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Heft 7. Illustrierte Fumilien-Zeitung. Iahrg im.


Der Untersuchungsrichter.
Mnman voir H. v. Heldrungeu.
(Ivrlsrhung.)
(Nnch-rlick verboten.)
reilich werden Sie Morosi kennen, Sig-
nora Righetti," fuhr der Staatsanwalt
auf Giovannas bejahende Antwort fort.
„Er wohnte ja in Ihrem Hause und
Sie haben noch in letzter Zeit vielfach
mit ihm zu thun gehabt wegen des
Ihnen geraubten Schmuckes. Wa^ machte Ihnen der
Angeklagte dabei für einen Eindruck?"
„Aber
„Ich will lieber fragen: Halten Sie
ihn für fähig der That, die ihm zur
Last gelegt wird?"
„Nein!" sagte sie kurz und bestimmt.
„Hm," machte der Staatsanwalt nach-
denklich, „ich möchte Ihnen gern beistim-
men, wenn nur nicht so viel Belastendes
dagegen stünde. Erlauben Sie mir noch
eine Frage, die etwas indiskret klingt,
die ich aber' gleichwohl im Interesse der
Untersuchung an Sie richten muß. Haben
'Lne je in einein besonderen Verhältnis
zu dein Angeklagten gestanden, Sig-
norina?"
Giovanna schaute ihn verwundert an.
„Nie!" sagte sie dann rasch und be-
stimmt.
„Nun, das läßt sich wohl annehmcn,"
fuhr der Staatsanwalt fort, „aber ich
möchte wissen, ob Morosi nicht vielleicht
trotzdem sich gewissen Hoffnungen hin-
gegeben hat."
„Das weiß ich nicht," erwiderte Gio-
vanna. „Das sollten Sie ihn selbst
fragen. Er muß das doch besser wissen
als ich."
„Das ist allerdings richtig, Signo-
rina, die Sache ist nur die, daß er Zins
eben nur das sagt, was er für gut hält.
Er muß ja auch am besten wissen, ob
er Ihren Vater erschossen hat oder nicht.
Ob aber das, was er uns auf diese Frage
antwortet, die Wahrheit ist oder nicht,
wer will das behaupten?"
„Wer behauptet denn, daß es die Un-
wahrheit sei?"
„Die Anklage, die Umstünde und das
Zeugenverhör."
Giovanna machte eine rasche Bewe-
gung, als ob ihr eine plötzliche Idee auf-
getaucht wäre. „Morosi hat mich noch
nie belogen," sagte sie fast heftig, „er
wird es auch nie thun. Stellen Sie
ihn mir gegenüber, und er wird die
Wahrheit sagen."

Das kam in einer sonderbaren, schneidigen Art heraus
und machte auf die beiden Anwesenden offenbar Ein-
druck. Der Marchesino zuckte etwas verächtlich die
Schultern. Er sah sofort, daß Giovanna auf eine
persönliche Gegenüberstellung mit dem Angeklagten los-
steuerte und suchte nun deren Erfolg im Vorhinein ab-
zuschwächen. Der Staatsanwalt lächelte leicht. Ihm
schien die Aeußerung Giovannas einen schon vorher ge-
faßten Gedankengang zu bestätigen. „Meinen Sie?"
fragte er ironisch. „Das wäre ja eine ideale Verein-
fachung der Untersuchung."
„Wenn es Ihnen ernst ist mit der Untersuchung,
Herr Staatsanwalt," fuhr Giovanna jetzt entschiedener,
vielleicht auch etwas trotzig gemacht durch seine ironische
Bemerkung, fort, „so dürfen Sie kein Mittel zur Er-
forschung der Wahrheit unterlassen. Auch das nicht,
das ich Ihnen angebe."

„Sie glauben also wirklich einen Einfluß in der
angedeuteten Weise auf den Angeklagten ausüben zu
können?" fragte Bentivoglio aufmerksam.
Giovanna zögerte den Bruchteil einer Minute mit
der Antwort. „Ich-" begann sie dann etwas
unsicher, brach aber in dem angefangenen Satze wieder
ab und sagte rasch und entschlossen: „Ja!"
Der Marchesino, der etwas seitwärts saß und von
Giovanna nicht gesehen werden konnte, setzte mit einer
gewissen Ostentation das Monocle auf und sah erst
Giovanna etwas überrascht und scharf prüfend an,
dann den Staatsanwalt. Er schien an der Entwickelung
der Scene in eigener Weise beteiligt zu sein. Benti-
voglio seinerseits glaubte keinen Augenblick an die Ver-
sicherung Giovannas. Indessen meinte er, aus einem
unverhofften Zusammentreffen des Angeklagten mit ihr
genaueren Einblick in die Beziehungen der beiden zu
erhalten. Wenn es ihm gelang, zwischen
den beiden zärtliche Beziehungen festzu-
stellen, so erhielt die Untersuchung ein
ganz anderes Gesicht und konnte nach
einer Seite hin ausgedehnt werden, die
bisher unbeachtet geblieben war. Er-
drückte also nach einer kurzen Ueberlegung
auf eine Klingel und befahl dem ein-
tretenden Diener, den Untersuchungsge-
fangenen Morosi vorzuführen.
Giovannas Augen blitzten auf, und
ihre Wangen röteten sich etwas. Kaum
hatte der Diener das Zimmer verlassen,
so stand sie unruhig auf, als ob sie sich
durch einige Bewegung beruhigen müßte.
Diese Aufregung war ihr selbst viel-
leicht unbewußt, jedenfalls entging es
ihr vollständig, daß sie sowohl von dem
Cavaliere Bentivoglio wie auch vom
Marchese scharf beobachtet wurde. Auch
war sie wohl viel zu jung und zu un-
erfahren, um die Bedeutung der Vor-
gänge und ihre Tragweite richtig abzu-
schätzen.
Nach einigen Minuten, während derer
die Anwesenden vollständiges Schweigen
beobachteten, als ob jeder für sich in leb-
hafter Erwartung mit seinen eigenen Ge-
danken beschäftigt wäre, trat der frühere
Untersuchungsrichter Morosi ein. Er hatte
natürlich noch seine gewöhnliche Kleidung
an, aber sein Gesicht war zum Erschrecken
bleich und abgehärmt. Aus seinen Augen
sprach die Seelenqual der letzten Tage
und Nächte, Sorge und Kummer. Seine
erste Bewegung bei dem so ganz unver-
muteten Anblick Giovannas war, daß er
die Hände mit einer krampfhaften Hast
zusammenfaltete und wie zum Gebet in-
einander preßte. Dann näherte er sich,
wie überwältigt von einer inneren Be-
wegung, rasch einige Schritte — es schien
fast, als ob er ihr zu Füßen fallen
wollte — blieb aber plötzlich wieder-
stehen und ließ die Hände wieder mut-
los fallen.


Gustav Schwab. Nach einem Stahlstich. (S. 180)
 
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