Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 46.1897

DOI Artikel:
Gmelin, L.: Das St. Georgen-Kloster zu Stein am Rhein
DOI Artikel:
Gmelin, L.: Kunstgewerbliche Entwickelungsfragen, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7910#0009
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
/

*

5

I*

7 0 cm


7. Aus dem Kloster 5t. Georgen zu 5tein am Rhein; von der Decke des Bildersaales.
Zeichnung von (D. bfaßlinger, Karlsruhe.

\

I.

mmer vernehmlicher erklingen die Klagen, daß unferm
Kunstgewerbe nicht mehr die Schaffensfreudigkeit und
Lebenskraft innewohne, wie etwa noch in den 80er Jahren,
und es werden die verschiedensten Vorschläge laut, um
den Uebelstand zu beseitigen; die Einen rufen nach Staats-
Hilfe, die Andern suchen ihr lfeil in Zwangsinnungen, — die Einen
klammern sich krampfhaft an den überkommenen Mrnamentenschatz,
während die Andern blindlings in die frische Natur hineingreifen, —
die Einen verharren mit starrem Grthodoxismus in der wahllosen
Nachahmung des Alten, die Andern greifen gierig nach allem Neuen,
Modernen, Modischen, mag es kommen, woher es will. Kann man
auch solchen Klagen und Vorschlägen in gewissem Sinne oder bis zu
einem gewissen Grade die Berechtigung nicht völlig versagen, so darf
man nichtsdestoweniger bestreiten, daß schon in der Behauptung, wo-
nach es dem Kunstgewcrbe an Schaffensfreudigkeit und Lebenskraft
gebräche, ein gut Theil Uebertreibung liegt. Denn nicht daran fehlt
es, sondern an der Gelegenheit, die Schaffenskraft zu bethätigen.

Als in den 70 er Jahren die Wiederaufnahme der deutschen
Renaissance erfolgt war, da war's Niemandem schwer, gewissermaaßen
eine „Neuheit" zn „ersinnen": man griff einfach zu der nächstfolgenden
Stilart und verblüffte damit die Käufer, welche dieser Mode ent-
sprechend ihren Geschmack änderten. Dieses Verfahren, dessen Erzeug-
nisse häufig mit originalen Schöpfungen verwechselt worden sind und
darum falsche Schlüsse auf die Schaffens- und Erfindungskraft ver-
ursacht haben, konnte natürlich nur solange eingehalten werden,
als die nachahmbaren Stilformen ausreichten; es mußte sein Ende
nehmen, wenn man — wie jetzt — beim „Louis XVI." und beim
„Empire", somit am Ende der Sackgasse angelangt ist. Wer wollte
bezweifeln, daß durch die Leichtigkeit, mit welcher diese „Erfindungs-
weise" auszuüben war, auch viele Kunsthandwerker zu bequem wurden,
um selbständig Neues zu ersinnen; Neues im Sinne des rasch vor-
übergehenden, Modischen wurde allerdings Vieles hervorgebracht, aber
nur Weniges im Sinne des für unsere Zeit und unsere Bedürfnisse
Eharakteristischen. von diesem Gesichtspunkte aus kann ein gewisser Still-
stand zugegeben werden; aber dies betrifft die große Maste der Unselb-
ständigen, die Soldaten, nicht die Führer. Die Führung im Kunstgewerbe
lag zu allen Zeiten in der lfand einiger Wenigen; das große Peer der
Kunsthandwerker folgte dieser Führung mit mehr oder weniger Geschick.

Daß es uns auch heute nicht an Kräften fehlt, welche decora-
tiven Aufgaben aller Art gewachsen sind, dafür liegen genug Anzeichen
vor; in der jungen Künstlerwelt herrscht ein Drang nach Bethätigung

X

LntiMlüligffWM.

der Phantasie und des Könnens, der sich in gelegentlichen Skizzen
und Entwürfen Luft macht. Woran liegt es, daß dieser Ueberschuß an
decorativen künstlerischen Gedanken keinen tiefergehenden Einfluß auf die
kunstgewerbliche Production gewinnt? Was hindert die schlummernden
Kräfte an ihrer vollen Entfaltung? Die Ursachen sind verschiedener
Art. Theils erklären sie sich aus der Stellung, welche Kunst und
Künstler gegenüber dem Kunstgewerbe einnehmen, theils lasten sie sich
auf Gleichgiltigkeit oder Urtheilslosigkeit des Publikums zurückführen.

Als einer der wundesten Punkte in den Beziehungen der Künstler
zum Kunstgewerbe erscheint nur zu oft die ungenügende Vertrautheit
des entwerfenden Künstlers mit den zwecklichen und technischen Er-
fordernissen; es ist gar kein seltener Fall, daß der Künstler, indem er
der ausführenden Technik fremd geblieben oder ihr entfremdet worden
ist, nicht vermag, den formalen Ausdruck seiner Ideen einer be-
stimmten Technik anzubequemen oder der Zweckbestim-
mun g genügend unterzuordnen. Der erste Mangel erschwert
nicht selten die Ausführbarkeit, während der letztere zumeist die
Brauchbarkeit beeinträchtigt, wenn nicht geradezu verhindert. Die
Unterordnung unter den Zweck und das Material ist ein so nnabweis-
bares Erforderniß, daß nicht eindringlich genug immer wieder darauf
hingewiesen werden kann; zu welchen Ungeheuerlichkeiten die Außer-
achtlassung dieser ersten Erfordernisse bisweilen führt, zeigen deutlich
die in letzter Nummer (Kunstgew. Rundschau Abb. 208 und 209) ge-
brachten Möbel von Earabin. Es ist im Ganzen vielleicht weniger
schwierig, ein Naturgebilde in möglichster Treue zu copiren, als das-
selbe irgend welchen decorativen oder structiven Zwecken dienstbar zu
machen. Wer freute sich nicht an einerreichen, vielseitigen Phantasie?
Je entschiedener ein Gegenstand den Charakter des Alltagsgeräthes
abstreift, je mehr er vor Abnutzung geschützt ist, je mehr der
Gebrauchszweck hinter den Schmuckzweck zurücktritt, um so mehr kann
auch die künstlerische Phantasie unumschränkt ihre Herrschaft ausüben.
Wer aber als Künstler nicht nur Werke der Kleinkunst schaffen, sondern
auch dem Kunstgewerbe durch Entwürfe helfen will, der muß erst
völlig mit dem Zweck und allen Werdeprocessen des zu bildenden
Gegenstandes vertraut sein. Würden die Künstler ihre Ideen mehr
für ein ganz bestimmtes Material und für eine ganz bestimmte Be-
arbeitungsweise desselben festzulegen suchen, so würde mancher Aus-
wuchs bei den Entwürfen von selbst verschwinden, — denn die Un-
anwendbarkeit vieler auf den ersten Blick bestechenden Ideen würde
dann bald an den Tag kommen.

Die oft beklagte Trennung von Kunst und pandwerk macht sich
also schon hier in empfindlichster Weise bemerkbar; wir werden nicht

Zeitschrift des bayer. Aunstgewerbe-Vereins München.

Jahrg. 189?. i?cft (Bg. 2.)

/
 
Annotationen