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Dienst, und als man nach Boston kam, wo man sehr-
eilig Silber übernahm, wurde Nielsen unwohl und blieb
in seiner Kabine. Er betrat das Land nicht und er-
schien erst wieder zum Dienst, als der Dampfer nach
einem Aufenthalt von achtundvierzig Stunden Boston
verließ, um nach Europa hinüberzufahren.

3.
Im Palast des Präsidenten der französischen Repu-
blik fand ein Ministerrat statt. Zur Beratung stand
eine sehr wichtige und eilige Angelegenheit. Der Finanz-
minister teilte folgendes mit:
„Gestern hat sich bei mir ein norwegischer Seemann,
Namens Nielsen, melden lassen und die Mitteilung ge-
macht, daß von Amerikanern die Nachprägung von Fünf-
srankenstücken im großen Stil betrieben werde. Ich er-
innere daran, daß bereits im August eine Konferenz statt-
sand, in welcher beraten wurde, was gegen die massenhaft
auftauchenden neugeprägten Fünffrankenstücke und deren
Verbreitung zu geschehen habe. Es wurde damals beschlossen,
jede Maßregel zu unterlassen, um nicht dein Publikum
unser Geld verdächtig zu machen, aber Detektives nach
den Orten zu schicken, wo sich hauptsächlich Geldstücke
neuer Prägung vorfanden. Die Leute haben indessen
bis heute nichts entdeckt. Um so mehr Licht hat dieser
Norweger in die Sache gebracht. Der Mann ist vor-
kurzem in Alexandrien von einen: amerikanischen Schiff
entflohen, auf den: er zweiter Steuermann war. Das
Schiff enthält die Prägestätte der Falschmünzer. Nielsen
hat mir auch erzählt, daß der erste Steuernrann des
Schiffes, Sverdrup, ermordet worden sei und er ebenfalls
auf der letzten Fahrt von Boston bis Alexandrien in be-
ständiger Lebensgefahr geschwebt habe. Er ist von
Alexandrien auf einem französischen Dampfer nach
Marseille gefahren und gestern morgen iir Paris an-
gekommen. Er hat mir den Vorschlag gemacht, durch
ein Kriegsschiff den amerikanischen Dampfer, auf dem
die Freimünzerei betrieben wird, ausbringen zu lassen.
Er will sich dem Kapitän des Kriegsschiffes zur Ver-
fügung stellen, um den Tod seines Landsmannes und
Freundes zu rächen, und behauptet, in ungefähr zwölf
bis vierzehn Tagen würde der amerikanische Dampfer,
der „Delaware" heißt, die Meerenge zwischen Elba und
Korsika passieren, wobei er leicht abgefangen werden
könne. Ich füge noch hinzu, daß die „Delaware" unter
nordamerikanischer Flagge fährt, und daß die Schiffs-
papiere vollkommen in Ordnung sind. Ich bitte feft-
zustellen, meine Herren, was zu geschehen hat."
Man kam nach längerer Beratung zu der Ansicht,
eine Aufbringung des Dampfers „Delaware" durch ein
französisches Kriegsschiff empfehle sich in keiner Weise.
Frankreich lebte in Frieden mit der nordamerikanischen
Republik, und die französische Negierung hatte absolut
kein Recht, ein nordamerikanisches Schiff aufzubringen
oder nur auf offener See zu durchsuchen und Ver-
haftungen darauf vorzunehmen. Ein solcher Schritt
mußte ohne Zweifel zu schweren Differenzen mit der
Unionsregierung führen, die französische Regierung hatte
aber alle Ursache, auswärtige Verwickelungen zu ver-
meiden. Der Boulangismus war noch nicht vollständig
unterdrückt, Frankreich befand sich am Ausgang einer-
inneren Krise, welche fast die republikanische Regierungs-
form vernichtet hatte. Ruhe nach innen und außen
war jetzt die Hauptsache. Mit der Gewalt des Gesetzes
und Rechtes also ließ sich den amerikanischen Gaunern
nicht beikommen; solange sie sich nicht in einem fran-
zösischen Hafen blicken ließen, und so dumm, dieses zu
thun, waren sie jedenfalls nicht.
Aber vielleicht ging die Sache mit Lift, gleichsam
privatim, ohne Verantwortlichkeit der Regierung. Man
konnte diesen Nielsen dazu verwenden, indem man ihm
unoffiziell allen möglichen Vorschub leistete. Die Ma-
rinebehörde beschloß, sich mit dem Manne näher ein-
zulassen. Denn irgend etwas mußte jedenfalls geschehen,
der Falschmünzerei ein Ende zu machen. —
Zwei Stunden nach Schluß des Ministerrats ver-
ließ Nielsen das Arbeitszimmer des Marineministers
und begab sich sofort nach dem Bahnhof, um nach Mar-
seille abzufahren.
*
*
Ungefähr 55 Kilometer von der Nordspitze von
Korsika entfernt, liegt die Insel Elba, und wenige
Kilometer südwestlich von dieser die Insel Pianosa,
welche ebenfalls italienischer Besitz ist. Die Insel Pia-
nosa wird von den Italienern als Strafstation benutzt
und ist ein kleines Eiland, auf welchem außerdem noch
sieben- bis achthundert Fischer wohnen.
Am frühen Morgen des 30. Oktober 1891 näherte
sich die „Delaware" dem Kanal zwischen Korsika und
Elba, um die Nordküste Korsikas zu umfahren und
dann, langsam an der spanischen Küste entlang kreuzend,
Cartagena zu erreichen. Auf der Kommandobrücke stand
Morton und neben ihm O'Leary. Die beiden hatten
ein ernsthaftes Gespräch über die Verhältnisse im Schiff,
die in den letzten Tagen höchst ungünstig geworden

Das Buch für Alle.
waren. Peakinan hatte durch seine Brutalität gegen
die Schwarzen eine Meuterei veranlaßt. Diese war
zwar dadurch, daß Peakman einen der Neger niederschoß,
unterdrückt worden, aber unter den Schwarzen gärte
es, und Peakman wagte sich nicht mehr hinunter in
den Maschinenraum. Er ging nur noch bis zur Eisen-
treppe oberhalb der Maschine, und Lawrence, der zweite
Maschinist, mußte die Verhandlungen mit den Schwarzen
vor den Feuern führen. Morton und O'Leary fürchteten,
daß die Schwarzen bei der Ankunft in Cartagena das
Schiff verlassen und eine Beschwerde beim nordamerika-
nischen Konsul führen könnten. Dies mußte unter allen
Umständen verhindert werden, man durfte in den Häfen,
in denen man landete, um keinen Preis Aufsehen er-
regen, da Fies zu den unangenehmsten Konsequenzen
führen konnte.
Der Matrose, der auf Ausguck am Bug des Schiffes
stand, wandte sich plötzlich um und rief zur Brücke
hinaus: „Kriegsschiff rechts voraus!"
Aus dein Schatten der Insel Pianosa glitt ein hoch-
gebautes, mittelgroßes Kriegsschiff von einem höchst ab-
sonderlichen Typus. Aus seinem Schlot quollen kolossale
Rauchwolken, und es näherte sich der „Delaware" direkt
im rechten Winkel. Das Kriegsschiff machte eine er-
staunlich rasche Fahrt, und hatte es, wie es schien, auf
die „Delaware" abgesehen. Die Flagge, welche in:
Haupttop flatterte, war nicht deutlich erkennbar. Morton
nahm das Fernglas zur Hand und prüfte die Flagge
aufmerksam.
„Ich will verdammt sein," sagte er zu O'Leary,
„wenn ich weiß, was das für ein Kasten ist. In der
Flagge sehe ich rot, grün, gelb und blau. Eine solche
Flagge giebt es gar nicht. Ein französisches Kriegsschiff
ist es sicher nicht."
O'Leary atmete erleichtert auf.
Das seltsame Schiff war inzwischen schnell näher
gekommen.
Ein Nauchwölkchen stieg am Bug auf, und der
scharfe Knall eines Schusses drang hinüber zur „Dela-
ware". An: Vortop des Kriegsschiffes ging ein Fern-
signal in die Höhe. Dieses Zeichen bedeutete: „Halt!
Beidrehen!"
Morton und O'Leary sahen einander unsicher und
erschrocken an.
„Wir halten natürlich nicht," stieß Morton hervor,
„was hat uns der fremde Kerl den Weg zu verlegen.
Es sind Friedenszeiten!"
„Volldampf!" signalisierte er nach der Maschine
hinunter und befahl dein Mann am Steuer, das Ruder
mehr nach Steuerbord zu legen, damit die „Delaware"
schräg nach der korsischen Küste hinüber ging und dein
sich eilfertig nähernden Kriegsschiffe ausweichen konnte.
Peakman kam in diesem Augenblicke auf Deck, und
Morton schrie ihm, auf das Kriegsschiff weisend, zu:
„Machen Sie Dampf, so viel Sre können; der Kerl
dort führt Böses im Schilde!"
Gleichsam zur Bestätigung dieser Worte Mortons
erhob sich jetzt abermals eine Dampfwolke an Bord des
Kriegsschiffes, und zwei Sekunden später schlug eine
Granate krachend in den Bug der „Delaware" ein, in
die Eisenplatten derselben ein großes Loch reißend. Zum
Glück befand sich dieses über Wasser. Die Maschine
stand plötzlich still.
„Machen Sie Dampf, rundes Himmels willen Dampf!"
schrie O'Leary Peakuran zu, und dieser riß den Revolver
aus der Ledertasche und eilte in die Maschine hinunter.
Verworrenes Getöse tönte von unten herauf, man hörte
noch zweimal, kurz nacheinarider, das Knallen von Ne-
volverschüffen, dann erschien Lawrence schreckensbleich auf
Deck und rief den beiden Männern auf der Brücke zu:
„Die Schwarzen haben Peakman mit den Schürstnngen
erschlagen. Sie weigern sich, die Feuer zu versorgen.
Ich bin ihnen mit Mühe und Not entwischt, und sie
verbarrikadieren sich unten im Maschinenraum."
Morton und O'Leary wurden bleich. Meuterei unten
im Schiff und rechts das Kriegsschiff, das sich unmittel-
bar neben ihnen befand! Das letztere hielt plötzlich,
und zwei Bote nut Bewaffneten wurden niedergelassen,
die sich mit eiligen Nuderschlägen der „Delaware" näher-
ten. In kurzer Zeit waren sie an Steuerbord und Back-
bord des Schiffes und riefen Morton zu, er solle das
Fallreep herunterlassen. Die schußfertigen Gewehre
der Bewaffneten in den Booten und die drohenden Ka-
nonen des Kriegsschiffes ließen keine Wahl. O'Leary
knirschte vor Wut.
„Nicht einmal die Prägemaschinen kann man heraus-
holen und ins Meer versenken!" murmelte er.
Schon wimmelte das Deck von Bewaffneten. Die
Leute trugen blaue Matrosenanzüge ohne Abzeichen,
waren aber mit Seitengewehren, Patronentasche:: und
Gewehren bewaffnet. Im Augenblick waren Morton
und O'Leary gebunden und den Matrosen der „Dela-
ware" wurde mitgeteilt, sie seien Gefangene. Sie füg-
ten sich auch ohne weiteres und ließen sich in Reih' und
Glied auf der Back des Schiffes aufstellen. Dann drang
eine Abteilung Bewaffneter in das Innere des Schiffes
ein, schlug nut den Kolben die Wände zur Prägestütte
ein und holte die Falschmünzer heraus, welche ihre Ar-

Heft 26.
beit eingestellt hatten, als die Granate in den Bug
des Schiffes fuhr. Dann signalisierten die Bewaffneten
nach dem Kriegsschiff hinüber, und es stieß von dort
ein kleines Boot ab, in den: sich anscheinend der Kom-
mandant des Fahrzeuges befand.
Als er an Bord kam, erkannten O'Leary und Morton
in ihm den desertierten Steuermann Nielsen, und nun
wußten sie, daß alles verloren war.
Nielsen ging hinunter in den Heizraum, gab sich
den Negern zu erkennen und sagte, daß die Schufte
Morton und O'Leary gefangen seien, und die Schwarzen
jubelten ihm zu. Die Matrosen der „Delaware", die
ihn fast ausnahmslos kannten, begrüßten ihn ebenfalls
freudig und erklärten, sie dächten nicht an Widerstand.
Er schickte sie nach dem Kriegsschiff hinüber und ließ
von dort Matrosen kommen. Dann nahm die „Dela-
ware", auf der jetzt Nielsen kommandierte, ihren Kurs
nach Bastia, dem Nordhafen von Korsika. Das Kriegs-
schiff folgte.
Gefesselt und ohne ein Wort zu sprechen saßen unter
sicherer Bewachung Morton und O'Leary auf Deck.
Plötzlich wurde ihre Aufmerksamkeit durch sonderbare
Vorgänge auf dem Kriegsschiff rege. Dieses folgte
ihnen im Kielwasser und die Freimünzer entdeckten, wie
sich das Aussehen des Schiffes in merkwürdiger Weise
veränderte. Erst verschwand die Regenbogenflagge, dann
sah man, wie der Oberbau des Schiffes stückweise weg-
genommen wurde. Nach einer halben Stunde war der
ganze Aufbau verschwunden, auch die Verlängerung des
Schornsteins herabgenommen, und die Gefangenen sahen
einen ganz gewöhnlichen Dampfer, dem durch Aufbau
von graugestrichenen Brettern das äußere Aussehen eines
Kriegsschiffes gegeben worden war. Wenn es etwas
gab, das den Zorn und die Bestürzung des Reeders
und des Kapitäns der „Delaware" noch verstärkte, so
war es das Bewußtsein, daß sie einer List Nielsens zum
Opfer gefallen waren, und daß ihnen dieser einen Streich
gespielt hatte, der den Gefangenen zum Schaden noch
das beschämende Gefühl gab, sich lächerlich gemacht zu
haben.
An: Nachmittag traf die „Delaware", gefolgt von
dem harmlosen anderen Schiff, in Bastia ein, und zwei
Stunden später saßen Morton und O'Leary auf der
Citadelle, während inan den schwer verwundeten Peak-
man in das Krankenhaus schaffte. Die Münzmaschinen
sowie das fertige Geld wurden ausgeladen und beim
Gericht in Bastia deponiert. Matrosen und Heizer der
„Delaware" wurden sofort abgelohnt und entlassen, das
Schiff aber von der französischen Behörde mit Beschlag
belegt.
Der Prozeß gegen die Freimünzer vollzog sich sehr
rasch. Morton und O'Leary wurden zu zehn Jahren
Zwangsarbeit verurteilt und nach Neucaledonien depor-
tiert, wo sie bald dem Klima erlagen. Peakman starb
an den erhaltenen Verletzungen im Krankenhause, die
„Rentiers" erhielten mehrjährige Gefängnisstrafen, die
sie auf der Citadelle in Bastia verbüßten.
Als sie dann entlassen wurden, erfuhren die Ver-
wandten von Morton und O'Leary erst, was aus diesen
geworden sei. Man schmieg aber, denn man fürchtete,
Frankreich könne durch Vermittelung der nordamerikani-
schen Regierung die Herausgabe der großen Summen
verlangen, die durch die Freimünzerei an Bord der
„Delaware" verdient worden waren, und durch welche
auch der Verlust des Schiffes vollständig gedeckt war.
Nielsen erhielt eine hohe Belohnung von der fran-
zösischen Negierung und verschwand aus deren Wunsch
schleunigst vom Schauplatz.
Er zog sich nach seiner nordischen Heimat zurück,
wo er jetzt als wohlhabender Fischer, der mehrere
Fischerkutter besitzt, lebt.

Der Landbriefträger.
SkiW ans deur Pvstverkehr der Gegenwart.
Von IP O. Klanffwann.

(Nachdruck verboten.)

f schichten hat
schreibens zu

^^^^ie zunehmende Bildung der unteren Volks-
ß schichten hat eine große Zunahme des Brief-
schreibens zur Folge gehabt, und je mehr sich
Handel und Wandel, Technik und Industrie
in Deutschland hoben, desto mehr hatte auch der in:
Dorfe oder in: einsamen Gehöft wohnende Mensch das
Bedürfnis, mit der Außenwelt wenigstens schriftlich in
Verbindung zu treten. Die Kriege hatten das Interesse
an politischen Nachrichten gen,eckt, im entferntesten Winkel
des Reiches begann man Zeitungen zu halten, und es
lag den Abonnenten daran, möglichst früh in den Besttz
des bedruckten Papiers zu gelangen.
Während nun aber auf den Eisenbahnlinien und
den Poststraßen umfassende Maßregeln getroffen wurden,
 
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