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Blum, Gerd
Hans von Marées: autobiographische Malerei zwischen Mythos und Moderne — München, Berlin, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.14541#0286

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VII. Marees im kulturgeschichtlichen Kontext

lieber<, scheinbar unhintergehbarer Rollenbilder und Geschlechterzuschreibun-
gen seit dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts nachhaltig fortgewirkt, insbe-
sondere in der Skulptur des >Dritten Reiches«.5

VII. 1.1. Der Künstler als Held: Vom Stab zur Standarte
»Sich gegen den Strom der Zeit nach Kräften stemmen«6 7 erklärte der Maler — in
der Wendung gegen seine Zeit durchaus zeitgebunden — zu seinem zentralen Anlie-
gen. Er wandte sich von Sujets ab, die motivisch seiner Epoche offensichtlich ver-
pflichtet waren. Nur in seiner Frühzeit malte er patriotische Schlachtenbilder. ‘
Marees illustrierte weder die >großen< politischen Ereignisse noch das Alltagsleben
der Gründerzeit. Dennoch hat er, wie aus den vorangegangenen Kapiteln deutlich
wird, verbreitete Konzepte und Stereotype der bildungsbürgerlichen Eliten des
frühen deutschen Kaiserreiches in seinen Bildern dargestellt und fortgeschrieben.8
Sie erscheinen zunächst in altmeisterlicher Einkleidung, nach I .873 werden sie
dann in Figuren von antikischer Nacktheit verkörpert. Daher sind diese Klischees
auf den ersten Blick häufig nicht ersichtlich. Unter ikonologischer Perspektive ist
eine subkutane Imprägnierung mit zeitgenössischen Topoi festzustellen, obwohl die
Bilder des »verkannten Künstlers«9 vom Geschmack ihrer Zeit merklich und für
ihre Marktgängigkeit unvorteilhaft abwichen.
Zeittypische Klischees innerhalb der Bildwelt von Marees sollen im Folgenden
im Rückgriff auf Ergebnisse der vorangegangenen Kapitel zusammenfassend dar-
5 Zur >neuklassischen< Marees-Rezeption in der Bildenden Kunst des Kaiserreiches um 1910: Ha-
mann/Hermand 1977b (1959); Neckenig 1982; Domm 1989; Bock 1995. Andeutungen zur Bedeu-
tung seines Werkes für die Plastik des >Dritten Reiches«, auch über Vermittlung von Hildebrand
und Schülern wie Louis Tuaillon, finden sich bei: Grzimek 1969; Hinz 1974, S. 89-93; Berlin/
Düsseldorf 1983, S. 101f.; Müller-Mehlis 1976, S. 1111'1'.; Nicolai 1996, S. 334f. Keine Hinweise
zu diesem Thema bei Lichtenstern 1987. Zur Marees-Rezeption in der bildenden Kunst nach
1945: Lichtenstern 1987; Franz 1987; Bielefeld/Wintertlnir 1987.
6 Brief an C. Fiedler, 15. August 1878; Meier-Graefe 1909-1910, Bd. 111, S. 178.
7 Vgl. Börsch-Supan 1987a.
8 Für den Nachweis kulturgeschichtlicher Tiefenstrukturen von Bildern sind Analysen unver-
zichtbar, die den medialen Besonderheiten bildlicher Darstellung gerecht werden und außerdem
zeitgenössische Rezeptionshorizonte berücksichtigen. Das Fehlen einer bildspezifischen Metho-
dik kennzeichnet auch diejenigen Studien, die sich der gründerzeitlichen Prägungen der Gemäl-
de von Marees bisher angenommen haben: Das grundlegende, jedoch in der Marees-Literatur
kaum berücksichtigte Buch von Hamann/Hermand (1977a [1965]) und die Studien von Domm
(Domm 1989, dies. 1987a, dies. 1987b) gehen von einem pauschalen Vorbegriff der formalen und
thematischen Eigenschaften der Bilder aus. Dies gilt auch für die Schriften von Faensen 1965,
Liebmann 1971 und Neckenig 1982. Dadurch beleuchten diese Beiträge wichtige Motive der
Briefe, jedoch nur wenige, plakativ hervortretende Merkmale des bildnerischen Schaffens von
Marees. Einen mangelnden Blick für die medienspezifische Eigentümlichkeit bildlicher Ge-
schichtszeugnisse sowie an dieser Stelle fehlende historische Distanz kennzeichnet auch Thomas
Nipperdeys Aussagen zu Marees innerhalb seiner Deutsche[n] Geschichte 1866—1918. Hier
wird ein geschichtliches Phänomen mithilfe jener Stereotype beschrieben, die eine Epoche für
ihre eigenen Hervorbringungen geprägt hat. Eine historische Analyse, die sich auf die Selbstdeu-

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