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Akßkr ZoMunfl.
dem Wirbelstrom unseres heutigen
Lebens, der unser Volk auf's Neue
schwimmen gelehrt hat, in dem
sich alle Stände des geeinten Vater-
landes lustig und frisch zu tum-
meln versuchen, hat der Künstler sich leider als
schlechtester Schwimmer gezeigt. Während alle
Zweige der Wissenschaft rüstig vorankommen
und ihre Errungenschaften der „neuen" mecha-
nisch-materiellen Weltanschauung stolz aneinan-
der reihen, sind die heutigen Künstler trotz allen
Könnens und Kennens arg auf's Trockne ge-
rathen und schweben sozusagen in der Luft.
Und unter ihnen ttidjt am wenigsten die
Jünger der bildenden Künste.
Die beklagenswerthe Thatsache, daß die
bildende Kunst weit davon entfernt ist, den
Anforderungen der Mitwelt und unseres Volkes
gerecht zu werden, kann heute keinem Ein-
sichtigen mehr zweifelhaft sein. Die Ursachen
wenn es nicht aus dem therzen dringt!" —
Das Innerliche, Intime, das Unmeßbare und
Unwägbare in uns selbst und in unserem gan-
zen Volke sind von der darüber hinbrausenden
materialistischen Weltanschauung zum Schweigen
verdammt und dadurch vollkommen verstummt.
Und doch bleibt es unumstößlich wahr, daß
gerade diese Imponderabilien für den Werth
des Lebens und der Zeit ausschlaggebend sind.
Sie bleiben das Zünglein an der Waage, das
gut von böse, wahr von falsch, schön von
häßlich scheidet. Schon der tiefsinnige und ge-
dankenvolle Rembrandt - Deutsche hat hierauf
hingewiesen und gezeigt, wie für die Kunst
nur das Suchen der Seele des ganzen Volkes
zum lheil werden kann.
Für das Kunsthandwerk und besonders
die bjauskunst (als erweiterten Begriff der
raumschaffenden Baukunst) auf's Neue dies
lhauptrettungsmittel aus der jetzigen kfilfs-
wollen wir nicht näher untersuchen; die Folgen machen
sich auf allen Gebieten in erschreckender Weise fühlbar:
hier Nachäffung französisch-welscher Theaterkunst, dort
Erstarren in akademischen Formeln, anderswo blindes
Nachtreten der todten Natur. Aber überall Kraftver-
geudung und -Verzettelung auf auseinander laufenden
Irrwegen, bfasten nach niederen Tagesgöttern und tödtende
Gleichgiltigkeit der sich abwendenden Massen des Volkes I
Uns ist eben, bei all' unsrer äußeren Bildung, Auf-
speicherung von Kenntnissen, scheinbaren Leistungsfähig-
keit Eins verloren gegangen: das st i l l e Besinnen
auf uns selb st, die zusaminenfassende Kraft
der Empfindung, die unerschütterliche Ueber-
zeugung, daß die Kunst stets sein muß und
nichts weiter sein will als Herzenssache und
Gefühlsausdruck. „Ihr werdet's nicht erjagen,
36—39. Wandleuchter
in Louis XVI.-Stil, nach
I. Fr. Forty in
1’Art pour tous.
losigkeit und Zerfahrenheit hervorgehoben zu haben, ist
das große verdienst Robert Mielke's'), der in einem
mit warmem Herzblut und gediegener Kenntniß ge-
schriebenen Büchlein die Fäden einer von Alters her
kräftigen und gesunden Bauernkunst aussucht, an die
wir anzuknüpfen hätten, um selbst wieder künstlerisch zu
erstarken und zu gesunden In sechs Abschnitten führt
er überzeugend und anregend aus, daß „die (Quersumme
des künstlerischen Schaffens der Gegenwart nicht volks-
thümlich, daß vielmehr die Volksseele durch eine tiefe
Kluft von jener getrennt ist, daß der Begriff einer „Volks-
kunst" sich nicht mit dem des „Schönen" deckt, sondern
*) Volkskunst von Robert Mielke. Mit 8S Ab-
bildungen. Magdeburg. Verlag von Walther Niemann.
Gr.-Gctav. {23 Seiten.
Akßkr ZoMunfl.
dem Wirbelstrom unseres heutigen
Lebens, der unser Volk auf's Neue
schwimmen gelehrt hat, in dem
sich alle Stände des geeinten Vater-
landes lustig und frisch zu tum-
meln versuchen, hat der Künstler sich leider als
schlechtester Schwimmer gezeigt. Während alle
Zweige der Wissenschaft rüstig vorankommen
und ihre Errungenschaften der „neuen" mecha-
nisch-materiellen Weltanschauung stolz aneinan-
der reihen, sind die heutigen Künstler trotz allen
Könnens und Kennens arg auf's Trockne ge-
rathen und schweben sozusagen in der Luft.
Und unter ihnen ttidjt am wenigsten die
Jünger der bildenden Künste.
Die beklagenswerthe Thatsache, daß die
bildende Kunst weit davon entfernt ist, den
Anforderungen der Mitwelt und unseres Volkes
gerecht zu werden, kann heute keinem Ein-
sichtigen mehr zweifelhaft sein. Die Ursachen
wenn es nicht aus dem therzen dringt!" —
Das Innerliche, Intime, das Unmeßbare und
Unwägbare in uns selbst und in unserem gan-
zen Volke sind von der darüber hinbrausenden
materialistischen Weltanschauung zum Schweigen
verdammt und dadurch vollkommen verstummt.
Und doch bleibt es unumstößlich wahr, daß
gerade diese Imponderabilien für den Werth
des Lebens und der Zeit ausschlaggebend sind.
Sie bleiben das Zünglein an der Waage, das
gut von böse, wahr von falsch, schön von
häßlich scheidet. Schon der tiefsinnige und ge-
dankenvolle Rembrandt - Deutsche hat hierauf
hingewiesen und gezeigt, wie für die Kunst
nur das Suchen der Seele des ganzen Volkes
zum lheil werden kann.
Für das Kunsthandwerk und besonders
die bjauskunst (als erweiterten Begriff der
raumschaffenden Baukunst) auf's Neue dies
lhauptrettungsmittel aus der jetzigen kfilfs-
wollen wir nicht näher untersuchen; die Folgen machen
sich auf allen Gebieten in erschreckender Weise fühlbar:
hier Nachäffung französisch-welscher Theaterkunst, dort
Erstarren in akademischen Formeln, anderswo blindes
Nachtreten der todten Natur. Aber überall Kraftver-
geudung und -Verzettelung auf auseinander laufenden
Irrwegen, bfasten nach niederen Tagesgöttern und tödtende
Gleichgiltigkeit der sich abwendenden Massen des Volkes I
Uns ist eben, bei all' unsrer äußeren Bildung, Auf-
speicherung von Kenntnissen, scheinbaren Leistungsfähig-
keit Eins verloren gegangen: das st i l l e Besinnen
auf uns selb st, die zusaminenfassende Kraft
der Empfindung, die unerschütterliche Ueber-
zeugung, daß die Kunst stets sein muß und
nichts weiter sein will als Herzenssache und
Gefühlsausdruck. „Ihr werdet's nicht erjagen,
36—39. Wandleuchter
in Louis XVI.-Stil, nach
I. Fr. Forty in
1’Art pour tous.
losigkeit und Zerfahrenheit hervorgehoben zu haben, ist
das große verdienst Robert Mielke's'), der in einem
mit warmem Herzblut und gediegener Kenntniß ge-
schriebenen Büchlein die Fäden einer von Alters her
kräftigen und gesunden Bauernkunst aussucht, an die
wir anzuknüpfen hätten, um selbst wieder künstlerisch zu
erstarken und zu gesunden In sechs Abschnitten führt
er überzeugend und anregend aus, daß „die (Quersumme
des künstlerischen Schaffens der Gegenwart nicht volks-
thümlich, daß vielmehr die Volksseele durch eine tiefe
Kluft von jener getrennt ist, daß der Begriff einer „Volks-
kunst" sich nicht mit dem des „Schönen" deckt, sondern
*) Volkskunst von Robert Mielke. Mit 8S Ab-
bildungen. Magdeburg. Verlag von Walther Niemann.
Gr.-Gctav. {23 Seiten.