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Hälfte des \5. Jahrhunderts (Abbildung 79. Lat. ^0092
c. pict. 96) sehen wir neben den Blumen auch noch ein
Thier im Randornament, wie sich Thiere und Grotesken
aller Art zum Theil Rinder eines sehr ausgelassenen
Humors, allenthalben in den zahlreichen Randleisten dieses
Buches finden, Hier ist es ein merkwürdiger Vogel, aus
den Bestandtheilen eines Gockels und einer Ente zusammen-
gesetzt, am Leib aber durch eine menschliche Fratze ge-
schmückt. Das abenteuerliche Thier gehört in die Gruppe
der Dröleries, jener merkwürdigen, aus Thier und Men-
schen zusammengesetzten Grotesken, in denen sich die reiche
Phantasie mittelalterlicher Künstler, bei den Franzosen und
Niederländern besonders charakteristisch im sp und frühen
i5. Jahrhundert, Luft inacht. Andererseits aber weisen
diese Thiere doch gleich den Blumen 3can Foucquet's auf
die Zunahme naturalistischer Formen und sind darin die
Vorläufer jenes Stils, den die Niederländer entwickelten.
Wie in der Form, so erscheinen auch in der Farbe die
französischen Miniaturen dieses Stils als Vorstufe dessen,
den die Niederländer am bedeutendsten ausgebildet. Zhre
Freude an den bunten Farben der Blumen, wie des Or-
namentes, die zuweilen, wie wir gleich sehen werden, auch
zu farbiger Behandlung des Grundes,
von dem sich diese abheben, führt, ist
eine Vorstufe der coloristischen Art der
Niederländer; aber nicht mehr, denn
das eigentlich Malerische, die Model-
irung, die Wirkung von Licht und
Schatten wird noch in keiner Weise
versucht.

Das Spielende der heiteren fran-
zösischen Decoration zeigt, zwar etwas
barock, aber höchst charakteristisch, ein
zweites Blatt dieses Gebetbuches
(Taf. f3, ,). Hier malt der Aünstler
nicht einen Rahmen um das Bild,
sondern er behandelt das ganze Blatt
als einheitliche Fläche, auf welche das
Bild gewissermaßen nur zufällig ge-
legt ist. Diese Fläche aber wird durch
breite Streifen gegliedert, die theils
das einfache Pergament, theils eine
leichte Farbe als Grund zeigen, während
wir bei anderen Blättern derselben
Handschrift statt der Streifen Zickzack-,
Z Wellenlinien und Aehnliches sehen,

>ueist noch willkürlicher und entschieden
oft mehr originell, ja capricieuse als

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79. Randleiste eines
französischen Gebetbuches
aus der zweiten Hälfte
des {5. Jahrhunderts,
(etwa 3/4 der wirk!. Gr.)

Randzier von Jean Foucqnet. ^58.

(etwa 8/4 der wirkl. Größe.)

schön. Die einzelnen Streifen aber
werden dann durch Ornament und
Blumen geschmückt und auf vorliegen-
den! Blatt steht in der- Mitte des
unteren Randes plötzlich ein Elephant,
der aber trotz der Willkür seines Da-
seins doch noch den Sinn für strenges
Stilgefühl zur Schau trägt — durch
fein Ohr.

Die eigentlich naturalistische und
inalerische Behandlung dieser Randzier
bildeten die Niederländer des f5. Zahr-
hunderts aus; was wir bei den Deutschen
wie bei den Franzosen aufkcimen sahen,
gedeiht bei ihnen zu voller Blüthe.

Der Grund hiesür liegt in der ja allen
Ländern diesseit der Alpen voraus-
eilenden Entwicklung der Malerei dieses
coloristisch hoch begabten Volkes, das
ja schon in der ersten Hälfte des
Zahrhunderts unter den van Eyck
und deren Zeitgenossen eine damals ganz einzige Blüthe
der Tafelmalerei erreichte. An historischer Bedeutung kann
sich mit dieser die niederländische Buchmalerei des f.ö. Jahr-
hunderts allerdings nicht ganz inessen, aber ihr Studium
gehört zum erfreulichsten in der Geschichte der Malerei
des Mittelalters und bereichert außerordentlich das Bild
niederländischen Aunstlebens jener Zeit, in das es zugleich
auf das feinste einführt.

An Stelle der Ornamentranke tritt bei den Nieder-
ländern die Randleiste. Zunächst erscheint es wohl als
etwas Aeußerliches, daß der Maler den Raum, der ihm
überlassen ist, durch einen Strich abgrenzt, und wir haben
dies ja auch schon an französischen Miniaturen (Abb. 79)
kennen gelernt. Wichtiger für den Tharakter der Decora-
tion wird dieses Abgrenzen dann durch die Grundirung,
welche die Randleiste sofort als geschlossenes Ganze her-
vortreten läßt und weiter durch die Schlagschatten, mit
denen sich Blumen, Thiere und anderes so scharf von
diesem Grund abheben. Der Tharakter der Decoration
wird so ein wesentlich anderer, sie wird selbständig, der
Gedanke der Verzierung des Textes, mit dem sie bei den
Franzosen und besonders bei den Deutschen so innig ver-
bunden ist, tritt hier zurück. Der Niederländer nimmt
seine Randleiste als frei zu verwerthende Bildfläche, in
der sich feine Phantasie und seine inalerischen Neigungen
ganz ungehindert ergehen können.

Höchst anziehend ist die Verschiedenartigkeit solcher
Randleisten nicht nur im Detail, sondern auch in der An-
lage. Zuweilen werden sie benützt, um eine phantastisch-
malerische Architektur gothischen Stils, meist durch einige
Statuetten geschinückt, aufzubauen. Wird dadurch der Ge-
danke, den Rand ornamental zu behandeln, beibehalten, so
wirkt die Zdee der Ranke noch deutlich nach in den Or-
namentzweigen, die wir zuweilen auf der Randleiste liegen
sehen (Taf. s.3,3). Die willkürliche Anordnung und pla-
stische Behandlung derselben aber zeigen, besonders etwa
im Vergleich mit der Salzburger Bibel (Abb. 7{), erst
recht charakteristisch den Gegensatz der malerischen Art der
Niederländer zu der von der Zeichnung ausgehenden, streng
 
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