Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
122

D a s B u ch f ü r A l l e.

Hcst 5.

unbeschädigt auf deui Geleise stehen. Die vordere Loko-
motive, auf der sich Führer O. Höfler und Heizer Schoch
befanden, stürzte südlich vom Bahndamm ab und lag mit
den Rädern gegen das Geleise, dessen zerrissene und ver-
bogene Schienenstränge emporragten. Die zweite Loko-
motive hatte sich auf dem Bahndamm in den Boden ein-
gebohrt. Der Tender der zweiten Maschine wurde durch
die Gewalt der nachschiebeuden Wagen gehoben, überschlug
sich und lag mit den Rädern nach oben in dem Trüm-
merhaufen der Wagen. Die nächstfolgenden Wagen,
zwei Gepäck- und sieben Personenwagen, wurden zum Teil
total zertrümmert und lagen ineinandergeschoben auf
der linken Seite des Bahndammes. Das Ganze bil-
dete einen Haufen zertrümmerter Eisenbahnwagen. Führer
K. Müller und Heizer Geng, die sich auf der zweiten
Lokomotive befanden, kamen mit dem Schrecken davon
Höfler und Schoch wurden von ihrer Lokomotive herunter-
geschleudert, wobei Höfler einige leichte Kontusionen er-
litt. Zugmeister I. Riede erlitt mehrere leichte Kopf-
verletzungen und eine Verletzung am linken Arm. Das
übrige Personal blieb unverletzt. Um so schlimmer wur-
den die Passagiere der vorderen Abteilung des Zugs mit-
genommen. Getöret sind Fischhändler Wall von Konstanz,
dem der Kopf plattgedrückt ivnrde, auch der Unterleib
wurde fürchterlich zugerichtet; dann der Agent B. Kohler
von Neustadt i. Schw. und die achtzehnjährige Italienerin
Michaele Luzatti. Schwerverletzt wurden zwei Personen:
Lokomotivführer Theod. Grieshaber von Konstanz, der den
Zug außerdienstlich benützte (schwere Kopfverletzung),
und Miß Flood aus Irland (schwere Verletzung am
rechten Unterschenkel, Gehirnerschütterung). Leicht verletzt
wurden drei Personen: Heinrich Braun, Kaufmann aus
Aschaffenburg (Verletzung an beiden Unterschenkeln),
Michael Luzatti aus Italien und dessen Ehefrau Eölestine
Luzatti; die Tochter der beiden letztgenannten ist die oben-
genannte Tote. Die Verletzten wurden im städtischen Kran-
kenhause zu Konstanz verpflegt. Werkthätige Hilfe leisteten
den Verletzten zuerst zwei im Zuge befindliche Aerzte, die
von den Jngebohier Schwestern aus Hegne unterstützt wur-
den. Mit dem sofort von Konstanz abgelassenen Hilfs-
zug erschien sodann die freiwillige Sanitätskolonne mit
ihrem leitenden Arzt Or. Guggenheim und dem Kolonnen-
führer Hausmeister Breyer, sowie einige weitere Aerzte
von dort. Nachdem die Verletzten im Hilfszug unterge-
bracht waren, wurden die drei Toi en auf einem Pritschen-
wagen unter Begleitung einiger Mitglieder der Sanitäts-
kolonne nach Konstanz verbracht, lieber die Ursache des
Unglücks ist immer noch nichts Sicheres festgestellt; man
vermutet, daß das Geleise durch die schweren Niederschläge
der letzten Zeit etwas gelockert war. Die Entgleisung
erfolgte auf einer völlig geraden Strecke der Bahnlinie,
nachdem der Zug die große Kurve zwischen Radolfzell
und Allensbach schon hinter sich hatte. Das Geleise war
auf etwa 100 Meter völlig nufgerissen, der ganze Bahn-
körper durchwühlt. Die vordere Lokomotive lag etwa
15 Meter vor der zweiten, die Schienen zwischen beiden
waren abgerissen und in nördlicher Richtung halbkreis-
förmig ausgebogen, die eisernen Schwellen vollständig
gekrümmt. Der Tender der zweiten Lokomotive war
vollständig plattgedrückt und gegen die zur Seite gewor-
fenen Wagen hinübergeschleudert. Die vorderen Per-
sonen- und Gepäckwagen waren völlig zersplittert und in-
und übereinander geschoben. Bei der gewaltigen Zerstörung
des Bahnkörpers und der Masse der zu beseitigenden
Trümmerhaufen dauerte die Verkehrsstörung etwa drei
Tage; der Personenverkehr wurde durch Umsteigen an der
Unfallstelle aufrecht erhalten, der Güterverkehr dagegen
mußte bis zur Wiederherstellung des Geleises vollständig
eingestellt bleiben Auf der Unglücksstelle hatte sich rasch
eine große Menge angesammelt. Von Radolfzell und
Allensbach erschien die freiwillige Feuerwehr, welche die
übereinandergetürmten Wagen stützte, und von Konstanz
ging, wie schon erwähnt, alsbald ein Hilfszug mit der
Sanitätskolonne und eine Anzahl Werkstättearbeiter ab
Auch befanden sich im Zug Landeskommifsär Frhr. v. Bod-


Die Gondel des Aekslischen Kiesenlustballons.


man, Geh. Reg.-Rat Jnng und Ober-
bürgermeister Weber. Fast alle mit leich-
ten ^Schürfungen u. s. w. Davongekomme-
nen, darunter auch die Krau des Hofbuch-
händlers Ackermann, sowie Lederhändler
Ai. Moos mit Frau, begaben sich zu Fuß
in ihre Wohnungen. Der Geschäfts-
reisende Braun aus Aschaffenburg wurde
im Stationszimmcr von Medizinalrat
Dr. Kaiser aus Karlsruhe ärztlich unter
sucht und eine Verletzung der Kniescheibe
festgestellt. Er wurde in einen Gasthof
verbracht nnd nachher ins städtische Kran-
kenhaus überführt — Die ersten sicheren
Nachrichten hatten einige Radfahrer nach
Konstanz überbracht Der Großherzog von
Baden ließ sich mehrfach telegraphisch
Bericht erstatten. Generaldirektor Eisen
lohr begab sich sofort auf di< Unfallstelle.
Auch der vertragende Rat im Neichseisen
bahnamt, Geheimer Oberbaurat Semler,
verfügte sich an Ort und Stelle, wohin
sämtliche Werkstätten in Basel, Walds-
hut, Singen und Konstanz ihre Maschinen
und Arbeiter aufboten, nm eine möglichst
baldige Wiederherstellung der zerstörten
Strecke zu ermöglichen. Es ist übrigens
ein wahres Wunder zu nennen, daß bei
diesem Unglück nicht mehr Menschen ums
Leben gekommen sind. Nur eiuem Zufall
nmr es zu danken, daß gerade die am
ärgsten mitgenommenen Wagen am schwäch-
sten besetzt waren.

Das Eisenbahnunglück bei Konstanz, rmch emcr jayowgrnphic nifred rvoif, Oofphowgriiph m Aonswuz.
 
Annotationen