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Blum, Gerd
Hans von Marées: autobiographische Malerei zwischen Mythos und Moderne — München, Berlin, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.14541#0283

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VI.5. Fazit: Autobiographie und Abstraktion

verbunden — ein Sujet, das bei einer ganzen Reihe von Künstlern des späteren
19. Jahrhunderts zusammen mit den »Lebensaltern* an die Stelle des klassischen
mythologischen oder religiösen Ereignisbildes tritt (V.4.2.).225 Mit diesen Themen
geht auch in der zeitgenössischen französischen Malerei eine Hinwendung zum
antikischen Akt und eine ausgeprägte Tendenz zur Formalisierung einher. Dies gilt
besonders für Ingres’ spätes Goldenes Zeitalter und für Puvis de Chavannes.226 227 Es
gibt bislang keine kunstgeschichtliche Deutung der Malerei des späteren 19. Jahr-
hunderts, in der die Herausbildung »privater Ikonographien< mit einer in dieser
Zuspitzung neuartigen Tendenz zur formalen Abstraktion zusammen gesehen wür-
de. So vernachlässigen, wie eingangs bemerkt, die verdienstvollen Entschlüsselun-
gen der »privaten Ikonographie* Manets und Cezannes die in der älteren For-
schung erörterten formalen Neuerungen dieser Maler. Andererseits übersieht etwa
Stefan Germers anspruchsvolle Interpretation der Formalisierung in der franzö-
sischen Malerei des 19. Jahrhunderts ihre semantische Funktion mit Bezug auf die
dargestellten Sujets.22,
VI.5.5. Ausblick: Ästhetische Evidenz statt vorgeprägter Ikonographie
Wenn sich auch die Einschätzung nicht halten lässt, Hans von Marees sei als Pro-
phet einer erst erahnten »Befreiung* der Malerei vom Gegenstand ein gegenständ-
licher Maler wider Willen und Vertreter einer »reinen Komposition«228, so kann
Marees’ Auffassung der »Form* dennoch in einen historischen Entwicklungszusam-
menhang gestellt werden, in dem anschauliche »Evidenz«229, die intendierte unmit-
telbar erfassbare Bedeutsamkeit des autonomen Bildes, zunehmend an die Stelle
der traditionellen Ikonographie tritt.
Dieser Prozess beginnt in der »Krise der Kunst um 1800«,230 besonders im »In-
ternational Style* und seiner Bevorzugung der Umrisszeichnung und kulminiert in
einer Reihe von Positionen der ungegenständlichen Kunst des 20. Jahrhunderts.
Er ist, in der Nachfolge Clement Greenbergs, einseitig charakterisiert worden als
eine Rückwendung der Kunst auf sich selbst, als Ausdruck einer immanenten
Selbstreflexivität.231 Die historische Bedeutung von selbstreflexiven Strömungen
der formalen Abstraktion als einer l’art pour l’art, die ihre radikale Zuspitzung in
Ad Reinhardts Art as Art-Dogma erfuhren,232 soll keineswegs unterschätzt wer-
225 Zur gänzlich andersartigen »Verallgemeinerung* autobiographischer Themen bei Manet vgl.
Mauner 1975, Gedo 1994.
226 Vgl. Fleckner 1995, Venedig 2002.
227 Germer 1988. S. 182 ff.
228 Vgl. Ruhmer 1987 und in der vorliegenden Arbeit 1.2.
229 An den Bruder Georg, 6. Mai 1884: Meier-Graefe 1909 — 1910, Bd. III, S. 269.
230 Vgl. Hetzer 1998 (1950).
231 Vgl. Germer 1988, S. 118-226, Fleckner 1995 (zusammenfassend: S. 275).
232 Vgl. Reinhardt 1984.

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