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diesen Aufenthalt mit folgenden Worten beschrieben: „Ich hatte mir nach einem Aufenthalt von
einem Jahr in Polen eine schóne Summe aufgespart, welche ich nun zum Studieren in Paris
bestimmte". Nur eins hob er hervor: das Geld. Nach Polen war er ja fast durch Zufall gekommen,
denn er hatte vor, sich in RuBland das Goldene Vlies zu erobern, doch die Einreisegenehmigung
in dieses Land wurde ihm verweigert, weil er ais geburtiger Mainzer franzósischer Staatsan-
gehóriger war und RuBland sich damals in Kriegszustand mit Frankreich befand.

Der Maler behielt also den finanziellen Nutzen in Erinnerung, den ihm der Aufenthalt in Polen
gebracht hatte, doch der kunstlerische Profit war auch nicht gering. In den Jahren 1802—1805
hatte Caspar Stieler (denn so wurde er ins Immatrikelbuch eingetragen14) an der Kunstakademie
in Wien, hauptsachlich bei Heinrich Fijger, studiert. Was uns aus jenem und dem vorausgegan-
genen Zeitraum erhalten ist, zeigt uberhaupt nicht an, daS man hier mit einem kunftig
hervorragenden Maler zu tun hat. Seine ersten bedeutenden Werke, die uns bekannt sind,
entstanden in Polen.

Stieler war 23 Jahre alt, ais er nach Krakau kam, ausgerustet mit Empfehlungen aus Wien und
vom Aschaffenburger Hof, die ihm sofort zahlreiche Auftrage verschafften. Zu seinem Kundenk-
reis gehórten hervorragende, miteinander verwandte und verschwagerte Familien — Mierosze-
wski, Morstin, Michałowski, Puget, Wielhorski, Dembiński —, woraus man schlieBen kann, dafi
der Fremde Maler in dem damals kunstlerarmen Krakau immer wieder weiterempfohlen wurde.
Es sei daran erinnert, daB keines dieser „polnischen Portrats" bisher bekannt war und keines im
Verzeichnis von 315 Gemalden erfaBt ist, das die Monographistin des Kunstlers, Ulrike von Hase,
zusammengestellt hat. Ihre Worte: „Das fruhe Werk des Malers, entstanden hauptsachlich in
Polen — Warschau, Krakau und Lemberg —, ist der Forschung praktisch entzogen, da sich diese
Werke, bis auf wenige Ausnahmen, nicht in óffentlichen Sammlungen befinden", klingen etwas
euphemistisch. Es ist namlich schwer zu entschlusseln, was fur „wenige Ausnahmen" sie meint,
wenn keine davon óffentlich bekannt worden ist.

Es sei denn, man betrachtet ais diese Ausnahme das ausdrucksstąrke Selbstbildnis (Abb.1),
Ól auf Leinwand, 69,5 x 56 cm im Oval, das sich in einer óffentlichen Sammlung in Miinchen
(Lenbachhaus) befindet. Es tragt die augenfallige Bezeichnung: „Jos: Stieler gemalt von ihm
selbst, in Warschau 1806". Seine Komposition ist nicht ausgesucht: Aus dem dunklen, neutralen
Hintergrund hebt das Licht ein junges Gesicht mit tiefliegenden Augen, die den Betrachter
forschend anblicken, heraus. Der breite „barocke" oder fruhromantische Faltenwurf des
weichen Mantels bzw. Umhangs soli die Biiste beleben, damit sie nicht zu steif wirkt. Das stark
betonte Helldunkel steigertdie Expression des Bildes. Das Gemalde muBgefallen haben, denn es
hing im Atelier des Kunstlers ais eine Probe seines Kónnens. Ein halbes Jahrhundert spater, ais
auch der jungę Stieler sich auf den Malerberuf vorbereitete, schrieb ihm sein Vater die

bezeichnenden Worte:.....ich habe es bei meiner Lebenspractick so vorteilhaft gefunden, mein

eigenes Portrait und ein schónes weibliches Kópfchen bei mir zu haben, wobei man die
Ahnlichkeit und Schónheit zugleich hat beurteilen kónnen..."15 Das in Miinchen erhalten
gebliebene Selbstbildnis, bei dem so ausdrucklich darauf hingewiesen wurde, daS es hier und
jetzt entstanden war, sollte eben diesen Zweck erfullen.

Aus den Papieren Stielers hat seine Monographistin entnommen, daB er im Jahre 1805 in
Krakau 18 Portrats gemalt hatte. Da die Namen der Portratierten jedoch stark entstellt
wiedergegeben (wahrscheinlich sowohl durch den, der sie niedergeschrieben hatte, ais auch
durch die, die sie entzifferte) und die Vornamen ganz weggelassen wurden, ist eine sichere

14. Akademie der Bildenden Kiinste in Wien, Immatrikelbuch, Protokoll Nr. 5: „... bei dem Modeli nach den Antiken von 1 794 bis
1808", zitiert nach dem Auszug: A. Hajdecki, Vestigia Art/f/cum Polonorum Vienensia, 2, Bibliothek der Polnischen
Akademie der Wissenschaften in Krakau, Manuskript Nr. 2170, Bd. 2.

15. Naher uber dieses Warschauer Selbstbildnis bei U. von Hase, op. cit., S. 54—55, 119, Nr. 12.

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