682
Nein, die Schritte gehen vorüber, verklingen auf
dein Flur.
Die Herren sitzen wohl schon in Horsts Zimmer,
die Karten in der Hand, die Punschgläser neben sich.
Ein ganz fideler Abend!
Die Thür öffnete sich doch endlich von einer zag-
haften Hand.
Fielen, die einen starken Küchendunst in ihren Klei-
dern hereinbrachte, schlich leise zu ihr. „Woll'n gnäd'ge
Frau denn gar nichts essen? Das ist doch nicht gut
für gnäd'ge Frau — und das Kleine auch nicht."
„Laß nur sein, Fielen!"
Babys Stimme klang fast schrill; Fielen erschrak,
aber gleich darauf fühlte sie ihre harte, verarbeitete
Hand von den kleinen, kalten, zitternden Fingern um-
klammert.
„Fielen, ich wollte dir nur sagen, du thust recht,
ganz recht, daß du wieder nach Hause gehst. Bleib bei
deiner Mutter, das ist das beste. Geh nie fort von
ihr, hörst du, niemals!"
Fieken schluchzte laut in ihrem heimischen Platt:
„Ach, min sötes, lüttes Frölen Baby! Wat sull ick
denn seggen, wenn gnä' Fru in Wesendörp weten wull,
wie dat hier geiht?"
„Nichts sagen, Fieken, nur nichts sagen! Es dauert
nun wohl nicht mehr lange —- —"
Fieken verließ wirklich unter Thränenströmen An-
fang Januar das Haus, um in die Heimat zurück-
zukehren.
An ihre Stelle trat „das Babett", wie man im
Elsaß für Barbara sagt.
„Das Babett" behauptete, tadellos kochen zu können,
was sich indessen sehr bald als eine völlig ungerecht-
fertigte Ueberzeugung ihrerseits erwies.
Sie trug stets eine entsetzliche rote Trikottaille, „das
Gilet" genannt, Schlappschuhe und eine modern auf-
getürmte Frisur. Das Brennen und Kräuseln der
Stirnlöckchen erforderte viel Zeit. Die Anrede „gnä-
dige Frau" fiel ihrer Zunge sehr schwer; meist blieb
sie bei ihrem gewohnten „Madame".
Baby verabscheute die Nachfolgerin ihres geliebten
Fiekens, ließ sich kaum von ihr bedienen und gab sich
auch wenig Mühe, sie besser anzulernen.
Wozu? Ihr Mann frühstückte ja doch beständig
in der „Falle" und aß jetzt beinahe täglich im Offiziers-
kasino. Die junge Frau ließ nie mehr für sich be-
sonders decken oder anrichten. Das bißchen Suppe,
fast das einzige, was sie genoß, aß sie, wo sie gerade
lag oder saß.
Der ganze Haushalt ging aus den Fugen. Diener
und Bursche waren beständig mit den vier Pferden
beschäftigt; sehr häufig entsandte Königseck sie mit
Briefen, Bestellungen und Blumen nach Billeneuve.
Babett rumorte in Küche und Zimmern nach Ge-
fallen, die Resultate blieben daher natürlich höchst un-
erfreuliche. Babys Händen entglitten die Zügel voll-
ständig; für ein warmes Wort, einen liebevollen Blick
Horsts würde sie den bleiernen, lähmenden Trübsinn, der
sie immer mehr umspann, abgeschüttelt, sich aufgerafft
haben, aber so? Ihrer sensitiven, schüchternen Natur
wäre ja ein Kampf um seine Liebe stets unsäglich
schwer gefallen, aber wie kann man um etwas kämpfen,
das man nie wirklich besessen hat! Seine eigenen
Worte raubten ihr selbst den Trost, sich in die Ver-
gangenheit, die kurze, selige Brautzeit zu vertiefen.
Auch über diese Bilder fiel ein schwarzer Schatten;
die unerbittliche Ueberzeugung: „Er liebte mich selbst
damals nicht," vergiftete alles. Es raubte ihr beides:
die glücklichen Erinnerungen und jede frohe Zukunfts-
hoffnung.
Königsecks Stimmung war auch nicht die beste. In
letzter Zeit sandten der Wagenbauer, Sattler und seine
sonstigen Lieferanten alle Monate pünktlich ihre Rech-
nungen.
Die Unmöglichkeit, diese Forderungen ohne Hilfe
Mr Schwiegereltern zu befriedigen, verdroß ihn gren-
zenlos.
Im Frühling sollte seine Versetzung in den Ge-
neralstab in der That erfolgen. Der Oberst teilte ihm
dies kürzlich mit. Wie sollte er dort in Berlin standes-
gemäß leben? Erhöhten die Wesendorfer auch wirklich
die Zulage, was half ihm das? Die drückende Ab-
hängigkeit von ihnen blieb dieselbe.
Ehe er aber kurz und bündig die Herausgabe von
Gabrieles Erbteil verlangte, mußte sein Verhältnis
zu Sibylle entschieden sein. Davon hing alles ab. Er
zweifelte nicht, daß er auch in diesem Kamps Sieger
bleiben würde; nur wie sich ihre Zukunft dann ge-
stalten solle, blieb noch im unklaren. Er liebte sie
heiß genug, um alle Fesseln, die ihn banden, ab-
zustreifen und ihr allein anzugehören.
Pflicht, Ehre, Recht — Worte, leere Worte, wandel-
bare Begriffe. Erst der Sinn, den man hineinlegt,
gestaltet sie, läßt sich aber auch nach Belieben drehen
und auslegen.
(Fortsetzung folgt.)
Das Buch für Alle.
Berliner Dachgärten.
(Siehe die 2 Bilder nnf Seite 677.)
"re kostbarer mit dem raschen Anwachsen der Bevölkerungs-
zahl jeder Fußbreit Erde innerhalb des Berliner Weich-
bildes wird, je eifriger sich die Bauspekulation jedes noch
nicht vollständig ausgenutzten Terrains bemächtigt, desto mehr
verschwinden namentlich ans den inneren Stadtteilen jene
hübschen kleinen Hausgärten, deren freundliches Grün man
noch vor wenig Jahrzehnten fast überall den Abschluß der
Hofräume bilden sah. In den vornehmeren Vierteln sucht man
sie neuerdings wohl dadurch zu ersetzen, daß man diesen
Hofraum mit eitrigen schmalen Nasenstreifen, einem halben
Dutzend von Kübelgewächsen oder wohl gar mit einem lustig
plätschernden kleinen Springbrunnen ausstattet. Aber wenn
auch die in den Seitenflügeln und Hintergebäuden gelegenen
Quartiere, deren Fenster auf einen so geschmückten Hof hinaus-
gehen, dann stets unter dem stolzeir Namen von Garten-
wohnungen vermietet werden, ist der Ersatz für einen wirk-
lichen Garten doch nur ein recht kümmerlicher, und es kann
nicht wundernehmen, daß man, mehr und mehr dem Beispiel
der praktischen Amerikaner folgend, die für solche Zwecke vor-
trefflich geeigneten flachen Hausdächer mit gärtnerischen An-
lagen versieht (siehe die beiden Bilder auf S. 677). Muß
man auch hie und da ein wenig Schornsteinruß als uner-
wünschte Zugabe mit in den Kalif nehmen, so ist doch die
Luft hier oben im großen und ganzen sicherlich viel reiner
und erquickender als drunten zwischen den himmelhohen Stein-
mauern. Jenes „Höhenklima", dessen sich die glücklichen
New Dorker in den Restaurationsgärten auf den Dächern
ihrer zwanzig und mehr Stockwerke hohen „Wolkenkratzer"
erfreuen, bleibt den Berlinern allerdings vorläufig noch ver-
sagt. Aber die Aussicht, die man voic dem Dachgarten eines
gewöhnlichen vierstöckigen Hauses herab genießt, ist nament-
lich iir der Umgebung architektonisch bevorzugter Punkte, wie
des Schillerplatzes, oder inmitten besonders belebter Straßen,
wie sie zum Beispiel das im Zentrum gelegene Rathaus
umgeben, wahrlich schon interessant und abwechslungsreich
geillig. Die Herstellung der Garteilanlagen selbst ist, wenn
mail eiil flaches Pappzementdach und eine brauchbare Be-
wässerungsanlage zur Verfügung hat, nicht einmal mit all
zn großen Kosteil und Schwierigkeiten verknüpft. Ein fuß-
hoch mit Erde gefüllter Holzkasten genügt zur Erzeugung des
schönsten Nasen- oder Blumenbeetes, in dein anch kleinere
Sträucher noch recht gut sortkommen. Der feste Zaun, mit
welchem der äußere Rand des Daches zur Sicherheit der
Lustwandelnden natürlich umgeben werden muß, läßt sich
mühelos durch Schlingpflanzen in eine anmutige Laubwand
verwandeln. Erfindungsreiche Gartenkünstler wissen wohl
gar die nüchterneil Schornsteine durch entsprechende Schlacken-
aufschüttung und Bepflanzung in grün umsponnene Miniatur-
felsen umzugestalten und ihren lauschigen Dachwinkel mit
Hallen, Lauben und kleinen Gewächshäusern auszustatten, so
daß ihnen hier hoch über dem lärmenden Hasten und Treiben
der Millionenstadt fast alle Annehmlichkeiten und Genüsse einer
behaglichen und ungestörten Sommerfrische erblühen.
Ein sonderbarer Mind.
(Siehe das Bild auf Seite 681.)
"?>er elegante junge Jägersmann, den uns der ungarische
Maler A. Neogrndy auf seinem lustigen Bilde in einer
so drolligen Haltung des Erstaunens vorführt, hat in der
That eiilige Veranlassung, überrascht zu sein. Auf gemäch-
lichem Birschgange durch das wohlvertraute Waldrevier be-
griffen, hat er plötzlich aus einiger Entfernung ein Rascheln
und Knacken vernommen, wie wenn ein Reh leichtfüßig durch
Gesträuch und Unterholz dahinstriche. Und einmal auch ist's
ihm gewesen, als sähe er etwas Helles, Bewegliches zwischen
dem grünen Gezweig. Mit aller für den weidgerechten Jäger
gebotenen Vorsicht hat er sich herangebirscht, die Flinte schuß-
fertig im Arm, bis ihm dann am Rande des murmelnden
_ Htst 26.
Waldbaches eine sehr unerwartete Entdeckung beschieden ist.
Ein Schmetterlingsnetz und ein breitrandiger, blumenge-
schmückter Mädchenhut liegen da auf dem Rasen, während
von der Eigentümerin dieser Gegenstände weit und breit
nichts zu sehen ist. Wäre der Vach ein reißender Strom,
so könnten wohl allerlei bange Befürchtungen über das Schick-
sal der holden Schmetterlingsjägerin im Herzen des Weid-
manns auftauchen. Aber das Wässerlein, über das flinke
Mädchenfüße leicht mit einem beherzten Sprunge Hinweg-
gelangen, birgt keine Gefahren. Und so ist tausend gegen
eins zu wetten, daß der junge Mann, nachdem durch den
sonderbaren Fund seine Neugier einmal gereizt wurde, bei
etwas schärferer Umschau sehr bald die Besitzerin des Hutes
in ihrem recht unzulänglichen Versteck hinter dem nahen
Buchenstamme am jenseitigen Bachufer aufgespürt haben wird.
Ob er mit dem Rechte des Jagdherrn die gefundenen Gegen-
stände mit Beschlag belegen und ihre Herausgabe an irgend
welche schrecklichen Bedingungen knüpfen wird, vermögen wir
nicht zu verraten. Aber das Schelmenlächeln auf dem an-
mutigen Backfischgesichtchen giebt uns wenigstens die beruhigende
Gewähr, daß die junge Dame selbst keinerlei herzbeklemmende
Befürchtungen hegt, und daß sie sicher ist, sich mit dem glück-
lichen Finder auf durchaus gütlichem Wege zu verständigen.
,Mreckkohett)iehen" in Hinterstem.
(Siehe dciS Bild auf Seite 683.)
*1/raftspiele, besonders solche, die einen komischen Beigeschmack
haben, sind bei allen Bewohnern der deutschen Alpen
äußerst beliebt; je nach der Landschaft aber hat dieses oder
jenes besondere Volkstümlichkeit. So ist das auf S. 683
dargestellte „Streckkatzenziehen" eine ganz eigenartige Kraft-
leistung der starknackigen Söhne des bayerischen Algäus.
Während die Oberbayern und Tiroler ihre Finger gebrauchen,
um den Gegner beim „Fingerhakeln" über den Tisch herüber-
zuzerren, benutzen die Algäuer Senner und Holzknechte ihren
Nacken, nm sich gegenseitig über den Erdboden zu schleifen.
Die beiden Gegner legen sich dabei platt nieder, den Ober-
körper etwas gehoben, die Arme nach vorn zu nufgestützt.
Um beider Hinterkopf wird ein Strick gelegt. Auf ein ge-
gebenes Zeichen sucht nun jeder durch Einstemmen der Arme
und Einkrallen der Fußspitzen in den Boden sich rückwärts
zu bewegen und den Gegner mit sich zn ziehen. Hat einer
den anderen über eine vorher mitten zwischen beiden gezogene
Linie gekriegt, so hat er gewonnen. Diese zwar nicht klassisch-
homerischen, aber äußerst erheiternden Wettkämpfe werden
ebensowohl auf narbigem Grasboden, wo Fuß und Hand
vortrefflichen Halt finden, als auch auf glatten, ausgetretenen
Fußböden der Wirtshäuser ausgefochten, und dabei der er-
habenste Heldenmut bewiesen. Meist finden diese Wettkämpfe
oben auf den Almen statt, bei festlichen Gelegenheiten aber
auch im Thal. Hauptort dafür ist Hinterstein. Ist im Herbst
das Vieh von der Alm abgetrieben, sind die Sennen alle
wieder hinab nach Hinterstein gekommen, dann beginnen die
Volksfeste, und dann wird gezogen, daß die geschundenen
Ohren bluten. Unser Bild stetlt ein Preisziehen in Hinter-
stein dar. Als Kampfplatz dient eine zum Tanzen bestimmte
Bretterbühne, auf der zwei Kreidestriche gezogen sind. Es
gilt hier, den Gegner so weit zu bringen, daß seine Finger-
spitzen über den zweiten Srrich Hinweggleiten. Schon haben
vier Paare gezogen, und die vier Sieger haben jeder
eine Fahne als Preis erhalten. Nun kommt der Höhepunkt
des Spieles. Die Sieger müssen sich abermals paarweise
miteinander messen, bis nur einer als Sieger über alle übrig
bleibt, der dann den ausgesetzten Geldpreis erhält. Die bei-
den letzten führen soeben den Endkampf. Die Kampfrichter,
die übrigen Streckkatzenzieher, das Landvolk und auch eine
Anzahl Fremder umgeben dicht gedrängt die Kämpfer. Vorn
links steht der Musikantentisch. Hier wird nach Beendigung
des Spieles Zither und Guitarre klingen, und nach den
munteren Tanzweisen wird sich auf dem Kampfplatze alles
lustig im Tanze drehen.
Hübsche Müffchen.
Novelle von Emma Merk.
in wunderbar blauer Herbsthinvnel lag
über dem Nymphenburger Schloßgarten
mit seinen blitzenden Wassern und ver-
witterten Götterbildern; die Alleebäume
leuchteten in flammendem Gelb, und
langsam sank von ihren Wipfeln der gol-
dene Regen nieder.
Auf die Menschen, die selten aus dem Münchener
Stadtlärm herauskamen, die wochenlang zwischen den
Häusern lebten, wirkte der stille Park mit seiner Farben-
glut und seiner Lichtfülle ganz märchenhaft, ganz be-
rauschend.
„Ach, wie schade, daß es nicht immer Feiertag ist!"
rief die blonde Thea mit einem so drolligen Seufzer
und einem so unverkennbaren Ausdruck des Vergnügens
über den schönen Sonntagnachmittag, daß alle lächelnd
auf ihr rosiges Kindergesicht schauten.
Man stand auf der kleinen Brücke, die über den
spiegelglatten Weiher führte, und fütterte die Schwäne,
(Nachdruck verdaten.)
' die feierlich über das von Zweigen überdachte Wasser
heranschwammen. Die Hellen Gestalten der beiden jun-
gen Mädchen, die dunkleren der neben ihnen sich über
das Geländer beugenden Herren spiegelten sich in der
blanken Fläche, und die kleine Gruppe war eine heitere
Staffage in dem reizenden landschaftlichen Bilde.
Frau Reinhardt und Frau Westkirch hatten sich zu
dem Spaziergang verabredet und freuten sich über die
frohen Stimmen und die lachenden Augen ihrer achtzehn-
jährigen Töchter. Die jungen Mädchen waren zusam-
men in der Schule gewesen, und da sie nachbarlich wohn-
ten und in ähnlichen Verhältnissen lebten, spann sich
noch immer ein freundschaftlicher Verkehr zwischen
ihnen fort.
Beide Mütter waren früh Witwen geworden und
beide mußten sich mit beschränkten Mitteln durchschlagen.
Das that nun freilich jede in ihrer Weise, und Frau
Reinhardt sand eigentlich, daß Theas Mutter wirklich
zu sparsam und einfach nuftrete und zu wenig für den
Anzug ihrer hübschen Tochter verwende. Ihre Carola
Nein, die Schritte gehen vorüber, verklingen auf
dein Flur.
Die Herren sitzen wohl schon in Horsts Zimmer,
die Karten in der Hand, die Punschgläser neben sich.
Ein ganz fideler Abend!
Die Thür öffnete sich doch endlich von einer zag-
haften Hand.
Fielen, die einen starken Küchendunst in ihren Klei-
dern hereinbrachte, schlich leise zu ihr. „Woll'n gnäd'ge
Frau denn gar nichts essen? Das ist doch nicht gut
für gnäd'ge Frau — und das Kleine auch nicht."
„Laß nur sein, Fielen!"
Babys Stimme klang fast schrill; Fielen erschrak,
aber gleich darauf fühlte sie ihre harte, verarbeitete
Hand von den kleinen, kalten, zitternden Fingern um-
klammert.
„Fielen, ich wollte dir nur sagen, du thust recht,
ganz recht, daß du wieder nach Hause gehst. Bleib bei
deiner Mutter, das ist das beste. Geh nie fort von
ihr, hörst du, niemals!"
Fieken schluchzte laut in ihrem heimischen Platt:
„Ach, min sötes, lüttes Frölen Baby! Wat sull ick
denn seggen, wenn gnä' Fru in Wesendörp weten wull,
wie dat hier geiht?"
„Nichts sagen, Fieken, nur nichts sagen! Es dauert
nun wohl nicht mehr lange —- —"
Fieken verließ wirklich unter Thränenströmen An-
fang Januar das Haus, um in die Heimat zurück-
zukehren.
An ihre Stelle trat „das Babett", wie man im
Elsaß für Barbara sagt.
„Das Babett" behauptete, tadellos kochen zu können,
was sich indessen sehr bald als eine völlig ungerecht-
fertigte Ueberzeugung ihrerseits erwies.
Sie trug stets eine entsetzliche rote Trikottaille, „das
Gilet" genannt, Schlappschuhe und eine modern auf-
getürmte Frisur. Das Brennen und Kräuseln der
Stirnlöckchen erforderte viel Zeit. Die Anrede „gnä-
dige Frau" fiel ihrer Zunge sehr schwer; meist blieb
sie bei ihrem gewohnten „Madame".
Baby verabscheute die Nachfolgerin ihres geliebten
Fiekens, ließ sich kaum von ihr bedienen und gab sich
auch wenig Mühe, sie besser anzulernen.
Wozu? Ihr Mann frühstückte ja doch beständig
in der „Falle" und aß jetzt beinahe täglich im Offiziers-
kasino. Die junge Frau ließ nie mehr für sich be-
sonders decken oder anrichten. Das bißchen Suppe,
fast das einzige, was sie genoß, aß sie, wo sie gerade
lag oder saß.
Der ganze Haushalt ging aus den Fugen. Diener
und Bursche waren beständig mit den vier Pferden
beschäftigt; sehr häufig entsandte Königseck sie mit
Briefen, Bestellungen und Blumen nach Billeneuve.
Babett rumorte in Küche und Zimmern nach Ge-
fallen, die Resultate blieben daher natürlich höchst un-
erfreuliche. Babys Händen entglitten die Zügel voll-
ständig; für ein warmes Wort, einen liebevollen Blick
Horsts würde sie den bleiernen, lähmenden Trübsinn, der
sie immer mehr umspann, abgeschüttelt, sich aufgerafft
haben, aber so? Ihrer sensitiven, schüchternen Natur
wäre ja ein Kampf um seine Liebe stets unsäglich
schwer gefallen, aber wie kann man um etwas kämpfen,
das man nie wirklich besessen hat! Seine eigenen
Worte raubten ihr selbst den Trost, sich in die Ver-
gangenheit, die kurze, selige Brautzeit zu vertiefen.
Auch über diese Bilder fiel ein schwarzer Schatten;
die unerbittliche Ueberzeugung: „Er liebte mich selbst
damals nicht," vergiftete alles. Es raubte ihr beides:
die glücklichen Erinnerungen und jede frohe Zukunfts-
hoffnung.
Königsecks Stimmung war auch nicht die beste. In
letzter Zeit sandten der Wagenbauer, Sattler und seine
sonstigen Lieferanten alle Monate pünktlich ihre Rech-
nungen.
Die Unmöglichkeit, diese Forderungen ohne Hilfe
Mr Schwiegereltern zu befriedigen, verdroß ihn gren-
zenlos.
Im Frühling sollte seine Versetzung in den Ge-
neralstab in der That erfolgen. Der Oberst teilte ihm
dies kürzlich mit. Wie sollte er dort in Berlin standes-
gemäß leben? Erhöhten die Wesendorfer auch wirklich
die Zulage, was half ihm das? Die drückende Ab-
hängigkeit von ihnen blieb dieselbe.
Ehe er aber kurz und bündig die Herausgabe von
Gabrieles Erbteil verlangte, mußte sein Verhältnis
zu Sibylle entschieden sein. Davon hing alles ab. Er
zweifelte nicht, daß er auch in diesem Kamps Sieger
bleiben würde; nur wie sich ihre Zukunft dann ge-
stalten solle, blieb noch im unklaren. Er liebte sie
heiß genug, um alle Fesseln, die ihn banden, ab-
zustreifen und ihr allein anzugehören.
Pflicht, Ehre, Recht — Worte, leere Worte, wandel-
bare Begriffe. Erst der Sinn, den man hineinlegt,
gestaltet sie, läßt sich aber auch nach Belieben drehen
und auslegen.
(Fortsetzung folgt.)
Das Buch für Alle.
Berliner Dachgärten.
(Siehe die 2 Bilder nnf Seite 677.)
"re kostbarer mit dem raschen Anwachsen der Bevölkerungs-
zahl jeder Fußbreit Erde innerhalb des Berliner Weich-
bildes wird, je eifriger sich die Bauspekulation jedes noch
nicht vollständig ausgenutzten Terrains bemächtigt, desto mehr
verschwinden namentlich ans den inneren Stadtteilen jene
hübschen kleinen Hausgärten, deren freundliches Grün man
noch vor wenig Jahrzehnten fast überall den Abschluß der
Hofräume bilden sah. In den vornehmeren Vierteln sucht man
sie neuerdings wohl dadurch zu ersetzen, daß man diesen
Hofraum mit eitrigen schmalen Nasenstreifen, einem halben
Dutzend von Kübelgewächsen oder wohl gar mit einem lustig
plätschernden kleinen Springbrunnen ausstattet. Aber wenn
auch die in den Seitenflügeln und Hintergebäuden gelegenen
Quartiere, deren Fenster auf einen so geschmückten Hof hinaus-
gehen, dann stets unter dem stolzeir Namen von Garten-
wohnungen vermietet werden, ist der Ersatz für einen wirk-
lichen Garten doch nur ein recht kümmerlicher, und es kann
nicht wundernehmen, daß man, mehr und mehr dem Beispiel
der praktischen Amerikaner folgend, die für solche Zwecke vor-
trefflich geeigneten flachen Hausdächer mit gärtnerischen An-
lagen versieht (siehe die beiden Bilder auf S. 677). Muß
man auch hie und da ein wenig Schornsteinruß als uner-
wünschte Zugabe mit in den Kalif nehmen, so ist doch die
Luft hier oben im großen und ganzen sicherlich viel reiner
und erquickender als drunten zwischen den himmelhohen Stein-
mauern. Jenes „Höhenklima", dessen sich die glücklichen
New Dorker in den Restaurationsgärten auf den Dächern
ihrer zwanzig und mehr Stockwerke hohen „Wolkenkratzer"
erfreuen, bleibt den Berlinern allerdings vorläufig noch ver-
sagt. Aber die Aussicht, die man voic dem Dachgarten eines
gewöhnlichen vierstöckigen Hauses herab genießt, ist nament-
lich iir der Umgebung architektonisch bevorzugter Punkte, wie
des Schillerplatzes, oder inmitten besonders belebter Straßen,
wie sie zum Beispiel das im Zentrum gelegene Rathaus
umgeben, wahrlich schon interessant und abwechslungsreich
geillig. Die Herstellung der Garteilanlagen selbst ist, wenn
mail eiil flaches Pappzementdach und eine brauchbare Be-
wässerungsanlage zur Verfügung hat, nicht einmal mit all
zn großen Kosteil und Schwierigkeiten verknüpft. Ein fuß-
hoch mit Erde gefüllter Holzkasten genügt zur Erzeugung des
schönsten Nasen- oder Blumenbeetes, in dein anch kleinere
Sträucher noch recht gut sortkommen. Der feste Zaun, mit
welchem der äußere Rand des Daches zur Sicherheit der
Lustwandelnden natürlich umgeben werden muß, läßt sich
mühelos durch Schlingpflanzen in eine anmutige Laubwand
verwandeln. Erfindungsreiche Gartenkünstler wissen wohl
gar die nüchterneil Schornsteine durch entsprechende Schlacken-
aufschüttung und Bepflanzung in grün umsponnene Miniatur-
felsen umzugestalten und ihren lauschigen Dachwinkel mit
Hallen, Lauben und kleinen Gewächshäusern auszustatten, so
daß ihnen hier hoch über dem lärmenden Hasten und Treiben
der Millionenstadt fast alle Annehmlichkeiten und Genüsse einer
behaglichen und ungestörten Sommerfrische erblühen.
Ein sonderbarer Mind.
(Siehe das Bild auf Seite 681.)
"?>er elegante junge Jägersmann, den uns der ungarische
Maler A. Neogrndy auf seinem lustigen Bilde in einer
so drolligen Haltung des Erstaunens vorführt, hat in der
That eiilige Veranlassung, überrascht zu sein. Auf gemäch-
lichem Birschgange durch das wohlvertraute Waldrevier be-
griffen, hat er plötzlich aus einiger Entfernung ein Rascheln
und Knacken vernommen, wie wenn ein Reh leichtfüßig durch
Gesträuch und Unterholz dahinstriche. Und einmal auch ist's
ihm gewesen, als sähe er etwas Helles, Bewegliches zwischen
dem grünen Gezweig. Mit aller für den weidgerechten Jäger
gebotenen Vorsicht hat er sich herangebirscht, die Flinte schuß-
fertig im Arm, bis ihm dann am Rande des murmelnden
_ Htst 26.
Waldbaches eine sehr unerwartete Entdeckung beschieden ist.
Ein Schmetterlingsnetz und ein breitrandiger, blumenge-
schmückter Mädchenhut liegen da auf dem Rasen, während
von der Eigentümerin dieser Gegenstände weit und breit
nichts zu sehen ist. Wäre der Vach ein reißender Strom,
so könnten wohl allerlei bange Befürchtungen über das Schick-
sal der holden Schmetterlingsjägerin im Herzen des Weid-
manns auftauchen. Aber das Wässerlein, über das flinke
Mädchenfüße leicht mit einem beherzten Sprunge Hinweg-
gelangen, birgt keine Gefahren. Und so ist tausend gegen
eins zu wetten, daß der junge Mann, nachdem durch den
sonderbaren Fund seine Neugier einmal gereizt wurde, bei
etwas schärferer Umschau sehr bald die Besitzerin des Hutes
in ihrem recht unzulänglichen Versteck hinter dem nahen
Buchenstamme am jenseitigen Bachufer aufgespürt haben wird.
Ob er mit dem Rechte des Jagdherrn die gefundenen Gegen-
stände mit Beschlag belegen und ihre Herausgabe an irgend
welche schrecklichen Bedingungen knüpfen wird, vermögen wir
nicht zu verraten. Aber das Schelmenlächeln auf dem an-
mutigen Backfischgesichtchen giebt uns wenigstens die beruhigende
Gewähr, daß die junge Dame selbst keinerlei herzbeklemmende
Befürchtungen hegt, und daß sie sicher ist, sich mit dem glück-
lichen Finder auf durchaus gütlichem Wege zu verständigen.
,Mreckkohett)iehen" in Hinterstem.
(Siehe dciS Bild auf Seite 683.)
*1/raftspiele, besonders solche, die einen komischen Beigeschmack
haben, sind bei allen Bewohnern der deutschen Alpen
äußerst beliebt; je nach der Landschaft aber hat dieses oder
jenes besondere Volkstümlichkeit. So ist das auf S. 683
dargestellte „Streckkatzenziehen" eine ganz eigenartige Kraft-
leistung der starknackigen Söhne des bayerischen Algäus.
Während die Oberbayern und Tiroler ihre Finger gebrauchen,
um den Gegner beim „Fingerhakeln" über den Tisch herüber-
zuzerren, benutzen die Algäuer Senner und Holzknechte ihren
Nacken, nm sich gegenseitig über den Erdboden zu schleifen.
Die beiden Gegner legen sich dabei platt nieder, den Ober-
körper etwas gehoben, die Arme nach vorn zu nufgestützt.
Um beider Hinterkopf wird ein Strick gelegt. Auf ein ge-
gebenes Zeichen sucht nun jeder durch Einstemmen der Arme
und Einkrallen der Fußspitzen in den Boden sich rückwärts
zu bewegen und den Gegner mit sich zn ziehen. Hat einer
den anderen über eine vorher mitten zwischen beiden gezogene
Linie gekriegt, so hat er gewonnen. Diese zwar nicht klassisch-
homerischen, aber äußerst erheiternden Wettkämpfe werden
ebensowohl auf narbigem Grasboden, wo Fuß und Hand
vortrefflichen Halt finden, als auch auf glatten, ausgetretenen
Fußböden der Wirtshäuser ausgefochten, und dabei der er-
habenste Heldenmut bewiesen. Meist finden diese Wettkämpfe
oben auf den Almen statt, bei festlichen Gelegenheiten aber
auch im Thal. Hauptort dafür ist Hinterstein. Ist im Herbst
das Vieh von der Alm abgetrieben, sind die Sennen alle
wieder hinab nach Hinterstein gekommen, dann beginnen die
Volksfeste, und dann wird gezogen, daß die geschundenen
Ohren bluten. Unser Bild stetlt ein Preisziehen in Hinter-
stein dar. Als Kampfplatz dient eine zum Tanzen bestimmte
Bretterbühne, auf der zwei Kreidestriche gezogen sind. Es
gilt hier, den Gegner so weit zu bringen, daß seine Finger-
spitzen über den zweiten Srrich Hinweggleiten. Schon haben
vier Paare gezogen, und die vier Sieger haben jeder
eine Fahne als Preis erhalten. Nun kommt der Höhepunkt
des Spieles. Die Sieger müssen sich abermals paarweise
miteinander messen, bis nur einer als Sieger über alle übrig
bleibt, der dann den ausgesetzten Geldpreis erhält. Die bei-
den letzten führen soeben den Endkampf. Die Kampfrichter,
die übrigen Streckkatzenzieher, das Landvolk und auch eine
Anzahl Fremder umgeben dicht gedrängt die Kämpfer. Vorn
links steht der Musikantentisch. Hier wird nach Beendigung
des Spieles Zither und Guitarre klingen, und nach den
munteren Tanzweisen wird sich auf dem Kampfplatze alles
lustig im Tanze drehen.
Hübsche Müffchen.
Novelle von Emma Merk.
in wunderbar blauer Herbsthinvnel lag
über dem Nymphenburger Schloßgarten
mit seinen blitzenden Wassern und ver-
witterten Götterbildern; die Alleebäume
leuchteten in flammendem Gelb, und
langsam sank von ihren Wipfeln der gol-
dene Regen nieder.
Auf die Menschen, die selten aus dem Münchener
Stadtlärm herauskamen, die wochenlang zwischen den
Häusern lebten, wirkte der stille Park mit seiner Farben-
glut und seiner Lichtfülle ganz märchenhaft, ganz be-
rauschend.
„Ach, wie schade, daß es nicht immer Feiertag ist!"
rief die blonde Thea mit einem so drolligen Seufzer
und einem so unverkennbaren Ausdruck des Vergnügens
über den schönen Sonntagnachmittag, daß alle lächelnd
auf ihr rosiges Kindergesicht schauten.
Man stand auf der kleinen Brücke, die über den
spiegelglatten Weiher führte, und fütterte die Schwäne,
(Nachdruck verdaten.)
' die feierlich über das von Zweigen überdachte Wasser
heranschwammen. Die Hellen Gestalten der beiden jun-
gen Mädchen, die dunkleren der neben ihnen sich über
das Geländer beugenden Herren spiegelten sich in der
blanken Fläche, und die kleine Gruppe war eine heitere
Staffage in dem reizenden landschaftlichen Bilde.
Frau Reinhardt und Frau Westkirch hatten sich zu
dem Spaziergang verabredet und freuten sich über die
frohen Stimmen und die lachenden Augen ihrer achtzehn-
jährigen Töchter. Die jungen Mädchen waren zusam-
men in der Schule gewesen, und da sie nachbarlich wohn-
ten und in ähnlichen Verhältnissen lebten, spann sich
noch immer ein freundschaftlicher Verkehr zwischen
ihnen fort.
Beide Mütter waren früh Witwen geworden und
beide mußten sich mit beschränkten Mitteln durchschlagen.
Das that nun freilich jede in ihrer Weise, und Frau
Reinhardt sand eigentlich, daß Theas Mutter wirklich
zu sparsam und einfach nuftrete und zu wenig für den
Anzug ihrer hübschen Tochter verwende. Ihre Carola