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Deutsche Heimat: Sonnenuntergang an der Elbe / Nach einer künstlerischen Aufnahme von H. v. Seggern


deines Verehrers? Schrecklich pünktlich ist der Mann. In Peters-
burg kamen wir immer erst im zweiten oder dritten Akt. Aber der
Deutsche hat immer den Schulmeister im Blut. Nur ja nichts
versäumen, was man lernen kann. Alles bis zum Ende absitzen,
was man bezahlt hat."
„Latz doch dein Gespött und nimm deinen Mantel über. Du
siehst wieder blendend aus, Elen, in dem Blauseidenen. Un-
widerstehlich vornehm!"
„Der elende Fetzen. Man schämt sich, in solchen Sachen zu
gehen. Und meine Schränke in Petersburg hingen so voll von
Hofroben — man hätte sich in diesem Elend noch zehn Jahre
damit helfen können. Zu denken, wer die wohl jetzt durch den
Staub schleppt."
„Das Denken kann dir nichts nützen. — Herein. — Ach, Herr
Godesheim, wir lassen warten, nicht wahr? Aber nun kommen
wir auch." Sie sah erstaunt auf den schlanken Mann, der im ele-
ganten Rock, den Mantel zurückgeschlagen, den leichten Hellen
Filzhut in der Hand, so groß und vornehm in der Tür stand, den
Hut hastig beiseitewarf und nach dem Mantel griff, den er sorg-
sam um ihre Schultern legte. Sie hatte ihn noch nicht in Gesell-
schaftskleidung gesehen.
Er mutz gut verdient haben, dachte Elena. Er hat sich ja ganz
auf den tadellosen Kavalier eingestellt. Und — wie sie in das Auto
stieg, wirklich Rosen für jede. Benehmen hat er. — „Teerosen,
Herr Godesheim? Wer hat Ihnen meine Liebe gerade für die
verraten? Entzückend. Maria, mir ist ordentlich jung. Ich freue
mich, als wäre ich im Leben noch in kein Theater gegangen."

Die beiden lachten herzlich über ihr plötzliches Jungwerden.
„Ja, wenn man hungern mutz, da schmeckt jeder Genutz, auch
der bescheidenste, doppelt gut. Nun noch hinterher ein kleines
Abendessen —"
„Es würde mir eine große Ehre sein, wenn ich die Damen als
Beschluß des schönen Abends zu einem Gabelbissen im Preising-
Palais einladen dürfte. Sie können sicher sein, dort nur beste
Gesellschaft zu treffen."
Marias Hand rührte leicht an die der Schwester. Es war eine
Mahnung: „Nimm nicht an." Aber Elena hatte zu lange nach
Zerstreuung gehungert. Und auf wen sollte sie noch Rücksicht
nehmen? Vornehme Beziehungen? Es kümmerte sich keiner um
sie. Sergei Wladimirowitsch? Der nur alle vier Wochen einmal
schrieb und zurzeit in Paris eigenartigen Geschäften nachging?
Ach, der nahm sich von der Lebenstafel, was seinen Gaumen
reizte, der hatte kein Recht, irgend eine Entsagung von ihr zu
fordern. Wenn dieser junge Mann — man mutzte ihm lassen, daß
er nicht nur gut aussah, sondern auch ein tadelloses Benehmen
hatte — wenn der so darauf erpicht war, seine Honorare in ihrer
Gesellschaft auszugeben, warum ihm nicht die Freude machen?
Sie sagte heiter zu, und Maria konnte es nicht hindern, daß sie
sich selbst freute, obgleich die Tante Jnnozentia es nicht gebilligt
hätte. Aber die Tante war nun schon acht Monate tot, und man
konnte nicht immer an die Vorschriften von Leuten denken, die zu
ganz andrer Zeit jung gewesen waren. Und dann plötzlich ein
Wort der Kutusoff: „Erst saß ich noch Loge — jetzt — man ist so
im Gleiten. Was hilft's?"
 
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