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Zweck und Technik des "Lynarplans"

Dazu zählt an erster Stelle eine Beschriftung auf der Rückseite des Plans, die uns nur aus
einer älteren Veröffentlichung vollständig bekannt ist, während sie heute teilweise ver-
schwunden und zudem unter dem grauen Leinen verdeckt ist, auf das der Plan in jüngerer
Zeit aufgezogen wurde. Dort stand nämlich neben der Bezeichnung "SPANDAW fisserungk
1593" der handschriftliche Vermerk "fiat" (lat. "es geschehe") , der zurecht als die Genehmi-
gung des Kurfürsten für den Entwurf gedeutet worden ist (Abb. 2). Erinnern wir uns an
die Arbeitsweise Michele Sanmichelis: die endgültige, im dritten Arbeitsabschnitt erstellte
Zeichnung war nicht nur Entwurf, von dem beim Bau Grundriß und Maße abgelesen wurden,
sondern zugleich auch zur Vorlage beim fürstlichen Bauherrn bestimmt. Hierzu paßt nicht
nur der Vermerk "fiat" auf dem "Lynarplan", sondern auch die zwar nicht repräsentative,
aber doch sehr sorgfältige und arbeitsaufwendige Graphik des Plans, insbesondere die Schraf-
fierungen von Mauerwerk und Wasserflächen und die Sorgfalt der beiden Hinterklebungen.

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Größere Probleme bereitet die Deutung der anderen Beschriftung. Ist das Wort "fisserungk

noch leicht als verbalhornte Form von "Visierung", d.h. Entwurf, zu erkennen, so stellt sich

bei der Jahreszahl die Frage, ob sie wirklich das Jahr der Erstellung des Plans angibt, wie

in der Literatur mehrfach angenommen wurde'^ . Wir werden unten sehen, daß schon 1590

erhebliche Veränderungen an den Außenwerken der Zitadelle ausgeführt wurden, die auf dem
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"Lynarplan" fehlen . Deutet schon dies auf eine frühere Entstehung des Plans, so ist umso
mehr festzuhalten, daß ein Sichtvermerk des Bauherrn nur zu einem Zeitpunkt Sinn hat, wo
das Bauwerk noch nicht ausgeführt ist. Das letzte Ereignis im Planungsablauf der Zitadelle,
das die Erstellung eines neuen Entwurfes zur Folge gehabt haben könnte, war die Bestallung
Lynars im Jahre 1578, der danach in nur fünf Jahren die Zitadelle vollendete. Die Untersu-
chung, ob eine Datierung des Planes ins Jahr 1578 und damit die Zuschreibung an Lynar wis-
senschaftlich beweisbar ist, wird den Abschnitt 4. dieser Arbeit füllen. An dieser Stelle kann
jedoch bereits eine andere, ebenso denkbare Erklärung für die rückseitige Beschriftung des
Planes gegeben werden. Solange der Plan im "Architekturbüro" Lynars ständig benutzt wur-
de, war eine Beschriftung überflüssig, da jedermann selbstverständlich wußte, worum es sich
handelte^" . Erst als der Plan nach Beendigung der Arbeiten an das kurfürstliche Archiv ge-
geben und dort unter zahlreiche andere Schriftstücke, Akten usw. eingereiht wurde, war
eine Bezeichnung notwendig - dies könnte sehr wohl "1593", also nach den letzten Arbeiten
an den Außenwerken geschehen sein, so daß die Beschriftung durchaus einige Jahre jünger
als der Plan selbst sein kann,

Zwei weitere Veränderungen des "Lynarplans" verdeutlichen zumindest, daß er längere Zeit
in einem "Architekturbüro" verwendet wurde. Auf dem Vorgelände im Süden findet sich näm-
lich eine Addition mit Rotstift, wie sie leicht auf Plänen entstehen, die irgendwo auf einem
Arbeitstisch unter anderen Plänen liegen (Abb, Ii 12), Die Form der Zahlen ist so, daß dies
durchaus noch im "Büro" Lynars geschehen sein könnte. Eine ähnliche Nebenwirkung inten-
siver Zeichenarbeit findet sich südlich der Bastion König im Bereich des Glacis. Dort zeichnet
nämlich eine große Zahl von Nadelstichen die Umrisse der beiden östlichen Bastionen "Königin"
und "Kronprinz", und zwar in einem wesentlich kleineren Maßstab als der Plan selbst (Abb.
1:11). Dies ist die Nebenwirkung einer Methode zum Kopieren von Plänen, die üblich war,
bevor es pausfähige Papiere gab: man legte die zu kopierende Zeichnung auf das leere Blatt
für die neue und markierte die wesentlichen Konturen durch Nadelstiche. Wenn dabei entge-
gen der Vorsicht ein anderer Plan unten lag, so bekam er die Nadelstiche mit ab. Uber den
Hinweis hinaus, daß der "Lynarplan" eine Zeit lang in einem "Architekturbüro" herumlag,
läßt der kleinere Maßstab der kopierten Zeichnung die Vermutung zu, daß auf dieser Zeich-
nung auch die Stadt Spandau dargestellt werden sollte, oder vielleicht, daß man eine kleinere
Zeichnung etwa als Vorlage für eine Veröffentlichung benötigte - daß Lynar wie eine kleine

Zahl italienischer Festungsspezialisten und sein deutscher Kollege Daniel Speckle ein theore-

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tisches Werk über Festungsbau veröffentlichen wollte, ist uns nur andeutungsweise bekannt ,
erhalten scheint von dem Manuskript dieses Werkes nichts mehr,

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