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706

Das Buch für Alle.

Heft 27.




Gin Steinschneider.

Achatschleifereien im Idarthal.

leiden Körper und

schläft-, ich

Ldelsteinschleiferei mit elektrischem Betrieb.

ich weiß keinen am

nicht, daß es so
mich nicht frei von

ein Bad
alles am
Ihre Frau

Diese
erschrak:
„Wirk-
lich so
leidend?
Aberdas
giebt sich
wohl
bald?"

ihn zu vermehren. Jede Thräne, jeder Seufzer der
verlassenen kleinen Seele klagte sie an.
Sie mußte den Verkehr mit Königseck aufgeben;
vollständig, für immer aus seinem Leben verschwinden.
Ihr eigenes Herz zog sich in namenloser Dual zu-
sammen bei dem Gedanken, ihn nicht mehr zu sehen;
in Zukunft nur noch ihren so schweren Pflichten leben
zu dürfen. —
Schlaflos irrte sie die ganze Nacht in ihren Zim-
mern umher; sie wollte schreiben, aber ihre sonst so ge-
wandte Feder stockte. Es klang alles kalt, trocken und
geschraubt.
Würde er sich überhaupt mit einer brieflichen Ver-
abschiedung begnügen, sich ihr unterwerfen? Sie kannte
seinen herrischen Charakter zur Genüge, um es zu be-
zweifeln. — Nein, Auge in Auge mußte diesmal der
letzte, schwerste Kampf mit ihm ausgefochten werden.
Nicht nur seine Leidenschaft hatte sie zu besiegen, son-
dern vor allern das eigene Herz zum Schweigen zu
bringen.

SiedzeHrrtes Korpitok.
Einige Tage nach Sibylles Besuch bei Frau
v. Brandenfels, als sie gerade wieder, an ihrem Schreib-
tisch sitzend, einen halbfertigen Brief zerriß, meldete
der Diener den Rittmeister v. Königseck.
Tiefe Blässe überflog Sibylles Züge. „Ich lasse
bitten," sagte sie ruhig, sich mühsam beherrschend.
„Sie bringen mir Nachrichten von Ihrer Frau?
Wie geht es ihr, besser?"
Sie reichte dem Eintretenden die Hand, die er an
seine Lippen zog.
„Meiner Frau? Wie es ihr geht? Hoffentlich
gut." Herr v. Königseck lächelte und nahm seinen ge-
wohnten Sitz am Kamin ein: „Jedenfalls wohl gut,
„Mutti" ist ja bei ihr, bei der kann sie sich nun aus-
klagen. Ich bin seit drei Tagen bei Bruck in Chntelet;

der ist gastfreundlicher wie Sie. Sie verweigerten
mir das Äsylrecht; ich sagte Ihnen ja gleich, ich würde
fliehen, wenn Mutter, Wärterin und andere „weise
Frauen" anrückten."
Sein leichter, nachlässiger Plauderton harmonierte
sehr schlecht mit der düsteren Entschlossenheit seiner Züge.
Sibylle merkte es, auch er wollte eine Entscheidung
herbeiführen; klopfenden Herzens, mühsam atmend,
lehnte sie sich in ihren Stuhl zurück.
Einige Minuten blieb alles still.
Die kleine Rokokouhr auf dem Kamin holte aus,
sieben Helle, silberne Schläge schwirrten durch das stille
Zimmer.
Die Spieluhr im Saal nebenan setzte ein; hell
und rein klang die süße Melodie des kleinen „Früh-
lingsliedes von Massenet zu ihnen herüber:
„Oeffne die Augen, die blauen,
Liebchen, cs tagt."
„Wie lange soll die Komödie zwischen uns beiden
noch fortgespielt werden?" fragte Königseck plötzlich.
„Wir verstecken unsere Gefühle hinter Freundschafts-
bezeigungen , und wissen es doch sehr gut, was das
Ende sein muß."

Mutter
seufzte
nur.
„Herr
v. Kö-
nigseck
istnichtzu
Hause?"
fragte
Sibylle.
„Nein,"
lautete
die kurze
Antwort.
»Ist er
über-
haupt je
zu Hause?" fuhr Frau v. Brandenfels nach einer kurzen
Pause mit kaum unterdrückter Empörung fort. „Herren-
diners, Spritzfahrten nach Baden-Baden, Rennen,
Diners in Villeneuve und was alles sonst noch. Mich
würd's auch wenig kümmern, wenn es nur meinem
Kinde nicht so weh thüte. Aber es bricht ihr das
Herz! Das ist der Grund des trostlosen Zustandes.
Bei zart organisierten Naturen
Seele zugleich."
Sibylle erblaßte. „Ich ahnte
stand," sagte sie tonlos. „Ich kann
Schuld sprechen, gnädige Frau.
Herr v. Königseck ist "ein alter
Bekannter von mir, gemeinsame,
geistige Interessen verbinden uns.
Ich habe mich meines Mannes
wegen, der ein hoffnungslos
Kranker ist, von jedem Verkehr
zurückgezogen; mit Ihrem Schwie-
gersohn machte ich eine Aus-
nahme. Er ist in letzter Zeit
allerdings häufig bei mir gewesen,
um mir sein Manuskript vor-
zulesen. Ich habe nicht bedacht,
daß sein vieles Kommen seine
Frau kränken müßte. Es war
egoistisch von mir. Ich werd?
ihn bitten, seine Besuche bei mir
einzustellen, und früher als ich
ursprünglich beabsichtigte, mit
meinem Mann in '
gehen. Das löst
besten. — Kann ich
Tochter sehen?"
„Ich glaube, sie . . .
möchte sie nicht wecken."
„Nein, das sollen Sie auch
nicht. Lassen Sie mich durch eine
Spalte in das Zimmer schauen.
— Bitte! Ich werde sie voraus-
sichtlich nie mehr im Leben Wie-
dersehen, denn, wie ich höre,
wird Königseck nach Berlin ver-
setzt ; unsere Wege trennen sich da-
mit wohl für immer. Der erste
Eindruck, den ich von Ihrer
Frau Tochter gewann, war der
einer holden Frühlingsblume —
deren Vergleich. Später, leider wohl auch mit durch
meine Schuld, fiel ein Schatten über unseren Verkehr."
Frau v. Brandenfels öffnete geräuschlos die Thür
zum Schlafzimmer.
Baby schlief fest.
Sibylle stand mit gefalteten Händen vor dem Bett.
Die Verheerungen, welche Gram, körperliche und see-
lische Leiden in dem süßen Kindergesichtchen angerichtet
hatten, erschütterten sie tief.
Sie wandte sich ab; Thränen füllten ihre Augen.
„Ich gehe," sagte sie leise zu Frau v. Brandenfels,
die sie hinausbegleitete. „Mit meinem Willen soll sie
nie mehr etwas von mir hören. Es ist das einzige,
was ich für sie thun kann."
Die Mutter senkte schweigend den Kopf. Sibylle
beugte sich nieder und küßte ihre Hand.
„Verzeihen Sie mir, wenn Sie können," bat sie
mit stockender Stimme. Ehe Frau v. Brandenfels ant-
worten konnte, ging sie rasch hinaus.
Herbe Selbstvorwürfe marterten sie während der
Heimfahrt; wenn sie auch nicht die einzige Veranlassung
für den Kummer des armen Kindes war, so hatte sie doch
in ihrem blinden Egoismus jedenfalls dazu beigetragen,

dem erregten Gespräch

gestern
erwähnt.


wurde in i s, ".'s
Baby in leidenschaftlicher Anklage
Ehe sie noch recht zum Entschluß kommen konnte,
ob sie den Besuch empfangen oder sich verleugnen
lassen solle, betrat Sibylle schon das Zimmer.
„Verzeihen Sie, gnädige Frau, daß ich hier ein-
dringe," sagte sie zu der alten Dame, die sich mechanisch
erhob und sie begrüßte. „Ich hörte aber ein hoffentlich
übertriebenes Gerücht von der ernstlichen Erkrankung
Ihrer Frau Tochter und wollte mich gern selbst einmal
erkundigen."
„Meine Tochter ist sehr leidend und ich bin in
großer Sorge um sie," antwortete Frau v. Branden-
fels ernst, mit unwillkürlichem Interesse in Sibylles
schönes, anziehendes Gesicht sehend.

Sie ging
hinaus, da-
mit die
Kranke un-
gestört
schlafen
konnte.
Als sie
im Salon
bei ihrer
Arbeit saß,
meldete
Babett
Frau
v. Mon-
tigni aus
Villeneuve.
Frau v.
Branden-
fels fuhr
auf. Der
NameVille-
neuve
nacht von

Die Achat- und Edelsteinschleiferei im Idarchal.




D.-M


Lin Achat bobrer.

Gruppe von rohen und geschliffenen Steinen, sowie fertigen Gegenständen in der Gewerbehalle zu Idar.

einen
Brief
für den
Herrn
Ritt-
mei-
ster.
Es ist
eilig;
er war
schon

DM
i 2L

Lin Ldelsteinschleifer.
am Vormittag in Chütelet und ist dann wieder nach
Hause geritten und jetzt hierher."
Königseck nahm mechanisch den Brief und überflog
die wenigen Zeilen.
„Es ist gut, der Mann kann nach Hause reiten,"
sagte er wie geistesabwesend.
Als der Diener das Zimmer verlassen hatte, warf
er den zusammengedrückten Zettel auf den Tisch und
wandte sein leicht erblaßtes Gesicht Sibylle wieder zu.
„Laß uns zu Ende kommen." Seine Stimme klang
rauh und hart. „Noch einmal lege ich dir meine
Liebe, alles, was ich bin und habe, zu Füßen. Ich
schrecke vor keinem Opfer, keinem Hindernis zurück,
um dich zu erringen. Denkst du noch ebenso klein
und schwächlich wie vor acht Jahren, mich um einer
sentimentalen Schrulle willen aufgeben zu wollen?"
Sibylle nahm den achtlos fortgeworfenen Brief;
mit versagender Stimme las sie halblaut die mit
zitternder Hand geschriebenen Zeilen:
„Baby ist von einem Sohn entbunden; das Kind
lebt, ist aber sehr schwach. Mit Gabriele steht es sehr
schlecht.
Mutter."
Sie ließ die Hand mit dem Papier sinken und sah
ihm eine Sekunde sprachlos in das Gesicht. Dann
flog sie auf ihn zu und schüttelte seinen Arm.
„Horst! Hast du das denn gelesen? Hast du
verstanden, was das heißt? Und du bist noch hier?
Sie stirbt vielleicht, und du sprichst zu mir von Liebe?"
„Ach was, Töchter überängstlicher Mütter sterben
in deren Phantasien bei jeder Entbindung und sind
nachher kerngesund."
„Horst, dir ist ein Sohn geboren und du hast
keinen Gedanken für die arme, kranke Mutter?"
Korijetzung folgt.)

geschoben wird?"
„Das nicht." t_ o . . .
Atem strich über ihre Stirn: „Nein,

Inneres einer Achatsch'esterei.
„Sibylle! Noch einmal die-
selbe Scene wie vor acht Jahren!
Ersparen wir uns doch die vielen
Worte. Sie bringen mit einigen
Variationen nur dieselben halt-
losen Gründe und Sophistereien
ins Gefecht! Und wie damals
sind Sie heute wieder im Unrecht;
anstatt daß zwei Menschen glück-
lich wurden, haben Sie alle elend ge-
macht. Soll sich derselbe Irrtum
wiederholen?"
„Sie haben recht," sagte sie düster.
„Es ist etwas Entsetzliches in unse-
rer Liebe. Das Unglück hängt an
ihr wie ein Fluch. Das schreckliche
Schicksal meines Mannes war die
erste Folge. Das Elend Ihrer Frau
ist die zweite."
„Thorheit! Wer kann dafür,
daß Ihr Alaun mit dem Pferde
stürzte und sich unheilbar verletzte?"
„Er wäre nicht wie blind und toll geritten, wenn
die Eifersucht ihn nicht so aufgeregt hätte. Mich trifft
also die Schuld. Können Sie es da nicht verstehen,
daß ich mein Leben seiner Pflege widmen muß?"
„Durchaus nicht; jede geübte Pflegerin thäte genau
dasselbe, er merkte wahrscheinlich gar nicht den Unter-
schied. Ihre Aufopferung ist ebenso verdienstlich wie
die Idee der Säulenheiligen, die glauben, sie machen
dem lieben Gott einen besonderen Spaß, wenn sie sich
die Nägel durch die Hände wachsen lassen oder ähn-
liche Scheußlichkeiten vornehmen. Bringen Sie ihn in

Das Buch für Alle.
eine Anstalt so schnell wie möglich, dann ist allen ge-
holfen."
„Und ich soll indessen seinen Namen, sein Haus mit
Schande bedecken, während er hilflos aus dem Wege
Er beugte sich über sie; sein heißer
2uem firiey uver ihre SlUn! „Nein, auf dies schöne
Haupt soll kein Schatten fallen. Sei mein, Sibylle,
und ich räume alles aus dem Wege, ums du willst.
Eine Scheidung ist für dich leicht zu erreichen; unheil-
barer Blödsinn ist Grund genug."
„Und Gabriele?"
„Ach, das Kind! Es weint ein bißchen und geht
dann zu Mütterchen zurück."
„Nie, niemals!"
„Mach mich nicht toll mit deinem ,niemals' !" rief
er leidenschaftlich. „Siehst du denn nicht, daß wir
nicht ohne einander leben können? Lehrten es dich nicht
die einsamen trostlosen Jahre, in denen unsere Liebe
nur schlief, um beim ersten Sehen heißer, stürmischer
denn je aufzuerstehen?"
Ehe sie es hindern konnte, legte er den Arm um
ihren Hals, ihren Kopf zurückbiegend, preßte er glühende
Küsse auf ihren Mund.
„Jetzt sage noch, daß du mich nicht liebst, nicht
mein sein willst!"
„Ich liebe dich, das weißt du," flüsterte sie kaum
hörbar. „Warum soll ich es leugnen, aber dir gehören
werde ich nie. Du weißt, was" uns trennt, immer
trennen muß."
-—- „Ich weiß nur, daß
du mein werden sollst."
„Laß mich!" Sie rang
's sich von ihm los. „Miß-
brauche meine Schwäche
nicht! Unsere Wege tren-
nen sich. Laß uns Ab-
schied nehmen und mit
einer schönen Erinnerung
W voneinander scheiden!"
MO Er lachte hart auf.
"2ch bin nicht für schöne,
'-'D sentimentale Erinnerrin-
gen. Ich will dich er-
ringen und ich werde es."
Wieder jene atemrau-
benden Küsse, deren wilde
Glut sie wie Feuer durch-
rieselte.
„Du sollst mein sein,
Sibylle ..."
Schnelle Schritte, hasti-
ges Klopfen an der Thür
erschreckte beide. Königseck
trat an den Ka-
- min zurück, wäh-
rend Sibylle sich
das Haar aus dem
glühenden Gesicht
strich und mit zit-
ternder Stimme
j „Herein" rief.
Der Diener
trat ein. „Ein
Dragoner brachte


Sttt L7.
„Sie kommen mir zuvor," antwortete Sibylle ernst.
„Auch ich will mit Ihnen darüber reden. Erst wollte
ich Ihnen nur schreiben und Sie bitten, Ihre Besuche
hier einzustellen. Vielleicht klingt es aber mündlich
weniger hart, wenn ich es offen ausspreche: Ihr häu-
figes Kommen verhindert es, daß ich mich so ausschließ-
lich meinem armen Mann widme, wie meine Pflicht
gebietet. Vor allem aber Ihrer Frau wegen ist es
nötig, unseren Verkehr abzubrechen; das arme Kind
leidet unter Ihrer Vernachlässigung. Wenn ich Sie
auch vielleicht nicht bewegen kann, sich mehr um sie zu
kümmern, so kann ich doch wenigstens mich selbst als
Stein des Anstoßes aus dem Wege räumen."
„Vortrefflich! Ich höre ordentlich meine Frau
Schwiegermutter. Sprachen Sie die würdige Dame
vielleicht?"
„Ja, ich sah selten eine so verehrungswürdige
Frau, ein goldenes Mutterherz, das nur um sein Kind
bangt und zittert. Sie sagte mir kein Wort des Vor-
wurfs, obgleich sie nicht gänzlich unbefangen schien.
Sie ließ mich Gabriele sehen. Horst, Sie sahen so
oft dies vergrämte, leidende Gesichtchen vor sich! Ist
es möglich, daß Sie kein Mitleid, keine Reue bei
diesem Anblick fühlten?"
„Nein, Sie wissen, ich halte diese beiden Gefühle
für die überflüssigsten und thörichtsten, die es giebt."
Er sprang auf und trat dicht neben ihren Stuhl.
Mit einem seltsamen Blick sah er in ihre groß zu ihm
aufgeschlagenen Augen.

F

Airn. (S. 708)
 
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