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Heft 9 Illustrierte Familien-Zeitung. Z-hrg mi.


Der Untersuchungsrichter.
Koinatt uon H. u. Heldrmrgen.
(Fvrkfthnng.)
(Nnchdruck verboten.)
iovanna erhob sich, trocknete ihre Thro-
nen und sah sich stumm um, um die
Anordnung des ganzen Gräberschmuckes
etwas näher ins Auge zu fassen.
„Sind Sie zufrieden, Giovanna,
mit deut, was hier geschehen ist?"
fragte der Marchese.
„Es müssen mehr frische Blumen her," antwortete
sie, noch immer von Schluchzen unterbrochen. „Diese
welken, toten Kränze, diese vertrockneten Kronen-
das ist alles so traurig, so "
„Sie haben nur zu bestimmen, Giovanna. Es wird
so geschehen, wie Sie es wünschen. Ich
hoffe, ich habe Ihnen Beweise dafür ge-
geben, daß Sie sich auf mich verlassen
können."
Ihre Blicke begegneten sich. Es schien,
als wenn sie erwartete, daß er noch mehr
sage.
Aber erst nach einer längeren Pause, .
während deren sie sich wieder zum Gehen
wandten, fuhr er leise und seufzend fort:
„Ich bin überzeugt, Giovanna, wenn Ihr
Vater uns so sehen konnte, er würde nicht
zögern, sein und Ihr Versprechen einzulösen
und unsere Hände ineinander legen. — Es
war immer sein Wunsch."
Die Augen zu Boden gesenkt, die Thrä-
nen noch in den Wimpern, und etwas blei-
cher als sonst, ging sie langsam, aber stumm
neben ihm her.
„Warum zögern Sie, Giovanna?" fuhr
er leise fort. „Glauben Sie nicht, daß ich
aus eigenem Antrieb, aus eigenem Interesse
dränge, so sehr das auch den Anschein haben
könnte, weil ich unglücklicherweise arm bin.
Warum sollte ich meine Armut, die ich so
lange trug, nicht auch noch weiter tragen
können? Das ist es also nicht, weshalb ich
Sie bitte, die üblichen Rücksichten beiseite
setzend, Ihre Hand in die meinige zu legen.
Nein, es ist vielmehr die Liebe zu Ihnen,
die Sorge um Ihr Glück und um Ihre Ruhe.
Sie wissen, wie sehr Sie mir am Herzen
liegen und stets am Herzen gelegen haben.
Ihre Wünsche sind erfüllt, ich habe sie er-
füllt, obgleich ich deshalb Schritte thun
mußte, die mir zuwider waren, mit Per-
sonen und Verhältnissen zu thun hatte, die
mir verächtlich, widerwärtig, auch gefährlich
waren. Es wurde alles erfüllt, was Sie
wünschten. Nur Ihr Versprechen wurde
es nicht. Warum nicht?"
Er machte eine kleine Pause, um ihr Zeit

zur Antwort zu lassen. Aber sie schwieg. Den Blick
zur Erde gesenkt, schritt sie langsam und zögernd, wie
ängstlich an seiner Seite hin, nach dem Ausgang des
Campo santo zu, wo sie der Wagen erwartete. Es
wurde immer finsterer.
„Ich kenne Sie, Giovanna," fuhr er endlich leise
und dringlich fort, „Sie find einer Täuschung nicht fähig,
nicht fähig, mich zu betrügen, warum also gaben Sie
mir Ihr Versprechen? Warum lösen Sie es nicht ein?
Ich sehe Sie in einer Welt von Widerwärtigkeiten,
umringt von unzuverlässigen Leuten, wenn nicht gar
von Gaunern und Betrügern, die Ihr Gold reizt, ich
sehe Sie hilflos und ratlos in Unkenntnis von Welt
und Menschen, bestürmt von Geschäften, von denen
Sie nichts verstehen, umgeben von Gefahren, die Sie
nicht einmal ahnen — warum stoßen Sie die Hand,
die sich Ihnen hilfreich entgegenstreckt, zurück? Warum
zögernd und ängstlich umgehen, was Ihnen Ruhe und
Erlösung verheißt? Wir können nicht stehen bleiben,
wo wir sind, Giovanna. Die Welt mißdeutet auch
das reinste Verhältnis, auf das die Gesellschaft nicht

Oswald Arhr. v. Ittchthofen,
der neue Staatssekretär des Auswärtigen Amtes. (S. 234)
Nach einer Photographie von W Höffert, Hofphotograph ui Berlin.

ihren gesetzlichen Stempel drückt. Wir müssen also vor-
wärts oder zurück. Entscheiden Sie, Giovanna."
Das junge Mädchen seufzte leicht auf und schien
ihre eigene Schweigsamkeit lästig zu empfinden. Es
mußte etwas geschehen. Das sah sie ein. Zurück
konnte sie nicht mehr. Sie hatte ihm Versprechungen
gemacht, klar und unzweideutig, und war nun zu ehr-
lich, um das zu leugnen. Sie war, unbedacht und
ohne die Folgen genau ins Auge zu fassen, schon zu
weit mit ihm gegangen, als daß sie nun so ohne
weiteres sich hätte zurückziehen können. Außerdem
wollte sie das auch nicht. Sie wollte jemand an ihrer
Seite haben, der ihr alles das abnehmen konnte, was
ihr lästig war. Nur ganz leise, tief im Innern däm-
merte ihr der Verdacht, daß der Marchesino wohl be-
sonders nach ihrem Vermögen schiele, und in einem
Anflug von praktischem Sinn und Verstand gab sie
diesem Verdacht auch Ausdruck.
„Sie müssen mit meinem Vormund sprechen, Ro-
dolfo," sagte sie endlich. „Es muß alles richtig ab-
gemacht und unterschrieben werden."
Das war ihre ganze Weisheit.
„Aber ich habe ja schon mit ihm gespro-
chen," fuhr der Marchese hastig fort, „wir
sind vollständig im reinen. Ich selbst habe
darauf gedrungen, daß ein Kontrakt auf-
gesetzt werde, der Ihnen in Ihren Ver-
mögensverhältnissen vollständige Sicherheit
und unbeschränkte Freiheit giebt. Ich be-
anspruche nicht einen Soldo und kann nicht
über die kleinste Summe verfügen, ohne Ihre
Einwilligung. Es handelt sich also nur
um Ihre Antwort, Giovanna. Sagen Sie
das erlösende Wort, Giovanna. Sagen
Sie, wann unsere Verlobung bekannt ge-
geben werden soll!"
In stürmischer Aufregung ergriff er dabei
die Hand Giovannas und blickte ihr so ver-
langend und zärtlich, wie ihm möglich war,
ins Auge.
„Wann Sie wollen, Rodolfo," sagte sie
leise und ließ den Kopf etwas sinken.
Mit einem nur halb unterdrückten Aus-
ruf des Entzückens und der maßlosen Freude
küßte er ihre Hand und würde Giovanna
umarmt haben, wenn sie nicht im Sehbe-
reich anderer Leute gewesen wären. Mit
einer wahren Siegermiene führte er sie unter
den zärtlichsten Beteuerungen nach dem
Wagen. Auch die alte Marchesa empfand
über diese Verlobung eine tiefe Freude,
sie erfüllte ihre Seele auch für die Zukunft
mit frohen Hoffnungen auf Glück und neuen
Glanz ihres H-aufes. —
Schon am nächsten Tag wurden die Ver-
lobungskarten verschickt, nicht nur Dutzende
für die näheren Freunde und Bekannten,
sondern Hunderte. Ganz Rom wurde da-
mit überschwemmt, in den Zeitungen wurde
davon gesprochen, der Marchesino konnte
der Welt sein Glück gar nicht nachdrücklich
und gründlich genug mitteilen. Der mit
dem Vormund zu vereinbarende Kontrakt
 
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