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Blum, Gerd
Hans von Marées: autobiographische Malerei zwischen Mythos und Moderne — München, Berlin, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.14541#0284

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VI. Autobiographie und Abstraktion

den. Aber Marees findet hier seinen angemessenen historischen Ort nicht. Seine
Beschäftigung mit einer zunehmend abstrahierten Form war, dies erwiesen sowohl
die Bildanalysen als auch seine angeführten Aussagen, kein Selbstzweck. Ihr lag
vielmehr die Hoffnung zugrunde, dass in der malerisch geklärten Form — und
ebenso in einer antikisch erneuerten Körpersprache — ein aus sich seihst sprechen-
des, anschaulich evidentes und historisch voraussetzungsloses Medium inhaltlicher
Mitteilung gefunden sei. Hier besteht in der Tat eine historische Kontinuität zu
bestimmten Strömungen der gegenstandslosen Malerei, für die eine Äußerung Bar-
nett Newmans, die sich in der Tradition des »sich selbst aussprechenden«233 Bildes
bewegt, einstehen kann: »We do not need the obsolete props of an outmoded and
antiquated legend. [...] The image we produce is the self-evident of revelation, real
and concrete, that can he understood by anyone who will look at it without the nos-
talgic glasses of history. «234 Zugleich wird im Blick auf die ungegenständliche Male-
rei deutlich, wie stark Marees den Themen und Darstellungsweisen der Tradition
auch entgegen seinen eigenen Forderungen verpflichtet blieb.
Die intendierte voraussetzungslose und allgemeine Verständlichkeit seiner Bil-
der hat sich in der Geschichte ihrer Rezeption nicht bestätigt. Die >unmittelbare<
Anschauung, die Marees postulierte (V.2.) und die seine Gemälde durch Reduktion
auf formal artikulierte Relationen »sinnlich bedeutender« Gestalten und Gebär-
den ermöglichen sollen, ist offenbar kein — wie es dem Künstler erschien - natür-
lichem und selbstverständlicher Rezeptionsvorgang. Vielmehr ist die Anschauungs-
weise, die Marees beim Betrachter voraussetzt, durch die Geschichte der europä-
ischen Kunst geprägt und an Werken der Antike, der Renaissance und des Klas-
sizismus geschult. Marees’ historisch höchst vermitteltes Konzept einer unmittel-
barem Bildsprache galt es hier sowohl historisch zu rekonstruieren als auch
beschreibend zu vergegenwärtigen.
Nachdem der Anspruch der >Hesperidenbilder< auf universale und ursprüng-
liche Unmittelbarkeit erschlossen worden ist, soll nun abschließend untersucht
werden, wie diese Gemälde sich zu den gesellschaftlichen und mentalen Vorgaben
ihrer gründerzeitlichen, ihrer modernen Gegenwart verhalten, die Marees so nach-
drücklich in >zeitlosen< Gestalten und > überzeitlichem Gestaltung zum Verstummen
bringen wollte.

233 Vgl. Kemp 1985, S. 255.
234 Newman 1990 (1948), S. 173.

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