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Hcft

Gefangene bei der Arbeit.

Anabentischlerel.

Wahllokal.

Schulzimmer.

Speisezimmer.

.Hus der der ^luugen^ (Erziehungsanstalt füv verwahrloste Lrinder nl^^)regierung). Nach Photographien von M. W. Eovper in O)roton (Nerv Norli).

Auinzen der
„Republik der Jungen".
Aber der Versuch war höchst
- Strolche

versichert nämlich, das; selbst die störrischten Kinder und
scheinbar unverbesserlichen Taugenichtse, die der Ermah-
nung und Bestrafung durch Lehrer und Erzieher oder
Beamte den erbittertsten Widerstand entgegensetzen, sich
fast ohne Widerrede dem Urteil und der Bestrafung durch
ihresgleichen unterwerfen. Und wie der Wilderer ge-
wöhnlich, sobald man ihn als Forsthüter anstellt, der
eifrigste Schützer des Wildes wird, so zeigt auch der in
der „Republik der Jungen" zur Beamtenwürde empor-
gestiegene Strolch alsbald alle Merkmale eines pflicht-
eifrigen Beamten. Als Beispiel dafür kann der erste
Knabenpolizist „Banjo" gelten, den wir auf dem Bilde
„Gefangene bei der Arbeit" links stehen und mit kriti-
schem Blick die Thätigkeit der ihm übergebenen Sträf-
linge überwachen sehen. Er war ein Strolch und Taschen-
dieb, als er in den Straßen New Jorks aufgegriffen und
der Erziehungsanstalt des Herrn George übergeben wurde,
und hat sich dort schnell zu einem strammen Hüter des
Gesetzes ausgebildet. Das System, nach dem dort ver-
fahren wird, ist in der That darauf berechnet, die Selbst-
achtung in dem jungen Auswürfling zu erwecken, und
mit dieser kommt das Verantwortlichkeitsgefühl und das
Streben, die Achtung und Anerkennung der anderen
zu erringen. Nicht der Furcht, sondern dem Ehrgefühl
fällt die Rolle der treibenden und bessernden Kraft zu.
Dies ist ohne Zweifel ein bedeutender Fortschritt den
bisherigen, in Besserungshäusern üblichen Methoden
gegenüber, wenn es auch verfrüht wäre, das System
bereits als das allein richtige zu betrachten, und sehr
gewagt, es ohne weiteres auf andere, ältere Anstalten zu
übertragen. Doch ist es hoch anzuerkennen, daß der warm-
herzige Begründer der „Republik der Jungen" einen
neuen Weg gezeigt hat, der für die Entwickelung des zur
brennenden Frage gewordenen Zwangserziehungswesene
vielleicht richtunggebend werden wird.

William R. George,
der Gründer der „Republik der Jungen".

I 's
l L'

Eine ErziehnttgSlilMIt für verwahrloste
Ender mit Selbstregiermig.
/^ine der betrübendsten sozialen Erscheinungen ist
das stetige Anwachsen des jugendlichen Verbrecher-
tums in den Weltstädten, das sich aus den verwahr-
losten Kindern des untersten Proletariats rekrutiert.
Solche armen Wesen, die im entsetzlichsten physischen
und moralischen Elend aufgewachsen sind, nie ein
eigentliches Heim gekannt, nie Elternliebe genossen
haben, fallen fast rettungslos dem Verbrechen anheim,
und neuerdings mehren sich die Stimmen, die es
als eine Pflicht des Staates und der Gesellschaft be-
zeichnen, nicht abzuwarten, bis einer dieser Verwahr-
losten ein Verbrechen begangen hat, dabei ertappt,
dem Gerichte vorgeführt und dann zur Zwangserzie-
hung in einer Besserungsanstalt, oder, falls er über
14 Jahre alt ist, zur Gefängnisstrafe verurteilt wird,
sondern durch rechtzeitig eintretende Entfernung aus
den verderblichen Verhältnissen und Verbringung in
mit Humanität rind pädagogischem Geschick geleitete
Anstalten dem Verbrechen zuvorzukommen und dem
Staate einen Bürger zu retten. Was man in der
Alten Welt in dieser Hinsicht jetzt erstrebt, das hat
in der Neuen ein Menschenfreund, William R. George,
in bescheidenem Umfange bereits aus eigenen Kräften
ins Werk gesetzt und zwar in einer höchst originellen,
durchaus amerikanischen Weise. Er hat in seinem
Heimatsorte Freeville im Norden des Staates New
Port aus eigenen Mitteln und freiwilligen Unter-
stützungen eine Erziehungsanstalt gegründet, deren
Verwaltung nicht wie sonst nach autoritären und despo-
tischen, sondern nach ganz republikanischen Grund-
sätzen erfolgt, daher er ihr auch mit Recht den Namen

der „Republik der Jungen" gegeben hat. Dort-
hin versetzen den Leser unsere Bilder. Schon
im Jünglingsalter begann Herr George, der als
Kaufmann in New Jork lebte, sich für das Schick-
sal der ver-
wahrlosten
Kinder von der
Straße, an de-
nen nächst
London keine
Stadt reicher
ist, als New
Jork, zu inter-
essieren, und
der Wunsch,
ihr Elend mil-
dern, sie aus
dem Sumpfe,
in dem sie ohne
eigenes Ver-
schuldenstecken,
zu retten,wurde
immer mächti-
ger in ihm. Im
Jahre 1890
nahm er erst-
mals eine grö-
ßere Anzahl
solcher Kinder
während der
Sommerferien
mit auf seine
Farm, um dort
erzieherisch auf
sie einzuwirkeu. , ,,
entmutigend, denn die jungen Bettler, SUvlcht
und Diebe wollten sich keiner Zucht fügen,
stetige Unthaten, Streitigkeiten und Widersetz-

Gemeinschaftlicher Schlafraum.
zu Tischlern, Schlossern, Zimmerleuten, Schuh-
machern u. s. w. ausgebildet werden. Drei der
Holzhäuser, in denen sie wohnen und schlafen, so-
wie das Schulhaus, das Parlamentsgebäude und
das Gefängnis, haben sie selbst errichtet. Auf der
Farm wird Garten- und Getreidebau, neuer-
dings auch Viehzucht betrieben. Jeder Bürger,
das heißt jeder Insasse der Anstalt über 12 Jahre
ist selbständig, wahlberechtigt und wählbar, und
bekommt seine Arbeit bezahlt, muß seinerseits
aber auch alles, was er erhält, bezahlen. Alle
Aemtcr werden durch direkte und geheime Wahl
der „Bürger" mittels Stimmzettels besetzt. Die
„Republik der Jungen" hat sogar eigenes Geld,
das aus Zinn geprägt ist. Das Bettmachen,
Putzen, Kochen, Waschen, Nähen geschieht unter
Aufsicht von Erwachsenen durch „Bürgerinnen";
für Zöglinge unter 12 Jahren, die noch keine
Bürgerrechte genießen, sorgen ältere Bürgerinnen.
Es giebt ein besonderes Gasthaus, in dem alle
jene Insassen, die kein eigenes Haus haben, Zim-
mer oder Schlafstelle und Essen zu billigen Preisen
haben können. Die billigste Art zu logieren ist
in dem von uns abgebildeten gemeinschaftlichen
Schlafraum. Im gemeinschaftlichen Speisezimmer
kann man ein Mahl für 10 bis 20 Cents (40 bis
80 Pfennig) haben. Nachdem die jungen Leute
in dieser Republik bis zum 21. Jahre verweilt,
sich an Ordnung, Selbstbestimmung und ehrliche
Arbeit gewöhnt haben, werden sie in die Welt
entlassen. Die Erfolge sind nach der Versicherung
des Herrn George so groß, daß von sechzig bis
jetzt entlassenen Zöglingen der jungen Republik
nur zwei verloren gegangen, das heißt dem Ver-
brechen wieder anheimgefallen sind. Herr George

Hcst 26.
lichkeiten waren an der Tagesordnung. Anfangs
leitete Herr George natürlich die von ihm auf seiner
kleinen Farm gegründete Erziehungsanstalt nach den
bisher üblichen Gepflogenheiten, da aber Strafen bei
seinen verdorbenen Zöglingen, die er aus den dunkel-
sten Teilen New Jorks gerettet hatte und als Ent-
gelt für ihre Verpflegung arbeiten ließ, meist frucht-
los waren, und die Knaben sich der Bestrafung sogar
widersetzten, oder sich ihr häufig durch die Flucht ent-
zogen, so kam er 1894 dazu, aus der Mitte der
wilden Schar selbst eine Art von Gerichtshof wählen
zu lassen, der bei Vergehen die Strase festzusetzen
hatte. Diese besteht seitdem nicht mehr in körperlicher
Züchtigung, sondern in Einsperrung und harter Ar-
beit ohne Löhnung, und auch die Vollziehung und
Beaufsichtigung der Strafe ist in die Hand der
jugendlichen Genossen selbst gelegt. Diese Neue-
rung bewährte sich so gut, daß Herr George im
Winter 1895 den noch gewagteren Entschluß faßte,
die Gesetze und Vorschriften nicht nur durch die Zog
linge überwachen, sondern selbst machen zu lassen. So
entstand nach dem Muster der Verfassung der Ver-
einigten Staaten die „Republik der Jungen", in der
Herr George anfangs noch die Präsidentschaft über-
nahm, aber auch diese 1897 an einen vom „Parla-
mente" gewählten jungen Burschen abtrat. Damit
hat die Republik der Jungen völlige Selbstregiernng
erlangt. Diese verlorenen Kinder, der Mehrzahl nach
Knaben, sind vom 12. Jahr an alle „Bürger" der
Republik. Wer ein Amt bekleiden will, muß nicht
nur die Schule durchgemacht habe», sondern hat noch
eine besondere Prüfung zu bestehen. Die Schule,
deren Besuch pflichtmäßig ist und deren Versäumnis
Geld- oder Gefängnisstrafe mit harter Arbeit nach sich
zieht, bringt dem Zögling die Bildung der amerika-
nischen Volksschule bei. Dann giebt es Werkstätten,
in denen die jungen „Bürger" durch tüchtige Meister
 
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