Das Buch für Alle
Heft 6
Begegnungen mit Nashörnern
Afrikanische Erinnerungen von Albert G. Krueger
das Nashorn nur aus Tiergärten kennt und wer dort seine durch
c^^die Gefangenschaft hervorgerufene Schwerfälligkeit und stumpf-
sinnige Faulheit gesehen hat, macht sich keinen Begriff von der Lebhaftigkeit
und Geschmeidigkeit eines Nashorns in der Freiheit. Man mutz es erlebt
haben, mit welch rasender Schnelligkeit, prustend und fauchend wie eine
Dampfmaschine, das Nashorn auf die großen Raubkatzen losfährt, sie hin
und her jagt und sich dabei fast auf der Stelle dreht. Man mutz die fabelhafte
Schnelligkeit beobachtet haben, mit der es dem Elefanten, den es mit Recht
fürchtet und der es ohne weiteres annimmt, selbst auf dem unbequemsten
Gelände aus dem Wege zu gehen weiß, mit dem dicken Kopfe steuernd, jetzt
im scharfen Bogen um hohe Wolfsmilchsträucherherum, zwischen hohen Fels-
blöcken hindurch, über lange, runde Steinblöcke hinüber. Dann ist es einen
Augenblick unsichtbar, um plötzlich auf einem anderen, höheren Felsblock
zu erscheinen, alles in sausendem, federndem Galopp, bis es endlich in der
Ferne verschwindet. Ein großes Staunen erfaßt jeden, der diese Geschmei-
digkeit und Beweglichkeit des anscheinend ungefügen Geschöpfes belauschen
kann. Durchweg haben die
Neger eine ungeheure Angst
vor diesem Tier, mehr noch
als vor Löwen. Durchrennt
ein aus seinem Standge¬
büsch plötzlich aufgeschrecktes
Nashorn, seinem gewohn¬
ten Wechsel folgend, eine
Karawane, so werfen die
Schwarzen wiebesessen alle
Lasten zu Boden, schreien
„Kifaro! — Kifaro!" und
sind verschwunden, als habe
die Erde sie eingeschluckt.
Meistens tut das Nashorn
keinem etwas, sondern es
folgt eben nur seinem Wech¬
sel und kreuzt so die Kara-
wanenstratze, um sich schnell¬
stens in Sicherheit zu brin¬
gen. Ab und zu rennt es
wohl einen ihm im Wege
befindlichen Menschen um,
meist aber ohne sich weiter
um ihn zu kümmern. Trotz¬
dem bildet es für die Neger
den Inbegriff aller Tücke
und Bosheit. Ich spreche
hier von dem unverwunde¬
ten, nur zufällig aufge¬
scheuchten Nashorn. Mit
dem angeschossenen Tier ist
in keiner Weise zu spaßen!
Gerät der urige Kraftbold
erst einmal in Wut, dann
wehe dem, den er erwischt!
Und bei seiner Behendigkeit
geschieht das meist sehr rasch.
Unsinnig ist die Fabel von
d em s chlechten Sehv ermö g en
des Nashorns. Das Tier sieht
ausgezeichnet. Es weiß nur
nicht, daß der Mensch, der
in seinem Khakianzug re¬
gungslos dasteht, ihm Ge¬
fahr bringt; er ist ihm fremd.
Einen Schwarzen dagegen
sieht ein Nashorn weit eher
und erkennt ihn als gefähr¬
lichen Menschen. Sehr viele
Unglücksfälle auf der Jagd
sind einzig und allein auf
diese irreführende Fabel zu¬
rückzuführen. Es ist doch ganz
t>. 1927
unwahrscheinlich, daß ein seit Urzeiten in der Wildnis lebendes, so sehr
verfolgtes Geschöpf gerade diesen wichtigen Sinn nicht ausgebildet haben
sollte!
Nashörner bummeln viel und weit umher. Man trifft sie gelegentlich fast
überall in den höher gelegenen Teilen Afrikas. Doch haben sie besondere
Lieblingsplätze, die ihnen vorzugsweise ihre Lebensbedingungen erfüllen
und ihre Behaglichkeit gewährleisten. Es sind das meist ausgetrocknete
Flutzläufe, die sich häufig schlangenartig durch die Steppe ziehen, teilweise
eingefaßt von lichten Tamarinden- und Akazienstreifen, in der Nähe von
Hügelgebieten mit Terrassen und Felsplatten, von denen sich breite Regen-
rinnen zu dem Flußbett niedersenken. Meist sind sie mit dichtem Gestrüpp
bewachsen, das dann in hohes Riedgras übergeht. In diesen Flußläufen
stehen in der Zeit der größten Trockenheit nur einige Tümpel. Gewöhnlich
ist solch ein fünfzig bis sechzig Meter breites Bett noch mit zahlreichen
Schilfinseln durchsetzt, so daß man nirgends einen freien Ausblick hat, da
die Inseln stich kulissenartig ineinanderschieben. Geht dann noch an einem
der Ufer der lichte Akazien-
wald bald in dichte Bestände
mit Unterholz und in ein
verworrenes Dorngestrüpp
über, das sich über weite
Hügelketten hinzieht, dort
mit kleinen Agavendickichten
abwechselt, dann ist das Nas-
horngebiet fertig. Dort kann
man die Dickhäuter das
ganze Jahr hindurch antref-
fen. Sie sind kein Stand-
wild. Dazu sind sie viel zu
bummelig und unruhig. Aber
wenn auch einzelne Tiere
fortwandern,finden sich bald
wieder andere ein. Sehr alte
Bullen, die nicht mehr um
Liebe werben und kampfes-
müde sind, verlassen diese
Gebiete nur nachts, um in
der Steppe zu äsen, aber
vor Tagesanbruch sind sie
wieder in ihren Dickungen.
Wie bei den Elefanten
finden sich auch bei den Nas-
hörnern zwei alte Bullen in
Freundschaft zusammen, sie
lösen sich im Wachtdienst ab
und leben so miteinander,
bis sie endlich in hohem Alter
ihre Sterbeplätze aufsuchen.
Uber diese eigenartigen
Sterbeplätze ein andermal.
Auf einem Zug zum Meru-
vulkan erreichte ich einmal
eine Hochebene, die reichlich
mit Urwald, Sümpfen und
Wiesenflächen bedeckt war.
Dort bezog ich ein Lager, und
ich beabsichtigte, der präch-
tigen Suhlen wegen hier
eine Zeitlang zu bleiben, um
Elefanten zu beobachten und
womöglich einen Einblick in
ihr Familienleben zu gewin-
nen. Während meine Masai
eifrig mit dem Zurichten der
Mahlzeit beschäftigt waren
— ich hatte kurz vorher eine
Antilope geschossen—, suchte
ich mir einen erhöhten Platz,
von dem aus ich die Um-
gebung mit dem Glas genau
Ein Nashorn, das den Jäger beobachtet Dugmore
Heft 6
Begegnungen mit Nashörnern
Afrikanische Erinnerungen von Albert G. Krueger
das Nashorn nur aus Tiergärten kennt und wer dort seine durch
c^^die Gefangenschaft hervorgerufene Schwerfälligkeit und stumpf-
sinnige Faulheit gesehen hat, macht sich keinen Begriff von der Lebhaftigkeit
und Geschmeidigkeit eines Nashorns in der Freiheit. Man mutz es erlebt
haben, mit welch rasender Schnelligkeit, prustend und fauchend wie eine
Dampfmaschine, das Nashorn auf die großen Raubkatzen losfährt, sie hin
und her jagt und sich dabei fast auf der Stelle dreht. Man mutz die fabelhafte
Schnelligkeit beobachtet haben, mit der es dem Elefanten, den es mit Recht
fürchtet und der es ohne weiteres annimmt, selbst auf dem unbequemsten
Gelände aus dem Wege zu gehen weiß, mit dem dicken Kopfe steuernd, jetzt
im scharfen Bogen um hohe Wolfsmilchsträucherherum, zwischen hohen Fels-
blöcken hindurch, über lange, runde Steinblöcke hinüber. Dann ist es einen
Augenblick unsichtbar, um plötzlich auf einem anderen, höheren Felsblock
zu erscheinen, alles in sausendem, federndem Galopp, bis es endlich in der
Ferne verschwindet. Ein großes Staunen erfaßt jeden, der diese Geschmei-
digkeit und Beweglichkeit des anscheinend ungefügen Geschöpfes belauschen
kann. Durchweg haben die
Neger eine ungeheure Angst
vor diesem Tier, mehr noch
als vor Löwen. Durchrennt
ein aus seinem Standge¬
büsch plötzlich aufgeschrecktes
Nashorn, seinem gewohn¬
ten Wechsel folgend, eine
Karawane, so werfen die
Schwarzen wiebesessen alle
Lasten zu Boden, schreien
„Kifaro! — Kifaro!" und
sind verschwunden, als habe
die Erde sie eingeschluckt.
Meistens tut das Nashorn
keinem etwas, sondern es
folgt eben nur seinem Wech¬
sel und kreuzt so die Kara-
wanenstratze, um sich schnell¬
stens in Sicherheit zu brin¬
gen. Ab und zu rennt es
wohl einen ihm im Wege
befindlichen Menschen um,
meist aber ohne sich weiter
um ihn zu kümmern. Trotz¬
dem bildet es für die Neger
den Inbegriff aller Tücke
und Bosheit. Ich spreche
hier von dem unverwunde¬
ten, nur zufällig aufge¬
scheuchten Nashorn. Mit
dem angeschossenen Tier ist
in keiner Weise zu spaßen!
Gerät der urige Kraftbold
erst einmal in Wut, dann
wehe dem, den er erwischt!
Und bei seiner Behendigkeit
geschieht das meist sehr rasch.
Unsinnig ist die Fabel von
d em s chlechten Sehv ermö g en
des Nashorns. Das Tier sieht
ausgezeichnet. Es weiß nur
nicht, daß der Mensch, der
in seinem Khakianzug re¬
gungslos dasteht, ihm Ge¬
fahr bringt; er ist ihm fremd.
Einen Schwarzen dagegen
sieht ein Nashorn weit eher
und erkennt ihn als gefähr¬
lichen Menschen. Sehr viele
Unglücksfälle auf der Jagd
sind einzig und allein auf
diese irreführende Fabel zu¬
rückzuführen. Es ist doch ganz
t>. 1927
unwahrscheinlich, daß ein seit Urzeiten in der Wildnis lebendes, so sehr
verfolgtes Geschöpf gerade diesen wichtigen Sinn nicht ausgebildet haben
sollte!
Nashörner bummeln viel und weit umher. Man trifft sie gelegentlich fast
überall in den höher gelegenen Teilen Afrikas. Doch haben sie besondere
Lieblingsplätze, die ihnen vorzugsweise ihre Lebensbedingungen erfüllen
und ihre Behaglichkeit gewährleisten. Es sind das meist ausgetrocknete
Flutzläufe, die sich häufig schlangenartig durch die Steppe ziehen, teilweise
eingefaßt von lichten Tamarinden- und Akazienstreifen, in der Nähe von
Hügelgebieten mit Terrassen und Felsplatten, von denen sich breite Regen-
rinnen zu dem Flußbett niedersenken. Meist sind sie mit dichtem Gestrüpp
bewachsen, das dann in hohes Riedgras übergeht. In diesen Flußläufen
stehen in der Zeit der größten Trockenheit nur einige Tümpel. Gewöhnlich
ist solch ein fünfzig bis sechzig Meter breites Bett noch mit zahlreichen
Schilfinseln durchsetzt, so daß man nirgends einen freien Ausblick hat, da
die Inseln stich kulissenartig ineinanderschieben. Geht dann noch an einem
der Ufer der lichte Akazien-
wald bald in dichte Bestände
mit Unterholz und in ein
verworrenes Dorngestrüpp
über, das sich über weite
Hügelketten hinzieht, dort
mit kleinen Agavendickichten
abwechselt, dann ist das Nas-
horngebiet fertig. Dort kann
man die Dickhäuter das
ganze Jahr hindurch antref-
fen. Sie sind kein Stand-
wild. Dazu sind sie viel zu
bummelig und unruhig. Aber
wenn auch einzelne Tiere
fortwandern,finden sich bald
wieder andere ein. Sehr alte
Bullen, die nicht mehr um
Liebe werben und kampfes-
müde sind, verlassen diese
Gebiete nur nachts, um in
der Steppe zu äsen, aber
vor Tagesanbruch sind sie
wieder in ihren Dickungen.
Wie bei den Elefanten
finden sich auch bei den Nas-
hörnern zwei alte Bullen in
Freundschaft zusammen, sie
lösen sich im Wachtdienst ab
und leben so miteinander,
bis sie endlich in hohem Alter
ihre Sterbeplätze aufsuchen.
Uber diese eigenartigen
Sterbeplätze ein andermal.
Auf einem Zug zum Meru-
vulkan erreichte ich einmal
eine Hochebene, die reichlich
mit Urwald, Sümpfen und
Wiesenflächen bedeckt war.
Dort bezog ich ein Lager, und
ich beabsichtigte, der präch-
tigen Suhlen wegen hier
eine Zeitlang zu bleiben, um
Elefanten zu beobachten und
womöglich einen Einblick in
ihr Familienleben zu gewin-
nen. Während meine Masai
eifrig mit dem Zurichten der
Mahlzeit beschäftigt waren
— ich hatte kurz vorher eine
Antilope geschossen—, suchte
ich mir einen erhöhten Platz,
von dem aus ich die Um-
gebung mit dem Glas genau
Ein Nashorn, das den Jäger beobachtet Dugmore