576
Das Bu ch s ü r A l l e.
Heft L2.
Hand von ihrem Kinde ab.
Wunsch seines Schwiegervaters
anderen Töchter
Baby jetzt ihr
grausam, dann,
sollen.
allem erfahren.
Frau v. Brandenfels fand sich deshalb auch darein,
so schwer es ihr auch wuroe, nicht selbst nach dem
Elsaß zu reisen, um die Wohnung für das junge Paar
auszuwählen und einzurichten. Sie hatte sonst ihren
Töchtern bis ins kleinste alles behaglich zurecht ge-
macht-, den Küchenzettel für die erste Woche entworfen,
alle Vorräte geliefert. Daß sie dies gerade bei Baby
nicht thun sollte, war ihr doppelt schmerzlich.
Königseck versprach indessen, mit Hilfe eines leid-
lichen Tapezierers und der gütigen Mitwirkung der
Negimentsdamen alles in Ordnung bringen zu lassen-,
und Baby behauptete, es mache ihr gerade Spaß,
selbständig zu werden. Sie wolle dann Mutti genau
Die Warieitöurg in Siebenbürgen- Nach einer Originalskizze von H. Bulhardt. (S. 578)
auch ihren anderen
Töchtern das Leben
von der ernsteren
Seite, machte sie auf
vieles Schwere, was
ihrer wartete, auf-
merksam; aber Baby
gegenüber stockte ihr
immer das Wort im
Munde.
Das grenzenlos
gläubige, blinde Ver-
trauen, mit dem dies
junge Wesen in die
Zukunft, wie in einen
Himmel voll unaus-
sprechlicher Wonne
blickte, war so rüh-
rend und schön — sie
konnte diesen kindli-
chen Glauben nicht
erschüttern. Vor allem
aber war sie sich ihrer
grenzenlosen inneren
Abneigung gegen Kö-
nigseck zu wohl be-
wußt; sie würde sicher
hart und ungerecht
werden in ihren Vor-
aussagungen , darum
schwieg sie lieber ganz.
Baby kam ihr oft
wie eine Schlafwan-
delnde vor, die mit
geschlossenen Augen
dicht am Abgrund hin-
geht; eine warnend
erhobene Stimme
konnte den Sturz her-
beiführen. Vielleicht
glitt sie unaufgeweckt
rn ihrer Unschuld Uber-
alle Klippen, die sich
ihrem Glück entgegen-
stellten, hinweg.
Eine schwere Ge-
fahr, die dieser Zu-
kunft drohte, wendete
die Mutter schon in
der Brautzeit mit fester
Königseck schickte auf
„die kleinen Rechnungen der Schneider unt> seiner son-
stigen Lieferanten" ein, indem er sehr obenhin dabei be-
merkte, „das wäre wohl so ziemlich alles". Die Summe,
die sich^beim Addieren ergab, erschien dem alten, durch
solide Söhne verwöhnten Herrn so enorm, der Leicht-
sinn, die Rechnungen bis zu solcher Höhe anwachsen
zu lassen, so groß, daß er am liebsten die ganze Ver-
lobung rückgängig gemacht hätte. .
Aber das litt Frau v. Brandenfels nicht. Sie er-
klärte, sie wolle die Schulden mit ihrem Vermögen
decken und sich dann bis an die Grenze der Möglich-
schreiben, ivie es geworden sei. In Wirklichkeit gab
Kömgseck sich nicht viel Mühe, weder mit der Be-
sorgung der Wohnung noch mit sonstigen Arrangements
für die Behaglichkeit seiner jungen Frau.
Groß ivar die Auswahl der freistehenden Häufer
auch nicht. Die niedlichen Villen der Vorstadt befan-
den sich alle in festen Händen. Er nahm schließlich
die im ersten Stock gelegene Wohnung eines der besseren
Häuser am Markt-
platz. Im Erdgeschoß
war freilich ein Re-
staurant, wo die Bür-
ger des Städtchens
ihr „Schöppli Win"
mit viel Lärm aus-
tranken.
Tie Zimmer oben
ließen auch manches
zu wünschen übrig;
aber schließlich würde
man voraussichtlich
nächstes Jahr schon
nach Berlin übersie-
deln können.
Und: „Raum ist
in der kleinsten Hütte!"
zitierte Königseck mit
seinem gewohnten
sarkastischen Lächeln,
wenn Schwiegermut-
ter und Braut ein-
gehend nach allem
forschten.
Tas Weihnachts-
fest vereinigte sämt-
liche Kinder, Schwie-
gersöhne und Enkel
in Wesendorf. Kö-
nigseck verbrachte we-
nigstens die Hälfte
seines Urlaubs dort.
Baby war zu unglück-
lich in dem Gedanken,
daß er wirklich ganz
in Sandhagen wohnen
wolle. Ohne Schroff-
heit ließ sich ihr Bit-
ten und Fleheu nicht
abschlagen; und so
mußte er wohl oder-
übel das Weihnachts-
fest mit Kinderlärm
und Jubel, Kirch-
gang,Choralgesängen,
Armenbescherungen,
Pfefferkuchen und
brennenden Weih-
nachtsbäumen über
sich ergehen lassen.
Weihnachten war
die schönste Zeit im
ganzen Jahr, behaup-
teten alle Wesendor-
fer Kinder. Der Him-
mel schickte auch dies-
mal ein richtiges
Frostwetter mit wei-
ßem, knisterndem
Schnee, bereiften
Bäumen und kalter,
rötlich glänzender
Sonne. Traulich
durchwärmt war das
ganze Haus durch
flackernde Feuer in
den großen Kaminen,
und die innige Liebe,
die alle verband,
strahlte heute ganz
besonders hell auf.
Das Schmücken der
von der Erde bis zur
Decke reichenden, herr-
lich ebenmäßig ge-
wachsenen Tanne war
ihnen noch eine ebenso wichtige, liebe Arbeit, wie in
der Kinderzeit.
Die Söhne, verheirateten Töchter, Baby und die
sieben kleinen Enkel, alles pappte, klebte, behing die
dunkelgrünen Zweige mit Flittergold und Lametta, bis
der Weihnachtsbaum in gewünschter Herrlichkeit strahlte.
Für Königseck war es eine fremde Welt, in die
er hineinschaute; aber es half ihm nichts, Babys kleine
Hände zogen ihn zu allem herbei; zur Bescherung der
Dorfleutchin dem großen, mit Tannengrün ausgeputztem
Hausflur-, wo die langen weißgedeckten Tische unter
der Last von Westen, Höschen, Röckchen, Pudeltappen,
Schiefertafeln, Spielzeug aller Art, Pfefferkuchen und
keit einschränken, damit keine ihrer
später darunter zu leiden habe; aber
Glück wieder zu entreißen, das sei zu
Hütten sie es lieber gar nicht zugeben
Das Kind dürfe auch nichts von
Weshalb sie nutzlos beunruhigen?
Aus diesen Gründen aber war es geboten, sich so
viel als möglich in seinen Ausgaben zu beschränken.
versuchte, war die Mutter so entsetzt über die miß-
glückte, zerzauste Frisur, daß sie schweigend alles aus-
flocht und es wie bisher selbst ordnete.
Sie sagte zwar jeden Morgen dabei: „Baby, du
mußt wirklich lernen, dir das Haar selbst zu machen,"
und Baby antwortete sehr einverstanden: „Ja, Mutti,
gewiß," aber damit beruhigten sich beide Teile.
Das Verhältnis von Frau v. Brandenfels und ihrer
Tochter war, wenn
möglich ein noch_
zärtlicheres, innigeres
wie bisher; und den-
noch verwundete Baby
ihre Mutter oft auf
das schmerzlichste, ohne
es zu ahnen oder gar
zu beabsichtigen. Jede
Sehnsuchtsthräne, je-
der Seufzer nach dem
fernen Geliebten, das
Zählen der Tage bis
zu seinem nächsten Be-
such, das alles waren
Stiche, bittere Schmer-
zen, die sie der Mutter,
wenn auch ganz un-
gewollt, ja ahnungslos
zufügte. Frau v.Bran-
denfels marterte sich
oft mit Fragen und
Zweifeln, ob sie Baby
in ihrem Glücksrausch,
in ihren rosigen Illu-
sionen über Zukunft
und Ehe lassen sollte.
Das Bu ch s ü r A l l e.
Heft L2.
Hand von ihrem Kinde ab.
Wunsch seines Schwiegervaters
anderen Töchter
Baby jetzt ihr
grausam, dann,
sollen.
allem erfahren.
Frau v. Brandenfels fand sich deshalb auch darein,
so schwer es ihr auch wuroe, nicht selbst nach dem
Elsaß zu reisen, um die Wohnung für das junge Paar
auszuwählen und einzurichten. Sie hatte sonst ihren
Töchtern bis ins kleinste alles behaglich zurecht ge-
macht-, den Küchenzettel für die erste Woche entworfen,
alle Vorräte geliefert. Daß sie dies gerade bei Baby
nicht thun sollte, war ihr doppelt schmerzlich.
Königseck versprach indessen, mit Hilfe eines leid-
lichen Tapezierers und der gütigen Mitwirkung der
Negimentsdamen alles in Ordnung bringen zu lassen-,
und Baby behauptete, es mache ihr gerade Spaß,
selbständig zu werden. Sie wolle dann Mutti genau
Die Warieitöurg in Siebenbürgen- Nach einer Originalskizze von H. Bulhardt. (S. 578)
auch ihren anderen
Töchtern das Leben
von der ernsteren
Seite, machte sie auf
vieles Schwere, was
ihrer wartete, auf-
merksam; aber Baby
gegenüber stockte ihr
immer das Wort im
Munde.
Das grenzenlos
gläubige, blinde Ver-
trauen, mit dem dies
junge Wesen in die
Zukunft, wie in einen
Himmel voll unaus-
sprechlicher Wonne
blickte, war so rüh-
rend und schön — sie
konnte diesen kindli-
chen Glauben nicht
erschüttern. Vor allem
aber war sie sich ihrer
grenzenlosen inneren
Abneigung gegen Kö-
nigseck zu wohl be-
wußt; sie würde sicher
hart und ungerecht
werden in ihren Vor-
aussagungen , darum
schwieg sie lieber ganz.
Baby kam ihr oft
wie eine Schlafwan-
delnde vor, die mit
geschlossenen Augen
dicht am Abgrund hin-
geht; eine warnend
erhobene Stimme
konnte den Sturz her-
beiführen. Vielleicht
glitt sie unaufgeweckt
rn ihrer Unschuld Uber-
alle Klippen, die sich
ihrem Glück entgegen-
stellten, hinweg.
Eine schwere Ge-
fahr, die dieser Zu-
kunft drohte, wendete
die Mutter schon in
der Brautzeit mit fester
Königseck schickte auf
„die kleinen Rechnungen der Schneider unt> seiner son-
stigen Lieferanten" ein, indem er sehr obenhin dabei be-
merkte, „das wäre wohl so ziemlich alles". Die Summe,
die sich^beim Addieren ergab, erschien dem alten, durch
solide Söhne verwöhnten Herrn so enorm, der Leicht-
sinn, die Rechnungen bis zu solcher Höhe anwachsen
zu lassen, so groß, daß er am liebsten die ganze Ver-
lobung rückgängig gemacht hätte. .
Aber das litt Frau v. Brandenfels nicht. Sie er-
klärte, sie wolle die Schulden mit ihrem Vermögen
decken und sich dann bis an die Grenze der Möglich-
schreiben, ivie es geworden sei. In Wirklichkeit gab
Kömgseck sich nicht viel Mühe, weder mit der Be-
sorgung der Wohnung noch mit sonstigen Arrangements
für die Behaglichkeit seiner jungen Frau.
Groß ivar die Auswahl der freistehenden Häufer
auch nicht. Die niedlichen Villen der Vorstadt befan-
den sich alle in festen Händen. Er nahm schließlich
die im ersten Stock gelegene Wohnung eines der besseren
Häuser am Markt-
platz. Im Erdgeschoß
war freilich ein Re-
staurant, wo die Bür-
ger des Städtchens
ihr „Schöppli Win"
mit viel Lärm aus-
tranken.
Tie Zimmer oben
ließen auch manches
zu wünschen übrig;
aber schließlich würde
man voraussichtlich
nächstes Jahr schon
nach Berlin übersie-
deln können.
Und: „Raum ist
in der kleinsten Hütte!"
zitierte Königseck mit
seinem gewohnten
sarkastischen Lächeln,
wenn Schwiegermut-
ter und Braut ein-
gehend nach allem
forschten.
Tas Weihnachts-
fest vereinigte sämt-
liche Kinder, Schwie-
gersöhne und Enkel
in Wesendorf. Kö-
nigseck verbrachte we-
nigstens die Hälfte
seines Urlaubs dort.
Baby war zu unglück-
lich in dem Gedanken,
daß er wirklich ganz
in Sandhagen wohnen
wolle. Ohne Schroff-
heit ließ sich ihr Bit-
ten und Fleheu nicht
abschlagen; und so
mußte er wohl oder-
übel das Weihnachts-
fest mit Kinderlärm
und Jubel, Kirch-
gang,Choralgesängen,
Armenbescherungen,
Pfefferkuchen und
brennenden Weih-
nachtsbäumen über
sich ergehen lassen.
Weihnachten war
die schönste Zeit im
ganzen Jahr, behaup-
teten alle Wesendor-
fer Kinder. Der Him-
mel schickte auch dies-
mal ein richtiges
Frostwetter mit wei-
ßem, knisterndem
Schnee, bereiften
Bäumen und kalter,
rötlich glänzender
Sonne. Traulich
durchwärmt war das
ganze Haus durch
flackernde Feuer in
den großen Kaminen,
und die innige Liebe,
die alle verband,
strahlte heute ganz
besonders hell auf.
Das Schmücken der
von der Erde bis zur
Decke reichenden, herr-
lich ebenmäßig ge-
wachsenen Tanne war
ihnen noch eine ebenso wichtige, liebe Arbeit, wie in
der Kinderzeit.
Die Söhne, verheirateten Töchter, Baby und die
sieben kleinen Enkel, alles pappte, klebte, behing die
dunkelgrünen Zweige mit Flittergold und Lametta, bis
der Weihnachtsbaum in gewünschter Herrlichkeit strahlte.
Für Königseck war es eine fremde Welt, in die
er hineinschaute; aber es half ihm nichts, Babys kleine
Hände zogen ihn zu allem herbei; zur Bescherung der
Dorfleutchin dem großen, mit Tannengrün ausgeputztem
Hausflur-, wo die langen weißgedeckten Tische unter
der Last von Westen, Höschen, Röckchen, Pudeltappen,
Schiefertafeln, Spielzeug aller Art, Pfefferkuchen und
keit einschränken, damit keine ihrer
später darunter zu leiden habe; aber
Glück wieder zu entreißen, das sei zu
Hütten sie es lieber gar nicht zugeben
Das Kind dürfe auch nichts von
Weshalb sie nutzlos beunruhigen?
Aus diesen Gründen aber war es geboten, sich so
viel als möglich in seinen Ausgaben zu beschränken.
versuchte, war die Mutter so entsetzt über die miß-
glückte, zerzauste Frisur, daß sie schweigend alles aus-
flocht und es wie bisher selbst ordnete.
Sie sagte zwar jeden Morgen dabei: „Baby, du
mußt wirklich lernen, dir das Haar selbst zu machen,"
und Baby antwortete sehr einverstanden: „Ja, Mutti,
gewiß," aber damit beruhigten sich beide Teile.
Das Verhältnis von Frau v. Brandenfels und ihrer
Tochter war, wenn
möglich ein noch_
zärtlicheres, innigeres
wie bisher; und den-
noch verwundete Baby
ihre Mutter oft auf
das schmerzlichste, ohne
es zu ahnen oder gar
zu beabsichtigen. Jede
Sehnsuchtsthräne, je-
der Seufzer nach dem
fernen Geliebten, das
Zählen der Tage bis
zu seinem nächsten Be-
such, das alles waren
Stiche, bittere Schmer-
zen, die sie der Mutter,
wenn auch ganz un-
gewollt, ja ahnungslos
zufügte. Frau v.Bran-
denfels marterte sich
oft mit Fragen und
Zweifeln, ob sie Baby
in ihrem Glücksrausch,
in ihren rosigen Illu-
sionen über Zukunft
und Ehe lassen sollte.