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Das Bu ch f ü r l l c.

Hcft 21.

ihn umgingen, wurde Karl da und dort, nm er eine alte
Bekanntschaft wieder erneuern wollte, scheel angesehen.
Er bekam auch manche spöttische Anspielung zu hören.
Er merkte aber gar nichts davon. Er gab sich ja doch

nur um seines Vaters willen mit den Leutchen ab; er
redete zu ihnen und antwortete, ohne recht zu wissen
was er sagte und hörte. Wie im Traume ging er
zwischen diesen Menschen hin. Wach war er nur, wenn
er oben im Walde unter einer Eiche lag und den Ameisen
zusah, die zwischen den Grashalmen hastig hin und her
rannten, wenn er des Nachts an seinem Fenster stand
und zum Himmel hinaussah, an dem die Sterne der
Sommernacht so prächtig leuchteten, und vor allem, wenn
er bei Anna Hellrigl war.
Bei oein ersten Blick, der ihn aus den großen blauen
Augen des blonden Mädchens traf, hatte die Liebe das
Herz des jungen Mannes berührt. Nun stand er ganz
und gar in ihren: Banne.
Tag für Tag begleitete er seinen Vater zu Hellrigls.
Da spielte er erst ein wenig Schach. War die Partie
zu Ende, so fügte es sich fast immer so, daß die beiden
alten Herren einander an: Schachbrett allein gegenüber-
saßen, Karl aber und Fräulein Hellrigl in eifrigen: Ge-
spräch zwischen den Nosen- und Fliederbüschei: des aus-
gedehnte,: Gartens, der hinter der Villa lag, auf und
ab gingen.
Von Liebe mar in diesen Gesprächen niemals die
Nede, trotzdem aber glühten die Wangen der beiden
jungen Menschen, ihre Augen leuchteten, und die Stimme
des einen oder anderen bebte ganz sonderbar — gerade
dann, wenn von den allerunverfänglichsten Dingen die
Nede war. Und einmal, an einen: besonders schönen
Sommerabende, als an: Himmel das Tageslicht pur-
purn flammte, der Blumenduft schwer und schwül in
der Luft hing, kam cs plötzlich, daß Anna an Karls
Brust lag, und Karl das junge Geschöpf wieder und
wieder auf die weiße Stirn, Vie halbgeschlossenen Augen,
auf die Wangen und den taufrischen Mund küßte.
Als die beiden endlich tief aufatmend von einander
ließen, sahen sie sich erst ein wenig verwirrt in die Augen.
Dann fuhr sich Anna mit der Rechten über das Haar,
als wolle sie's glätten, und das Paar that einige Schritte
vorwärts, ohne ein Wort zu sprechen. Es sah aus,
als sollte der Spaziergang fortgesetzt werden, als ob
nichts vorgefallen wäre.
Endlich brach Karl dieses andächtige Schweigen. Er
legte den Arm um die Schultern der Geliebten und
raunte in zärtlichen: Tone: „Hast du mich lieb, Annerl?"
„So lieb!" hauchte sie, ein wenig zaghaft, zurück.
Da prasste sich seine Gestalt empor, und seine Stimme
jubelte, „Du Süße, komm! Wir sagen es sofort unseren
Vätern."
Da legte sie aber ihre Hand auf seinen Arm, als
fürchte sie, er könne sie stehen lassen und quer durch den
Garten nach dem Hause laufen. „Heute nicht, Karl
und morgen auch noch nicht!"
Er sah sie erstaunt an. „Ja, warum nicht, mein Herz?"
Sie ließ das Köpschen hängen. „Schau, Karl, so
glücklich bin ich, so . . . laß mir dies ein paar Tage
nur. Denn wenn du erst mit dem Vater redest, dann -—
es wird Kampf geben."
„Ja aber Anna — warum denn? Ich hab' doch
was gelernt, ich hab' jetzt gute Verbindungei:, wenn ich
will, bin ich in einen: halben Jahr angestellt, was könnte
deii: Vater gegen mich haben? Er ist mit meinem Vater
befreundet und behandelt mich so liebenswürdig, wie es
von einen: durch Krankheit und Schmerzei: verbitterten
Menschen kaum zu erwarten ist."
Das blonde Haupt Annas senkte sich noch tiefer.
„Du kennst meinen Vater nicht, Karl. Er — es wird
so schwer, so etwas von dem eigenen Vater zu sagen -
er hat kein gutes Herz. Mit euch ist er nur so, weil
er euch zum Schachspiel braucht. Innerlich aber -
über deinen Vater spottet er schon lange, weil sie ihn

das goldene Herz heißen, und dich haßt er geradezu.
Vielleicht weil du so gesund und stark bist. Seit er
nun die Geschichte mit dem Landstreicher gehört hat,
dem ihr so viel geschenkt habt "

„Der alte Mann ist keii: gewöhnlicher Bettler,"
warf Karl ein. „Er ist ein heruntergekommener Studien-
freund meines Vaters."
„So etwas habe ich ja geahnt und das auch gesagt.
Vater wollte aber davon nichts hören. „Und wenn's
zehnnull so wär'," sagt er, „Narren sind die zwei doch."
Und dann war er ganz wütend und hat zu schimpfen
angefangen und gesagt, am liebste,: würde er den Ver-
kehr mit euch abbrechen, damit ihr ihn nicht anpumpt,
wenn ihr das Eurige an die Bettelleut' verthan habt."
Das Gesicht Karls war nun blaß und finster. „So,
so," murmelte er, „also ein solcher Herr. Keinen Fuß
fetz' ich mehr — aber das geht ja gar nicht! Da könnten
wir uns ja nicht mehr sehen! Was sollen nur bloß
thun?"
Anna schmiegte sich zärtlich an den Arn: des Ge-
liebten. „Nichts, Karl," flüsterte sie. „Wenigstens jetzt
noch nicht. Nicht, bevor du angestellt bist. Indessen
ist auch Gras über die Geschichte gewachsen, die den
Vater so aufgebracht hat. Solange du hier bist, kommst
du wie bisher."
„In das Haus eines Mannes, der so über mich
spricht? Und vor allen: über meinen Vater, meinen
lieben, guten, alten Vater?"
„In sein Haus, Karl, aber zu mir. Er :st freund-
lich zu dir wegen des Schachspiels, sei du's zu ihn: um
meinetwillen. So zahlt ihr euch mit gleicher Münze.
Auf diese Art können wir uns wenigstens sehen. Und
dann, wenn du erst so weit bist — ich werde mein Glück
nicht einer Laune opfern - der Laune des Mannes,
der mich immer gequält hat, obwohl er mein Vater ist."
„Du hast recht, Herz," versetzte Karl, die Geliebte
an fich pressend, „wenn ich als ein Mann in Amt und

Würden vor ihn hintrete, da muß er in anderem Tone
mit nur reden, als er's vielleicht jetzt thät', wo ich bloß
Hauslehrer bin. Aber daß er uns so haßt, bloß weil
wir ihn: zu gutmütig sind, daß er so bösartig —"

Die weiche Hand des jungen Mädchens verschloß
ihm den Mund. „Nicht, Karl! Er ist doch mein Vater.
Ich hab' dir sagen müßen, was ich gesagt hab', ich hab'
müssen. Aber es thäte mir weh, wenn du —"
Er beugte sich zu Anna herab und küßte sie zärt-
lich. „Verzeih, mein Liebling! Und jetzt komm! Wenn wir
unser Glück geheim halten wollen, so müssen wir uns
vor allem davor hüten, daß er etwas merkt, denn das
wäre noch schlimmer, als wenn wir redeten."
Sie gingen mit raschen Schritten auf das Haus zu.
Als sie so nahe waren, daß sie durch die offene:: Fenster
des Gartenzimmers die beiden über das Brett gebückten
Köpfe der Schachspieler sehen konnten, fragte Karl:
„Soll ich's auch meinen Eltern nicht sagen?"
„O doch," antwortete Anna. „Es ist mir sogar
viel lieber, wenn sie's wissen. Nur bitte sie, daß sie die
Sache geheim hallen."
Das junge Mädchen begab sich in die Küche, wäh-
rend Karl zu den beiden alten Herren in das Garten-
zimmer trat. Als er sich hinter seinen Vater stellte, um
der Partie zuzusehen, traf ihn ein funkelnder, bohrender
Blick, der unter den buschig überhängenden Augenbrauen
Hellrigls hervorschoß. Gleich daraus glitt ein hämisches
Lächeln um den zusammengekniffenen Mund des Kranken,
und die Flügel seiner großen Nase vibrierten wie in
verhaltener Aufregung.
„Was ist das?" fragte Karl sich betroffen. In: selben
Augenblicke hob Hellrigl die Hand, schob einen der
Schachsteine rasch um zwei Felder vorwärts und rief:
„Schachmatt!"
Der alte Lehrer wiegte ärgerlich das graue Haupt.
„Hm — matt? Richtig! Nein, so was! Das reine
Uebersehen von nur."
„Was?" fauchte der Kranke ärgerlich. „Ein Ueber-
sehen? Nein, mein Lieber, das Matt ist erzwungen,
regelrecht erzwungen. Hier, Ihr eigener Sohn soll ent-
scheide::! — Sie haben das Endspiel doch verfolgt, Herr
Doktor?" wandte er sich an Karl. „Ganz gewiß haben
Sie's verfolgt. Sie sind doch schon lange genug in:
Zimmer. Und es liegt Ihnen doch nichts im Kopf, so
daß Sie zerstreut wären. Nicht wahr, Sie sind nicht
zerstreut?"
Karl hatte alle Mühe, dem Jnquisitorblick und den
Jnquisitorfragen des wunderlichen Alten stand zu halten,
ohne sich zu verraten.
Als Hellrigl sich endlich zufrieden gab, drängte der
junge Mann zum Aufbruch.
Der alte Huber sah nach seiner dicken silbernen
Taschenuhr, erschrak, als er bemerkte, daß es weit über
Acht war und sprang eilends von seinem Stuhle auf.
„Also auf morg'n, wann 's Ihnen recht ist, Herr
Hellrigl."
Der Kranke nickte und grinste mit falscher Freund-
lichkeit. Dabei reichte er seinen abschiednehmenden
Gästen die magere, von der Gicht verkrüppelte Hand.
„Gute Nacht, Herr Lehrer! — Und Sie, Herr-
Doktor, lassen S' Ihnen recht was Schönes träumen.
Recht was Schönes, hehehehe. Solche junge Herren,
die träumen ja immer schön."
Diese Worte und das spitzige Kichern dazu wirkten
auf Karl wie eine bissige Hänselei. Er verließ das

Zimmer schnell, um nicht nut den: Vater der Geliebten
in einen Wortwechsel zu geraten, der unter allen Um-
ständen üble Folgen haben mußte.
Der alte Lehrer wunderte sich in: stillen nicht wenig


Sie feierliche Eröffnung der Staatsprüfungen in Wam-Ainl) sÄnuam). iS. 862)

Die Staatsprüfungen in Wam-Sint- sAnnam): Tänzerinnen, Sängerinnen und Musikanten. (S. 8
 
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