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Zo8 Das V u ch
die erste natürliche Erzieherin und Lehrerin des Kindes sein. Schall, Form,
Zahl kann das kleine Geschöpf bei solcher geduldigen Wartung selbst ent-
decken. Und mit der Entfaltung der psychischen Kräfte im Aufmerken und
Begreifen soll die der physischen Schritt halten. Singen, Zeichnen, Turnen,
damals noch ganz unbekannte Dinge für die Schule, empfiehlt er als
gleichberechtigte Schulfächer, und für den Rechenunterricht hat er eine
psychologisch aufbauende Methode gefunden. Jedoch der innerste Kern
aller Bildung must nach seiner Auffassung religiös-sittliche, den ganzen
Menschen erfassende Selbständigmachung sein. „Der Glaube an Gott, die
Quelle alles reinen Vater- und Vrudersinnes, ist die Bahn der Natur zur
reinen Bildung der Menschheit," so lautet seine grundlegende These. „Ge-
fühle der Liebe, des Dankes, des Vertrauens, die sich in dem naturgemästen
Verhältnis zwischen Mutter und Kind entwickeln, sind das Abece des Ge-
fühls- und Willenslebens." In seinem Buch „Wie Gertrud ihre Kinder
lehrt" hat Pestalozzi in Beispielen der mütterlichen Unterweisung ein
Dokument von dem hinterlassen, was er „seine Methode" nannte.
So haben denn alle seine längst nicht ausgeschöpften, vielmehr gerade
heute unentbehrlichen Leitgedanken ihren Ursprung in der Intuition seines
überreichen Herzens. Erfühlt hat der zum Schulmann geborene Menschen-
freund das Richtige! Sein ganzes Leben ist der Tatbeweis für seine Lehre,
die ein Sieg des Geistes ist über Mechanisierung und Materialisierung, die
Hydra unserer Gegenwartskämpfe!
In äusterst bescheidenen Verhältnissen ist Pestalozzi in Zürich, wo er am
12. Januar 1746 als Sohn eines Arztes aus altangesehener Familie zur
Welt kam, als ein schwächliches Kind aufgewachsen. Früh verliert er den
Vater. Aber in der Obhut seiner Mutter und einer unermüdlich treuen
Magd, der „Babeli", erfährt er in unverlöschlichen Eindrücken, was reine,
selbstlose Hingabe ist. An der hochentwickelten Lateinschule der Vaterstadt,
später im Collegium Carolinum dringt er in den Geist der Antike ein. Ehe
er mit den beabsichtigten theologischen Studien recht begann, wandte er
sich von ihnen ab und dem Studium der Rechtswissenschaft zu, um ein An-
walt des Volkes zu werden. Auch dies befriedigte ihn nicht, und er wählte,
dem Beispiel eines Sozialreformers damaliger Art folgend, den Beruf des
Landwirtes. In einer Musterwirtschaft will er zeigen, wie man durch ratio-
nelle Bebauung zu ehrlich erworbenem Wohlstand kommen kann. Zugleich
hoffte er die Mittel zur Gründung seines Hausstandes mit Annette Schult-
hetz zu gewinnen. Mit ihrem und einem von Verwandten erborgten Ka-
pital kaufte er ein Stück Land und erbaute den „Neuhof". In dem länd-
lichen Bezirk lernte er die Verwahrlosung eines großen Teils der Jugend,
Zwang und Elend armer Volksschichten noch gründlicher kennen, als er
es schon als Knabe unter Anleitung seines Großvaters, eines vortrefflichen
Seelsorgers, getan. Kurz entschlossen nahm er die Hilfsbedürftigsten und
Ärmsten, schließlich fünfzig an der Zahl, bei sich auf. Er selbst ersetzte den
Kindern Vater und Mutter in rührender Betreuung, und indem er ihr Ver-
trauen gewann, erweckte er in ihnen Freude am Lernen und Schaffen.
Sein Gut wandelte er um in eine Arbeitsschule, die sich durch die Erträg-
nisse der gemeinsamen Arbeit, Feld- und Gemüsebau, aber auch Baum-
wollspinnerei selbst erhalten sollte. Der Plan war gut und fand auch Unter-
stützung, aber er scheiterte doch an der Unzulänglichkeit der Mittel und
Kräfte. Trotz mühsamen Ringens mußte Pestalozzi im Jahr 1780 die An-
stalt auflösen. Sein Vermögen hatte er fast ganz verloren und viel Spott
und schnöden Undank geerntet. Nun folgten achtzehn Jahre stillen Kampfes
um das tägliche Brot, in dieser Zeit reifen seine Ideen aus. Basler Freunde
unterstützen ihn, vor allem der sehr um ihn verdiente Ratsherr Jselin, der
ihn zur schriftstellerischen Verarbeitung des in ihm nach Gestaltung Drängen-
den ermunterte. In dieser Zeit schrieb er den Dorfroman „Lienhard und
Gertrud", in erzählender Darstellung ein Handbuch seiner „sozialen Päda-
gogik" und eine „Philosophie seiner Politik" in dem Buch: „Meine Nach-

su r l l e est 1Z
forschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschen-
geschlechts".
Ein erschütterndes Ereignis ruft ihn wieder an die praktische Rettungs-
arbeit. Die Franzosen hatten 1798 einen Aufstand der Bauern von Stanz
gegen die von den Fremden aufgezwungene Verfassung der Helvetischen
Republik blutig niedergeschlagen. Über vierhundert verwaiste Kinder der
im Kampf Gefallenen waren obdachlos und ohne Pflege. Die Schweizer
Regierung überließ das halbzerfallene Kloster in Stanz Pestalozzi, der die
hungernden und von Ungeziefer und Krankheit geplagten Waisen mit un-
beschreiblicher Vatergüte in seine Arme nahm. Alle Stunden des Tages
und alle seine Kräfte widmete er dem selbstverleugnenden Dienst an seinen
Schützlingen. Die Macht seiner Liebe überwand äußeres und inneres Elend
und leistete, heilend und sittlich hebend, Übermenschliches. Aber wiederum
Zerstörten ungünstige Geschicke sein Werk. Neue kriegerische Unruhen ver-
trieben ihn, und nur mit Mühe erreichte er es, im Städtchen Burgdorf seine
Erziehungsversuche in der Armenschule fortzusehen. So überraschend waren
die Früchte seines Wirkens, der methodischen Leistung und des persönlichen
Eindruckes, daß der Ruf seiner Anstalt wie der Weckruf seiner Bücher
in alle Welt drang. Von überall her drängten sich Besucher und kamen
Zöglinge. Am bedeutendsten war die Auswirkung seiner Schulreform in
Preußen. Fichte erklärte in seiner Rede an die deutsche Nation, daß er keine
Rettung des niedergetretenen deutschen Volkes erhoffen könne, wenn nicht
eine innere Erneuerung auf Grund einer neuen Erziehung, wie sie Pesta-
lozzi lehre, die verlorengegangenen physischen Kräfte durch geistige ersetzen
würde. Minister von Stein, Wilhelm von Humboldt und ihre ganz für ihn
gewonnenen bedeutenden Räte Nicolovius und Süvern sandten dem Vater
Pestalozzi junge Lehrkräfte zur Ausbildung zu. 1809 trafen sie in Jfferten
(Pverdon) am Genfer See ein, wohin der Begründer der Burgdorfer
Schule, die er nun seinen Mitarbeitern überließ, seine Tätigkeit gelenkt hatte.
Männer wie Fröbel, Herbart, Zoller nahmen tiefste Eindrücke mit fort.
Diese Schriften Pestalozzis verdienen auch heut viel mehr gelesen als
nur gerühmt zu werden. Das kürzlich im Auftrag des Zentralinstituts
für Erziehung und Unterricht von E. Reich herausgegebene Buch: „Pesta-
lozzi, sein Wollen und Wirken in Selbstbekenntnissen" gibt ein zuver-
lässiges Bild seines Wesens. Als Ergänzung sind die beiden von vr. Dio.
I. von Hofe herausgegebenen Bände „Johann Heinrich Pestalozzi" zu
empfehlen, die neben einer geschichtlichen Einführung in guter Auswahl
Auszüge aus Pestalozzis Schrift en enthalten.(BeideWerkesindimVerlagder
Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Zweigniederlassung Berlin, erschienen.)
Wenigen Glanzjahren folgten jedoch bald Zeiten des Verfalls für die
Schule in Jfferten. Mißhelligkeiten zwischen seinen Mitarbeitern, Mangel
an wirtschaftlichem Erfolg und Mängel in Pestalozzis Verhalten, der sich
von seiner ursprünglichen Aufgabe der Elementarbildung abdrängen ließ,
brachten sein Werk dort äußerlich zum Scheitern, ohne freilich die überzeit-
liche geistige Segenswirkung zu schmälern. Seine getreue Gattin, die ihn
in keiner Not verlassen und in den schlimmsten Stunden über die Schwächen
erhoben hat, hatte er schon im Dezember 1815 unter den Bäumen seines
Gartens zur Ruhe bestatten müssen. Noch war der Achtzigjährige voll neuer
Pläne, aber es wurde doch rasch Nacht um ihn. Am 17. Februar 1827 schied
er in Burgdorf, wohin man ihn der ärztlichen Behandlung wegen gebracht,
und auf dem Friedhof zu Birr wurde er bestattet. Lange Jahre schmückte
sein Grab kein Denkmal, nur ein herrlich blühender Rosenstrauch. Aber
dauernder als Stein und Erz ist der Segen, der von seiner wahrhaft großen
Persönlichkeit noch heute ausstrahlt. Männer seines Geistes brauchen wir
als Führer, und Müttern wie Vätern hat sein Charakterbild viel zu sagen,
Wir brauchen in erster Linie Erziehung in seinem Sinn und selbstlose Liebe,
wie er sie ausgesät hat, von dem die Inschrift, die man 1846 zu seinem Ge-
dächtnis am Schulhaus anbrachte, besagt: „Alles für andere, für sich nichts!"


Abend / Von Franz Carl Endres
Irgendwo ein Abendläuten
Und die Schatten werden länger.
In der Linde zwitschert müde
Letztes Lied ein kleiner Sänger.
8 Und der Einen, die ich liebe,
8 Sag' ich leise letztes Grüßen,
8 Während ihre weißen Hände
8 Still die Gartentüre schließen.

Bäume / Von Kurt Erich Meurer 8
Jung sind die Bäume, wenn der Morgen tagt.
In ihren Seelen schimmert Licht und Sang. A
Doch wenn der Park schwül in der Sonne zagt, A
Verlieren sie den Tau und Hellen Klang A
Und werden ernst, wie ernste Männer sind, 8
Stumm wie vor einer ungeheuren Tat 8
Und sind schon Greise, wenn der Abend naht, 8
Und schütteln ihre Häupter schwer im Wind. 8
 
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