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Vorwurf daraus machen. Das Anhalten jeden Zuges
kostet — abgesehen vom Zeitverlust — auch Geld durch
Abnutzung des Materials beim Bremsen und Wieder-
anziehen des Zuges. Man hat ausgerechnet, daß das
Anhalten eines Schnellzuges auf einer Station, die im
Gefälle liegt, bis auf dreißig Mark zu stehen kommt,
und selbst das Anhalten eines Personenzuges in der
Ebene soll zwölf bis achtzehn Mark Abnutzungskosten
an Lokomotive und rollendem Material verursachen.
Jede Eisenbahnverwaltung oder Direktion ist hin-
sichtlich des Betriebes in Unterabteilungen gegliedert,
gewöhnlich in sogenannte Betriebsinspektionen. Da nun
diese und die an ihrer Spitze stehenden Inspektoren
die betreffenden Strecken der Eisenbahn und ihre Um-
gebung am besten kennen, werden sie zur Mitarbeit
für die Fahrpläne herangezogen. Sie haben Vorschläge
zu machen und erhalten die Entwürfe für den Fahr-
plan der betreffenden Verwaltung stückweise zur Begut-
achtung beziehungsweise Verbesserung. Handelt es sich
um einen durchgehenden Zug, selbst nur innerhalb eines
Staates, bei dem vielleicht nur zwei staatliche und zwei
private Eisenbahndirektionen desselben Bundesstaates be-
teiligt sind, so ist doch das Zusammenwirken von zwanzig
bis dreißig verschiedenen Unterabteilungen nötig, um
nur diesen einen Fahrplan zusammenzustellen. Aus
dreißig einzelnen, durch so und so viele Hände ge-
gangenen, revidierten und geänderten Stücken setzt sich
dann der Fahrplan zum Schluß zusammen. Handelt
es sich um Anschlußverkehr mit Nachbarbundesstaaten
oder mit dem Ausland, dann wird dieser Fahrplan
stückweise für sechzig, achtzig Ober- und Unterbehörden
hergestellt, und daß dann ebenfalls Irrtümer unvermeid-
lich sind, die wieder neue Arbeit, neues Hin- und Her-
schreiben und Verbessern erfordern, ist selbstverständlich.
Es würde aber gerade wegen der Anschlüsse und wegen
der Gleichzeitigkeit des Verkehrs auf den eigenen Linien
ein vollständiger Wirrwarr in dem Fahrplanbureau einer
Eisenbahnverwaltung entstehen, wenn sie nicht ein Mittel
hätte, den gesamten bestehenden oder geplanten Verkehr
mit einem Blicke zu übersehen. Dieses Mittel ist der
graphische Fahrplan.
Man denke sich einen großen weißen Bogen Papier,
der mit einem, in ganz kleine Quadrate eingeteilten
Netz bedruckt ist. Die Einteilung der linken und der
rechten Seite giebt die Zeit an, die Einteilung der
oberen und unteren Seite Ort und Entfernung. Die
Senkrechten sind in vierundzwanzig Hauptabschnitte ge-
teilt, entsprechend den vierundzwanzig Stunden eines
Tages, und jeder dieser vierundzwanzig Teile ist wieder
in Unterabteilungen von zwölf Strichen geteilt, von
denen jeder fünf Minuten Zeit bedeutet. Die beiden
wagerechten Striche sind in Kilometer und Bruchteile
von solchen zerlegt, und an den richtigen Entfernungs-
stellen sind die Namen der Stationen aufgeführt. Ganz
unten links in der Ecke beginnt zum Beispiel die Zahl
zwölf Uhr Mitternacht. Wenn um diese Zeit ein Schnell-
zug von der Ansangsstation abgeht, so zeichnet man
seinen Weg in das Netz von Quadraten durch eine
starke Linie, die man von links unten nach rechts
oben zieht. Geht der Zug sehr schnell, so wird die
Linie in einer gewissen Zeit eine große Zahl von Kilo-
metern durchlaufen; sie wird daher mit dem senkrechten
Strich links einen großen Winkel bilden. Handelt es
sich um einen gemischten oder um einen Güterzug, der
nur langsam fährt, so bildet der Strich, der sich durch
die einzelnen Quadrate fortsetzt, mit dein Strich links
einen sehr spitzen Winkel. Mit stärkeren oder schwächeren
Linien, von der linken oder rechten Seite ausgehend,
werden nun in dieses Netz alle Züge, die in vierund-
zwanzig Stunden aus der Strecke verkehren, vom Ar-
beitszug bis zum internationalen Schnellzug in der an-
gegebenen Weise eingezeichnet.
Sind diese Eintragungen sämtlich besorgt, so bildet
die Zeichnung des großen Bogens ein für den Laien
unverständliches Gewirr von Linien, welche alle zu-
sammen ungefähr den Eindruck eines Schnittmusters
machen, wie solche den modernen Modezeitungen bei-
gelegt werden. Für die Generalverwaltung eines Eisen-
bahnsystems aber, für die Ministerien der einzelnen
Staaten bildet der graphische Fahrplan ein ebenso näch-
tiges Hilfsmittel, wie für die Fahrplanbureaup. Alan
kann sich hier, ohne Bücher aufschlagen zu müssen und
ohne Berechnungen, durch einen Blick überzeugen, ob
zum Beispiel auf einer Station zwei Züge gleichzeitig
eintresfen. Man kann sofort sehen, ob bei den Strecken,
die sich im gleichen Niveau kreuzen, etwa zu ziemlich
gleicher Zeit zwei Züge zusammenkommen würden. Man
sieht ferner mit einem Blick, ob die Bahnstrecken nicht
zu gewissen Zeiten mit Verkehr überlastet sind, während
sie zu anderen Zeiten gar nicht oder nur sehr selten
befahren werden.
Diese Uebersicht, die der graphische Fahrplan giebt,
ermöglicht es, die Grundzüge für den Verkehr einer
ganzen Saison sestzulegen, sowie endgültige Bestim-
mungen über Ausgangs- und Endpunkt der Züge, über
die Geschwindigkeit, mit der sie fahren sollen, über die
Stationen, wo sie anhalten, über den Aufenthalt, den
sie nehmen müssen, und über die Anschlüsse, die in der

Das Buch f ü r All e.

eigenen oder den Nachbarverwaltungen ausgestellt werden
können oder müssen, zu treffen. Man kann diesen
graphischen Fahrplan in seiner fertigen Ausführung ge-
wissermaßen als die Generalidee der gesamten Fahr-
pläne betrachten und als die Grundlage, auf der die
Spezinlaufstellung der Fahrpläne einer Verwaltung er-
folgt. Gewöhnlich werden diese graphischen Fahrpläne
in allen Staaten an den Minister eingesendet, welcher
das Verkehrswesen unter sich hat, und dieser unter-
zeichnet eigenhändig diese Dokumente und genehmigt
damit die Generalidee für den Verkehr. Die offiziellen
Kursbücher zum mindesten erhalten von diesen ge-
nehmigten graphischen Fahrplänen sofort Kopien, Damit
sie auch eine Grundlage für ihre mühsame Arbeit haben,
die sich bei ihnen hauptsächlich in den letzten Tagen
und Stunden vor der Einführung des neuen Kurs-
buches zusammendrängt.
Gehen wir jetzt dazu über, ihre Arbeit bei der Her-
stellung eines neuen Kursbuches zu betrachten. Wir
wählen zur Beobachtung die Thatigkeit des Bureaus für
das Deutsche Reichskursbuch, und zwar für dasjenige
Kursbuch, welches am ersten Mai jedes Jahres erscheint.
Die ersten Sommerfahrplanentwürfe der wichtigsten
Eisenbahnen gehen in der Regel Anfang März ein.
Sie werden im Bureau des Neichskursbuches zusammen-
gestellt, wenn sie von den einzelnen Verwaltungen
kommen. Es werden die Anschlüsse herausgesucht, und
außerdem wird tabellarisch zusammengestellt, wie sich
die Hauptverbindungen zwischen den Hauptstädten des
Reiches auf den verschiedenen Linien gestalten und zu
einander verhalten. Gleichzeitig werden die Anzeigen
über die Beförderung von Postsendungen durch diese
Eiscnbahnzüge aus das genaueste herausgesucht und be-
sonders zusammengestellt. Das Bureau für das Reichs-
kursbuch untersteht dem Reichspostamt und ist eine
postalische Behörde. Eigentlich wäre es ja Aufgabe der
Eisenbahnverwaltung oder des Reichseisenbahnamtes,
das offizielle Kursbuch für das Reich herauszugeben.
Aber das Reichseisenbahnamt hat nicht die Einrichtungen
und Beamten, um das schwierige Werk zu besorgen.
Wie bereits erwähnt, fing die preußische Postverwaltung
vor fünfzig Jahren mit der Herausgabe des Kursbuches
an, und so ist ihr diese schwierige Aufgabe bis heute
geblieben.
Das Bureau fertigt aber außer dem Kursbuch auch
noch sogenannte Postleithefte für den inneren Dienst
der Postverwaltung an, die als Nachschlagewerke für die
Spedition der verschiedenen Postsendungen sämtlichen
Poststellen des Reiches übermittelt werden. Außer
diesen Postleitheften werden noch Ortsverzeichnisse be-
arbeitet, aus denen sich deutlich ersehen laßt, wie man
am schnellsten nach einem gewissen L)rt eine Postsendung
befördert. Diese dickleibigen Nachschlagebücher sind nur
für den Gebrauch der Beamten in den verschiedenen
Postanstalten bestimmt und dem Publikum nicht zu-
gänglich.
Schon von den ersten eingegangenen Fahrplanent
würfen, deren Zusammenstellung und Einfügung, läßt
das Bureau Abzüge machen, die den Eisenbahndirektionen
zugestellt werden. Das Bureau wird bei seiner Arbeit
unterstützt durch die Gesandten und Botschafter des
Deutschen Reiches in den auswärtigen Staaten, welche
durch ihre Kanzleien Nachricht geben, wenn in dem be-
treffenden Staat bedeutende Aenderungen im Eisenbahn-,
Post- oder Dampfschiffahrtsverkehr geplant und eingeführt
werden. Es senden ferner derartigeNachrichten die General-
konsuln und Konsuln Deutschlands in den auswärtigen
Ländern. Die Oberpostdirektionen des deutschen Reichs-
postgebiets senden nicht nur alles, was sich auf Aende-
rungen und Neugestaltungen innerhalb ihres Bezirkes
bezieht, sondern sie schicken auch alle Nachrichten über
Eisenbahnverkehr innerhalb des Bezirkes, die ihnen vor-
her bekannt werden. Auch über den Privatverkehr von
Dampfschiffen auf den Binnenseen und Flüssen über-
reichen sie zuverlässiges Nachrichtenmaterial. Die über-
seeischen Danrpfschiffahrtsgesellschaften senden ihre Fahr-
pläne und Verkehrsprogramme immer auf ein viertel
oder halbes Jahr voraus ebenfalls dem Bureau ein
und geben Notiz von Veränderungen, die sich im Pro-
gramm ergeben.
Je weiter der März vorschreitet, desto häufiger
kommen die stückweisen Fahrplanentwürfe des Inlandes
an. Aus dem Auslande senden nur wenige Eisenbahn-
direktionen regelmäßig und ohne Aufforderung ihre
Fahrplanentwürfe ein. Es geschieht dies nur, wenn es
sich um sogenannte internationale Züge handelt, deren
Einführung auf einer der internationalen Fahrplankon-
ferenzen beschlossen worden ist. Letztere finden zweimal
jährlich in einer der Hauptstädte Europas statt und
werden ausnahmslos von sämtlichen größeren europäi-
schen Eisenbahnverwaltungen beschickt.
An jenen großen, internationalen Schnellzügen wird
immerfort herumgearbeitet, und wenn zum Beispiel die
Abfahrtszeit eines solchen Schnellzuges nur um zwei
Minuten geändert wird, muß vielleicht an hundertfünfzig
bis hundertachtzig verschiedenen Stellen des Kursbuches
diese Aenderung 'nachgetragen werden. Manchmal wird
vor der endgültigen Feststellung des Fahrplans aber eine

Hcst 20.
solche Aenderung drei- bis viermal vorgenommen, und
jedesmal hat schon im Entwurf des Reichskursbuches
diese Aenderung zu geschehen, immer wieder müssen
Korrekturabzüge gemacht werden, die den betreffenden
Eisenbahnverwaltungen zugehen, und deren Rücksendung
sehr oft erst wieder telegraphisch erbeten werden muß.
In den letzten Tagen des April laufen naturgemäß
die meisten Fahrplanentwürfe ein, die jetzt endlich als
definitiv gelten. Immerhin kommen aber auch noch
telegraphisch zu diesen wieder Aenderungen. Manchmal
entdeckt, wie bereits oben erwähnt, das Bureau selbst
Fehler in den Anschlüssen und muß telegraphisch Korrek-
tur verlangen. So häuft sich die Arbeit in den letzten
Tagen und Nächten derartig, daß die Beamten über-
haupt nicht mehr aus dem Dienst kommen.
Es sind in: ganzen zwölf Beamte thätig, die natür--
lieh mit der Spezialarbeit dieses Kursbuches aus das
genaueste vertraut sind, und deren Routine schon des
halb eine großartige ist, weil sie die Fahrpläne des
geographischen Teils von Europa, den sie bearbeiten,
vollständig in: Kopfe haben. Aber auch für diese Be-
amten wird die Zeit zu knapp, und gewöhnlich fallen
in den letzten sechs Tagen alle sonstigen Rücksichten auf
Essen, Trinken und Schlafen für diese Vielgeplagten
weg. Es wird ununterbrochen gearbeitet, der Dienst
setzt Tag und Nacht nicht aus, die Beamten können
innerhalb vierundzwanzig Stunden nur auf ganz kurze
Zeit sich zum Schlafen aus dem Bureau entfernen. Erst
wenn am letzten April die Maiausgabe des Reichskurs-
buches erscheint, atmen sie wieder auf, ebenso wie die
Abteilung der Reichsdruckerei, die den Druck des Kurs-
buches besorgt, froh ist, wieder einmal diese Sache Hinter-
fich zu haben.
Tabellensatz und dessen Revision ist ja an und für
sich nichts Angenehmes. Für die typographische Ab-
teilung des Neichskursbuches ergeben sich aber noch ganz
besondere Schmierigkeiten. Man hält nämlich an dem
Grundsatz fest, daß die wichtigsten Fahrpläne immer
dieselbe Nummer erhalten. Es ist ja für das Publikum
bequem, sich zu merken, daß zum Beispiel die Verbindung
Berlin—Leipzig aus Seite 193 steht. Diese Rücksicht-
nahme auf das Bestehenbleiben der Nummern zwingt
meist zu typographischen Kunststücken, wenn es sich
darum handelt, noch Nachrichten, betreffend durch-
gehende Züge, Schlafwagen, Speisewagen, Bahnanschlüsse,
Uebergünge auf andere Linien u. s. w. unterzubringen,
und doch die Seiten der Numerierung nicht verändert
werden dürfen. Man Hilst sich dann mit besonderen
Zeichen, die allerdings in der Einleitung zum Kursbuch
aufgeführt sind, aber doch selbst für den Eingeweihten
den Gebrauch des Reichskursbuches sehr erschweren.
Ohne die Gebrauchserläuterungen, die sich auf den: Um-
schlag befinden, durchgesehen zu haben, kann man über-
haupt das Buch nicht benutzen, und selbst wenn man
schon ziemliche Uebung im Gebrauch hat, stolpert man
immer wieder darüber, daß man eines dieser Quadrate,
dieser punktierten Kreise, Kreuze oder Halbmonde über-
sieht, und gewöhnlich hat man dann dadurch größere
oder kleinere Unannehmlichkeiten, die sich erst während
der Reise selbst Herausstellen.
Manche notwendigen Notizen können überhaupt nicht
mehr auf überfüllten Seiten des Kursbuches unter-
gebracht werden, und man wird sich doch vielleicht dazu
entschließen müssen, das Festhalten an den Fahrplan-
nummern auszugeben, wenn schließlich nicht der ganze
Wert des mit so ungeheurer Mühe zusammengestellten
Neichskursbuches in Frage gestellt werden soll.

ckUllllltlbflllllHkö. (Nachdruck verboten.)
Gine Teusi'ksgeschichte. — Im Londoner Whitehallpalaste
herrschte große Aufregung. Der Ruf „Feuer" durchhallte
eines der oberen Stockwerke, denn in dem Zimmer des
Kammerjunkers Montgomery war ein Brand ausgebrochen.
Unschlüssig und neugierig drängten sich Diener und Beamte
des Palastes am Eingänge des Zimmers, in welchem eine
Helle. Flamme emporschlug.
„Nun, was steht ihr denn hier und gafft?" dröhnte end
lich die Stimme des Oberkämmerers Lord Nidge durch die
Menge. „Sofort alle weg, und daß mir niemand wieder
lehre, ohne einen Eimer Wasser zum Löschen mitzubringen."
Das half. In kurzer Zeit war das Feuer gelöscht und
es stellte sich heraus, daß keim weiterer Schade angerichtet
ivar, als daß das Bett des Kammerjunkers nebst einigen
Wandvorhängen verbrannt war.
Nachdem sich auf Geheiß des Oberkämmerers alle ent-
fernt hatten, trat dieser in das Zimmer, in welchem sich der
Jnhaber desselben, Kammerjunker Montgomery, zwar noch
etwas blaß infolge des ausgestandenen Schreckens, aber doch
schon ziemlich gefaßt, allein befand.
„Nun, mein lieber Montgomery, was soll ich wohl dem
Könige erwidern, wenn er mich fragt, was es mit dem
Feuer in dem Zimmer des KammerjunkerS Montgomery für
eine Bewandtnis habe?"
„Man müßte irgend etwas erfinden," murmelte der
Kammerjunker.
„Was soll daS heißen," rief der Lord stirnrunzelnd, „die
volle Wahrheit will ich wissen."
„Mylord werden mir die Wahrheit nicht glauben, und
es ist daher unnütz —"
 
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