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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 46.1897

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Haase, H.: Aus dem Lüneburger Rathhaus
DOI Artikel:
Gmelin, L.: Kunstgewerbliche Entwickelungsfragen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7910#0056
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die Wandvertäfelung sowohl in der Anordnung wie auch
in den unendlichen Variationen des Maaßwerkfricses; bis
vor kurzem noch dick mit grauer Gelfarbe beschmiert, hat
die Initiative Gedon's auch hier Wandel geschaffen.

Die Perle des Kaufes ist jedoch die Rathsstube; die
hier als Decor an Thüren, Wänden und Sitzbank an-
gewandten Schnitzereien nahmen den Meister 25 volle Jahre
in Anspruch, dieselben wurden in den Jahren s566—85
von Albert von Socft mit unendlicher £iebe, technischem
und künstlerischem Rönnen ausgeführt; zur Darstellung sind
gebracht Scenen aus der biblischen und römischen Geschichte,
soweit dieselben irgendwie Bezug auf Recht und Gesetz
haben, unter anderem das mit besonderer Vorliebe gern
und oft angewandte Urtheil Salomon's, das jüngste Ge-
richt, Noah's Dankopfer nach der Sündfluth u. f. w., aus
der römischen Geschichte die Einrichtung des Lohnes des
Titus, Manlius Torquatus, mittels der Guillotine rc., ferner
in buntem Durcheinander Aartuschen, Masken, Statuetten
des Petrus, Paulus, der Weisheit, Gerechtigkeit u. s. w.
Der zur Verfügung steheude Rauin reicht uicht aus, alles

näher zu bezeichnen. Daß die monumentale Wirkung
darunter leidet, ist selbstredend, es tritt das ganz besonders
störend bei einigen der überreich mit Bildhauerarbcit über-
säten Thüreinfassungen hervor.

Außer einigen Gobelinstreifen und mehr oder weniger
zerbrochenen alten Lilbergeräthen von geringerer Bedeutung
(das beste Stück ist ein enmillirtes Schmuckkästlein) birgt
dieser Raum nichts des Interessanten mehr, der große
Aamin, welcher hierin seinen Platz hatte, hat einem ge-
schmacklosen, braunglasirten Majolikaofen weichen müssen,
an Stimmung und Tharakteristik hat dieser Raum dadurch
sehr verloren.

In einem anderen Theil des Rathhauses wäre zu
erwähnen die „Tivilamtsstube", im Renaissancestil ge-
halten; die Wände mit dunkelgebeiztem Eichenholz be-
kleidet, und durch chlachornainent und Intarsia geschmückt.

Möge jeder Aünstler und Aunstsreund, der früher
oder später nach oder doch in die Nähe Lüneburg's ver-
schlagen wird, den Weg zum Rathhaus betreten; be-
reuen wird Niemand diesen Gang.

KÜlWlMAG ZMMlMgsstagM.')

II.

eit wir unseren letzten Artikel über kunstgewerbliche Ent-
wickeluugssragen mit dein Ausdruck der Hoffnung ge-
schlossen haben, daß die VII. internationale Kunstaus-
stelluug in München die letzte Kunstausstellung im
Glaspalast sein möge, welche dem Kuusthandwerk ihre
Pforten verschließt, ist noch in letzter Stunde ein Umschwung eingetreten,
der jene Hoffnung schon für das Jahr ;8I7 der Verwirklichung ent-
gegengeführt hat. Werden auch die Gegenstände der Kleinkunst nach
Zahl und Umfang gegenüber den übrigen Ausstellungsstücken nur eine
sehr bescheidene Rolle spielen, so steht doch zu hoffen, daß dadurch der
Kleinkunst das Bürgerrecht in den Münchener Kunstausstellungen für
immer erobert wird. Damit ist ein erster glückverheißender Schritt
gethan; die Geringschätzung der Kleinkunst wird mehr und mehr Nach-
lassen, es werden sich ihr nach und nach immer bedeutendere künst-
lerische Kräfte zuwenden, bis sie schließlich »al parii mit der „hohen
Kunst" stehen wird. Und so kann man auch voraussehen, daß all-
mählig die Gesellschaft daran gewöhnt wird, auch in den Werken der
Kleinkunst etwas zu finden, das einem Gelgemälde oder einer Statuette
ebenbürtig sein kann. Freilich wird diese Umwandlung der Anschau-
ungen nicht von heute aus morgen erfolgen; aber wenn erst die Eisdecke
einmal Sprünge bekommen hat, dann wird sie auch rascher wegschmelzen.

Unter den Hindernissen, welche einer srohgemuthen Entwickelung
des Kunstgewerbes im Wege stehen, muß die Verständnißlosigkeit des
Publikums für gediegene Einzelarbeit als eines der schlimmsten obenan
gestellt werden. Die Mehrzahl der Menschen, selbst der Gebildeten,
sieht jede formale Gestaltung als etwas Absolutes an, das schon au
und für sich als schön oder häßlich gilt, für dessen künstlerischen
Werth indessen weder das Material noch die Technik der Ausführung
von irgendwelcher Bedeutung ist. Die Wenigsten haben einen Begriff
von dem Einfluß, welchen das Rohmaterial auf die Durchbildung im
Einzelnen hat; daher auch die erschreckende Ueberhandnahme des
Surrogatweseus. Und doch ist gerade diese Einzeldurchbildung für den
Eharakter des Kleinkuustwerkes genau ebenso bezeichnend wie die
Klangfarbe irgend eines Musikinstrumentes im Zusammenhang mit
dem vom Künstler hineingelegten persönlichen Empfinden für die Wir-
kung eines Tonstückes. Dieselben Leute, welche die Anhörung eines
Musikstückes auf einem Grchestrion, einer Drehorgel oder einem Phono-
graphen mit Entrüstung zurückweisen würden, — dieselben Leute,
denen nichts zu viel ist, wenn sie sich ein paar Stunden lang an guter

l) vergl. kiest ;, S. 5.

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Musik erbauen können, ziehen es vor, Dutzendwaare, welche nur die
Maske künstlerischer Arbeit und edeln Materials trägt, an Stelle von
kunst- und materialechten Stücken in ihren Empfangszimmern aufzu-
stellen. Sie kaufen solche in's Plastische übersetzte Drehorgelmusik,
bloß weil sie recht laut Klimbim und Bumbrnu macht. Da stehen
dann die unbequemen Hochzeits- und andere Gelegenheitsgcschenke
herum, ziehen die Augen auf sich mit ihrem Prunk, freuen aber weder
den Besucher noch den Besitzer, bis mau sie gelegentlich irgend eines
Wohlthätigkeitsbazars endlich abschiebt, uin damit andere Sterbliche
um ein Billiges zu beglücken!

Daß sich die Musik einer so besonderen Vorliebe bei Hoch und
Nieder, Alt und Jung, Reich und Arm erfreut, kommt nicht zum
wenigsten davon her, weil diese Kunst in tausenden von Familien
gepflegt wird, weil der Dilettantismus in keiner Kunst so zahlreiche
und oft sehr beachtenswerthe Blütheu treibt. Aber es spielt vielleicht
noch ein anderer klmstand mit, nämlich eine gewisse Unstätigkeit der
Neigungen, die unserm heutigen Pnblikuin anhastet. Auch das monu-
mentalste Tonwerk ist in wenigen Stunden verrauscht; es bleibt nichts
zurück als die Erinnerung daran, die bald durch eine andere ver-
drängt wird. Die Flüchtigkeit des musikalischen Geuießens läßt jeder
noch so raschen Geschmackswandlnug des Einzelnen den weitesten
Spielraum. Anders stehen uns die Werke der bildenden Kunst gegen-
über; sie verlangen viel mehr als die Werke der Musik eine dauernde
Zuneigung, die sie sich wiederuni nur durch wirkliche Gediegenheit er-
ringen. Unser Publikum kennt aber seine eigene Wankelmütigkeit
sehr genau; es traut sich nicht, für einen Kunst- oder Gebrauchsgegen-
stand mehr aufzuivenden, als unbedingt nöthig, uin wenigstens den
äußeren Anstand zu wahren. Denn man läuft ja Gefahr, daß das,
was Einem heut schön, ja unübertrefflich scheint, in wenigen Jahren
„aus der Mode kouimt" und daß daun kein Mensch inehr den Gegen-
stand nach seinen Werth zu schätzen weiß; — als ob nicht wirkliche Kunst
— mag sie sich der Forineusprache irgend eines alten oder modernen
Stils bedienen — immer schön und werthvoll bliebe!

Dauernd erfreuen kann und wird nur das, was unserin persön-
lichen Empfinden nahe tritt. Dinge, mit denen die Erinnerung an das
träumerische Phantasiren unserer Kindheit oder an Sturm und Drang
unserer Jüuglingsjahre. durchflochten ist, werden uns stets werthvoll
bleiben — ganz einerlei, ob diese Dinge später unserem geschulten
Kunstsinn Zusagen oder uicht; denn es bestehen da Beziehungen zwischen
den Dingen und unserm Empfinden, Beziehungen ähnlicher Natur,
wie sie zwischen einein Kunstwerk und unserm Fühlen angeknüpft
werden sollen, Hat ein Werk der Kleinkunst ein Mal unser Innerstes
 
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