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Das Bn ch f ü r A l l e.

Lieft tti.




So bist du, mein teurer Sohn, als Robert Boström
geboren uno getauft morden."
„Und der Name meines Vaters?" rief der funge
Mann auffahrend.
Helene hob beschwichtigend die Hand. „Am Ende
meiner Erzählung sollst du auch den erfahren. Jetzt
höre mir noch eine Weile geduldig zu."
Robert sah sie gespannt an, und sie fuhr fort:
„Das zweite eingreifende Ereignis, dessen ich erwähnte,
war die tief schmerzliche Kunde vom Tode meines
armen Bruders Emil. Daß der schwächliche Mensch
nicht alt werden würde, konnte inan befürchten, allein
der Gedanke, daß ich in seinen letzten Stunden nicht
hatte um ihn sein können, daß ich den guten, treuen
Bruder nie Wiedersehen werde, erschütterte mich tief.
Der Notar, bei dem Emil
immer gearbeitet hatte, schrieb
mir, er habe das kleine Erbe
des Verstorbenen an mich ab-
geschickt und füge die letzten
Grüße des Armen hinzu.
Als dann nach einigen Wo-
chen das kleine Kapital bei mir
ankam, gereichte es mir zu einer
Art Genugthuung, nicht alles,
was ich für mich und mein
Kind brauchte, von meiner groß-
mütigen Wohlthäterin anneh-
men zu müssen, die durchaus
nicht reich war.
Nachdem du fünf Jahre alt
geworden warst, erbte Frau
Boström von ihrer Schwester
hier in Stockholm das kleine
Geschäft, in dem wir zuerst
hier anfingen.
Jedermann hielt mich für
die verwitwete Schwiegertochter
der trefflichen alten Frau, die
dir eine so liebevolle Großmut-
ter gewesen ist. Wie von nun
an sich unsere Verhältnisse
besserten, weißt du und wirst
dich mancher Einzelheiten er-
innern."
„Und mein Vater, der
Name meines Vaters?" drängte
Robert.
Helenens Mienen verfinster-
ten sich, und harten, ernsten
Tones sagte sie: „Du kennst den
Mann: durch dich habe ich nach
vielen Jahren zum erstenmal
wieder von ihm gehört. Er
heißt — Professor Paul Mit-
telsbach. "
Verde fuhren, wie von diesem
Namen elektrisiert, aus ihren
Stühlen empor und standen sich
starr und erbebend gegenüber.
„Mittelsbach? — —- Um
Gottes willen, Mutter, der
Mann ist nicht von dir geschie-
den und doch wieder verheiratet!
— Auf Bigamie steht Zucht-
haus! — Wie ist es möglich,
wie konnte er so etwas wagen?"
„Es ist ein verwegenes
Spiel, aber es sieht ihm ähn-
lich. Vielleicht hat er vorher
versucht, meine Spur zu finden,
um mich zur Trennung unserer
Ehe zu bewegen. Ich hatte
ihm dies Wiederfinden aber so
gut wie unmöglich gemacht.
Da setzte er denn mit dreister
Stirn seine Sache auf nichts.
Wir wissen sa, daß er, von
einer Leidenschaft ergriffen, zu
allem fähig ist."
„Er also ist mein Vater!" Robert kämpfte mit
dem unfaßlichen Gedanken, der ihn überwältigte und
ihm innerlich eine ganz neue verwirrende Lage zu
schaffen schien. Es hatten ja immer zwischen Mittels-
bach und ihm gewisse sympathische Empfindungen be-
standen, die allerdings in letzter Zeit durch die unter
ihnen heraufbeschworene Streitfrage beeinträchtigt wor-
den waren. Wenn nun auch eine gewisse Teilnahme
für den tüchtigen, bedeutenden Mann, dem er das
Leben verdankte, in ihm aufsteigen wollte, so überwog
doch die Empörung über die Behandlung, die seine
Mutter erfahren, jedes wärmere Gefühl für den pflicht-
vergessenen Vater.
Aus diesem Gedankengnnge weckten Helenens Worte
den vor sich Hinstarrenden: „Als du nur zuerst von
Annemarie v. Lindloff schriebst, erwähntest du keines
anderen Namens. Du sprachst nur vom Professor,
ihrem Vater, oder von ihren Eltern. Ich ahnte natür-

alles! Diesem Vater, der dich und mich schon vor
meiner Geburt verließ, kann ich nie die Gefühle eines
Sohnes geben. Aber schmerzlich ist es doch, den eben
gefundenen Vater in derselben Stunde zu verlieren,
in der er mir geschenkt wurde."
Das Feuer im Kamin brannte herab. Die Uhr,
die auf dem Sims stand, zeigte eine späte Stunde.
Zuckende Dichter huschten durch den Raum.
Der Sohn saß auf dem Kissen zu seiner Mutter
Füßen und hatte seinen Kopf auf ihre Kniee gelegt,
so plauderten sie. Manchmal strich sie ihm schmeichelnd
durch sein Haar und flüsterte ihm liebevolle Worte zu.
„Wie sollte ich Paul und unserem kurzen Glücks-
traum zürnen, da er dich mir gab? — Möchte sich nur
deine Zukunft schattenlos gestalten, so soll die ganze
schwere Vergangenheit vergeben
und vergessen sein. -— Und habe
ich nicht auch das Gedeihen mei-
ner Arbeit? Habe ich nicht das
Glück, dich sorgenlos hinstellen
zu können?"
„Ja, du warst mir Vater
und Mutter, mag mein leib-
licher Vater mir immer fern
bleiben!"
Die durch der Mutter Erin-
nerungen hervorgerufenen ge-
steigerten Gefühle begannen sich
zu beruhigen.
Robert erzählte mit großer
Wärme von Annemarie. Er
schilderte, wie das verzogene
Kind sich gefügig seinem Ta-
del unterworfen habe, wie lie-
benswert und anmutig sie sei
und wie sie immer herzlicher
und verständiger werde. Er
habe nie geglaubt, daß neben
seiner Mutter ein anderes
weibliches Wesen seinem Herzen
so nahe treten könne.
Dann drängte sich Robert
eine praktische Frage auf. Er
erkundigte sich, ob die Mutter-
Papiere besitze, etwa einen
Trauschein aus der Kirche von
Thalhausen und ihren Geburts-
schein, mit denen man Mittels-
bach entgegentreten könne.
Helene verneinte. Wennihr
Gatte dergleichen nach Amerika
mitgenommen, was sie bezweifle
so Habs er ihr dock gar nichts
an Papieren zurückgslassen. Es
werde aber alles leicht aus den
betreffenden Kirchenbüchern zu
beschaffen sein. —
Am nächsten Morgen schrieb
Robert getrost und freudig an
seine kleine Braut: sie solle nur-
guten Mut behalten, er bringe
befriedigende Nachrichten mit,
die ihren Vater gewiß bestim-
men würden, seine Einwilli-
gung zu ihrer Verbindung zu
geben.
Er blieb noch ein paar Tage
bei der Mutter und fuhr dann
mit einem Briefe von ihr an
Mittelsbach nach Berlin zurück.

-Zleurrte^ Kapitel.
Am Tage nach seiner Rück-
kehr ging Robert mit dem Briefe
der Mutter nach der Maaßen-
straße.
Sein Herz klopfte ihm nun
doch bang. Seine sichere Freu-
digkeit hatte ihn verlassen. Wie
mochte ihn Mittelsbach aufnehmen, wenn er erfuhr,
daß er einen Sohn besitze, daß er sein Sohn sei?
Würde sein Gefühl sprechen?
Offen und warm konnte er sich den Professor kaum
denken. Er hatte ihn in der letzten Zeit immer mit
höhnischem Ton und Ausdruck gesehen.
Aber der Brief, der würde doch gewiß ein iL-chlüssel
sein, ihm das Herz des Mannes zu öffnen.
<Lo entrüstet er auch immer noch war, wenn er an
die seiner Mutter zugefügte Schändlichkeit dachte, sa
besaß doch das Wort „Vater" einen besänftigenden
Klang. Wenn Mittelsbach ihn herzlich begi-"'' würae
ihn da sein natürliches Empfinden nicht s upen?
Seine Mutter hatte ihren berechtigten naß p.wrea
lassen, sollte er strenger richten?
Unter diesen Gedanken erreichte Robert dvs .naus,
das ihm jetzt zwei so Nahestehende barg, das ich her. :
noch wichtiger erschien, als je zuvor.

lich nichts, sondern glaubte, der Professor heiße wie
seine Tochter. Endlich, als du dich bereits mit dem
Mädchen verlobt hattest, kam zuerst der Name Mittels-
bach in deinem Briefe vor. Ich erschrak, erkundigte
mich genauer und erfuhr nun die Wahrheit.
Es war kein leichter Entschluß, dich mit jenem
Manne in so nahe Beziehungen treten zu lassen.
Allein ich kannte dich und wußte, daß es sich um das
Glück deines Lebens handle. Deshalb schmieg ich und
ließ den Begebenheiten ihren Lauf, entschlossen, nie-
mals mit der Vergangenheit hervorzutreten. Indes
wußte ich, daß jene Familie dich nicht, ohne dir
Schwierigkeiten zu bereiten, in ihrem Kreise ausnehmen
würde. Falls du nun nicht allein im stände sein
solltest, den dir entgegengestellten Widerstand zu be-

Jas Heburtsziuimer des WrtuzregeuLeu Luitpold von Ataperu in der königlichen Residenz
zu Würzburg. sS. 425)
siegen, so wollte ich dir mit meiner Gewalt über den
Treulosen zu Hilfe eilen.
Du siehst nun, Robert, daß es mir ein Leichtes
sein wird, Mittelsbachs Willen zu deinen Gunsten zu
lenken. Sobald er erfährt, daß ich lebe, daß ich aber,
wenn er sich deinen Wünschen fügt, ihm keine Schwie-
rigkeiten bereiten null, so meine ich, wird dir der Weg
zu deinem Glücke geebnet sein.
Haß und Bitterkeit gegen den Alaun, die mich einst
ganz erfüllten, sind längst einer gleichgültigen Nicht-
achtung gewichen. Ich würde mich nie in sein Ge-
dächtnis zurückrufen, wenn es nicht deinetwegen, mein
Sohn, geschähe. Ja es würde mir peinlich sein, ihm
je wieder gegenüberzutreten, aber auch zu dein Opfer
wäre ich bereit, wenn ich dir dein Glück damit er-
kaufen könnte."
„Meine Mutter, meine teure Mutter!" Robert er-
griff und küßte ihre Hände. „Du bist rind bleibst mir
 
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