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DER RÖMER.

Das Rathhaus der Stadt Frankfurt am Main, der Römer, hat eine
Bedeutung, die weit über die engen Grenzen des städtischen Gemeinwesens
reicht; denn in und vor dem Römer hat sich ein gut Theil vaterländischer
Geschichte abgespielt. Durch die goldene Bulle Kaiser Karls IV. von
1356 wurde Frankfurt die gesetzliche Stätte für die Königswahlen, nach-
dem bereits seit 1147 von 20 Königswahlen 14 hier stattgefunden hatten;
seit 1562 wurden auch die Krönungen hier gefeiert. Welche Rolle bei
diesen Staatsaktionen Römer und Römerberg gespielt haben, ist hinläng-
lich bekannt; die schönste und verbreitetste Schilderung des Prunkes,
welchen das römische Reich deutscher Nation bei diesen Gelegenheiten
entfaltete, hat uns Goethe in der Beschreibung seiner Erlebnisse während
der Wahl und Krönung Josephs II. zum römischen Könige hinterlassen.
Aber nicht nur als Stätte der Wahl und Krönung war Frankfurt von
politischer Bedeutung für das Reich — in höherem Grade darf es politische
Wichtigkeit als Ort für zahlreiche Reichstage, wenigstens im ausgehenden
Mittelaller, beanspruchen. Denn was bei der Wahl in dem Römer vor-
ging, war schliesslich doch nur das bereits vorher festgestellte Ergebniss
langer diplomatischer Verhandlungen zwischen den einzelnen Reichsständen;
die Festlichkeiten bei der Krönung in und vor dem Römer waren doch
lediglich pomphafte Repräsentation der höchsten Würde des Reichs; schwer-
wiegende politische Entscheidungen dagegen gingen von den Reichs- und
Fürstentagen aus, denen der Römer vielfach als Stätte der Verhandlungen
diente. Erst ein Menschenalter ist vergangen, seit er zum letzten Male
die deutschen Fürsten versammelt sah, welche dem morschen Körper des
Deutschen Bundes, dem Nachfolger des heiligen römischen Reiches,
neues Leben einflössen wollten. Als aber am 8. Oktober 1866 im Kaiser-
saale des Römers vor dem Senat und den Vertretern der Bürgerschaft
das Patent König Wilhelms von Preussen verkündet wurde, welches dem
Dasein Frankfurts als freier Stadt ein Ende setzte, da war auch die Rolle
des Römers als Repräsentationsort des deutschen Reiches ausgespielt —
voraussichtlich für alle Zeiten. Am 9. Dezember 1889, da Kaiser Wilhelm II.
als Gast der Stadt von den Fenstern des Kaisersaales auf die festlich
gestimmte Menschenmenge herabblickte, welche den ganzen Römerberg
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