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Heft 5.

Das Buch für Alle

139

Doch nicht nur Tsillon war von diesem Ausgange
überrascht, fast mehr noch war dies bei dem Bank-
beamten' Constant der Fall, der erstaunt der Prügelei
zugesehen hatte. Aber kaum hatte dieser das ihm wohl-
bekannte Gesicht des Marquis Balancourt sich aus der
täuschend ähnlichen Maske Lecombes entpuppen sehen,
als er auch begriff, daß er einem raffiniert angelegten
Gaunerstreich zum Opfer gefallen war.
In demselben Augenblick drückte er auf den elektrischen
Knopf an der unteren Seite des Zahltisches, die Alarm-
glocken schrillten durch alle Räume der Bank, die
Thüren schlossen sich automatisch, bewaffnete Diener
eilten von allen Seiten herbei, und einen Augenblick
später waren der vollkommen fassungslose Marquis
Balancourt und sein Freund, der Baron Bougival,
verhaftet.
Das Aufsehen, welches diese Vorgänge unter den
zahlreichen Anwesenden erregten, war ein ungeheures.
Dillon sah sich plötzlich zum Mittelpunkt einer An-
gelegenheit gemacht, deren nähere Umstände ihm völlig
fremd waren. Erst aus den Vernehmungen des bald
eingetroffenen Polizeikommissars erfuhr er den eigent-
lichen Zusammenhang.
„Sie haben uns einen sehr wertvollen Dienst ge-
leistet," sagte der Beamte zu ihm, „denn die Ver-
hafteten sind zwei lange gesuchte englische Checkschwindler
mit Namen Tom Smith und John Griffith. Auf ihre
Ergreifung ist von der englischen Staatsbank, die eben-
falls um große Summen von ihnen bestohlen wurde,
eine Belohnung von tausend Pfund Sterling ausgesetzt,
deren größter Teil Ihnen zweifellos zusallen wird."
Charles Dillon hätte beinahe einen Luftsprung vor
Freuden über diese Eröffnung gemacht. Tausend
Pfund! Das waren über fünfundzwanzigtausend Fran-
ken. Und die Hälfte dieser Summe reichte schon aus,
um ihm die Gründung einer eigenen Existenz zu er-
möglichen.
Aber es sollte noch besser kommen. Charles wurde
am folgenden Tage nach der Bank von Frankreich be-
schieven, deren erster Direktor ihn mit großer Liebens-
würdigkeit empfing.
„Durch Ihr Eingreifen, Herr Dillon," redete ihn
dieser an, „ist die Bank vor einem empfindlichen Ver-
luste bewahrt worden. Wir haben deshalb beschlossen,
Ihnen als Beweis unserer Erkenntlichkeit die Summe
von zehntausend Franken anzubieten, die ich Ihnen
hiermit überreiche."
Der Direktor verwickelte den glückstrahlenden jungen
Menschen noch in ein längeres Gespräch, aus dessen
Inhalt er Charles' ganze Geschichte erfuhr. Und das
Ergebnis dieser Unterhaltung war, daß Dillon eine !
gutbezahlte
Stellung an der
Bank von Frank-
reich erhielt.
Daß Frau
Potiviers unter
diesen Umstän-
den nicht zö-
gerte, ihm ihre
Einwilligung zu
seiner Verlo-
bung mit Ma-
rion zu geben,
ist selbstverständ-
lich. Aber Char-
les Dillon hatte
auch die Genug-
tuung, daß seine
früheren Chefs,
die aus den Zei-
tungen von den
näheren Um-
ständen des Vor-
falles Kenntnis
erhielten, seine
Angelegenheit
einer nochmali-
gen Prüfung un-
terzogen, in der
die Schurkerei
Lecombes an das
Licht kam. Dil-
lon jedoch lehnte
nicht nur das
ihm von Four-
nier L Compag-
nie gemachte An-
erbieten , seine
Stelle mit einer
namhaften Auf-
besserung wieder
anzunehmen, ab,
sondern er war
auch großmütig
genug, auf eine
Maßregelung
seines früheren

Rivalen zu verzichten, da er in der Liebe seiner Ma-
rion eine genügende Belohnung für die erlittene Un-
bill sand.

Sauen-ahls Nordpolarekpedition.
(Siehe das Bild auf Seite 138 und daS untenstehende.)
^or wenigen Wochen hat ein kleines Segelschiff, kaum
größer als einst die Wikingerschiffe der Normannen,
Hamburg verlassen, um den Kampf mit den Elementar-
kräften des nördlichen Eismeeres aufzunehmen und wo-
möglich den Nordpol oder das davor gelagerte Land zu
erreichen. Es ist der „Matador" unter Kapitän Bauendahl
(stehe das Bild auf S. 138). Das Fahrzeug, ein ge-
wöhnliches Hochseefischerboot mit zwei Masten und nur 44
Tonnen Wasserverdrängung ist von seinem Führer, der auch
dis Kosten der Expedition in Höhe von rund 90,000 Mark
trägt, zweckentsprechend verproviantiert und ausgerüstet worden.
Kapitänleutnant a. D. Bauendahl, der 17 Jahre seinem deut-
schen Vaterlands als Seemann gedient hat, und nun mit
nur sechs Begleitern auf ein so kühnes Unternehmen aus-
zieht, hofft zuversichtlich, sei es mit dem Schiffs, sei es auf
Schlitten, sein Ziel zu erreichen, indem er in das Packeis
nordöstlich von Spitzbergen eindringt, eine Rollte, die vor
ihm noch niemand gewählt hat. Nach seiner Meinung sind
alle bisherigen Nordpolarexpeditionen hauptsächlich daran
gescheitert, daß man das Schiff, sobald das Eis sein weiteres
Vordringen nach Norden nicht mehr gestattete, doch als
Operationsbasis nicht aufgeben wollte oder konnte. Bauen-
dahl will sich aber keineswegs an sein Schiff binden und
hat mittels einer voll ihm selbst erfundenen Verpackungsweise
Proviant und Vorräte in 95 Kisten derartig untergebracht,
daß er alles leicht mit aufs Eis nehmen und forttrans-
portieren kann. Die Kisten sind je 1,50 Meter lang, 50 Centi-
meter breit, 40 Centimeter hoch, haben unten die Form einer
Schlittenkufe und sind mit Eisenblech beschlagen. An den
Schmalseiten sind Nuten angebracht, um sie je nach den
Umständen tragen oder ziehen zu können. Alle können end-
lich durch geeignete Vorrichtungen zu einem Flos; zusammen-
gekoppelt werden, das sich wie ein Boot bewegen läßt. Man
ist also aus alle Wechselfälle einer Polarreise eingerichtet und
gefaßt. Kapitän Bauendahl ist sogar darauf gefaßt, sich auf
einer Scholle nach Süden treiben zu lassen, falls nach dem
Aufgeben des Schiffes auf der Schlittenreise sich ein wei-
teres Vordringen nach Norden als unmöglich Herausstellen,
oder durch Krankheit und Tod einiger Teilnehmer die Expe-
dition etwa zur Umkehr gezwungen werden sollte. Daß die
Expedition mit allen zur Forschung nötigen wissenschaftlichen
und nautischen Instrumenten versehen ist, versteht sich von selbst.
Auch nach Spuren von Andröe will Bauendahl eifrig aus-
schauen. Kapitän Bauendahl, ein Hannoveraner, ist ein ^jäh-
riger Mann von kräftigem Wuchs, abgehärtet und erfahren.
Wir sehen ihn in der Mitte unseres untenstehenden Bildes.
Rechts von ihm lehnt an dem Oberbau der Kajütstreope sein
Steuermann Richard Dressier, ein Berliner. Die sorgfältig aq.s- I

gewählte Mannschaft besteht aus den Matrosen Oskar Schmidt
aus Gumbinnen, Wilhelm Schmitt aus Bremerhaven, Oskar
Buchmann aus Bodenfelde bei Hannover, Heinrich Hammann
aus Gauensieck bei Stade und Georg Bleisteiner aus Alten-
sittenbach in Bayern. Sämtliche Teilnehmer dieses kühnen
Unternehmens, dem der beste Erfolg zu wünschen ist, sind
unverheiratet.

1)enetiamlches Feit auf dem Duhendteich bei
Nürnberg.
(Siehe das Bild auf Seite 141.)
festen, die im Freien gefeiert werden, ist unser Klima wenig
O günstig. Die Maifests müssen meist im Juni begangen
werden, weil der Wonnemonat sich gar zu unhold und lau-
nisch erweist, und die Herbstfeste verregnen gewöhnlich, Selbst
um die Hochsommerzeit, wenn am Tage die Hitze brütend
schwer auf Stadt und Land lastet, und der besonders schwer
darunter leidende Großstädter am Abend Erholung in einem
jener großen Vergnügungslokale am Park, am Waldrands
oder Wasser sucht, wo bei Musik und festlicher Beleuchtung
eine „Italienische Nacht" oder ein „Venetianisches Fest" statt-
finden soll, stört ein plötzlich hereinbrechendes Gewitter ost
genug alle Freude und jagt die zahlreichen Teilnehmer flucht-
artig in die schützenden Nestaurationsräume. Um so schöner
freilich, wenn einmal der Wettergott sich gnädig erweist, und
das „Venetianische Fest", wie unser Bild auf S. 141 eines
auf dem Dutzendteiche bei Nürnberg darstellt, gelingt. Die
Umgebung der bedeutenden Handels- und Industriestadt
Nürnberg ist nicht besonders reich an schönen Punkten, und
die ungemein rasch wachsende Bevölkerung ist daher für ihre
Sonn- und Festtagsausflüge hauptsächlich auf den Dutzend-
teich vor dem Frauenthore angewiesen, einen am Waldrands
gelegenen kleinen See, an dessen Gestade stattliche Nestau-
rationsräumlichkeiten liegen, während über hundert Boote
und Kähne verschiedener Größe zur Wasserfahrt einladen.
Auch Motorboote für größere Gesellschaften schießen über die
Sonntags stets von fröhlichen Menschen belebte Wasserfläche.
Mitten in dem kleinen See liegt ein Inselchen (links auf
unserem Bilde), das einen beliebten Landepunkt abgiebt.
Am interessantesten und beliebtesten ist der Anblick des
Dutzendteiches, wenn ein sogenanntes venetianisches Fest ge-
feiert wird. Dann wimmeln Ufer und Park am See von
Tausenden von geputzten Menschen, alle Boote, geschmückt mit
Laub- und Blumengewinden, Fahnen und bunten Papier-
laternen, und dicht gefüllt mit fröhlichen Menschen, sind
unterwegs; und wenn mit Einbruch der Dunkelheit überall
die Lichter angezündet werden, die sich in der glatten Wasser-
fläche spiegeln, und auf der Insel bengalische Feuer aufslammen
und ihren magischen Schein auf den See werfen, dann ge-
währt der Dutzendteich ein reizendes Bild, das zwar durch-
aus nichts venetianisches an sich hat, aber dafür den Zauber
eines echten deutschen Wald- und Wasserfestes, den alle unsere
Leser wohl schon selbst empfunden haben werden.

KapitänleutnanL a. I. Z3auendatzk und die Besatzung des Schiffes.
 
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