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Das B n ch s u r A l l e 87



Das Land hinter Schleiern
Von Dr. Felix Langenegger / 2m Weltkrieg politischer Araberagent für den 3rak

s gibt ein großes und geheimnisvolles Land im Orient, dessen Gesicht
uns unbekannt ist gleich dem einer verschleierten östlichen Frau, aus
deren dunklen Augen hervor den Fremdling doch immerzu eine unerhörte
Lockung beunruhigt. Das ist Arabien. Bei der Nennung seines klangvollen
Namens schimmern in der Phantasie des Europäers Bilder auf von sonnen-
überflammten Wüstenflächen, Oasenparadiesen, lantplätschernden See-
gestaden und gefahrumdrohten Wunderstädten, von blendenden Moscheen-
kuppeln, wildmalerisch gekleideten Reiterhorden auf edelstem Blut und
von schmuckumklirrten, dunkeläugigen Frauen — all das weit fort, irgend-
wo hinter glühenden Sandnebeln, dort, wo man die Kaffeebohne pflückt
und wo der Pfeffer wächst...
In der Nachkriegszeit wurde der Blick Europas jäh dorthin gelenkt, als es
von jenem Araberscheich vernahm, der da wagte, sich gegen das länder-
gierige England oder wenigstens gegen
die dort von ihm eingesetzten „Könige"
zu wenden: Jbn Saüd. Es war einer sei-
ner Vorfahren, ein Mohammed Ibn Saüd
vom Stamme der Wuld Ali in Derijjeh,
der um die Mitte des achtzehnten Jahr¬
hunderts lebte und die Bezeichnung
„Nachkomme des Saüd" als einen ge¬
priesenen und berühmten Adelstitel schuf
und sie vererbte. Es gibt ja nichts, was
der freie Araber höher schätzt als einen
Stammbaum. Er hat ungeheuren Adels¬
stolz, und jeder, der auf sich hält, führt
seine Abstammung in die graue Vorzeit
und möglichst auf eine berühmte Persön¬
lichkeit zurück. Die nächtlichen Versamm¬
lungen an den Zeltfeuern klingen wider
von den genealogischen Erörterungen und
von der Wissenschaft des ungedruckten-
„Gotha" der Steppe. —
Jenem ersten Ibn Saüd war es ge¬
lungen, sich aus einer beschränkten Häupt¬
lingsmacht zum Herrn über einen großen
Teil der arabischen Halbinsel emporzu¬
schwingen und durch geschickte Verbin¬
dung von Religion und Politik einen
Sturmwind zu entfachen, der das sanft¬
bewegte Meer des Islams in allen Tiefen
aufrührte. Damals nämlich hatte sich ge¬
rade im Herzen Arabiens ein einfacher
Hirt erhoben, Mohammed Abd ul Wcch-
hab vom Stamme der Tannm, der zum
gewaltigen Reformator seines islamischen
Glaubens und zum Gründer jener puri¬
tanischen Konfession wurde, die man
Wahhabismus nennt. Mit heiligem Eifer
bekämpfte er Auswüchse, Abgötterei,
Schwulst und Prunk, die der einfachen
Lehre des Propheten Mohammed nach
und nach aufgepfropft worden waren.
Dem politischen Machthunger des krie¬
gerischen Ibn Saüd kam Abd ulWahhabs
Lehre gerade recht. Er machte sie zu seiner
Sache, und in jahrzehntelangen „Bekeh¬
rungsfeldzügen" unterwarf er und nach
seinem Tode seine Nachkommen ganz
Jnnerarabien.H eere von tollkühnen Glau-
bensstreitern wuchsen ihm aus allen den
kampfgewohnten Stämmen des Landes
zu. Überreiche Beute lockte. Galt es doch,
nach der LehreAbd ulWahhabs die über¬
ladenen heiligen Stätten des Islams ihres
Prunkes zu entkleiden, das heißt auszu¬
plündern, und ihnen damit zu strengster
Einfachheit zurückzuverhelfen. So wurden

schon damals Mekka und Medina von einem Ibn Saüd erobert und schon
damals einmal die arabischen Stämme durch Blut und Fanatismus zu-
sammengekettet, bis dann den Türken, diesen eigentlichen „Herren" des
Landes, die Geduld ausging und sie Mehemed Ali, den berühmten Feld-
herrn und späteren Vizekönig von Ägypten, gegen Ibn Saüd sandten.
All die schlimmen Erfahrungen, die schon Assyrer und Römer bei ihren
Feldzügen im „unwirtlichen" Arabien hatten machen müssen, wiederholten
sich für Mehemmed in diesem mit erbitterter Grausamkeit geführten Nieder-
werfungskrieg. In der freien Wüste hatte sich seit Jahrtausenden nichts
geändert. Durst, Hunger, furchtbares Klima, Ode, Seuchen, Unzuver-
lässigkeit der angeblich befreundeten Bevölkerungsteile waren schlimmere
Gegner als die Wahhabiten selbst. Dennoch endete der Krieg 1817 mit deren
völliger Niederwerfung, Zerstörung Derijjehs und Hinrichtung des Ober-
haupts Abdallah Ibn Saüd.
Vom großen Napoleonsreiche blieb
nichts als Zerfall, Kampf der Stämme,
Rivalität der Stammeshäupter. Aber
unter diesen allerorten auflodernden und
wieder zusammensinkenden Einzelfeuern
glomm doch überall gleich einer glühen-
den Schlacke der gemeinsame Haß gegen
die fremden Unterdrücker weiter. „Das
Inland den freien Arabern, die Küsten
den Soldaten und Beamten!" Dieses in
allen Herzen brennende Schlagwort gilt
auch heute noch, wo die Türken- von der
Engländerherrschaft abgelöst wurde. In
der Tat sind nur die Küsten besetzt, und
die englische Macht reicht nicht weiter ins
Hinterland hinein, als ihre Geschütze und
Maschinengewehre tragen. Im verbrann-
ten Ödland draußen, in den toderstarrten
Gebirgen und in den wunderbaren Oasen-
landschaften, um die der Tod mit seinen
wasserlosen Einsamkeiten einen für frem-
den Schritt verderblichen Bezirk gelegt
hat, findet alle fremde Macht ein Ende.
Die Engländer wissen das recht gut und
hüten sich daher, in die inneren Kämpfe
einzugreifen. Ohne gewaltige Vorberei-
tungen und große Heeresmacht wäre dem
neuen Beherrscher der Wüste keineswegs
ein Waterloo zu bereiten. — Aber wozu
überhaupt? Man weiß ebenso, daß in
diesem Mittelarabien, das doppelt so groß
wie Deutschland ist, eine große Menschen-
armut herrscht, und es ist bekannt, daß
das Land niemals auch nur hunderttau-
send Streiter auf die Beine bringen könnte.
Zum Heraustragen seines Kampfes über
die Grenzen ist es gar nicht in der Lage.
Das geheimnisvolleJnnerarabien, über
das zurzeit ein Buchdes Engländers Philby
erschienen ist, der das Glück hatte, ohne
persönliche Gefahrinder gesicherten Stel-
lung eines politischen Araberagenten im
Krieg dahingesandt zu werden, ist freilich
keineswegs so unbekannt und unerforscht,
wie jener meint. Immerhin ist es doch
höchst seltsam, daß bis heute, wo die
entlegensten Winkel der Erde von Pol zu
Pol enthüllt, wo Afrika und Mittelasien
entschleiert und die Geheimnisse der Arktis
vom Dunkel befreit worden sind, dies von
allen Straßen der Welt umgrenzte Ara-
bien, dws geschichtlich und kulturgeschicht-
lich so wichtige Land, die Wiege desJslams,
nicht weit mehr bekannt wurde. Genau


Abd ul Asis Ibn Saüd, der Beherrscher der arabischen
Wüste. (Preßphoto)
 
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