Leistungen des Toten,
daß er dadurch eine allgemeine Rührung hervorbrachte und
ein schmeichelhaftes Gemurmel des Beifalls ihn belohnte, nach-
dem er seine Rede geendet.
Da sagte plötzlich eine etwas spöttische Stimme nahe bei
der Thüre: „Danke, mein lieber Kollege!"
„Was ist das!" rief Laplace bestürzt. „Diese Stimme —"
„Ist keine Geisterstimme aus dem besseren Jenseits, lieber
Kollege. Ich bin's, Lalande selbst, in Person."
Allgemeines Erstaunen ringsum bei den Anwesenden und
lebhafteste Freude über das unvermutete Erscheinen des Tot-
geglaubten, den man mit Glückwünschen überhäufte.
Lalande erklärte lächelnd : „Man hat mich irrtümlicherweise,
ich weiß nicht, aus welchem Grunde, in Paris tot gesagt, was
ich erst vor einigen Tagen in Mainz erfuhr, zugleich auch,
daß für mich eine Gedächtnisfeier veranstaltet werden solle,
bei welcher mein Kollege Laplace die Rede halten würde. Da
nahm ich sogleich Extrapost, um möglichst noch rechtzeitig zu
dieser schönen Feier anzulangen, weil es mich höchlichst inter-
essierte, mit meinen eigenen Ohren zu hören, was mein ge-
ehrter Kollege über mich, den vermeintlich Toten, sagen würde.
Es gelang mir, und ich bin nun entzückt und tief gerührt
für die hohe Ehre, die man mir hier erwiesen, besonders dank-
bar aber meinem lieben Kollegen für all das Gute, Schöne,
Rühmliche und Schmeichelhafte, das er in seiner trefflichen
Rede von mir gesagt hat. Ich verspreche ihm, dem Jüngeren,
falls er etwa, was ich jedoch selbstverständlich nicht hoffen will,
vor mir sterben sollte, daß ich dann auch ihm eine ähnliche
feierliche Gedächtnisrede halten und ihm ebenso viel Gutes,
Schönes und Rühmliches nachsagen will."
Merkwürdigerweise konnten sich jedoch die beiden berühmten
Astronomen künftig noch weniger ausstehen, als zuvor. F. L.
Wrut und Lebensweise der Rebhühner. — Wie alle
Hühnervögel, so legen auch die Rebhühner ihr Brutnest auf
der Erde an, wobei sie mit Vorliebe Kleeäcker und Winter-
saatfelder aufsuchen, zumal diese Kulturpflanzen bei üppiger
Vegetation den Brutvögeln einen geeigneten und sicheren
Schutz gewähren. Indessen legen die Rebhühner bei der
Wahl des Nestplatzes eine sehr große Sorglosigkeit und Gleich-
gültigkeit an den Tag. Denn während die Singvögel mehrere
Tage in großer Emsigkeit und Vielbeschäftigung umherfliegen,
um den besten Platz für das Brutnest auszukundschaften, macht
dieses den Rebhühnern absolut keine Sorge. Ihr kunstloses
und sehr einfach gebautes Nest wird nicht selten in der zurück-
gebliebenen Hufspur eines Pferdes, in einer Erdvertiefung oder
einer Wagenspur angelegt. Findet die Henne einen ihr gut
dünkenden Platz, so scharrt sie ein wenig mit den Füßen,
worauf der Hahn mit großer Schnelligkeit vertrocknete Halme,
Stroh- oder Mistteile herbeischleppt, mit welchen die Henne
ihr zukünftiges „Wochenbett" flüchtig auspolftert, womit der
Nestbau beendet und das Brutnest fertig ist.
Nun legt die Henne ein über den anderen Tag ein Ei,
deren Zahl je nach dem Alter 8 bis 16 Stück und darüber
betragen kann. Nach dem Ablegen des letzten Eies bleibt die
Henne auf dem Neste fest brütend sitzen und verläßt dieses
nur, um Nahrung aufzunehmen. Während dieser Zeit bleibt
der Hahn in unmittelbarer Nähe des Genistes als Wächter
zurück, wie dieser überhaupt während der ganzen Brutdauer
in der Nähe des Nestes bleibt, um treubesorgt über sein „Ehe-
lieb" zu wachen und es vor auftauchenden Gefahren zu
warnen.
Nach einer dreiwöchentlichen Brutzeit tritt das Sprengen
der Eischale ein, worauf die Rebhuhnkücken ausschlüpfen und
von der Henne gewärmt werden. Schon nach kurzer Zeit
tritt jedoch unter der Rebhuhnmutter eine große Unruhe ein,
worauf die kleinen Dinger wie Mäuse aus dem Neste huschen
und mit den beiden Alten sofort auf die Futtersuche ziehen.
Die kleinen Nestflüchter, die niemals mehr in das Nest zurück-
kommen, werden dabei von den Alten forgfältig gehütet. Un-
ermüdlich find die Alten bemüht, den Kleinen das zarteste
und kleinste Gewürm als Nahrung zuzuweisen, wobei sie ihnen
gleichzeitig Anleitungen geben, wo die Nahrung zu suchen und
zu finden ist.
Jede Kette wird stets und immer vom alten Hahn ge-
leitet und geführt, der mit seinen klugen und scharfen Augen
allseitig Umschau hält und über die Seinigsn mit Argus-
augen wacht. Ist die Luft rein, so nickt der Hahn befriedigt
und eilt zu den hinter ihm zurückgebliebenen Kücken zurück,
worauf das Volk pfeilschnell in einem Kleeacker oder Saaten-
feld verschwindet.
Droht indessen der Kette eine Gefahr, sei es, daß ein
Tier oder Mensch zu nahe kommt, so läßt der Hahn ein kurzes
„Rig-rig-rig-rig-rick". als Warnungsruf ertönen. Ertönt dieser
Warnungsruf, so fallen die Kleinen wie vom Blitz getroffen
zu Boden oder verkriechen sich unter dichtstehenden Pflanzen,
wo sie laut- und regungslos liegen bleiben und die weiteren
Maßregeln abwarten. Währenddem stellt sich der Hahn ent-
weder dem Nahenden kampfbereit entgegen, oder er sucht den
stärkeren Feind, wie Katze, Wiesel, Hund u. s. w. durch An-
wendung von List auf sich zu lenken, um ihn so auf falsche
Fährte zu bringen. Unter lebhaftem „Türt-türt-türt-türt"
läuft der Hahn dem Feinde eine kurze Strecke entgegen, wor-
auf er „aufsteht", eine kurze Strecke fliegt, wieder niederfällt,
abermals aufsteigt und diesen Vorgang so oft wiederholt, bis
der nachfolgende Feind, von den Jungen weit abgebracht,
auf falscher Fährte ist.
Ist dieser Art die Gefahr beseitigt, so fliegt der besorgte
Hahn unter „Girrhäk-girrhäk" in weitem Bogen zu seinen
Lieben zurück, worauf alsbald die Henne den mütterlichen
Lockruf „Girik-girik" ertönen läßt.
Ist ein Volk durch einen Feind zersprengt worden, so ent-
falten die beiden Alten die allergrößte Sorgsamkeit, um die
junge Schar zusammenzubringen, besonders wenn der Abend
bevorsteht. Unter weit hörbarem und ängstlichem „Girk-girk"
lockt die besorgte Mutter und zieht mit den vorhandenen
Kleinen einer geschützten Stelle zu, während der Hahn wie
toll auf- und niederläuft, um die Zerstreuten aufzuspüren und
der Mutter nachzubringen. „Girrhäk-girrhäk" ertönt des Hahnes
Lockruf, worauf die Jungen unter „Schirk-schirk" antworten.
Sind die „Häupter der Lieben" zusammengebracht, so werden
sie vom Vater unter zärtlichem Locken im Laufschritt zur Mutter
gebracht, worauf ein Helles „Girr-häk-kurr" die allgemeine
Freude und Zufriedenheit ausdrückt.
Ist die Familie beisammen, so wird das Nachtlager be-
zogen, das wiederum gewisse Vorsichtsmaßregeln erfordert,
zumal gerade des Nachts viel Raubzeug auf Fang ausgeht
und den Rebhühnern gefährlich wird. Unter Kurr- und Girk-
lauten steht die Kette auf und streicht einer hoch gelegenen
trockenen Anhöhe zu, die von der Morgensonne getroffen
wird. Bevor sich jedoch das Volk am Nachtlagerplatz nieder-
läßt, steigt es zwei- bis dreimal auf, um eben so oft nieder-
zufallen, worauf es die letzte Strecke dicht geschloffen im Fluge
nimmt. Das vielmalige Aufsteigen und Niederfallen bezweckt
ein Verwischen der Spur, die beim Laufen zurückbleibt und
vom scharfnafigen Raubzeug ausgenommen wird.
Hat das Volk den ersehnten Lagerplatz erreicht, so wühlt
sich die Schar dicht gedrängt in den weichen Sand ein, um
so die Nacht zu verbringen. Während die Jungen kreisförmig
gelagert der Ruhs pflegen, sondert sich der alte Hahn eine
Strecke weit ab, um unter dem Winde den Posten zu beziehen
und über die Seinigen treue Wacht zu halten.
Bis zur erlangten Flugfähigkeit der Jungen verbleibt das
Volk in Kleeschlägen und Getreidefeldern, die es erst verläßt,
wenn die Ernte vor sich geht. Sind die jungen Hühner
groß und stark geworden und in den Besitz der vollen Flug-
kraft gelangt, so müssen die jungen Hähne den Vater im
schwierigen Amte des „nächtlichen Postenstehens" ablösen und
nun selbst auf „Wachs ziehen". Karl Schütte.
Hin Worddichter. — Der Verleger Perino in Rom, der
in Italien zuerst die bluttriefendsten Romane in einzelnen
Heften ausgab, hatte mit dem italienischen Romanschriftsteller
Barbieri eine Abmachung getroffen, nach welcher ihm für
jede Person, die in seinen Romanen durch Mord oder durch
ein Unglück ums Leben kam, fünfzig Lire extra bezahlt
werden sollten. Man kann sich denken, daß es in Barbieris
Geschichten deshalb gar grausam zuging. Männlein und Weib-
lein hantierten eifrig mit Dolch und Revolver. In jedem
Kapitel ließ Barbieri ohne Erbarmen aus den nichtigsten
Gründen etliche Personen morden oder verunglücken, und auf
der letzten Seite des Buches lagen meist zwanzig und mehr
in ihrem Blute. Perino beschloß endlich, dem Dichter Zügel
anzulegen, indem er den Preis für den Toten auf fünf Lire
herabsetzte. „Warte nur," dachte Barbieri, „dich will ich
schon einseifen!" Er schrieb einen Roman, in dessen erstem
Kapitel wir der Abfahrt von 1500 Auswanderern von Genua
nach Buenos Ayres beiwohnen. Im Anfangs teilt der Dichter
nur etwa ein Dutzend Dolchstöße aus und hängt zwei Schurken
am Mastbaume auf. Am Schluffe des ersten Bandes aber
entfesselt sich ein fürchterlicher Sturm, und das Schiff wird
schließlich in dis Tiefe gerissen. Mann und Maus bis auf
zwei Gerettete gehen zu Grunde, und der sparsame Verleger
mußte tief in seine Tasche greifen. E. K.
Langsame Rost- — Im Jahre 1706 richtete der Leip-
ziger Oberpostmeister Johann Jakob Kees zwischen Leipzig
und Dresden eine „langsame Post" ein, damit „vornehm-
lich solche Personen, welche das geschwinde Fahren nicht ver-
tragen könnten, zum Beispiel alte Leute, Kinder und Weibs-
personen, ferner die von Hainburg kommenden, für die Hof-
tafel bestimmte Austern und sonstige Raritäten, welche die
geschwinde fahrende Post zu sehr belasteten, fortgebracht werden
könnten". Bei dieser „langsamen Post", der sogenannten
„Küchenkutsche", war Fahrgeld und Postporto billiger als bei
der „geschwinden Post", die Person zahlte 1 Thlr. 21 Gr.
Dafür dauerte aber auch die Reise von Leipzig nach Dresden
Ifls Tage. In Wurzen und Meißen wurde ein paar Stunden
lang gefüttert und in Oschatz nach drei bis vier Stunden
Ruhe umgespannt. Derartige „Küchenkutschen" fanden Bei-
fall; es wurden solche Fahrten auch von Leipzig nach Braun-
schweig, von Dresden nach Berlin u. s. w. eingerichtet. D.
Zu gewissenhaft. — Der Kommandant des Spielberges
bei Brünn, bekanntlich bis in späte Zeiten ein berüchtigtes
Gefängnis für politische Sträflinge, hielt sich mit eiserner
Härte an die Buchstaben seiner Vorschriften.
Ein Gefangener, dein die Kette den Fuß brandig ge-
rieben, bat um die Amputation desselben, da er sonst werde
sterben müssen. Der Kommandant berichtete darüber nach
Wien, trotz Einsprache des Arztes, der aus sofortige Ampu-
tation drang, und begründete seine Meldung damit, daß ihm
der Gefangene mit zwei Füßen übergeben worden sei, er da-
her für dessen „Komplettheit" zu bürgen habe. Ehe die Entschei-
dung von Wien kam, war der Gefangene gestorben. A. D. B.
Hutes Iiezept. — Infolge seiner überhandnehmenden
Korpulenz war im Jahre 1759 der Stettiner Kanzleirat
Heinzenberger amtsmüde geworden, so daß er an Friedrich
den Großen ein Gesuch um Pensionierung einreichts mit der
Motivierung, seine Leibesfülle lasse ein Weiterdienen nicht
länger zu. Friedrich der Große, der nicht gern vor der Zeit
Pensionen an seine Beamten zahlte, antwortete auf dis Ein-
gabe: „Mache Er keine Flausen! Ein Kollege von Ihm in
der Kanzlei zu Magdeburg will nichts mehr thun, weil er
täglich magerer wird, und Er will sich auf die Bärenhaut
legen, weil Er zu dick wird. Dem Magdeburger habe ich
geraten, ordentlich Mehlsuppe zu essen, und Er mag sich
meinethalben täglich sein Brennholz selber spalten, oder Er
mag's auch mit Seiltanzen versuchen. Gefaulenzt wird noch
nicht!" I. W.
Sorben ist erschienen nnd durch dir meisten Buchhandlungen zu beziehen:
Gartenlaube-'lkalender 19O1.
Wit einem farbigen Kunstblatt von A. von Leigen unä Zahlreichen swustrationen in Zchwar?- unä Zuntäruck.
Keckzeknter Jahrgang.
In elegantem 6anzlein enban <4 Vreis < Mark.
Der „Hartenlaube-Lakeuder^ für das Jahr 1901 enthält u. a. die neueste Erzählung von
M. Heimburg: „Maiblumen" mit Wmtrationen von sr. Kerzen,
ansprechende und humorvolle Novellen von Llise Bofmann und M. Berger, unterhaltende und belehrende Beiträge von Karl Brandt, Or. Kurt
tampert, (L. Falkenhorst, Ludwig Dreier u. a., einen umfassenden, reich illustrierten Rückblick auf dis Tagesgeschichte von Or. Berniann Diez,
fernes zahlreiche Illustrationen von hervorragenden Künstlern, Humoristisches in Wort und Bild und viele praktische und wertvolle Kalender-Notizen
und Tabellen zum Nachschlagen bei Fragen des täglichen Lebens.
Bestellungen auf den Hartenkauöe-Kakender für das 2alsr 1901 nimmt die Buchhandlung entgegen, welche die Gartenlaube liefert.
Post-Abonnenten können den Kalender sowohl durch die Buchhandlungen als auch gegen Einsendung von 1 Mark nnd 20 Pfennig (für Porto) in Brief-
marken oder mittels 10 Pf.-Postanweisung direkt franko von der unterzeichneten Verlagshandlung beziehen. — Von den früheren Jahrgängen des
„Hartenkaulie-Aakenders^ find die Jahrgänge 1899 und 1900 in rote Leinwand gebunden noch zum Preise von 1 Mark zu haben, während die
Jahrgänge 1887, 1889—92, 1894 und 1896 auf 50 Pfennig herabgesetzt sind. Die übrigen Jahrgänge sind vergriffen.
Srnst AeiKs Dacbkolger 6. ni. b. I). in Leipzig.