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Heft 6 Illustrierte Famitien-Deitung. Iahrg mi.


Der Untersuchungsrichter.
Bomail uoir H. v. Heldrungen.

rst als Giovanna init dein Aufzählen
der Banknoten fertig war und die
Mappe in den Schrank zurücklegte, be-
sann der Marchesino sich wieder auf
sich und bezwang sich. Er that nun,
l... als ob or das aufgezählte Geld gar
nicht liegen sähe, faltete die Hände und blickte starr
nach der Decke, als ob er auch mit den Schwestern da
drüben beten wolle.
„Da, nehmen Sie," sagte Giovanna endlich, und
als er das zu überhören schien, rief sie nochmals:
„Rodolfo! Da liegt das Geld, nehmen Sie es an sich."
„Gut. Es wird natürlich alles richtig besorgt und
so weit das unter den sonderbaren Umständen möglich
ist, genaue Abrechnung gemacht," murmelte er gleich-
gültig und schob die Scheine achtlos zusammen.
Sie verließen den Salon wieder und kehrten in
Giovannas Zimmer zurück. Dort stellte sich der Mar-
chesino eifrig zu allerlei Geschäften und Besorgungen
zur Verfügung, die Giovanna jetzt etwa haben
könnte. Er ermahnte sie, vorsichtig zu sein und
sich von den vielen fremden Leuten, die sich
jetzt gelegentlich der Begräbnisfeierlichkeiten an
sie drängen würden, nicht betrügen zu lassen.
Giovanna übertrug ihm auch wirklich die nöti-
gen Besorgungen. Dann aber hielt es der
Marchesino nicht mehr aus. Das Geld brannte
in seiner Tasche, und so empfahl er sich denn,
indem er vorschützte, sogleich die Aufträge Gio-
vannas erledigen zu müssen.
„Und das Halsband?" fragte Giovanna.
„Wann bringen Sie es mir?"
„Morgen abend. Entweder erhalten Sie das
Halsband oder das Geld zurück, wenn ich es
nicht erlangen kann."
„Thun Sie Ihr Möglichstes, Rodolfo."
„Können Sie zweifeln, Giovanna?" fragte
er vorwurfsvoll. —
Wenige Minuten später ging er unten durch
das Thor und warf dem alten Monaco, der
hinter seiner Säule lag, seinen falschen Soldo
zu. Er brauchte ihn ja jetzt nicht mehr.

Dreizehntes Knpitek.
Da der Marchese spät in der Nacht nach
Hause gekommen war, so stand er am nächsten
Tage auch ziemlich spät auf. Es war schon
Mittag vorüher. Als er seine Barschaft nach-
zählte, fehlten an den zweitausend Lire, die ihm
Giovanna am Abend vorher gegeben hatte,
nur etwas über hundert Lire. Er war also sehr
bescheiden gewesen. Er war, als er den Pa-
lazzo Righetti verließ, m einen Klub gegangen,

in dem er in früheren, besseren Jahren viel verkehrt
hatte. Natürlich war er dort sehr gut empfangen
worden. Man kannte den Marchesino dort wohl.
Wenn er Geld hatte, so hatten andere auch solches.
Er war also vielen seiner alten Freunde sehr will-
kommen gewesen. Leute, die Geld haben, sind immer
willkommen.
Man hatte sich gut unterhalten und war sehr fidel
gewesen. Der Marchesino träumte, als er endlich in
den Morgenstunden nach Hause gekommen und einge-
schlasen war, von der besseren Zeit und der goldenen
Zukunft, die sich ihm nun eröffnen würde. Freilich
mußte er nun von dem Geld, das er noch besaß, vieles
berichtigen, vor allem die rückständige Miete. Das
mußte sein, so wenig er auch ein Freund vom Schul-
denbezahlen war, um das Aergste, die Aussetzung, zu
verhüten. Ferner mußte der Schneider her. Es ging
nicht an, daß ein Marchese de Rossi immerfort in
einem und demselben Nock herumlies. Die Leute
merkten daran, wie es stand. Also auch das mußte
sein. Dann sollte ein kleines Coupö angeschafft wer-
den, wenn auch vorläufig nur mietweise. Das ging
in Nom gar nicht anders, und der Marchesino dachte
für erwa zweihundert bis zweihundertfünfzig Lire
monatlich ein passendes Gefährt mitsamt Livreekutscher
und Wappen an der Wagenthür zu erhalten. Ob es
dann noch für eine Loge im Theater langte — auch
das mußte natürlich sein — wußte Rodolfo noch nicht.


W. W. Kraf v. Lamsdorff,

Indessen war er darüber sehr beruhigt. Hatte er doch
gesehen, daß da, wo die zweitausend Lire lagen, noch
mehr lag.
Weiter überlegte er dann, was mit der alten Pao-,
lotta, dem Hellseher und dem Halsschmuck zu geschehen
habe. Es that ihm leid, dafür so viele von seinen
roten Scheinen hergeben zu sollen, aber wie er auch
sann, es siel ihm nichts ein, was ihm diese Ausgabe
ersparen konnte. Daß er sich unter allen Umständen
in den Besitz des Schmuckes setzen mußte, war klar.
Er sah ihn etwa so an, wie ein Geschäftsmann sein
Betriebskapital, mit dessen Hilfe er wieder neue Mittel
heranschaffen mußte. Dem arglosen und unerfahrenen
jungen Mädchen, das durch den Todesfall noch dazu
um alle Besonnenheit gekommen zu sein schien, konnte
er ja hundert Sachen vorreden. Schließlich würde er
sein Ziel doch erreichen. Aber das Halsband mußte
er haben, um sie von seiner Treue und Hingabe zu
überzeugen.
Es handelte sich nur darum, wie er es am billigsten
herbeischaffen konnte. Sollte er der Polizei von der
Sache Nachricht geben? Das war sehr unsicher und
sagte ihm wenig zu. Die Gauner waren zu schlau.
Der „Hellseher" konnte ja auch wirklich ein Hellseher
sein, das heißt ein Mann, der eben mehr sah als
andere. Auch die alte schlaue Paolotta konnte er der
Hehlerei oder Mitwissenschaft nicht überführen, und
selbst wenn es geschah — was nützte ihm das? Er
brauchte den Schmuck, nicht den Dieb.
Oder sollte er sich listig, durch Ueberrumpe-
lung in den Besitz des Halsbandes zu setzen ver-
suchen? Das war sehr gefährlich. Denn wenn
auch alles gelang, so setzte er sich doch der Rache
der Camorristen aus und mußte gewärtig sein,
nachts an irgend einer dunklen Ecke niederge-
stoßen zu werden.
Das war also alles nichts, und der Marche-
sino mußte sich wohl oder übel entschließen,
wieder nut der alten Paolotta zu unterhandeln.
Er ging also, nachdem er den Tag über eine
Menge Geld für die nichtigsten Sachen ausge-
geben hatte, als es finster geworden war, wieder
nach der Via bocca della verita, um die Be-
kanntschaft des geheimnisvollen Hellsehers zu
machen.
Die alte Pfandleiherin schien ihn schon er-
wartet zu haben. „Die Madonna sei mit Ihnen,
Herr Marchese," sagte sie in ihrer aufdringlichen
Art, „und segne alle Ihre Verwandten und
Freunde. Haben Sie das Geld mitgebracht?"
„Selbstverständlich,., es fragt sich nur —"
„Zeigen Sie es mir," unterbrach sie ihn kurz
und bestimmt.
„Aber erst muß ich doch sehen —"
„Ich gehe keinen Schritt, wenn Sie mich
nicht überzeugen, daß Sie elfhundert Lire bei
sich haben. Verstanden? Es ist ganz unnütz,
auch nur ein Wort zu sagen, wenn das nicht
der Fall ist."
Das mochte nun der Marchesino so unver-
schämt und frech finden, wie er wollte, er mußte
sich der Forderung fügen. Er langte also seine
Brieftasche heraus und zeigte Paolotta seine
 
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