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Der gesellschaftliche Hintergrund

wissen" mit jener freien Kreativität, wie sie etwa die Zeichnungen Francesco di Giorgio Marti-
nis oder Michelangelos auszeichnet, nur noch wenig zu tun haben.

Diesem letzten Typ entsprechen sicherlich auch Chiaramella und Lynar, über die wir freilich
verschieden genau unterrichtet sind. Chiaramella war über die spanischen Niederlande nach
Deutschland gekommen - er arbeitete bzw. lernte an der Befestigung von Antwerpen - und
war ab 1559 im mitteldeutschen Raum viel beschäftigt. Eine umfassende Untersuchung über
den Umfang seiner Betätigung und seine Bauten liegt noch nicht vor, so daß wir die in Span-
dau erkannten architektonischen Merkmale nur schlecht einordnen können''^' . Es sei nochmals
betont, daß wir ihm und nicht Lynar den ursprünglichen Gesamtentwurf der Zitadelle zuzu-
schreiben haben, und daß die architektonische Qualität der von ihm ausgeführten Teile den
Bauten Lynars eindeutig überlegen ist; mangelnde Erfahrung mit den statisch-konstruktiven
Notwendigkeiten des Festungsbaues ist ihm allerdings auch zu bescheinigen, so daß wir hier
vielleicht die Folgen einer allzu stark auf das "disegno" konzentrierten Ausbildung im darge-
stellten Sinne vermuten dürfen.

Lynar muß dagegen als konstruktiv sehr erfahrener Praktiker eingeschätzt werden, dessen
ästhetische Ansprüche hinter dem konstruktiven und fortifikatorischen Funktionieren des Bau-
es stark zurücktraten. Auch er war aus Westeuropa nach Deutschland gekommen - er baute
die Zitadelle von Metz für den französischen König - und arbeitete zunächst u.a. in der Pfalz
und in Sachsen. Soweit seine Bauten - Neu- und Umbauten von Festungen, Schlössern u.a.

Profanbauten - untersucht worden sind, hat man ihnen stets im besten Falle Klarheit und

191)

Knappheit, im ungünstigeren Nüchternheit und architektonisches Unvermögen bescheinigt

Daß er aus Italien Kenntnisse mitgebracht hat, die über den Bereich des Bauens weit hinaus-
gingen, sollte nicht unerwähnt bleiben. Er gehörte zweifellos zu den engsten Vertrauten des

Kurfürsten Johann Georg, für den er z.B. gelegentlich die Buchführung in Ordnung brachte,

192) '

und von dem er auch sonst häufig herangezogen wurde . Daß er diese Position in nächster

Nähe des Landesherren auch zum eigenen Vorteil nutzte, kann nicht überraschen. Sein "Haus"

in Spandau - als Italiener zog er das Wohnen in der Stadt dem in der Festung vor - stand

193)

auf einem großen Grundstück, das teilweise auf Schenkungen des Kurfürsten zurückging
Er engagierte sich im damals gewinnträchtigen Salzhandel und hatte bis zu seinem Tode 1596
ein beachtliches Vermögen erworben. Nach alledem ist wohl einsichtig, daß Lynar sein Spe-
zialistentum vor allem im Festungsbau konsequent als Grundlage benutzt hat, sich eine sichere
politische und wirtschaftliche Position innerhalb von Brandenburg aufzubauen.

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