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Das Buch für Alle.
Heft 21.
/ludu-Aulitopen.
dein einen Morde noch einen zweiten gefügt, den an
dem Wesen, das fetzt an seiner Stelle für die Schul-
dige galt, und das er seinem Schicksal überlassen hätte.
Wenn er vorher ein schriftliches Geständnis seiner
Schuld niederlegte? Dann war sie gerettet.
Und dann den Sprung! Den Sprung ins Nichts!
Oder fürchtete er sich plötzlich davor?
Ja, er fürchtete sich vor diesem dunklen Wasser.
Wenn er morgen ein Schiff bestieg, nach Amerika
flüchtete — und war dies nicht der ursprüngliche dunkle
verworrene Plan gewesen, der ihn unmittelbar nach
der That, als ihn plötzlich jede klare Ueberlegung
verlief;, hierher in diese Stadt getrieben hatte?
und von dort aus sein Geständnis an die Richter
schickte? Aber dann würden sie ihn verfolgen ver-
folgen und finden!
Wenn die Richter derjenigen, die jetzt für ihn zu
leiden hatte, nichts von ihrer vermeintlichen Schuld
nachweisen konnten, wenn sie auch ohne sein Geständnis
frei kam — war sein Geständnis dann noch nötig?
Wenn sie ihn nicht verriet — wer und was konnte
ihn verraten? Hieß es nicht von ihm, daß er im
Gefängnisse saß? Und hatte ihm in jenem wahn-
sinnigen Augenblicke nicht eine Stimme zugeflüstert,
daß die Gelegenheit, sein Alibi zu nützen, jetzt da sei,
daß eine solche Gelegenheit vielleicht niemals wieder-
kehrte? Wie nun auch alles kommen würde — blieb
ihm, um Elise vor dem Schlimmsten zu retten, nicht
noch immer Zeit genug?
In den Kneipen verloschen die letzte!: Lichter.
Ferne Stimmen wurden laut. Irgendwo im Wasser
klatschten Nuderschläge. Es waren Boote, welche ihre
Insassen nach den Schiffen zurückbrachten. Vom Nor-
den wehte eine frische Brise und brachte Seegeruch.
Er kehrte um und begab sich wieder nach der Stadt.
Der Weg, den er ging, war derselbe, den er her-
gekommen war.
Am anderen Tage verließ er das Gasthaus, in dem
er bisher gewohnt hatte. Er ging zum Barbier uud
lies; sich den Schnurrbart abscheren. Dann kaufte er
sich ein Haarfärbemittel, drückte sich den Hut tief auf
den Kopf, suchte eiu anderes Gasthaus niedrigen Ran-
ges auf und färbte dort sein blondes Haar dunkelbraun.
Als er sich dann im Spiegel betrachtete, hatte er sich
selbst nicht wiedererkannt. Auf das Blatt, das ihm
der Zimmerkelluer vorlegte, damit er darauf seinen
Namen eintrug, schrieb er: „Hugo Lenz, Kaufmann."
Dann, da die ihm verbliebenen, von Elise erhaltenen
Geldmittel zu Ende gingen, machte er sich auf, um sich
eine Stellung oder Beschäftigung zu suchen.
12.
Elise war vom Gefängnisarzt wieder für gesund
erklärt worden. Ihren weiteren Vernehmungen stand
nichts mehr im Wege.
Als Laudgerichtsrat Heller sie wieder vor sich führen
ließ, sah sie sehr verändert aus, blaß, abgemagert,
und ihre Augen schienen unnatürlich vergrößert.
„Ich habe Sie nichts mehr zu fragen, Fräulein
v. Lamm," sagte der Laudgerichtsrat, ohne daß auch
er bei dem Anblick der Vorgeführten ganz ein Gefühl
des Mitleids unterdrücken konnte, „ich habe Sie nur
zum letztenmal zu ermahnen, die Wahrheit zu sagen.
Wenn ich Sie heute in Ihre Zelle zurückschicke, gehen
diese Akten an den Herrn Staatsanwalt ab, der dann
die öffentliche Verhandlung gegen Sie veranlassen wird.
Noch haben Sie Zeit, Ihr Gewissen zu entlasten. Ich
frage Sie also jetzt zum letztenmal: Bekennen Sie sich
schuldig und sind Sie bereit, ein Geständnis abzulegen?"
Auf deu blassen Wangen Elisens flammte eine
Nöte auf. „Ich biu nicht schuldig," sagte sie, „und
ich habe nichts zu gestehen."
Der Landgerichtsrat gab dem Gerichtsdiener einen
Wink, und dieser führte die Gefangene ab.
Elise war in ihrer Zelle wieder allein. In den
Tagen, wo sie auf ihrem bewachten Lager, nachdem
sie das Fieber verlassen hatte, und ihre Sinne wieder
klar geworden waren, ihrer Genesung entgegenharrte,
hatte sie auch ihre ganze Ruhe wieder gefunden.
Eine Prüfung war über sie verhängt worden, sie
sann nach über die Fügungen des Schicksals, und wie
es manchen Menschen, ohne daß sie Schuld oder Ver-
dienst dabei hatten, seine Gunst und anderen seine
ganze Ungunst zuwendete. Aber kein Gefühl der Angst,
des Entsetzens wollte mehr über sie kommen. Was sie
erfüllte, war das feste Vertrauen, daß ihre Unschuld
an den Tag kommen müßte.
Der Richter hatte ihr in mildem und in strengem
Tone zugeredet, zu gestehen. Was sollte sie gestehen?
Das einzige, was sie ihm verschwiegen hatte — ihn:
und allen anderen — das war der heimliche Besuch
ihres Bruders. Der Onkel sollte nichts davon erfahren,
weil er sehr böse darüber gewesen wäre-, Hermann
nichts, weil er überhaupt nichts von ihrem Bruder
wissen sollte, und der Richter nichts, weil es dem
Onkel und Hermann sonst vielleicht bekannt geworden
untre, und weil ja überdies dieser Besuch mit der
Angelegenheit, um die es sich für den Richter handelte,
gar nichts zu thuu hatte. Was aber hätte sie dem
Richter noch gestehen sollen? Und als käme nun
plötzlich selber das Verlangen über sie, das Rätsel zu
lösen, so ließ sie noch einmal, mit aller Genauigkeit
sich auf jede Einzelheit entsinnend, die Geschehnisse
jenes Morgens im Geiste an sich vorüberziehen.
Allem voran jener erste Brief von ihrem Bruder.
Er war noch an ihre alte Adresse und von der Post
an ihre jetzige nachgeschickt worden. Beim Anblick
der bekannten Handschrift schrak sie zusammen. Es
war noch ein glücklicher Zufall, daß sie, seit sie im
Haushalte des Onkels war, jedesmal wenn es klingelte,
selbst zu öffnen pflegte.
(Fortsetzung folgt.)
Die Kttdu-AlltUope.
^sls gewaltigster Vertreter der Drehhorn- oder Schrauben-
» antilopen gilt der Kudu, eine Antilope, welche in Afrika
vom Kapland bis nach Nordafrika überall verbreitet ist, wo
ihr bewaldete Berge oder Höhenzüge einen paffenden Aufent-
halt gewähren. Der Kudu oder die Kudu-Antilope übertrifft
im ausgewachsenen Zustande unseren Edelhirsch, denn alte
Böcke messen von der Nasenspitze bis zur Schwanzwurzel
2,s Aketcr und sind am Widerrist 1,? Meter hoch bei einem
Gewicht von 300 Kilogramm. Tas Gehörn gehört zu den
schönsten, welche irgend eine Antilope trägt; es ist gewunden,
bis zu l,i Meter lang, und man begreift kaum, wie die Tiere
mit solchem Hauptschmuck durch die Dickichte des afrikanischen
Buschwaldes zu flüchten vermögen. Die kurze, glatt an-
liegende, etwas rauhe Behaarung, die sich auf der Firste
des Halses und Rückens etwas verlängert uud beim Nocke
an der Brust eine Art Mähne bildet, hat eine schwer zu be-
schreibende rötlich braungraue Farbe, die an den Hinteren
Teilen des Bauches und der Innenseite der Beine in Weiß-
lichgrau übergeht. Von dieser Grundfärbung heben sich scharf
weiße Streifen ab, von denen einige sich gabeln und die in
gleichen Abständen längs den Seiten vom Rücken nach
unten laufen. Unser obenstehendes Bild zeigt einen jungen
Kudu mit noch unausgebildeten Hörnern im Stehen uud im
Liegen, und das Gehörn eines alten Bockes. Bei deu jungen
Tieren fehlt auch noch die Mähne an der Brust, dagegen ist
die Färbung der Haare weit lebhafter und die Zahl der
Streifen auch oft größer, als bei den alten. Starke Böcke
leben einzeln, junge Böcke, sowie die Weibchen vereinigen
sich zu schwachen Rudeln von vier bis sechs Stück. In seiner
Lebensweise ähnelt der Kudu unserem Hochwilde. Er durchs
streift ein großes Gebiet uud wechselt regelmäßig hin und
her. Knospen und Blätter verschiedener Sträuche bilden den
Hauptteil seiner Nahrung, doch verschmäht er auch Gräser nicht.
Sein Gang ist ebenso stolz als zierlich; wird er nufgescheucht,
so trollt er im Buschwalde ziemlich schwerfällig dahin, wobei
er, um nicht hängen zu bleiben, sein Gehörn so weit nach
Das Buch für Alle.
Heft 21.
/ludu-Aulitopen.
dein einen Morde noch einen zweiten gefügt, den an
dem Wesen, das fetzt an seiner Stelle für die Schul-
dige galt, und das er seinem Schicksal überlassen hätte.
Wenn er vorher ein schriftliches Geständnis seiner
Schuld niederlegte? Dann war sie gerettet.
Und dann den Sprung! Den Sprung ins Nichts!
Oder fürchtete er sich plötzlich davor?
Ja, er fürchtete sich vor diesem dunklen Wasser.
Wenn er morgen ein Schiff bestieg, nach Amerika
flüchtete — und war dies nicht der ursprüngliche dunkle
verworrene Plan gewesen, der ihn unmittelbar nach
der That, als ihn plötzlich jede klare Ueberlegung
verlief;, hierher in diese Stadt getrieben hatte?
und von dort aus sein Geständnis an die Richter
schickte? Aber dann würden sie ihn verfolgen ver-
folgen und finden!
Wenn die Richter derjenigen, die jetzt für ihn zu
leiden hatte, nichts von ihrer vermeintlichen Schuld
nachweisen konnten, wenn sie auch ohne sein Geständnis
frei kam — war sein Geständnis dann noch nötig?
Wenn sie ihn nicht verriet — wer und was konnte
ihn verraten? Hieß es nicht von ihm, daß er im
Gefängnisse saß? Und hatte ihm in jenem wahn-
sinnigen Augenblicke nicht eine Stimme zugeflüstert,
daß die Gelegenheit, sein Alibi zu nützen, jetzt da sei,
daß eine solche Gelegenheit vielleicht niemals wieder-
kehrte? Wie nun auch alles kommen würde — blieb
ihm, um Elise vor dem Schlimmsten zu retten, nicht
noch immer Zeit genug?
In den Kneipen verloschen die letzte!: Lichter.
Ferne Stimmen wurden laut. Irgendwo im Wasser
klatschten Nuderschläge. Es waren Boote, welche ihre
Insassen nach den Schiffen zurückbrachten. Vom Nor-
den wehte eine frische Brise und brachte Seegeruch.
Er kehrte um und begab sich wieder nach der Stadt.
Der Weg, den er ging, war derselbe, den er her-
gekommen war.
Am anderen Tage verließ er das Gasthaus, in dem
er bisher gewohnt hatte. Er ging zum Barbier uud
lies; sich den Schnurrbart abscheren. Dann kaufte er
sich ein Haarfärbemittel, drückte sich den Hut tief auf
den Kopf, suchte eiu anderes Gasthaus niedrigen Ran-
ges auf und färbte dort sein blondes Haar dunkelbraun.
Als er sich dann im Spiegel betrachtete, hatte er sich
selbst nicht wiedererkannt. Auf das Blatt, das ihm
der Zimmerkelluer vorlegte, damit er darauf seinen
Namen eintrug, schrieb er: „Hugo Lenz, Kaufmann."
Dann, da die ihm verbliebenen, von Elise erhaltenen
Geldmittel zu Ende gingen, machte er sich auf, um sich
eine Stellung oder Beschäftigung zu suchen.
12.
Elise war vom Gefängnisarzt wieder für gesund
erklärt worden. Ihren weiteren Vernehmungen stand
nichts mehr im Wege.
Als Laudgerichtsrat Heller sie wieder vor sich führen
ließ, sah sie sehr verändert aus, blaß, abgemagert,
und ihre Augen schienen unnatürlich vergrößert.
„Ich habe Sie nichts mehr zu fragen, Fräulein
v. Lamm," sagte der Laudgerichtsrat, ohne daß auch
er bei dem Anblick der Vorgeführten ganz ein Gefühl
des Mitleids unterdrücken konnte, „ich habe Sie nur
zum letztenmal zu ermahnen, die Wahrheit zu sagen.
Wenn ich Sie heute in Ihre Zelle zurückschicke, gehen
diese Akten an den Herrn Staatsanwalt ab, der dann
die öffentliche Verhandlung gegen Sie veranlassen wird.
Noch haben Sie Zeit, Ihr Gewissen zu entlasten. Ich
frage Sie also jetzt zum letztenmal: Bekennen Sie sich
schuldig und sind Sie bereit, ein Geständnis abzulegen?"
Auf deu blassen Wangen Elisens flammte eine
Nöte auf. „Ich biu nicht schuldig," sagte sie, „und
ich habe nichts zu gestehen."
Der Landgerichtsrat gab dem Gerichtsdiener einen
Wink, und dieser führte die Gefangene ab.
Elise war in ihrer Zelle wieder allein. In den
Tagen, wo sie auf ihrem bewachten Lager, nachdem
sie das Fieber verlassen hatte, und ihre Sinne wieder
klar geworden waren, ihrer Genesung entgegenharrte,
hatte sie auch ihre ganze Ruhe wieder gefunden.
Eine Prüfung war über sie verhängt worden, sie
sann nach über die Fügungen des Schicksals, und wie
es manchen Menschen, ohne daß sie Schuld oder Ver-
dienst dabei hatten, seine Gunst und anderen seine
ganze Ungunst zuwendete. Aber kein Gefühl der Angst,
des Entsetzens wollte mehr über sie kommen. Was sie
erfüllte, war das feste Vertrauen, daß ihre Unschuld
an den Tag kommen müßte.
Der Richter hatte ihr in mildem und in strengem
Tone zugeredet, zu gestehen. Was sollte sie gestehen?
Das einzige, was sie ihm verschwiegen hatte — ihn:
und allen anderen — das war der heimliche Besuch
ihres Bruders. Der Onkel sollte nichts davon erfahren,
weil er sehr böse darüber gewesen wäre-, Hermann
nichts, weil er überhaupt nichts von ihrem Bruder
wissen sollte, und der Richter nichts, weil es dem
Onkel und Hermann sonst vielleicht bekannt geworden
untre, und weil ja überdies dieser Besuch mit der
Angelegenheit, um die es sich für den Richter handelte,
gar nichts zu thuu hatte. Was aber hätte sie dem
Richter noch gestehen sollen? Und als käme nun
plötzlich selber das Verlangen über sie, das Rätsel zu
lösen, so ließ sie noch einmal, mit aller Genauigkeit
sich auf jede Einzelheit entsinnend, die Geschehnisse
jenes Morgens im Geiste an sich vorüberziehen.
Allem voran jener erste Brief von ihrem Bruder.
Er war noch an ihre alte Adresse und von der Post
an ihre jetzige nachgeschickt worden. Beim Anblick
der bekannten Handschrift schrak sie zusammen. Es
war noch ein glücklicher Zufall, daß sie, seit sie im
Haushalte des Onkels war, jedesmal wenn es klingelte,
selbst zu öffnen pflegte.
(Fortsetzung folgt.)
Die Kttdu-AlltUope.
^sls gewaltigster Vertreter der Drehhorn- oder Schrauben-
» antilopen gilt der Kudu, eine Antilope, welche in Afrika
vom Kapland bis nach Nordafrika überall verbreitet ist, wo
ihr bewaldete Berge oder Höhenzüge einen paffenden Aufent-
halt gewähren. Der Kudu oder die Kudu-Antilope übertrifft
im ausgewachsenen Zustande unseren Edelhirsch, denn alte
Böcke messen von der Nasenspitze bis zur Schwanzwurzel
2,s Aketcr und sind am Widerrist 1,? Meter hoch bei einem
Gewicht von 300 Kilogramm. Tas Gehörn gehört zu den
schönsten, welche irgend eine Antilope trägt; es ist gewunden,
bis zu l,i Meter lang, und man begreift kaum, wie die Tiere
mit solchem Hauptschmuck durch die Dickichte des afrikanischen
Buschwaldes zu flüchten vermögen. Die kurze, glatt an-
liegende, etwas rauhe Behaarung, die sich auf der Firste
des Halses und Rückens etwas verlängert uud beim Nocke
an der Brust eine Art Mähne bildet, hat eine schwer zu be-
schreibende rötlich braungraue Farbe, die an den Hinteren
Teilen des Bauches und der Innenseite der Beine in Weiß-
lichgrau übergeht. Von dieser Grundfärbung heben sich scharf
weiße Streifen ab, von denen einige sich gabeln und die in
gleichen Abständen längs den Seiten vom Rücken nach
unten laufen. Unser obenstehendes Bild zeigt einen jungen
Kudu mit noch unausgebildeten Hörnern im Stehen uud im
Liegen, und das Gehörn eines alten Bockes. Bei deu jungen
Tieren fehlt auch noch die Mähne an der Brust, dagegen ist
die Färbung der Haare weit lebhafter und die Zahl der
Streifen auch oft größer, als bei den alten. Starke Böcke
leben einzeln, junge Böcke, sowie die Weibchen vereinigen
sich zu schwachen Rudeln von vier bis sechs Stück. In seiner
Lebensweise ähnelt der Kudu unserem Hochwilde. Er durchs
streift ein großes Gebiet uud wechselt regelmäßig hin und
her. Knospen und Blätter verschiedener Sträuche bilden den
Hauptteil seiner Nahrung, doch verschmäht er auch Gräser nicht.
Sein Gang ist ebenso stolz als zierlich; wird er nufgescheucht,
so trollt er im Buschwalde ziemlich schwerfällig dahin, wobei
er, um nicht hängen zu bleiben, sein Gehörn so weit nach