Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Heft 8.
zuerst entdeckte und dich dann ersuchte, Tupai hiervon
Mitteilung zu machen. Du indes kauftest dein armen,
nichtsahnenden Burschen die Taube um zehn Cents
ab, betrogst ihn also auf die schmählichste Art. Aber
Gottes Strafe für deinen Frevel blieb nicht aus, und
er verwandelte die zwei diamantenen Eier der Taube
in solche aus wertlosem Gestein."
„So ist es!" riefen die übrigen. „Allah hat das
Wunder gewirkt und dich für deinen Betrug gezüchtigt!"
Tupai hatte bisher regungslos dagestanden. „Elen-
der!" schrie er jetzt Palaki zu. „Du hast mich be-
stohlen — beraubt!" Und er stürzte, feinen Kris aus
der Scheide reißend, auf den Alten zu. Aber die
Hand des Chinesen hielt ihn fest, während Palaki mit
einem gellenden Angstschrei durch die Thür enteilte.
„Laß mich!" knirschte Tupai, indem er sich dem
Griffe Tsien-Hos zu entwinden suchte. „Ich muß mich
rächen!"
Der Chinese neigte sich zum Ohre des jungen
Mannes und flüsterte ihm einige Worte zu.
„Freunde," sagte er dann laut zu den anderen,
„bitte, geht doch Palaki nach und schaut, daß er zur
Ruhe kommt. Ich will hier inzwischen Tupai be-
sänftigen."
Kaum waren Tsien-Ho und der Javane allein,
rief letzterer hastig: „Was rauntest du mir zu? Die
Taube war gar nicht hundertjährig?"
„Nicht im entferntesten," lachte der Chinese, „ich
uralte ihr den Stern mit Tusche auf den Schwanz und
gab sie dann Palaki gegenüber für eine hundertjährige
aus, denn ich rechnete bestimmt darauf, daß der Alte
sie stehlen oder sonstwie auf unrechtmäßige Weise in
seinen Besitz bringen würde. Und ich täuschte mich
auch nicht in ihm."
„Und — die krystallenen Eier?"
„Gab ich vor einer Stunde Aoni, die sie in den
Käsig der Taube legte."
„Ja, aber wozu denn diese ganze Gaukelei?"
„Wenn du es noch nicht errätst," sprach der Chinese,
„werde ich es dir später erklären. Jetzt laß mich —
ich muß hinüber zu Palaki."
„Was willst du denn dort?"
„Ei, was denn sonst, als für dich freien? Haha!"
„Aber —"
„Lebe wohl. Erwarte mich hier."
Tsien-Ho eilte fort, und traf Palaki, sich am Bo-
den seiner Hütte wälzend und sich die Haare raufend.
Aoni suchte ihn zu beruhigen.
„O ich Unglückseliger!" schrie eben der Alte.
„Mein ganzes Geld ist hin — kein Cent mehr im
Hause — und keine Diamanten! — Wer ist da? Du,
Tsien-Ho? Du bist schuld an allem."
„Schon gut," sprach der Chinese gelassen, „statt
dich in solch sinnlose Anklagen zu ergehen, solltest du
lieber daran denken, dis Gefahr abzuwenden, die dich
bedroht."
„Gefahr?" stammelte Palaki. „Was meinst du?
Folgt dir etwa Tupai? Will er mich morden?"
„Lasse dein Schreien, Palaki, Tupai folgt mir
nicht, aber noch diese Nacht eilt er nach Batavia und
holt dort die Opaß,*) um dich verhaften zu lassen."
„Die Opaß! Verhaften?" stöhnte der Alte. „Und
weshalb?"
„Weshalb? Du fragst? War dein Handel mit
Tupai nicht offenkundiger Betrug, durch den der arme
Bursche ein riesiges Vermögen verlor? Deiner uner-
sättlichen Habsucht kannst du es danken, wenn du den
Nest deines Lebens im Zuchthause von Batavia be-
schließest."
„Gnade!" wimmerte da Palaki, und rutschte aus
den Knieen auf den Chinesen zu. „Gnade — du bist
Tupais Freund — sprich für mich!"
„Ja," machte Tsien-Ho bedächtig, „das wird schwer
möglich sein. „Ich habe Tupai nie so wild gesehen
— ist ihm auch gar nicht zu verdenken. Indes —
vielleicht — wenn du ihn bittest, daß er deine Tochter
zum Weibe nimmt —"
„Ich will es thun — alles — alles, aber nur nicht
die Opaß — das Zuchthaus!"
„Gut, so will ich es versuchen, ihn umzustimmen."
Tsien-Ho wandte sich, noch einen Blick Aonis auf-
fangend, ab und entfernte sich, heimlich lachend.
Am .Abend des nächsten Tages bereits führte
Tupai die schöne Aoni als sein Weib in seine Hütte.
Lustiges Gurren begrüßte das Paar, als es in Be-
gleitung des Chinesen und einiger befreundeter Ja-
vanen über die Schwelle trat.
„Gibbi!" rief Tupai erstaunt und erfreut aus, als
er an der bekannten Stelle den Käfig mit der Taube
erblickte, „wie kamst du denn zurück? Tsien-Ho, alter
Freund, das ist dein Werk!"
„Palaki," sprach.der Chinese, „überließ mir das
Tierchen, da ihm sein Anblick jetzt verhaßt ist. Ihr
aber werdet die Taube stets hüten und pflegen, da sie
euch auch in späteren Zeiten an diese leidvollen Tage
*) Opaß — Polizeidiener.

Das Buch s ü r All e.

219

eurer jungen Liebe erinnern wird, und vielleicht" —
setzte er mit seinem pfiffigen Lächeln hinzu — „doch
noch einmal diamantene Eier legt."
Laute Fröhlichkeit und stilles Glück erfüllten die
kleine Hütts. —
Drüben aber saß Palaki auf seiner Matte und
starrte betrübt in seinen schmierigen Geldbeutel, aus
dem es ihm hohl und schwarz entgegengähnte. Dann
griff er zur Arrakflasche und hielt sie gegen das Licht.
Auch die Flasche war leer; und mit einem tiefen
Seufzer schob er sie in einen Winkel und streckte sich
dann aus, seinen Gram und Aerger zu verschlafen.

Almglmilim im nwdmim England.
Kuliurgrschichilichr SkiW von Robert Kraft.
(Nachdruck verboten.)
in „Familiengeist" ist die spukende Seels
eines Verstorbenen, welcher mit der be-
treffenden Familie in irgend einer Be-
ziehung gestanden hat und den Mitglie-
dern derselben bei Nacht erscheint, um ihnen
etwas Böses oder etwas Gutes zu verkünden, oder
auch nur, um im Hause spazieren zu gehen. Auch
von Gästen wird er gesehen, die er gern schreckt. Einen
treuen Familiengeist zu besitzen ist fast das ausschließ-
liche Vorrecht von altadeligen Geschlechtern, deshalb
Hausen auch die Familiengeister mit Vorliebe in alten
Burgen und Schlössern. In Mietskasernen findet
man sie gar nicht; diese sind ihnen wahrscheinlich zu
windig gebaut. Bürgerliche Patrizierfamilien in alten
Häusern haben höchstens ein nächtliches Trappen und
Poltern auf oer Treppe oder einen gespenstischen Licht-
schein im Keller; aber das ist noch nicht das Rechte.
Ein neugebackener Adel muß sich erst einen eigenen
Familiengeist zulegen, ehe er als voll angesehen wer-
den kann. Als jüngst ein amerikanischer Millionär
ein schottisches Grafenschloß mit allen Rüstungen,
Ahnenbildern und sonstigen Reliquw" Us Ehesitz für
seine mit einein englischen Baron verheiratete Tochter
erstand, erkundigte er sich vorsichtig, ob zu dem ge-
samten Mobiliar auch der vornehme, unerläßliche Fa-
miliengeist gehöre.
Ganz besonders gut gedeihen diese ruhelosen Nacht-
wandler in Schottland, und mit den populärsten Fa-
miliengeistern der schottischen Lords wollen wir uns
einmal näher beschäftigen.
Jener oben erwähnte Pankee-Millionär heißt Har-
wis; er kaufte das Schloß Cortachy in der Grafschaft
Kirrimuir, dem ausgestorbensn Geschlechte der Ogilvys
gehörend, das einen Hausgeist besaß, der die Trommel
schlug, wenn einem Mitglieds des Hauses Ogilvy der
Tod bevorstand.
In der guten alten Zeit hatte ein Lord Airlie,
ein Ogilvy, seinen Turmwächter, der aus irgend einen)
Grunde des Lords heftigen Zorn erregt hatte, in seine
große Trommel gesteckt und ihn in dieser Verpackung
vom Turme hinabwerfen lassen. Ob der Mann vor-
her etwa seinem Herrn geflucht hat oder nicht, ist
nicht zu erfahren. Jedenfalls soll er seit jener Zeit
trommelnd auf dem Schloßhofe erscheinen, wenn bald
ein Mitglied des Hauses Ogilvy stirbt, im altertüm-
lichen Nock, in Kniehosen und Gamaschen, mit Perücke
und Zopf, eine große Trommel rührend.
Sein erstes verbürgtes Erscheinen stammt aus dem
Jahre 1849. Damals starb eine Lady Airlie. Dann
meldeten im Jahre 1884 die englischen Zeitungen,
eine Dame, welche als Gast auf Schloß Cortachy
weilte, habe in der Nacht Trommelwirbel vernommen,
und als sie es am Morgen dem Lord erzählte, wäre
dieser erbleicht. Einige Tage darauf verschied die
Schloßherrin. Vor einigen Jahren berichteten wiederum
die Zeitungen, Lord Airlie, der letzte Sproß der
Ogilvys, habe den Trommler gesehen — und richtig,
am anderen Tag stürzte er vom Pferd und brach sich
das Genick. Das heißt, der Zeitungsbericht erzählte
stets erst von der Erscheinung, wenn der oder die Be-
treffende schon tot war.
Ob nun auch Mister Hanois den gespenstischen
Trommler käuflich mit übernommen hat, wird er ja
bei seinem Tode, wenn er gerade in Cortachy weilt,
selbst erfahren.
Alle diese Geistergeschichten sind im Grunde höchst
läppisch, aber sie bestehen seit Jahrhunderten, sie gehen
von Mund zu Mund, das Volk und die Presse be-
schäftigen sich mit ihnen, sie kennzeichnen den Charakter-
einer ganzen Nation, und so sind sie doch wert, noch
weiter verfolgt zu werden.
Also Nummer zwei: zur Abwechslung ein Trom-
peter. Er erscheint in den einsamen Hallen von Fyvie
Castle in Schottland den Mitgliedern des Hauses
Gordon, und sein Auftreten bedeutet gleichfalls den
Tod eines vom Gordongeschlecht

Diese Rache, noch Lebenden einen baldigen Sterbe-
fall zu melden und nicht einmal zu sagen, wen es
betrifft, ist ganz berechtigt, wenn wir bedenken, wie
der Trompeter zum Geiste wurde.
Er liebte die Tochter des Kastellans. Aber auch
der Schloßherr hatte ein Auge auf das Mädchen ge-
worfen. Liebe und Trompetenblasen hängen bekanntlich
eng zusammen, die Kastellanstochter wies die Anträge
des Lords entrüstet zurück und blieb ihrem Trompeter-
treu, der auch noch jetzt als Geist sehr schmuck aus-
sehen soll. Der Lord warf den Nebenbuhler in ein
Verließ, wo weder Sonne noch Sterne hineinschienen,
und ließ ihn darin verhungern. Nun rächt sich der
Trompeter am ganzen Geschlecht. Was aus der Ka-
stellanstochter geworden ist, meldet die Chronik nicht.
Glücklicherweise hat Schloß Fyvie auch noch einen
guten Geist in Gestalt einer alten, vornehmen Dame
im grünen Brokatkleid, welche im Ahnensaal sichtbar
wird, wenn den Gordons ein frohes Familienereignis
oder überhaupt etwas Gutes bevorsteht. So soll sie
auch kürzlich wieder in der Nacht erschienen sein, als
am nächsten Tage ein Telegramm des jungen Lords
eintraf, er habe in Monte Carlo die Spielbank ge-
sprengt.
Hiermit sind die Geheimnisse von Fyvie Castle noch
nicht erschöpft. Zur Zeit der Minstrels ging ein
abenteuerlicher Gordon unter diese fahrenden Minne-
sänger, aber so lebendig deren Lieder im englischen
Volke auch noch heute sind, und wie man auch jetzt
ihre Ritterlichkeit verherrlicht — damals konnten sie
doch in keinem besonders guten Rufe stehen, denn als
eines Tages der Dichterjüngling am Portal des
Schlosses seiner Ahnen Einlaß begehrend anklopfte,
wahrscheinlich etwas zer- und verlumpt, wurde ihm
seine Enterbung angekündigt, und er zum Hofe hinaus-
gejagt.
Da schleuderte der junge Minstrel einen Fluch
gegen die Mauern von Fyvie Castle. „So soll nimmer-
mehr ein Gordon die Erbschaft seines Vaters an-
treten!" rief er.
Der Fluch hat sich erfüllt. Es ist eine Thatsache,
daß sich das Herzogshaus der Gordons schon seit zwei-
hundert Jahren nicht ein einziges Mal direkt vererbt
hat, ein ganz merkwürdiges Vorkommnis. Beim Tode
des Herzogs war nie ein direkter Erbe da, stets wurde
ein Neffe oder ein Bruder oder ein anderer Verwandter
der Nachfolger.
Zwei Hausgeister besitzt auch die Grafenfamilw
der Combermere. Der eine ist erst vor kurzem ent-
deckt worden, der andere dagegen macht sich seit meh-
reren Generationen bemerkbar, treibt ganz offen sein
Wesen, ist ganz harmloser Natur, und man spricht
von ihm wie von einem lebenden Familienmitglied.
In der Combermere-Abtei befindet sich ein un-
benutzter Raum, früher als Schlafzimmer dienend,
in der Mitte steht noch das altertümliche Bett. Sind
bei einer Gelegenheit viele Gäste im Schlosse, so wird
auch einmal ein Besuch in diesem Zimmer einqunrtiert,
und gleich darauf vorbereitet, was er erleben wird.
Jedesmal um Mitternacht erscheint nämlich ein Mäd-
chen von etwa vierzehn Jahren in der Kleidung des
vorigen Jahrhunderts, rennt einigemal um das Bett
und verschwindet wieder. Dabei geht das Nachtlicht
aus, ein fahler Schein erhellt das Zimmer, und dann
entzündet sich die Kerze oder die Lampe von selbst
wieder.
Der Geist hat gar keine besondere Ursache zum
spuken. Der zuletzt verstorbene Lord Cotton, der Chef
des Hauses Combermere, hatte eine Schwester, mit
der er als Knabe sich eines Abends spielend in diesem
Zimmer um dieses Bett herumjagte, als das vierzehn-
jährige Mädchen plötzlich an einein Herzschlage ent-
seelt zu Boden stürzte. Dies geschah am Ende des
18. Jahrhunderts. Seit jener Zeit soll Lady Cotton
beständig erscheinen und um das Bett rennen, sobald
jemand darinnen liegt, jeder Gast soll sie sehen. Un-
zählige wollen den ganz harmlosen Spuk erlebt haben,
wie gesagt, man spricht in Schottland und England
darüber wie über etwas ganz Selbstverständliches.
„Es ist eine Thatsache," versichert ernsthaft selbst der
gebildete Engländer.
Der neuentdeckte Familiengeist der Combermere
wurde vor noch gar nicht langer Zeit in englischen
Zeitungen besprochen, wieder in einem Tone, als sei
gar nichts Außergewöhnliches dabei. Eine Lady Cotton
photographierte bei Magnesiumlicht den düsteren Ahnen-
saal. Als sie das Negativ entwickelt hatte, zeigte sich
auf der Platte in einem Lehnstuhl sitzend eine mensch-
liche Figur, zwar mit recht geisterhaften Umrissen, aber
doch so deutlich, daß inan nach einem Gemälde fest-
stellen konnte, es sei der Geist eines längst verstorbenen
Ahnen, welcher im Schlosse seinen alten Gewohnheiten
nachging. Dem bloßen Auge sichtbar wurde er nie,
und ob er noch einmal „saß", ist unbekannt. —
Ueberreich an Geistern und Geheimnissen aller Art
ist die Burg Glamis in Strathmore, der Ahnensitz des
berühmten Geschlechts der Lyons, dessen Chef jetzt den
Titel Earl von Strathmore führt, früher Than von
 
Annotationen