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68«

Das Buch für Alle.

ließ sich ein strahlender Tannenbaum, hin und her-
huschende Menschengestalten erkennen.
Wahrscheinlich tanzten frohe Kinder um den Baum,
ein glückliches Elternpanr freute sich an den: Jubel.

All die seligen Weihnachtsabende ihrer Kinder-
zeit tauchten auf; sie brachten immer die Erfüllung
der heimlich gehegten Wünsche. Die Mutter konnte
ihr nichts versagen, sie war zu gut; selbst den größten,

Heft 26.

heißesten Wunsch hatte sie ihr ja auch schließlich er-
füllt, wenn auch mit innerem Widerstreben, mit schweren
Opfern — nur glücklich wollte sie ihr Kind wissen.
Baby drückte den schmerzenden Kopf in die Kissen.

Hinqnartierinlg. Originalzeichnung von Karl Müller-Hamburg.


„Mutti, wenn du wüßtest, wie alles anders ge-
worden ist; so ganz anders!"
Wie laut die Glocken lauteten, sie riefen zur Christ-
vesper. Auch in der Kirche brannten heute Weihnachts-
bäume, nur bei ihr erscholl kein frommes Lied, ihr
strahlte kein Licht. Dunkel und einsam wie im Grab.
Sie versank in unruhigen, fieberhaften Halbschlaf.

Stimmen im Nebenzimmer weckten sie, lachende, heitere
Stimmen, Glaserklirren.
Punsch- und Zigarettengerüche zogen durch die Thür-
ritzen und folterten ihre reizbaren Nerven, erregten ihr
eine entsetzliche Uebelkeit.
Endlich hörte sie Stühlerücken und Horsts Stimme,
die sagte: „Nun, meine Herren, einen kleinen Skat!

Johann, den Spieltisch in mein Zimmer. Zur Feier
des Tages spielen nur wohl mal ein bißchen forsch,
was?"
Am Weihnachtsabend spielen! Baby strich ihr Haar
aus dem Gesicht und lauschte atemlos. Wird er nicht
einmal herüberkommen, nach ihr sehen, fragen, ob ihr
besser ist, sie vielleicht etwas braucht?
 
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