Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Bauentwicklung und Einordnung der Zitadelle

die Bemerkung, man habe "200 geschickte Italiener" kommen lassen und ihnen "einen Mann von

ihrer Nation" vorgesetzt, sondern auch die Anspielung im Armierungsplan von 1560, wo zu dem

Begriff der "Streichwehr" hinzugesetzt ist, diese würden von den "Welschen", d.h. den Italie-

134)

nern, "Kasematten" genannt . Ferner war schon bisher besonders darauf hinzuweisen, daß
nach dem gegenwärtigen Forschungsstand keine bastionäre Befestigung im deutschen Raum be-
kannt ist, die vor dem späteren 16. Jh. von einem Nicht-Italiener errichtet worden ist. Schon

Ludewig hatte aus diesen guten Gründen angenommen, daß der Entwurf der Zitadelle von

136)

Francesco Chiaramella de Gandino stamme und daß der (nur bei dem Chronisten Hafftitz
erwähnte) Römer lediglich einige Zeit nach Chiaramellas Plänen und Instruktionen den Bau ge-
leitet habe; dies wird später von Lynar ganz ähnlich gehandhabt, wenn er etwa Caspar

137)

Schwabe zur im Bau befindlichen Wülzburg schickt . Praktisch zur Gewißheit wird die Zu-

schreibung des ersten Zitadellenentwurfes an Chiaramella aber durch die neuen Forschungen

Mohrmanns, nach denen Chiaramella ohne jeden Zweifel schon im November/Dezember 1559 in

138)

Spandau war und auf derselben Reise auch einen Plan für Küstrin angefertigt hat . Die
eindeutig von der Architektur des Venezianers Sanmicheli beeinflußte Konzeption des schon
1563 erwähnten Torhauses ist bei dieser Lage der Dinge nur noch letzte Bestätigung.

Die von Chiaramella bzw. nach seinen Plänen zwischen 1559 und 1578 errichteten Teile der Zi-
tadelle lassen erkennen, daß er durchaus auf dem neuesten Stand der Befestigungstechnik war,
gleichzeitig aber auch nach architektonischer Klarheit und Integration der Bauten und ihrer
verschiedenartigen Funktionen strebte. Auffälligstes Merkmal der beiden Südbastionen Chiara-
mellas ist die Ausstattung mit drei Feuerebenen übereinander, die der Nahverteidigung zwei-
fellos zugute gekommen wäre, aber die Beschußfestigkeit der Facen schwächte. Sein Streben
nach symmetrischer Ordnung der Grundrisse und Fassaden kommt am deutlichsten in der
Bastion "Königin" und der Innenfassade des Torhauses zum Ausdruck, setzt sich aber auch
bis in die rein "militärisch" genutzten Bereiche der Flankenhöfe fort. Die Hofumbauung sollte
mit den Kurtinen (unter einer gemeinsamen Plattform?) verschmolzen werden. Wäre ein solches
Konzept vollständig zur Durchführung gekommen, so hätte der Zitadellenhof trotz seiner Grös-
se und der Störung durch die beiden älteren Bauten im Südwesten eine einheitliche und qua-
litätvolle architektonische Ordnung erhalten. Sie hätte durch die Anordnung der Bastionszu-
fahrten in den abgeschrägten Ecken und die bewußt abweichende Struktur des südwestlichen
Tor- und Schloßbereiches auch die innere Organisation der Gesamtanlage deutlich wiedergespie-
gelt.

Ausgeführt wurde von diesem Konzept trotz einer Bauzeit von 19 Jahren weniger als die Hälfte
(Lynar errichtete das übrige in nur 5 Jahren!). Die Gründe für diesen langsamen Baufortgang
können nur vermutet werden. Außerhalb des eigentlichen Baues lagen Gründe wie der passive
Widerstand der zu den Arbeiten zwangsweise herangezogenen Bevölkerung, die sich der Be-
lastung zu entziehen suchte, indem zu wenige oder ungeeignete Arbeiter auf dem Bau erschie-
nen, sowie auch die ständig wachsende Verschuldung des Kurfürsten Joachim II. (vgl. die fol-
genden Abschnitte!). Dazu kam die anderweitige Belastung Chiaramellas, der stets nur kurz-
fristige Bestallungen erhielt bzw. nur sie akzeptierte und sich dem Bau vermutlich nur spora-
139)

disch zuwenden konnte . Schließlich ist im Baubefund deutlich abzulesen, daß immer wieder
erhebliche statische Probleme auftraten und aufwendig beseitigt werden mußten, was nicht nur
auf den sumpfigen Untergrund, sondern dürchaus auch auf Fehler bei der Planung zurückzu-
führen ist. Kann das Absacken der Bastion "König" noch mit dem schwer einzuschätzenden
Untergrund entschuldigt werden, so ist das langsame "Umkippen" des Zeughauses unter dem
Druck der Kurtinenschüttung eindeutig auf die zu leichte und kühne Konstruktion seines Ge-
wölbes zurückzuführen.

Mit dem Arbeitsantritt Lynars 1578 war eine energische Neuorganisation des Baues verbunden:
neben der Grundsteinlegung wohl beider noch fehlender Bastionen, dem Erlaß einer Arbeits-
ordnung und weiterer Einzelmaßnahmen gehört hierzu auch die Erstellung eines revidierten
Entwurfs, eben des "Lynarplans". Daß die Festung danach in nur fünf Jahren "vollendet"

- 61 -
 
Annotationen