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Das Buch
wechseln, wäre jetzt Berghof an der Reihe. Und da die Schule
hier nicht ausreichen würde, so wollte ich bitten, ob man uns
wohl den großen Saal in dem alten Gutshause, dessen übrige
Räume jetzt der Inspektor bewohnt, zur Verfügung stellen würde."
„Ich bedaure, aber den Saal kann ich Ihnen nicht geben."
„Er ist doch unbenutzt. Weshalb, wenn Sie mir die Frage ge-
statten, wollen Sie ihn nicht solch einer Veranstaltung ein-
räumen?"
„Weil ich diese Art, den Leuten schönzutun, nicht unterstützen
möchte."
„Schönzutun?" fragte er, und ein fast schmerzliches Befrem-
den war in seiner Stimme. „Ich will niemandem schöntun. Nur
ein wenig Licht und Freude möchte ich den Leuten in das heute
auch für sie nicht leichte Leben bringen. Vielleicht auch ihre
Bildung fördern."
Sie zuckte die Achseln. „Bildung! Meinen Sie denn wirklich,
daß Sie ihnen damit etwas Gutes
bringen, daß diese Bildung sie glück¬
licher macht und zufriedener mit ihrem
Geschick? Ich habe bis jetzt wenig da¬
von gemerkt. Die Leute sind unzu¬
friedener denn je."
„Vielleicht haben sie Anlaß dazu."
Ein deutlicher Unwille sprach aus
ihrem Blick, blitzte zu ihm hinüber.
In seiner straff aufrechten Haltung
stand er ihr gegenüber, das ernste, ein
wenig blasse Antlitz mit den durchgei¬
stigten Zügen fest auf sie gerichtet.
„Sie verstehen dieZeiten nicht, mein
gnädiges Fräulein. Wir dürfen uns
nicht länger über die Leute stellen, wie
es früher wohl geschah, dürfen auch
nicht zu ihnen hinabsteigen. Wirmüssen
mit ihnen leben und handeln, sie zu
unseren Mitarbeitern und Mitkämp¬
fern heranziehen."
„Ich kenne diese Ansichten, Herr
Pfarrer," unterbrach sie ihn, „es sind
dieselben, die Will Tornow, mein Ver¬
wandter, hat."
„Und mit denen er sichtbare Er¬
folge auf seinem Gute erzielt hat."
„Dennoch ist es ihm ebensowenig
gelungen, mich zu bekehren, wie es
Ihnen gelingen wird."
„Ich bin nicht hergekommen, Sie
zu bekehren, liebes Fräulein, sondern
nur, um etwas von Ihnen zu erbitten."
„Das ich Ihnen, Herr Pfarrer, leider abschlagen mußte."
„Ihre Weigerung trifft mich weniger als Sie. Ich werde
andere Räume und andere Mittel finden. Sie aber —"
Er brach ab, er fühlte sich nicht berufen, mehr zu sagen.
Da ermunterte sie ihn: „Sie wollten noch etwas hinzufügen."
„Vielleicht das eine noch, daß Sie sich selber um das Glück und
um die Frucht Ihres Werkes bringen."
Und als sie nicht antwortete: „Ich habe kein Recht, unser Ge-
spräch auf das Persönliche zu führen. Es war auch nicht meine
Absicht. Aber an einer Frage kann ich nicht vorbei: Haben Sie
wohl schon einmal darüber nachgedacht, daß eine Gutsherrin
nicht nur die Gebieterin ihrer Leute ist oder nur für ihr leibliches
Wohl zu sorgen hat — nein, daß diese Leute schließlich doch auch
Seelen in sich tragen, für die sie verantwortlich ist?"
Sie wandte den Blick von ihm fort. Auf diese Wendung des
Gespräches war sie nicht vorbereitet. Nein, darüber hatte sie noch
nie nachgedacht.
„Wir sind wohl alle verantwortlich," fuhr er fort, „einer für
den anderen. Aber eine Herrin, der so viel anvertraut wurde,
ist es doch wohl ganz besonders."

für Alle Heft 22
Sie warf den Kopf leicht hintenüber. Eine deutliche Auf-
lehnung sprach aus dieser Bewegung. Wie kam dieser fremde
Mann dazu, in solcher Weise zu ihr zu sprechen? Wer gab ihm
das Recht dazu?
„Und Sie meinen," erwiderte sie nicht ohne einen Anflug von
Ironie, „weil ich für die Seelen meiner Leute verantwortlich
bin, hätte ich auch die Verpflichtung, für eine Bildung zu sorgen,
die ich weder für nützlich noch für gesund halte."
„Wenn sie dem Stand und dem Bedürfnis der Leute ange-
paßt ist, dann ist sie gesund und auch nützlich," erwiderte er in
dem merkbaren Bestreben, das Persönliche zu verlassen, „denn
sie läßt die Leute den Sinn der Arbeit recht verstehen und stärkt
das Bewußtsein in ihnen, daß sie nicht tote Arbeitsmaschinen
sind, sondern Glieder einer großen Gemeinschaft, deren jedes
nach dem Maß seiner Kraft für das Ganze schafft. Wem sollte
das aber so zugute kommen wie der Herrschaft? Das hat Herr
Tornow erkannt und seinen Betrieb
danach eingestellt. Deshalb gedeiht
alles bei ihm, und wohin Sie kommen,
sehen Sie zufriedene und fleißige
Menschen."
„Herr Tornow ist wohl Ihr beson-
derer Freund?"
„Uns verbindet das gleiche Ziel.
Auch Herr Doktor Landwehr —"
„Ich weiß," unterbrach sie ihn mit
einem leichten Lächeln. „Der Bund
der Drei zur Veredelung der Arbeit
und der Menschen. Könnte ich auch so
denken und fühlen! Aber, nicht wahr,
Herr Pfarrer, der Mensch ist nun ein-
mal das Produkt seiner Anlage und
seiner Verhältnisse. Und kann nicht
aus sich heraus — niemals!"
Merkte er den leisen Unterton nicht,
der durch dieseimmernochindemselben
Anflug vonJroniegesprochenenWorte
schwang? Vernahm er nichts von dem
inneren Uneinssein, dem zagenden
Fragen und Suchen eines jungen, auf
eine harte Probe gestellten Menschen-
kindes, das sich fürchtet, etwas von
seiner Selbständigkeit preiszugeben
und zugleich im tiefsten Innern fühlt,
wie unfrei und unselbständig es noch ist?
„Ein Mensch kann wohl nicht aus
sich heraus. Aber er kann über sich
hinfort," gab er ein wenig lehrhaft
zurück. Aber in seinem dunklen Auge,
das wie gebannt auf der schönen Mädchengestalt ihm gegenüber
weilte, flammte etwas auf, das bisher nicht in ihm gewesen war.
War es Mitleid oder Bewunderung? Doch nur für eine Sekunde.
Dann hatte er sich wieder ganz in der Gewalt, war er nichts mehr
als der Geistliche, den sein Amt hierhergetrieben hatte.
„Der Zweck meines Besuches wäre wohl erledigt," sagte er mit
gemessener Höflichkeit und verabschiedete sich.
Ein heftiger Kampf entbrannte in ihr. Sie wollte etwas sagen,
etwas Einlenkendes und Begütigendes — sie brachte es nicht über
die Lippen. Noch als er ebendie Tür hinter sich geschlossen hatte, war
ihr zumut, als müßte sie sie wieder öffnen, müßte ihm zurufen:
„So nimm doch den Saal! Ich gebe ihn dir gern, denn ich fühle ja,
daß du das Gute willst und von deinem Standpunkt aus recht hast."
Ja — aber eben nur von seinem Standpunkte aus! Den ihren
konnte sie nicht ändern. Und wollte es nicht. Gerade in dem
Augenblick, wo zum erstenmal der Mensch in ihr Leben getreten,
der zu ihr gesprochen wie nie ein anderer, der mit seinen kargen,
wohlabgemessenen Worten in das Innerste ihrer streng ver-
schlossenen Seele eingedrungen war, fühlte sie, daß sie ganz auf
sich gestellt war und ihren Weg allein gehen mußte.

„Klinge, kleines Frühlingslied, kling hinaus ins Weite. .."
Nach einer Radierung von Elfriede Wendlandt
(Kunstverlag Amsler L Ruthardt, Berlin W 8)
 
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