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Der gesellschaftliche Hintergrund

6. Der gesellschaftliche Hintergrund
Bauern und Bürger

Der Ackerbau und die Viehzucht bildeten bis zur Industrialisierung des 19. Jhs. die entschei-
dende Grundlage jedes wirtschaftlichen Systems. Die Macht des seit dem frühen Mittelalter
herrschenden Standes, des Adels, war primär von Umfang und Produktivität seines landwirt-
schaftlich genutzten Besitzes abhängig, und auch für die vor allem im 12./13. Jh. entstehen-
den Städte war die landwirtschaftliche Leistungsfähigkeit ihres Umlandes von erheblicher Be-
deutung, denn spezialisiertes Handwerk und der darauf beruhende Fernhandel können sich

nur dann in einer Siedlung konzentrieren, wenn das Umland in der Lage ist, sie mit Nahrungs-

. 154)
mittein und anderen lebenswichtigen Gütern zu versorgen

Betrachten wir die Verhältnisse in der Mark Brandenburg, so treffen wir im Spätmittelalter
und im 16. Jh. auf eine Situation, die sich von der des westlichen und südlichen Deutschland
in einigen wichtigen Punkten unterscheidet. Die geringe Fruchtbarkeit des Landes und die
späte deutsche Besiedlung ab dem 12. Jh. hatten dazu geführt, daß die Siedlungsdichte er-
heblich geringer blieb als im "Altsiedeiland" etwa des Rheinlandes oder Süddeutschlands, daß

der einzelne Bauer in Brandenburg daher durchschnittlich über größeren Grundbesitz ver-
155)

fügte . Da dies auch für den Adel galt, der sich vor allem auf die Ausbeutung slawischer
Leibeigener stützen konnte, und die Bauern zudem während der Zeit der Kolonisierung mit
Zusagen größerer Unabhängigkeit vom Adel in diese Gegend gelockt worden waren, war die
Spannung zwischen Adel und deutschen Bauern hier von vornherein geringer als etwa im
südwestdeutschen Raum; der Bauernkrieg 1525 hatte z.B. in der Mark keine Auswirkungen.
Die Fortentwicklung des wirtschaftlichen Systems wurde durch die geringe Siedlungsdichte we-
nig gefördert. Obwohl es auch in der Mark, vor allem im 13. Jh., eine Welle von Städtegrün-
dungen gab, blieben die Städte seltener und entwickelten sich langsamer als anderswo. "Groß-
städte" mit früher Befreiung von adeliger Herrschaft, Fernhandelspatriziat, hochspezialisier-
ter Produktion und kapitalistischen Ansätzen schon im Spätmittelalter, für die als Beispiele
etwa Köln, Straßburg, Augsburg oder Nürnberg genannt seien, konnten sich in der Mark
nicht entwickeln. Berlin, das als eine von wenigen Städten Ansätze zu einer solchen Entwick-
lung zeigte, wurde schon in der 1. Hälfte des 15. Jhs. in seiner Entwicklung behindert, als
der Hohenzoller Friedrich im Auftrage des Kaisers das unter ständigen Fehden und Raubzügen
des Adels leidende Land unterwarf und diese Unterwerfung allerdings nicht nur auf den Adel
der Mark erstreckte, sondern der günstigen Gelegenheit halber auch gleich auf die Städte als
wirtschaftliche Mittelpunkte. Freie Reichsstädte wie etwa Köln, Straßburg oder Nürnberg hat-
ten schon früher gezeigt, daß sie nach entschlossener Abschüttelung adeliger Herrschaft zu
politischen Faktoren von großer Eigenständigkeit werden konnten, was in der rückständigen
Mark durch die Maßnahmen der Hohenzollern noch im Ansatz verhindert werden konnte. Auch
Spandau, das sich im 13. /14. Jh. noch recht kraftvoll entwickelt hatte^ , stagnierte offenbar
seit dieser Zeit, die zudem noch durch Wirtschaftskrisen und Epidemien gekennzeichnet war.
Die für die weitere Entwicklung Brandenburg - Preußens wichtigste Konsequenz dieser Abläufe
im 13.-15. Jh. war, daß hier kein ökonomisch oder gar politisch selbständiges Bürgertum mit
starkem Selbstbewußtsein entstand, daß ein Gegengewicht zum Adel und zum Landesherrn also
fehlte.

Die Situation in der 2. Hälfte des 16. Jhs. war dennoch von einiger Bewegung gekennzeich-
net. Nach einer Agrarkrise im Spätmittelalter stieg die Bevölkerung seit etwa 1520 wieder an,
was insbesondere die Nachfrage nach Getreide, einem der wichtigsten Produkte der Mark, in
die Höhe trieb. Der Adel, der in Brandenburg seine Landwirtschaft meist selbst betrieb,
reagierte auf diese Nachfrage, indem er die Produktivität zu vergrößern suchte. Man zog bis-
her verlehnte Bauernhöfe zum selbstbewirtschafteten "Gut" des Adeligen (sog. "Bauernlegen")
oder kaufte die Höfe freier Bauern auf. Ein Konzentrationsprozeß fand statt, der vor allem

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