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schungsstand als weitgehend ungeklärt gelten. Diese
Tatsache wird allerdings durch zahlreiche Veröffentli-
chungen und einprägsame zeichnerische Darstellun-
gen von A. Ludewig verunklärt, die zwar ein sehr ge-
schlossenes Bild vermitteln, in dem die belegten von
den nur vermuteten Merkmalen aber nicht zu unter-
scheiden sind. Versucht man die Ludewig'schen Auf-
fassungen nachzuvollziehen, so ergibt sich schnell,
daß nur ein Teil des von ihm benutzten Faktenmate-
rials tragfähig ist, während in vielen anderen Fällen
allzu geringe, schwer deutbare Spuren eindeutig
überinterpretiert, Schriftnachrichten oft grob fehlge-
deutet wurden ,0,). Diese Einsicht, sowie neue Gra-
bungen durch W. Gehrke1021 und die laufenden Re-
staurierungsarbeiten insbesondere am „Haus 2" ha-
ben zu einer in wesentlichen Punkten von Ludewig ab-
weichenden Einschätzung der Entwicklung der Burg
geführt, in der weite Bereiche jedoch noch zu klären
bleiben. Der sog. ,,Palas" ist nicht nur durch Gra-
bungsergebnisse, sondern insbesondere durch die
laufenden intensiven Bauuntersuchungen'03' als ein
gotischer Wohn- und Saalbau erkannt worden, der in
seiner Ursprungsform mit hoher Sicherheit der Zeit um
1350 angehört und höchstens wenig umfangreiche
Teile des frühen 14. Jahrhunderts einbezieht104'. An
seiner Stelle lag nach den Grabungsergebnissen noch
um 1200 eine slawische Handwerkersiedlung, was zu
ersten Zweifeln an der Entstehung der Burg schon um
1200 führte, die bisher allgemein angenommen wur-
de.

Tatsächlich zeigt auch eine kritische Neuuntersuchung
der Urkundenlage, daß eine Burg in Spandau vor
1271 nicht einmal erschließbar ist und erst 1317 ur-
kundlich erwähnt wird. Die in der Literatur immer
wieder auftauchenden früheren Erwähnungen enthal-
ten stets nur den Namen Spandau, nicht aber die Be-
zeichnung als Burg'05', können sich also durchaus
auch, auf die Stadtanlage beziehen, die seit ihrer Befe-

stigung im ersten Viertel des 13. Jahrhunderts einer
Burg entsprechende Wohn-, Repräsentativ- und Ver-
teidigungsfunktionen zweifellos übernehmen konnte
(wobei wir die oben erschlossene Burg auf dem Beh-
nitz sogar noch außerhalb unserer Argumentation
lassen). Eine Ausnahme hiervon machen nur die Er-
wähnung von 2 (oder 4?) Burgmannen 1271, die als
Hinweis auf die Existenz einer Burg gelten können und
die chronikalische Erwähnung von 1319 für 1308.I06).
Beide Feststellungen — Ersterwähnung 1271 bzw.
1317, Wohngebäude erst um 1350 — lenken das In-
teresse zunächst verstärkt auf den ,,Juliusturm", ge-
gen den der gotische Wohnbau mit Fuge stößt und der
daher zweifellos der älteste erhaltene Bauteil der Burg
ist. Ohne die Ergebnisse der z. Z. (1980) laufenden
Grabungen vorwegnehmen zu wollen'07', können die
baulichen Merkmale des Turms aufgrund von Verglei-
chen zu einer vorläufigen Datierung in die erste Hälfte
des 13. Jahrhunderts führen. Diese Merkmale (Rund-
form, Kuppelwölbung in vermutlich zwei Höhen1081,
bewohnbares Einstiegsgeschoß mit Kamin und Fe-
stern, Wendeltreppe zumindest im oberen Turmteil1091)
erinnern nämlich an eine Turmform, die durch C.
Meckseper110' insbesondere in Baden-Württemberg, in
vereinzelten Beispielen auch in Bayern und Thüringen
nachgewiesen wurde, und die ihrerseits auf eine in
Frankreich um 1200 entwickelte Turmform von betont
wehrhafter Funktion zurückgeht. Waren jene Turm-
formen in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts aus
Zentralfrankreich schon bis nach Bayern und Thürin-
gen vorgedrungen, so kann ihr Import durch einen
„fortschrittlich" denkenden Bauherrn auch bis in die
Mark Brandenburg vorgestellt werden. Daß eine Rei-
he runder Bergfriede in der Mark Brandenburg als na-
he, wenn auch reduzierte Verwandte des Juliusturms
erscheinen, mag in diesem Zusammenhang erwähnt
sein11". Führte dieser Vergleich zu einer mutmaßlichen
Datierung des Turms in die erste Hälfte bis Mitte des
13. Jahrhunderts, so muß die Frage nach den weite-

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